Kr. 45» ♦ 38. Jahrgang
1. Seilage öes Vorwärts
Donnerstags 2». September 1921
Das Oppauer Unglück vor öem Reichstag.
In der gestrigen Sitzung des Reichstags teilte Präsident L ö b e zunächst mit, daß am 7. Ottober das Wahlprüfungsgericht zur Prüfung der Wahlen in Ostpreußen I und Schleswig-Holstein XIV zusammen- treten wird.— Libg. R e m m e l e hat gegen eine in seinem Bureau von der Berliner Kriminalpolizei vorgenommene Haussuchung wegen Verletzung der Abgeordnetenimmunität Beschwerde er- hoben. Die Beschwerde geht an den Geschäftsordnungsausschuh, desgleichen ein kommunistischer Antrag, die über den Reichstagsab- geordneten Wendelin Thomas- Augsburg verhängte Straf- Haft für die Dauer der Sitzungsperiode des Reichstags aufzuheben. — Es folgt die erste Lesung des Gesetzentwurfs zur Verlängerung der Vorlage betreffs Abweichungen vom Viersteuergesetz bis zum 31. März 1922. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Brauereien billigere Streckungsmittel, wie Abfallreis und Mais, verwenden. Abg. 3aud(Bayr. Bp.) lehnt namens seiner Fraktion die Bor - läge ab. Die Vorlage wird in erster und zweiter Lesung angenommen. Gegen die sofortige Vornahme der dritten Lesung erhebt Abg. Jaud Einspruch. Die Verordnung zur Aenderung der Ausführungsbestimmungen zum Besoldungsgesetz geht an den Beamtenausschuß. Es folgt der Nachtragshaushalt betreffend Sie Teuerungszulagen für öle Reichsbeamten. Nach der Vorlage soll mit der Wirkung vom 1. August ab der Teuerungszuschlag zum Grundgehalt und zum Ortszuschlage für die planmäßigen Reichsbeamten in der Ortsklasse A 93 Proz. betragen, in B 91 Proz., in C 89 Proz., in D 87 Proz. und in E 85 Proz. Auch die außerplanmäßigen Reichsbeamten erhalten einen weiteren Tcuerungszuschlag. Abg. Sieinkopf(Soz.) gibt namens feiner Fraktion folgende Erklärung ab: Eine fühlbare Milderung der Not der Beamten bringt diese Erhöhung nicht. In- folgedesten sind auch die Spitzenorganisationen nicht befriedigt. Sie halten an ihrer Forderung einer sozial gerecht gestalteten Staffe- lung fest. Die sozialdemokratische Fraktion verlangt, daß bei einer weiteren neuen Regelung eine Staffelung nach Gehalts- s ä tz e n eintritt, wobei die Geringbesoldeten besonders berücksichtigt werden. Wir geben dem vorliegenden Gesetzentwurf nur unter der Voraussetzung unsere Zustimmung, daß bald eine neue Vorlage er- folgt, die die Wünsche der Beamten erfüllt. Abg. Dr. Petersen(Dem.): Wir bedauern, daß die Wünsche der Beamten durch diesen Entwurf noch nicht befriedigt sind. Wir wollen aber das Zustandekommen des Gesetzes in diesem Augenblick nicht gefährden. Abg. Frau Zieh(IL Soz.): Bei der Verteilung von Zulagen unter Arbeiter, Angestellte und Beamte ist man leider nicht gerecht verfahren. Alle Beamten müssen eine gleichmäßige Teuerungszulage erhalten. Abg. veuermann(D. Vp.): Wir müssen ein Besoldungsgesetz machen/ das die Friedensgehälter als Grundlage nimmt und sie um- rechnet nach den jetzigen Tcuerunasvcrhältnisicn. Wir bedauern auch, daß die Spannung zwischen den Bezügen der Pensionäre und denen der im Dienst befindlichen Beamten noch immer nicht ver- ringert worden ist. ' Abg. Deglerk(Dnat.): Die Sätze müssen bald erhöht werden, und zwar so, daß vor allen Dingen die Beamten der unteren Be- soldungsgruppen ein einigermaßen auskömmliches Leben führen können. Abg. Höste(Z.): Wir verlangen einen einheitlichen Teuerungszuschlag. Die Regierung hat das vorläufig ab- gelehnt. Der Unterschied in der Teuerung zwischen Stadt und Land ist aber zweifellos heute nicht mehr so groß, daß so starke Unter- schiede