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ernst mit ihrer Absicht, eine Erweiterung der Koalition nach . rechts zu vermeiden, ziehen sie eine Erweiterung der Koalition nach links hin vor, so ist es ihnen auch heute noch möglich. das angestrebte Ziel zu erreichen. Nur, wer den Z w e ck will, muß auch die Mittel wollen. Wenn man, unbekümmert darum, was daraus wird, an der goldenen Freiheit der Oppo- ' sition festhält, hat man es leicht, über den Zaun Steine auf diejenigen zu werfen, die sich mit der praktischen Lösung prak» tischer Fragen mühsam abquälen. Aber damit kann man höch- stens agitatorische Augenblickserfolge erzielen, nicht aber auf den Gang der Dinge selbst mitentscheidenden Einfluß nehmen. Was aus den Verhandlungen über die Verbreiterung der Koalition wird, ist noch ganz ungewiß. Ein schwerer Teil der ' Verantwortung liegt bei den Demokraten und beim Zentrum, die dafür sorgen müsien, daß die Dinge zunächstinPreu- ' ß e n ins Reine kommen. Die Entscheidung im Reich hängt von umständlicheren Beratungen ab, vor allem über die Steuerfragen, und so lange kann in Preußen nicht ge- . wartet werden. Die Genossen im Lande aber mögen folgendes bedenken: ;, Wenn in ihren Erörterungen des Görlitzer Beschlusses die Tat- fache zum Ausdruck kommt, daß die Partei keine Sehnsucht ' C danach hat, der Deutschen Volkspartei   in die Arme zu sinken, ' so kann das nur nützlich sein. Parteischädigend aber wäre - es, gegen die Mehrheit des Parteitags, die nach reiflicher Er- wägung und öffentlicher Debatte entschieden hat, mit verdächti- ; genden Unterstellungen zu arbeiten. Der Ausspruch Wilhelm . Liebknechts, daß man seine Taktik, wenn es notwendig ist, in 24 Stunden 24mal revidieren muß, wird oft zitiert, aber selten beherzigt. Solange es eine Sozialdemokratische Partei   gibt, ! hat es in ihr Kritiker gegeben, die als Folge bestimmter takti- ' scher Wendungen den Untergang der Partei prophezeiten, aber recht behalten haben sie niemals: die Partei ist groß geworden trotz alledem. Der gemeinsame Wunsch, die Partei auch weiter wachsen und gedeihen zu lassen, muß über i allen Debatten schweben, die über den Görlitzer Beschluß ge- i fübrt werdenl.___ Eine fcanzösifthe Sopkottnote. In einer Note an die deutsche Reichsregierung wendet sich Frankreich   gegen einen angeblichen systematischen Boykott f r a n z ö s i s ch e r W a r e n. Die Note weist auf Treibereien einzelner Interessentengruppen und Blätter hin, die franzö- fische Waren vom deutschen   Markt ausgeschlossen wissen wollen und behauptet, daß einzelne Regierungsstellen die Bewegung begünstigt hätten. Sie fordert, daß die deutsche ' Regierung ihren Einfluß aufbiete, um die Boykottbewegung zu unterdrücken. Die Note ist den Wirtschaftsressorts der Neichsregierung zur sachlichen Prüfung zugeleitet worden. Erst wenn diese erfolgt ist, wird die Regierung ihrerseits dazu Stellung nehmen. Einen Boykott französischer Waren aus na­tionalistischen Gründen mißbilligen wir auf das schärfste. Deutschland   und Frankreich   sind wirtschaftlich viel zu sehr auf- einander angewiesen, als daß wir uns den Luxus leisten könnten, einen deutsch  -französischen Handelskrieg in alle Ewig- keit zu erklären. Dazu gehört schon die Beschränktheit beruss- ' mäßiger Quertreiber der Reichsinteressen, wie sie sich unter der trefflichen Leitung des Professors Rießer im Hansabund zu- - sammengefunden haben. Wir möchten aber doch betonen, daß eine unbeschränkte Zulassung französischer Waren zur Einfuhr nach Deutschland  - unter keinen Umständen in Frage kommt, weil Frankreich   selbst sie nicht will. Frank- reich fordert von uns Goldmilliarden, zwingt unsere Wirt- ; schaft daher zu äußerster Sparsamkeit. Dadurch aber nötigt : es uns eine Kontrolle der Einfuhr auf, die verhindert, daß Luxusartikel in das Land hineingelassen werden. Nun will es die weltgeschichtliche Ironie, daß Frankreich   seine . Volkswirtschaft vornehmlich auf die Luxusindustrien stützt. Nachdem wir bis zur Grenze der Selbstaufopferung den Ver- sailler Vertrag und das Londoner   Ultimatum auf uns genom- men haben, müssen wir es schon Herrn Fachs bewährtem Scharfsinn überlassen, wie er den Interessengegensatz zwischen
