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Kr. 459 5s. Fahrgang
2. Heilage des Vorwärts
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Donnerstag, 29. September 1921
Eigenverfassung unserer Schulen. Em erster Versuch der Schnl-Selbstverwaltung in Berlin  .
Trage iet Schulverfassung drängt ihrer Lösung zu. Die solg�rden Ausführungen aus der Feder des Berliner   Ober- i* V* hch u l r a t s Bn Ulfen   behandeln diese Frage und geben Richtllnien für die Verfassung einer sich selbst verwaltenden Schule. Redaktion desVorwärts". Die stadtische Schujoerwallung hat bei der Aufsichtsbehörde be antragt, an einzelnen«chulen Berlins   den Versuch einer d e m o kra tischen Schulverfassung zu machen, um für eine all' gemeine Gesetzgebung Erfahrungen zu sammeln. Das bedeutet einen ersten bescheidenen Anfang für die Einleitung einer Schulentwicklung, wie ste dem Bedürfnis der neuen Zeit entspricht. Das Provinzial- schulkollegium zeigte sich grundsätzlich einem solchen Versuch geneigt, äußerte aber gleich zu Beginn der Ausführung so schwere Bedenken, daß der Plan zu scheitern drohte. Die Potsdamer Regie- r u n g, die unglücklicherweise in den Bezirken der früheren Vororte noch heute die Schulaufsicht ausübt, oerbot kurzerhand jede Erörterung dieser Anregung in den Schulen ihres Ver- woltungsgebietes. Es ist aber zu hoffen, daß alle Widerstände über- wunden werden, der Wille einer aufstrebenden Lehrer- und Eltern- schaft und die Zeit bürgen dafür. Dieser Einsicht oerschließen sich auch die leitenden Stellen unserer staatlichen Behörden nicht, es gilt nur, Borurteile und Mißverständnisse in den kollegial beschließenden Behörden zu beseitigen. DerAusfallderWahlenam 16. Oktober wirdsür die Entwicklung unseres Schulwesens von aus- schlaggebender Bedeutung sein. Fällt die sozialistische und fortschrittliche Mehrheit, dann vervielfachen sich alle Widerstände, und die Möglichkeit einer großzügigen Schulreform ist bedroht. Denn nur engere, gebildete Kreise des Bürgertums begreifen es, daß Schul- angelegenheiten Kulturangelegenheiten find und daß eine Wirtschaft- liche Erneuerung nicht eintreten kann ohne innere, geistige Erneue- rung unseres Volkes. Damit soll nicht gesagt sein, daß diese Bildung und die Einsicht in die inneren Zusammenhänge überall unter den Arbeitern angetroffen werden. Der neuen Schulentwicklung werden Widerstände, wie die Erfahrung es lehrt, auch aus den unaufgeklärten Teilen des Proletariats erwachsen. Aber das Proletariat steht der Schule unbefangener gegenüber, da es keine starke Bildung-traditionen zu brechen hat, und williger und sehn- suchtsvoller, da wahre Bildung das Mittel seines Aufstiegs bedeuten. Unverdorben durch Bildungsvorurteile und Bildungsoorrechte wächst es in feine Schule hinein. Die Einwände, die man gegen die Selbstverwaltung der Schule erhebt, werden formal und materiell begründet. Zunächst bestreitet man der Stadt das Recht einer unmittelbaren Anregung und des un- mittelbaren Verkehrs mit ihren Schulen. Man erblickt darin mit Unrecht eine Einmischung in das Aussichtsrecht des Staates. Darin bekundet sich die alte, nicht auszurottende Denk- weife des Obrigkeitsstaates, der in jedem eigenen Denken und in dem Willen schaffender, gestaltender Mitarbeit Auflehnung gegen die Hoheit des Gesetzes erblickt. Schulaufsichtsrecht schließt das ver- antwortliche Mitarbeitsrecht nicht aus, ja erfordert es geradezu, sollen nicht Einrichtungen des Staates in einseitiger, formal- gesetzlicher Behandlung verkümmern und ihrem lebendigen Zweck entzogen