in Gehältern sich daraus rechtfertigen. Abg. Bach(Komm.): Die am meisten schreien, fallen sofort um, wenn es heißt, es sei angeblich kein Geld da. Abg. Dauer(D. Vp.) stimmt dem Gesetz zu. Die Vorlage wird darauf in allen drei Lesungen unverändert gegen die Kommunisten angenommen. Das Explosionsunglück in Oppau. Auf der Tagesordnung steht dann die mehrheitssozia- l i st i s ch e Interpellation, die die Regierung auffordert, fest- zustellen, welche Umstände das Unglück verschuldet haben und was zur Verhinderung derartiger Unfälle geschehen kann. Den Geschädigten soll aus öffentlichen Mitteln Hilfe geleistet werden. Aehnliche Anträge der Unabhängigen und Kommunisten werden mit der Beratung verbunden. Abg. Drey-Hannover(Soz.) begründet die Interpellation. Räch den Mitteilungen unseres Partei- organs in Ludwigshafen waren am Mittwoch 414 Tote geborgen, 126 werden vermißt. Wir gebe« uns. keinem Zweifel hin, daß die Zahl der Vermißten ebenfalls als Opfer zu buchen ist. Neben diesen Opfern zahlreiche schwer Verletzte! Allein 40 Personen sind ihres Augenlichts beraubt. Den Toten unsere Trauer, als Helden der Ar- bcit unser Gedenken und zugleich das Gelöbnis, zu arbeiten, damit ähnliches verhindert wird. Möge diese Welle des Mitgefühls, das auch bei unseren ehemaligen Feinden Widerhall ausgelöst hat, zu einem Strom hilfsbereiter Tat werden. Wie war das Unglück mög- lich? Generaldirektor Bosch hat an den Gräbern der Toten erklärt, man stehe vor einem Rätsel. Sämtliche bereits vorher gemachten Versuchs und Untersuchungen haben die Unschädlichkeit des einge- lagerten Produktes bewiesen. Das kann uns nicht beruhigen. Man hat ferner von einem Verbrechen aus Neid über unsere industriellen Leistungen gesprochen. Ein Verbrecher hätte sich doch, zumal die Explosivität des Ammoniaksulfats nicht bekannt war, sicherlich an Maschinen und Apparaten vergriffen. Herd des Unglücks ist ein A m m o n s u l f a t s i l o gewesen. Bevor die Erfindung des Herrn Prof. Haber der Ernährung dienstbar gemacht wurde,' diente sie der Z e r st ö r u n g. Sie diente dazu, während des Weltkrieges Explosionsmittel zu schaffen. Teile der Erzeugung, die sich in dem Silo Nr. 1l> zu Ammonsulfatsalpeter verdichtet hat, sind während des Weltkrieges an mehr als einem Orts Deutschlands Ursache der Explosion, Ursache der Zerstörung von Menschenleben und Menschengesundheit gewesen.(Hört, hört! links.) Leider konnten wir während de- Krieges wie bei so vielen anderen Dingen auch hier die volle Wahrheit n�icht erfahren. Aber wir wisieu, daß Menschenleibcr in unerhörter Zahl in den Städten gefallen sind, und zwar infolge dieser Explosiv- fkoZsc, die in Ludwigshasen erzeugt worden sind. Die in ihrer Wir- kung so schrecklichen Spreng- und Geschoßmittel entstanden aus jenen Stoffen, die nun wieder im eigenen Lande unter den Angestellten und Arbeitern sowie unter der Bevölkerung der Nachbarschaft ver- hecrs.id gewirkt haben. Warum beunruhigt die Erklärung der Eeneraldirektion der Anilinwerke auch heute noch? Wenn man vor einem Rätsel steht, wie es dieses fchreckens- und entsetzungsvolle Ge- fchehcn darstellt, wer bürgt denn dafür, daß die Silos— ich glaube, es sind jene, die mit 112 und 126 bezeichnet sind, in denen noch 8999 Tonnen Aminonsulfat logern—(Hört, hört! linksl nicht zu einem neuen Unglücksherd werden können? Wenn keine Kunstfehler und keine technischen Versehen vorliegen, wenn Derbrechen ausge- schlössen sind und wenn das Unglück das Werk einer chemischen Um- fetzung ist, was droht dann den Unglücklichen in Bettieb und Um- gebung?