Ztmsihen Himmel und Cröe. (Konzert-Umschau.) Wagendes Gedränge von Autos und Menschen, polizeiliche Ab- sperrung, strengste Kontrolle nassauernder Sehnsüchtiger durch Sipo, im Saal ein Surren und Raunen: ein großer Tag der Philharmonie. Mattia Battistini   singt. Seit Carusos Tod der berühmteste der Sänger Italiens  . Sein einziger Konkurrent, Tito Rufa  , kommt nicht zu uns, oder doch nur auf dem Umweg über Grammophone. Um so wertvoller jetzt die Bekanntschaft mit einem Meister, der zu- gleich belehrt und aus tiefstem Herzen ausrüttelt. Wie sicher, wie rein, wie großartig arbeitet dieser Tenor-Bariton, der nur so schüch- tern von Altersgrenzen zu berichten weiß. Kein Hauch, der nicht Klang würde, im Klang selber alle Swfungen, die von sanfter meeea voce zu Posaunenkraft aufsteigen: auch wird keine Silbe, ja, kein Konsonant unwichtig genommen. Höchste Kultur der Technik bei einem Natursänger, der das Glück der schönen Stimme mit dem Der- dienst ihrer letzten Pflege verband. In Battistinis Schatten kämpfen selbst sehr Tüchtige vergebens um Licht. Mit anderen Maßen muß gemessen werden, und Um- stellung tut dem Hörenden not. Bei Frieda von B o d d i e n zittert zunächst nur Unsicherheit durch. Dem leidenschaftlichen Pathos scheint die begabte und gutgestimmte Frau wenig gewachsen, eher dem leichtschwingenden Kunstlied. Auch da ist Technik zu revidieren. Das wird bei Manja B a r k a u nicht mehr nötig sein, wenn sie alles so frisch, keck, zierlich, geschmackvoll und klug pointiert singt, wie die reizenden Kreolenlieder in Friedenthals Bearbeitung. Pom Lied her stammt auch M a h l e r s Größe sagen die Kenner. In der dritten Sinfonie bekommt vom 4. Satz an diese Ableitung bestimmenden Charakter, der Gesang mischt sich im Altsolo, in Kna- ben- und Frauenchor entscheidend ein. Im ersten Satz ist ein Bolks- lied und ein Militärmarsch nachdrücklich zur Basis für ein breites, allzu breites, zwischen genialem Feuerwerk und kapellmeisterlichcr Mache flach und hoch dahinpendelndes Stimmungsbild gemacht. Formlos, brutal im Ausnutzen des schmetternden und wetternden Orchcstermaterials, ohne Liebe für den Schmelz und das Melos der Streicher. Die Gedanken sind billig und wiederholen sich in ihrer Simplizität viel zu oft. So wird man in aller Lautheit nicht recht froh und gar nicht warm. Respekt vor der Technik ersetzt nicht diese eisige Kühle, die von Naturlauteu nur stoßweise durchbrochen wird. Entzückend in Einfachheit, Kolorit, klingendem Fluß das Menuett, und auch das Scherzo reizend, problemlos, unbedenklich. Doch ist das alles nur Anhängsel an ein riesiges Anfangs-Allegro, das auch philologische Weisheit nicht ans Herz wachsen läßt. Gustav Brecher  übernahm sich mit diesem Werk: gerade das Sachliche geriet eben, trotzdem seine Taktierbewegungen oft das Gegenteil erwarten ließen. Und wie unsinnlich, wie wenig wienerisch, wie plump die zwei Cpi- sodensätze! Was könnte daraus gemacht werden! War das mit dem Herzen dirigiert, war das geprobt, war das alles auch nur gekonnt? -.Nur die Derbheit der Orchestersprache verscheuchte die Müdigkeit: Xtxit wollen Brecher in besserer Disposition wieder begegnen. Ohne