werden. Die Stadtgemeinde Berlin  , die kein er- w e i t e r t e s Berlin   ist, sondern ein neues Gemeinwesen mit eigenem Sinn und selbständigem Zweck, hat in der Abgrenzung ihrer Rechte und in der Schaffung brauchbarer Verwaltungsformen ein Arbeitsgebiet von weittragender Bedeutung. Mit der Lösung dieser Aufgabe ist ihr zukünftiges Geschick eng verbunden. Man geht nicht zu weit in der Behauptung, daß die neue Stadtgemeinde sich wieder auflösen wird, wenn es ihr nicht gelingt, mit einem einheit- lichen Recht ihrer geistigen und materiellen Wirtschaft ein k r ä f t i- ges Eigenleben zu entfalten. Der Staat sollte dieses Streben überall begünstigen und fördern, nicht aber sich gegnerisch oder feind- selig dazu stellen. In der Schulverwaltung gilt es vor allem, starke Eigen- kräfte zu entfalten. Die Deputation für Schulwesen(nicht zu ver- wechseln mit den einzelnen Äezirksfchuldeputationen) ist die einzige Stelle, von der aus das gesamte Schulwesen Berlins   verantwortlich überblickt werden kann. Von hier aus muß sich der einheitliche Ge- staltungswille im Schulwesen durchsetzen, muß die Formung unserer Schulen anheben, soweit sie zentral möglich und notwendig ist. Sie ist die Stelle, in der die Bezirkseigensucht überwunden, zugleich aber auch einer starken Eigenentwicklung des Bezirksschulwesens der Weg
freigehalten werden kann. Es würde einen unerträglichen Eingriff in das Selb   ft verwaltungsrecht unserer Stadtgemeinde, die nach ihrer Bevölkerungszahl Provinz und Volk ist, bedeuten, wenn man ihrem höchsten Schulverwaltungsorgan nicht einmal das Recht der Anregung, nicht das Recht der Frage- stellung an ihre eigenen Schulen, die sie baut und unterhält, deren Lehrkräfte sie anstellt, gewähren wollte. Ein Widersinn wäre es, der Stadt einmal das entscheidende Recht der Anstellung ihrer Lehrer, Rektoren und Direktoren zu geben, ihr kurz daraus aber den selb- ständigen geistigen Verkehr mit ihnen zu verbieten. Die Stadt ver- teidigt hier eines ihrer wichtigsten Grundrechte, und der Staat begeht einen schweren Fehler, wenn er ihr durch seine Auf- sichtsbeamten dies Grundrecht rauben oder' schmälern läßt, zumal nicht ein einziges seiner Aufsichtsrechte durch die Forderung der Stadt angetastet oder auch nur bezweifelt werden soll. Die beiden anderen Hauptcinwände gegen den Versuch der Selbst- Verwaltung können kürzer behandelt werden, wenngleich sie nicht minder wichtig sind. Es sollen die höheren Schulen von dem Ver- such grundsätzlich ausgeschlosien und die Mitarbeit der Eltern an den freien Schulen überhaupt nicht in Frage kommen. Es braucht nicht betont zu werden, daß durch solche Einschränkungen der Wert des Versuches aufgehoben wird.- Es kann nicht die Absicht des Pro- vinzialfchulkollegiums fein, in dem Augenblick, da sich das Reich an- schickt, die Einheit des Schulwesens grundsätzlich zu ordnen und die Stadt ihr gesamtes Schulwesen unter einer einheitlichen Leitung zusammengefaßt hat, durch eine Sonderbehandlung der Höheren Schulen diese Einheit wieder aufzuheben. Auch die höhere Schule hat den Beruf, sich an den pädagogischen und schul- politischen Aufgaben der Gegenwart aus innerstem Bedürfnis heraus zu beteiligen, wenn sie nicht innerhalb des Schulwesens zu einer fremden Sonderveranstaltring herabsinken soll. Und keine Mitarbeit der Eltern? Schon dieses hier noch einmal nackt aussprechen, läßt die Unmöglichkeit der Gegen- Forderung im Hinblick auf die Grundsätze der neuen Pädagogik und vor der politischen Oeffentlichkeit empfinden. Gibt es überhaupt eine fortschrittliche