Ihnen drohk doch eine neue Sakastrophe. Es ist die Aufgabe der Reichsregierung, Sicherheit zu schaffen, daß die noch vorhandenen Lager nicht eine zweite Quelle des Todes und der Verwüstung werden. Als zweite Forderung bezeichne ich eine Aufklärung der Ursachen, die in bef rücksichtslosesten und unnachsichtigsten Weise vorgenommen werden muß. An drei Massen- gräbern habe ich im Einverständnis mit den Arbeitern der Forde- rung Ausdruck gegeben, daß die Arbeiter und ihre Vertreter bei diesen Untersuchungen beteiligt werden müssen. (Zustimmung bei den Soz.) Diese Forderung wiederhole ich hier. Meine Fraktion hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Der Ar- beiter muß wisien, in welcher Gestalt der Tod ihn mitten aus der Bahn reißen kann: er muß wissen, von welchen Gefahren er um- tobt ist. Ich habe mit den Arbeitern der Nachtschicht gesprochen, die durch ihren Feierabend dem Unheil entronnen sind. Sie schildern die Arbeit in den Silos folgendermaßen: Früher wurde die zu Stein gewordene Masse mit dem Pickel losgeschlagen, losgekratzt: dann ist man zu einem Sprengverfahren übergegangen. Nach dem Sprengen wird mit Pickel und Schaufel nachgearbeitet, um die Masse zum Transport nach einem anderen Silo gelangen zu lassen. Dieser Transport vollzieht sich mittel- eines Transportbandes. Die Masse kommt, nachdem sie hier enffpeichert, zur Aufspeicherung in einen anderen Silo, von dort zur Mühle. In der Unglücksnacht siel den Nachtschichtlern die Farbe des zu bearbeitenden Materials auf. Ein Teil der Klumpen zeichnete sich durch gelblichtrübe Farbe aus, die kleinen Teile sind weiß. Die Nachffchichtler sagten: Uns fiel diese gelbliche Farbe auf, sonst war das Material immer weiß. Das Material wird terrassenförmig aufgebaut. Auf der untersten Sohle liegt naturgemäß das älteste Material. Dies hat also Fabrikationswärme nicht mehr aufzuweisen. Auf dieser u n t e r st e n Stufe fiel einem Nachtschichtler die Wärme des Materials auf. Das lag bereits seit dem Monat Juni unberührt, hatte also Fabrikationswärme nicht mehr. Er führt Zeugen an, zu denen er in seiner derben pfälzischen Art gesagt hat: »Da schaut einmal her, auf diesem Material kann man sich den— ich ersetze das derbe Wort durch die bekannten vier Buchstaben— dran wärmen." Wärme ist sonst an dem Loden des Silos nie auf- gelrelen. Dieser Arbeiter sieht hierin die Quelle der Explosion, er glaubt, daß sie durch Selbstentzündung erfolgt sei.(Zuruf von der D.Vp.: Weshalb sagte er das nicht der Di- rektion?). So gescheit war er schon, das hat er schon getan! Aber er konnte es in der Nacht nicht mehr wn. Ich werde nachweisen, daß die Direktion da Maßnahmen zu treffen hatte. In dem Silo wurde die Temperatur gemessen. Sie stieg bis zu so und 60 Grad.(Hört, hört! links.) Auch darin erblicken die Ar- bester ein Zeichen, daß mit der Hitzeentwicklung als Gefahrenquelle gerechnet worden ist und gerechnet werden mußte. Von Maßnahmen, die die Hiheeniwicklung paralysieren, ist mir nichts mitgeteilt worden. Die Nachtschicht vor dem Unglück wurde von Gasen belästigt. Auch das ist früher nicht beobachtet worden. Die Arbeiter erblicken in diesen Gasschwaden die Vorboten des Unglücks.