dem Siegerstaat Frankreich   mck> dem Luxusproduzenten Frankreich   schlichten will. ßolange uns jedenfalls noch Goldmarkzahlungen zuge- mutet werden, können wir auf die Verhinderung der Luxus  - einfuhr nicht verzichten. Frankreich   hat es allerdings in der Hand, auf dem Wege friedlicher Verständigung, der in Wiesbaden   beschritten worden ist, einen Ausweg zu suchen._ veutschnationaler Möröerschtch. DieKreuzzeitung  " veröffentlicht in ihrem gestrigen Abendblatt folgende Entschuldigung:' Um Mißverständnissen vorzubeugen, die etwa an die heutigen Ausführungen zu der gestrigen Reichstagssitzung geknüpft werden könnten, stellen wir unsere Auffassung und die Haltung, die wir bisher eingenommen haben und weiter einnehmen werden, nochmals fest. Nicht daraus machen wir dem Herrn Reichstagspräsidenten Löbe einen Vorwurf, daß er in seinem Nachrufe auf den Abgeord- neten Erzberger dessen Ermordung erwähnt und Tat und Täter scharf verurteilt hat. Wir sind nicht der Meinung, daß die Nach- weit diesen Mord günstiger beurteilen oder gar verherrlichen, wird. Es liegt uns daran, dies sofort klarzustellen. Die schweren Anstände, die wir gegen andere in diesem Zusammenhange getane Aeußerungen des Herrn Reichstagspräsidenten zu erheben haben, bleiben bestehen. DieKreuzzeitung  " hatte sich gestern morgen schützend vor die Mörder gestellt, die Löbegeschmäht" haben, ohne ihre Motive zu kennen. Sie hatte sie mit Charlotte Corday  , mit Brutus und Wilhelm Tell   verglichen und im Zusammen- hang damit den gegen Erzberger   geführten Kampf als einen Abwehrkampf bezeichnet. Stellen wir fest: dieKreuzzeitung  " hat gestern morgen ihre wahre Gesinnung verraten. Am Abend aber war sie schon wieder zu feig, zu ihr zu stehen. Hlutsbekenntnis mitzubringen! In einer Einladung, die derDeutsche Herold  ", Ortsgruppe Norden, am 23. September 1921 versendet, finden wir folgende Sätze: Hierdurch werden Sie zu der am Mittwoch, den 28. 9. 21 statt- sindenden geschäftlichen Sitzung im Nordischen Hof, Invaliden- straße 126, eingeladen.... Die erhaltenen Dlulsbekennlnisse sind ausgefüllt mitzubringen, da die Mitgliedskarten nicht eher ausgegeben werden können. Mit deutschem Gruß Deutscher Herold, Ortsgruppe Norden, gez. v. L e k o w. DerDeutsche Herold" ist eigentlich sehr unvorsichtig, daß er sich mit einer simplen schriftlichen Blutsbekenntnis begnügt. Wieviel wirksamer wäre es doch, wenn jedes Mitglied im Glas eine Blutprobe in natura mitzubringen hätte. Zwar ist noch nicht die Methode ge­funden, jüdisches von arischem Blut zu unterscheiden, aber durch Einimpfung des Blutserums in einen Affen ließe sich immerhin feststellen, daß es sich um Menschen handelt. Raharüt verhastet. Elbing  , 28. September.  (TU.) Der Präsident der Berliner  Handwerkskammer  , Chrenobermeister Karl Rahardt, ist vorgestern auf Anordnung der Staatsanwaltschaft 1 in Elbing   verhaftet war- den. Seine Verhaftung erfolgte unter dem Verdacht des Mein- e i d s und des gemeinschaftlichen Betruges. Mit ihm wurden noch einige andere Personen, darunter der Handwerkskammersekretär Ho ff mann, verhaftet. Die Verhaftung des im öfsenllichen Leben bekannten Mannes unter der Anschuldigung so schwerer Verbrechen wird sicherlich großes Aufsehen erregen. In welchen konkreten Handlungen die Straftaten Rahardts liegen sollen, konnten wir bisher nicht er- fahren. Rahardt gehörte zuletzt der Demokratischen Partei an. Vor der Revolution betätigte er sich im rechtsmittelständlerischen Sinne. Cr wurde.sogar von Wilhelm als erster und einziger Vertreter des Handwerks in das Preußische Herrenhaus   berufen. Diese Berufung wäre sicher nicht erfolgt, wenn Rahardt damals nicht als' rechtsstehender Mann gegolten hätte. Sollten sich die gegen ihn er-