Lehrerschaft, die auf die Zusammenarbeit mit den Eltern grundsätzlich verzichtete? Und gibt es eine Elternschaft, die sich nach dem S. November 1918 dieses Recht nehmen ließe? Die Eltern aus der Schule ausschließen, hieße dieZukunftunserer Schule opfern! Schulmänner, die dies grundsätzlich forderten, müßten als unfähige Beamte aus der Schule entlasten werden, sie fehen-in den Schulen das Objekt ihrer Unterrichtsmetboden, nicht aber die Stätten jugendlichen und gemeinschaftlichen Volkslebens. Jeder ernsthafte Lehrer will darum auch die Mitarbeit der Eltern. Die Verbindung von Sckiule und Haus ist eine alte Idealforde- rung der Lehrerfchaft. Man streitet sich nur um die Form. Findet sich eine glückliche Lösung, die eine fruchtbare und friedliche Zu- sammenarbeit verbürgt, dann werden die besonders in Berlin   regen Widerstände schwinden, alle Bedenken beseitigt werden. Es war ein Verdienst von Konrad Haenisch  , daß er in seinem Erlaß vom S. November 1919 die Elternbeiräte einsetzte.In jeder Schule wird ein Elternbeirat gebildet. Er soll der Förderung und Vertiefung der Beziebungen zwischen Schule und Haus dienen und den Eltern wie der Schule die Arbelt miteinander und den Einfluß aufeinander gewährleistend Dieser erste Punkt derSatzungen für Elternbeiräte an Schulen" enthält die ganze Aufgabe.' Vielleicht aber ist es die Form der Ausführung, die verhinderte, daß der Sinn dieser Aufgabe sich durchsetzte, ja, daß Schule und Haus stellenweis in einen feindseligen Gegensatz trigben, der das Leben der-Schule aufs äußerste bedroht. Hier muß Hilfe werden. Durch die Wahl der Elternbeiräte nach Listen und unter dem Einfluß der polisischen Hochspannung unserer Oeffentlichkeit ging der päd- aqogische Sinn der sozialen Einrichtung zum Teil verloren. Den Elternbeiräten fehlt ein natürliches Arbeitsgebiet, es verschob sich hinüber zum theoretischen Meinungskampf. Die Tätigkeit der Elternbeiräte muß in die Schularbeit natürlich eingegliedert werden und die Form ihrer Arbeit wirklichem Schulbedürfnis entwachsen. Sie dürfen nicht eine Sonderveranstaltung neben der Schule sein, sondern ein lebenswichtiges Stück des Gesamtorganismus. Ihrer Idee nach müssen sie in der einheitlichen Leitung und in der Arbeit der Schule restlos aufgehen. Ein Elternausschuß z. B., der sich aus Ver- tretern'der einzelnen Klassenelternschaften zu- sammensetzt, vermag in ein sachliches, viel engeres Verhältnis zur
Schule und zu den Lehrern zu rücken, als es ein politisch gesetzter vermag. Die Vorbedingungen des notwendigen Vertrauens zwischen Lehrern und Eltern wären in ihm viel glücklicher gegeben, und den widerstrebenden Gruppen der Lehrerschaft wäre der Vorwand für ihre Ablehnung genommen, die Eltern verträten keine sachlichen Jnter- essen, sondern verfolgten politische Sonderzwecke. Sämtliche Ge- meinschaftsschulen in Hamburg   haben darum praktisch d i e politisch gewählten Elternbeiräte durch Schul- ausschüsse ersetzt. Dabei ist es ein großer Irrtum, zu glauben, daß die aus der Schularbeit hervorgehenden Elternbeiräte schul- politisch und politisch enger eingestellt wären. Wo überhaupt ein politischer Wille vorhanden ist, wird er in der Bewältigung einer Teilausgabe, die in einer größeren enthalten ist und in ihrem End- zweck im höchsten Maße kulturell politisch wirkt, nur erstarken. In einem weiteren Aufsatz soll dargestellt werden, wie die Eigenoersastung an einer Schule grundsätzlich durchgeführt werden kann. Wilhelm Paulsen  . Der Winterverkehr auf Staüt- unü Ringbahn. Der Winterfahrplan der Berliner   