viele Proben läßt sich keine Mahlersche Sinfonie herausbringen. Rudolf K rasselt, der mit altem Programm seine Charlottenbur- ger Konzerte eröffnete, verspricht für den Oktober die erste Mah- lersche: er hat das Glück, sich Proben nach künstlerischem Blick leisten zu können. So wollen wir froher Erwartung sein. Das Bonner Streichquartett(Brun, Blume, Garraux, Lehr) hat eine Art Solidität an sich und in sich, die durch Extra- oaganzen moderner Führer gelöst wird und die Herren von der ge- sunden schweizerischen Bodenständigkeit dann in rechter Leidenschaft und Ekstase bringt. Jüngst war's Debussy  , jetzt Ravel  . Aber dieses Streichquartett F-dur läßt einem Musiziernot vermissen, nach zwei sauberen und kräftigen Sätzen versandet das Wert in Stimmungs- floskeln, Ungeistigkeiten, technischen und okkordstchen Mätzchen, die Geistesarmut verdecken sollen. Der Schlußsatz hätte dann schon lieber ganz in d'Alberts Tiefland untergehen sollen! Kurz sei auf zwei zwischen Ernst und Scherz stehende musi- kalische Dinge hingewiesen. Pescatore hat eine Schützengraben- und eine Kabarettlaune oersucht, in eitel Kunst zu oerwandeln. Ueber einen Besenstiel spannt er eine Saite, nimmt als Schalltörper eine Zigarrenkiste und spielt auf diesem Gelegenheits- und Verlegenheits- instrument Cello. Es klingt gar nicht übel, ein bißchen Membranen- Haft näselnd, aber nicht unedel oder klein im Ton. Jedenfalls wie ein mittelgutes Cello. Angeblich ist bei seinem mühselig ausprobier- ten Verfahren ein akustisches Prinzip, nämlich die ausschließliche Ausnutzung der horizontalen Schalldeckeloibration, gebrauchsfähig durchgeführt. Man wird sich das Instrument in ein Orchester hin- eindenken können, auch wenn der Besenstiel wieder aus den Blocks- berg gewandert ist, wo er zum notwendigen Hausgerät gehört. Das bequeme und billige Material wird nach diesem gelungenen Versuch zur geschäftlichen Verwertung Anlaß geben können. Der zweite Anonymus ist P. M e r a n o. Er schrieb zu einem sehenswerten LehrfilmIm Kampf um die Berge"(Ufa) eine mehr als illustrative, eine charaktervolle Musik, sehr modern, mit techni- schem Geschick und großer akkordlicher Geste. Sie klingt stark nach dem Futuristen Holländer, derDie Wupper" untertonte. Diese Neuerung der Filmmusik als einer adäquaten tonlichen Ergänzung des gekurbelten Inhalts ist eine Viertelstunde lang reizvoll. Nach einer Stunde ist das Ohr müde, während das Auge unersättlich bleibt. Der Zwiespalt ist erst noch zu überwinden, und ebenso die Unzulänglichkeit des Kinoorchesters. Kurt Singer  .
Das AUchaelsfest(29. September), das die katholische Kirche  dem Erzengel Michael   schon seit dem 3. Jahrhundert feiert, ist ein Tag, der auch in anderer Hinsicht für uns Bedeutung hat: er ist zugleich auch der Gedenktag desdeutschen Michels", des Schutz- patrons des deutschen   Volkes und das Sinnbild unseres Volkstums. Es ist nicht ohne Reiz, dem Ursprung dieser Versinnbildlichung nachzugehen. Ihren Ausgang nahm sie aus der biblischen Legende, in der der Erzengel Michael   den Teufel besiegt. Diese Tat machte ihn zum Helden, und schon frühzeitig wurde er deshalb von den Christen zum Schutzpatron des Kriegerstandes erhoben. Auch im alten Deutschland   wies man bald nach der Einführung des Christen-
hobenen Anschuldigungen als wahr herausstellen, fo werden doch die rechtsstehenden Kreise gut tun, der Partei, der Rahardt jetzt ange» hörte, keinen Vorwurf daraus zu machen, daß sie ihm Der- trauen geschenkt hat. Denn e» ist noch nicht so lange her, daß Rahardt der Mann ihre s Vertrauens war.
poehner hinausgeworfen! Wegen dreister Verhöhnung der Regierung. München  , 28. September.  (Eig. Drahtbericht desVorwärts".) Die Anschlagsäulen Münchens   brachten heute nachmittag eineEr- klärung" des Polizeipräsidenten P o e h n e r, in der dieser seinen Rücktritt mit schwülstigen Worten ankündigt. Der Repräsentant von Ruhe und Ordnung" beschließt seine staatsgefährliche Tätigkeit mit einer Verhöhnung der Volksregierung. Der Beamte Poehner erfrecht sich noch im letzten Augenblick feiner Amtstätigkeit, eine Insubordination sondergleichen zu begehen und den von ihm geschaffenen Presssapparat noch dazu zu benutzen, seine Vorgesetzten, den Minister des Innern und den Ministerpräsidenten vor der Ocffentlichkeit herabzusetzen. Dazu schreibt die bereits im neuen Kurs funktionierende offi- ziöse Staatszeitung: Es kann nicht unausgesprochen bleiben, daß die Form des Schrittes des Herrn Poehner etwas ungewöhnlich und keineswegs geeignet ist, die gegenwärtige Situation zu erleichtern. Auch die Acra Poehner war nicht ohne Fehl- griff, insbesondere die Handhabung der Plakatzensur hat auch im bürgerlichen Lager eine nicht unberechtigte Kri- t i k gefunden, aber das Positive, das der bisherige Polizeipräsident für die Staatsautorität geleistet hat, überwiegt trotzdem. Wie wir soeben erfahren, ist der Polizeipräsident bereits feines Amtes ent- hoben worden. Die Amtstätigkeit desselben hat Regierung?- rat Rahmw: übernommen. So verläßt Poehner sein Amt, begleitet von der Verachtung der Münchcner Arbeiterschaft und von der offiziellen Desavouierunz der neuen Regierung. Die große Geste, in welcher sich Poehner nach den Manieren eines ge stürzten Potentaten von seiner na- tionalbolschewistischen Gesellschaft verabschiedet, steht ihm schlecht an. Bon einer Freiwilligkeit seines Rücktritts konnte unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr die Rede sein. Die s o- zialistischen Interpellationen über eine Beseitigung der himmelschreienden Polizeiskandale des vergangenen Jahres standen vor der Tür. Erst heute morgen wurde von der sozialdemokratischen Fraktion ein Antrag mit dem Zweck, die Beiseiteschaffung des poli­tischen Aktenmakerlals durch Poehners handlanger zu verhindern, eingebracht. Wie wir aus bester Quelle erfahren, war die Stellung Poehners durch alle diese Vorgänge schon derartig erschüt- tert, das ein Verbleiben im Amte vollständig ausgeschlossen war. Poehner war als Beamter völlig vom Schlage seines Herrn und Meisters Kahr: bockbeinig und hinterhältig. Unter seiner ziel- bewußten Leitung wurde die Münchener   Polizeidirektion ein Hort des Rückschritts und der politischen Brunnenvergiftung, unter dessen System der Landesverrat, ja selbst der politische Meuchelmord ge- dieh. In Erinnerung ist auch noch, wie Poehner im August ver- suchte, die Teuerungsdemonstration der Arbeiterschaft im Blut zu ersticken. Möge die Aera Poehner für alle Zeiten der Geschichte des bayerischen Volkes angehören. Aufgehobene reaktionäre Geheimversammlung. München  , 23. September. Hier gelang sofort nach dem Sturz des Systems Kahr-Poehner etwas, was diesen beiden aus- sälligerweise nie geglückt war. Durch Zusammenarbeit zwischen Mi- nisterium des Innern und Sozialdemokratie war es nämlich möglich, zum erstenmal eine rechts bolschewistische Geheimver- s a m m l u n g auszuheben. Ihm gefällt Bayer« nicht mehr! Oedenburg  , 28. September.  (DA.) Gestern ist der aus 17 Personen bestehende Hofstaat des ehemaligen Königs von Bayern  in Saroar eingetroffen, wo der Exkönig ausgedehnte Besitzungen hat. Der Exkönig wird für morgen oder übermorgen erwartet. Er wird längere Zeit in Sarvar Aufenthalt nehmen. Das Reisen des bayerischen Exkönigs in der gegenwärtigen Zeit ist natürlich nicht ohne politische Bedeutung, zumal es ja bekannt ist, daß die Führer der ungarischen Aufstandsbewegung mit den I bayerischen Monarchisten in engster Fühlung sind.