Eisenbahndirektion bringt auf den einzelnen Strecken wesentliche Aenderungen gegen den Sommerfahrplan. Im Werktagsverkehr werden auf der Stadt- bahn eine Reihe von neuen Zügen aufgeführt, die von und nach Gesundbrunnen   über Stralau- Rummelsburg nach und von der Stadtbahn verkehren. Es sind dies Züge, die bis- her von Lichtenberg  -Friedrichsfelde   gefahren wurden und zur Ent- lastung der Vollringzüge zwischen Gesundbrunnen und Stralau- Rummelsburg und der über die Stadtbahn verkehrenden Vorortzüge in den Hauptverkehrsstunden des Vormittags dienen sollen. Sie bieten den Anwohnern des Nordringes eine Möglichkeit, ohne U m st e i g e n in das Stadtinnere zu gelangen. Zwischen Lichten- berg-Friedrichsfelde und Schlestscher Bahnhof werden im Berufs- verkehr in den frühen Morgenstunden einige neue Züge einge- legt. Im Spätverkehr wird an den Wochentagen von der Stadtbahn ein neuer Zug von Kaulsdorf  (ab 12.49 nachts) nach Charlottenburg  (an 1.29 nachts) vorgesehen, ebenso verkehrt auf der Strecke E r k n e r S t a d t b a hn ein neuer Spätzug, der von Erkner   um 11.S2 nachts abfährt und bis nach Schlesischen Bahn. Hof(an 12.43 nachts) verkehrt, wo er um 12.48 nachts Anschluß nach Eharlottenburg hat. Weiterhin bringt der neue Fahnplan auch eine Späterlegung des letzten Stadtbah.hzuges in der Richtung Charlottenburg Schlesischer Bahnhof(ab Charlottenburg   1.03 nachts, an Schlesischer Bahnhof 1.34 nachts), an Lichtenbcrg-Fried- richsfelde 1.48 nachts). Durch diese Späterlegung wird ein Anschluß vom Südring(an Charlotten bürg 12.48 nachts) geschaffen und auch die Wartezeit für Reisende, die den letzten Zug nach Grünau(ab Schlesischer Bahnhof 1.37   nachts) benutzen, abgekürzt. Der Sonn- tagsfahrplan der Stadtbahn weist gegen den Sommer- fahrplan nur geringe Aenderungen auf. RaubüberfaU ausiöealisiischem Kommunismus". Das Schwurgericht des Landgerichts III   unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dransfeld verhandelt« gestern eine Anklage wegen Raubes gegen den Maschinenbauer Ernst Lundström, der sich selbstmls einen überzeugten Kommunisten bezeichnet«. Am 27. Mai 1920 wurde auf zwei Kassenboten der Runge- werke m Spandau, die sich, wie regelmäßig zweimal in der Woche, auf dem Wege von der Bank nach ihrer Firma befanden, ein Raub- Überfall verübt. Der eine Bote trug in seiner Tasche 40 000 M., der andere 70 000 M. In der Seegefelder Straße wurden sie von drei Männern angefallen und einer von diesen Männern, der An- geklagte Lundström, hat dem einen Boten die Tasche mit den 40 000 M. abgenommen und ist dann entflohen, aber später er- mittelt worden. Lundström behauptet, daß er an der Tat allerdings teilgenommen habe. Die Beweggründe seien jedoch nicht dem Wunsckze nach persönlicher Bereicherung, sondern feiner idealsten Ueberzeugung und seinem polstischen Pflichtgefühl entsprungen. Am Tage vor der Tat sei ein Parteigenost«, der sichPaul" nannte, an ihn herangetreten und habe ihm gesagt, daß er sich am nächsten Tage zu einer politischen Aktion bereithalten solle. Als tathereiter, eifriger Kommunist habe er sich bereiterklärtz da Paul sagte, es handle sich um die Beschaffung wichtiger Papiere der gegenrevolutionären Partei. Am nächsten Tage sei Paul mit ihm und zvaei anderen Parleignosten nach dem Tat- ort gefahren. Er selbst habe den Auftrag bekommen, die Sicherung der Treppe der Ueberführung zu übernehmen, welche die Staakener Straße mit der Nauener Straße verbindet. Der Angeklagte be- hauptete, besagter Paul habe während der in einem Automobil aus-
Fräulein.