tums dem tapferen Erzengel eine wichtige Rolle zu: man setzt« ihn an die Stelle des Kampsgottes undwilden Jägers", des Wotan, und die Verehrung, die ursprünglich der heidnischen Gott- heit gegolten halte, wurde nun ihm dargebracht. Ut,prünglich hatte man an dem Tage, der dem Wotan geweiht war, Gericht gehalten, ein großes Volksgericht, an dem auch über die verschiedensten Geschäfte des laufenden Jahres gemeinschaftlich beraten wurde, well man annahm, daß auch die Götter an diesem Tag Gericht abhiellen. Nun aber wurde aus dem heidnischen Gerichtstag, der natürlich immer viel Volk zusammenführte und damit auch zum Festtag ge- worden war, der M i ch a« l s t a g. Der Erzengel   selbst wurde noch halb in der Erinnerung an Wotans Göttermut, dann aber auch im Gedanken an den Helden, der den Teufel besiegt hatte, ähnlich wie St. Georg, der Drachen- , töter, zum Schutzpatron der deutschen   Ritter geworden war, zum Beschützer des deutschen   Kriegers. Doch mit der Zeit verlor sich diese Erinnerung an Michaels kriegerischen Heldenmut und wurde Michael zum Sinnbild eines zwar tapferen, kräftigen und gut- wütigen, aber auch ein wenig beschränkten Volkstums. Dabei fft es denn geblieben, und der deutsche   Michel, dem man noch dazu eine Zipfelmütze auffetzte, ward schließlich auch im eigenen Land zur humoristischen Figur.«Die Bezeichnung,deutscher Michel  " selbst erstand etwa um die Mitte des 13. Jahrhunderts und hat einen eigenartiaen Ursprung. Es war nämlich um diese Zeit Brauch, daß alljährlich Scharen von deutschen   Kindern und jungen Leuten zum Michaelstag nach' dem Mont St. Michel, dem Inselfels an der Küste der Normandie  , pilgerten. Und weil diele zum großen Teil krankhaft überspannten jungen Wallfahrer, die man die Michaelskinder" nannte, nun auf ihren Zügen immer nur den heiligen Michael ansangen, nannte man sie spöttischdie dummen deutschen   Michel". Eugen Dühring  , dessen Name der deutschen   Arbeiterschaft zum mindesten aus einer polemischen Schrift unseres Friedrich Engels  bekannt fein dürfte, ist am 2. September, 88 Jahre alt, in Nowawes  bei Potsdam   g e st o r b e   n. Die Todesnachricht kommt verspätet an die Oeffentlichkeit, die sich einst viel mit diesem genialen Gelehrten und querköpfigen Eigenbrödler beschäftigt hat, aber seit Jahrzehnten so wenig Notiz von ihm nahm wie er von ihr. Es ist wohl bald ein halbes Jahrhundert her, ols der junge blinde Privatdozent für Philosophie und Nationalökonomie durch seinen Konffikt mit der Berliner   Universität die europäische Gelehrten- weit in Erregung brachte. Seine Kolleqs waren von den Studenten überlaufen worden, seine ersten Schriften hatten Aufsehen erregt und Beifall gefunden, und als er seineKritische Grundlegung der Volks- Wirtschaft" veröffentlichte, war Bismarck   auf ibn aufmerksam ge- worden und hatte ihm die Abfassung einer Denkschrift über sozial- politische Reformen vorgeschlagen. Sein Stern schien im Aufgehen zu sein, als plötzlich ein jäber Umschwung eintrat. Ein Lehrstuhl für Philosophie war zu besetzen, auf den er Anspruch zu haben meinte: aber ein anderer erhielt die Berufung. Seine D-nkf-hrift er- schien ohne sein Wissen unter fremdem Namen, und Dühring   strengte eine urheberrechtliche Klage an, obgleich die Regierung ihm eine