ISj Don Paul Enderling  . LopvnLM, t820, by J. 0. Cottasche Buchhandlung Nachf. Stuttgart   u. Berlin  Haben Sie an mich gedacht?" Er sah so glücklich aus. Das ist seltsam. Ich hätte ntcht gedacht, daß jemand an mich denken könnte.". I Sie wollte etwas erwidern, aber sie kamen im Gedränge der Aussteigenden auseinander und fanden sich erst unter den Linden vor dem Gasthaus wieder. Fräulein dachte: Hat er gewußt, daß ich hierher fuhr? Ist es Zufall? Ach, was ist denn Zufall! Als sie ihre Briefe abgegeben hatte, blieben noch zwei Stunden bis zur Rückfahrt. Sie schlug Hermann vor, sich auf die andere Seite des Flusses übersetzen zu lasten und zum Leuchtturm zu gehen. Er ging bescheiden in etwas Abstand neben ihr. Nun waren sie auf der Steinmole, die sich in die See reckt. Der Seewind umfuhr sie. Fräulein öffnete das Jackett. Es war so schön, gegen den Wind anzukämpfen und sich gegen ihn zu stemmen. Möwen segelten an ihnen vorbei und kreischten. Der Wind hatte Fräuleins Frisur gelockert. Zwei braune Haarstränge ringelten sich los und glitten über ihr Gesicht. Und wieder lachte sie, grundlos, herzlich. War die Welt nicht schön? War sie nicht jung? Am Leuchtturm kletterten sie vorsichtig an die Außenspitze der Mole. Auf der oberen Stufe die unteren waren be- spritzt ließen sie sich nieder. Die grünen Wellen züngelten zu ihren Schuhen eknpor. Das Element, das Schiffe und Menschen frißt, spielt mit mit uns," sagte Hermann endlich. Wir stehen uns gut mit ihm." Fräulein lachte. Wie selten lachte sie sonst! Es spielt mit uns, wie das Leben bisweilen mit uns spielt," sagte Hermann.Man soll sich aber darüber nicht täuschen: es verändert seine Natur deswegen nicht. Im nächsten Augenblick packt es uns." Fräulein schüttelte den Kopf. Die beiden Haarstränge flogen. Eine traf Hermann, der bei der Berührung die Augen schloß.Wie stark es ist! Es ist wirklich eines Lebens wert. es zu bezwingen." Das Element oder das Leben?"
Beides." Bezwingen Sie das Leben?" Er blickte sie ironisch an. Ich weiß nicht," sagte sie leise.Aber es muß herrlich fein... es muß herrlich sein..." Von dem kleinen Steg der Westerplatte wehten bunte Fähnchen herüber. Menschen gingen da, klein wie krabbelnde Ameisen. Am ganzen Strand krabbelten, sie. Sie sind hier ganz anders als bei uns zu Hause, Fräulein." 'Ich wollte, Sie wären es auch." Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Er blickte gerührt auf ihre Hand nieder. Sie war klein und sah eifrig und tapfer aus. Ich bin wie eine Schnecke. Ich trage mein Haus immer mit mir. Mein Vaterhaus." Vaterhaus wie schön klingt das doch! Sie wisten gar nicht, wie gut das ist, eins zu haben." Haben Sie keins?"\ Fräulein senkte den Kopf. Sie schwieg. Ihre Eltern waren lange, ach. wie lange tot. Ihre Verwandten hatten sie abgeschüttelt. Nun biß sie sich in der Fremde durch, die ihr ein Zuhause geben sollte.-- Nein, heute nicht daran denken! Heute war Sonnenschein und Möwenschreien und Seelust und Fähnchengeflatter. Aber über eins freue ich mich. Sie sind jetzt anders als die letzten Male, wo Sie auf Ferien nach Haufe kamen." Wie bin ich denn jetzt?" Sie sind ruhiger. Sie vertragen sich mit Ihrem Vater bester. Entschuldigen Sie!" Seine Mundwinkel umspielte ein merkwürdig altes Lächeln.Wir sind zwei Mächte, die sich gegenüberstehen, Vater und ich. Aber da er eine Großmacht ist und ich ein Kleinstaat bin, bin ich klug genug, keine Kriegserklärung los- zulassen." Um Gottes willen, so darf man doch nicht von seinem Vater reden!" Wie soll man denn von ihm reden?" Er blinzelte sie belustigt an. Fräulein rang ihre Hände.Ich habe es nie anders ge- kannt," sagte sie fest,als daß man seinen Vater lieben muß." Hm ja. Klingt ganz schön. Und das Muß darin er- innert mich ja auch wieder an das Väterliche. Aber, Hand aufs Herz" er erhob sichkönnten Sie sich im Ernst denken, daß man meinen Vater lieben kann?" Fräulem schwieg. Sie dachte: könnte ich ihm doch helfen,
könnte ich doch allen Menschen helfen! Die Welt ist doch so schön und das Leben-- Eine Welle nahm einen großen Anlauf und überschlug sich dicht zu ihren Füßen. Der weiße Gischt bestäubte sie beide. Lachend schüttelten sie sich.- Wir müssen fort. Es ist Zeit. Ich glaube, ich muß laufen, daß ich den Dampfer noch erreiche. Kommen Sie mit?" Wenn Sie erlauben." Sie lief voran, mit dem Wind, der das Kleid an sie preßte und sie vorwärts stieb. Hermann folgte langsam. Ihr Lachen klang zu ihm herüber. Im Görkeschen Hause ging die Schneiderin ein und aus. In vierzehn Tagen, an Theas Geburtstag, sollte die Ver» öffentlichung der Verlobung stattfinden. Jetzt, wo Julius Görke zugestimmt hatte, ließ er es an nichts fehlen. Es sollte eine große Feier werden m irgendeinem Hotel, und die Fa- milie und die Geschäftsfreunde mußten dabei sein. Frau Görke schloß die Augen vor den Kosten, die das ver- Ursachen würde. Konnte man nicht im eigenen Hause seiern? Im engsten Familienkreise? War das nicht auch viel ge- mütlicher? Aber so sehr Julius Görke auch sonst für die Familie war, hier blieb er sest. Jeden Tag kam Doktor Henning, und jeden Tag brachte er einen Strauß mit. Die teuren Sträuße belasteten schwer sein schmales Konto. Manchmal war Thea nicht zu Hause; sie war so hieß es auf Einkäufen. Dann faß er still und be- scheiden eine Viestelstunde im Wohnzimmer, hörte seiner Schwiegermutter zu und drehte verlegen an seinem Schnurr- bärtchen. Er war immer etwasbenommen" in diesem Kreise, der so ganz anders war als alles, was er bisher gesehen, und auch so ganz anders, als er sich diese Kreise gedacht. Es ging gar nicht in dem großen Stil zu, den er bei den reichen Familien der Stadt als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. Es ging gut bürgerlich, oft sogar recht kleinbürgerlich zu. Diese Wäsche, die ewig geflickt, diese Strümpfe, die ewig gestopft wurden, die ewigen Klagen Frau Görkes über die hohen Preise und die Ausgaben für die Verlobung machten ihn noch verlegener, ais er ohnehin war. Er hatte manchmal das dunkle Gefühl, schuld ag einer tlnterwühlung der Görkeschen Finanzen zu sein, und kam sich halb wie ein Verbrecher vor... �Forts. folgt.)