(Hört, hört! links.) Ich frage: War ein chemisch gebildeter Leiter, ein mit solchen — ich darf wohl sagen: wetterverhällnlsscu vertrauter Mann, am Arbeitsplatz? Die Vergebung der Arbeit in diesen Räumen macht es nach meiner Auffassung zur Notwendigkeit, daß ein derart vorgebil- deter Mann ständig die Aufsicht führt, denn die Vergebung dieser Enffpeicherung erscheint mir im höchsten Grade bedenklich, und sie ist auch den Arbeitern immer bedenklich gewesen. Sie ist an eine Tiefbau Unternehmerfirma Gratz vergeben ge- wesen, die die Arbeiten im Akkord ausführen ließ, d. h. nicht die Arbeiter arbeiten im Akkord, sondern ini Tagelohn, aber die Firma übernahm die Arbeit gegen Akkordierung. Die Arbeiter haben mir versichert, daß diese Firma Gratz sehr wählerisch gewesen ist und sich meldende Arbeiter aus dem Betrieb nicht angenommen hat.(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Tiefbaufirma war als Entgelt eine Bezahlung gegen Townenleistung zugesichert. Den Arbeitern drängt sich die Empfindung auf, daß dieses Zählungssystem zu Sprengversuchen geführt hat, bei denen es auf die Loslösung großer Mengen ankam, und ich glaube, diese Befürchtung der Arbeiter hat etwas für sich. Eine weitere Gefahrenquelle erblicken die Arbeiter in einer Prämierarbeit, die zuerst im September 1920 eingeführt und im November 1920 eine Erweiterung erfahren hat. Bei der Ein- führung dieses Akkord- und Prämiensystems hat die Arheitervcr- tretung nicht mitgewirkt. Jedenfalls darf nicht weiter gesprengt werden. solange das Unglück nicht völlig aufgeklärt ist. Die Zusage des Reichspräsidenten auf ausreichende Versorgung der Hinterbliebenen wird hoffentlich erfüllt werden und darf sich nicht aus Privathilfe beschränken. Die Forderungen des Allgemeinen Deutschen Gewerk schaftsbundes und der Afa müssen erfüllt werden. Jedoch halten wir die Vorlage eines besonderen Gesetzes nicht für er- forderlich, weil der 6. Ausschuß schon morgen an die Arbeit gehen kann. Dem kommunistischen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, an öem auch Arbeitervertteter teilnehmen, stimmen wir zu. Die Hilfsaktion muß sich auf die geschädigte Be- välkcrung von Oppau und Umgegend ersttecken.(Lebh. Bravo! links.) Reichsarbeitsminister Brauns: Die Rsichsregierung hat sich nach dem Unglück sofort mit den zu treffenden Maßnahmen befaßt und das Reichsarbeitsministerium mit der Untersuchung und der Einleitung der ersten Hilfe bettaut. Der Umfang der Katastrophe, soweit sie Menschenleben gefordert hat, steht noch immer nicht ganz fest. Trotz der angesttengtesten Arbeit ist es bis jetzt noch nicht möglich gewesen, sämtliche Tote, die unter den Trümmern begraben liegen, zu bergen. Die Gesamtzahl der Toten ist ans etwa 400 zu schätzen. Mehrere hundert Personen sind schwer beschädigt und eine große Anzahl leicht verletzt worden.(Der Minister fchildert eingehend den Umfang der Zerstörungen und ver- liest die Erklärungen der Fabrikleitung über die Ergebnisse der bis- herigen Untersuchung über die Ursachen des Unglücks.) Auf welche Vorgänge die Explosion letzten Endes zurückzuführen ist, insbeson- dere wie sie eingeleitet worden ist, konnte bisher nicht ermittelt wer- den und wird sich vielleicht auch künftig nicht ermitteln lassen. D i e Versuche der chemisch-technischen Reichsanstalt baben ergeben, daß das Doppelsalz mit starken Sprengkapseln, wie sie im Bergwerksi>ettieb gebraucht werden, nicht zur Explosion ge- bracht werden kann, wohl aber durch elektische Zündung bei festem Einschluß in eiserne Röhren. Einer Erklärung der Vadi- scheu Anilin- und Sodasabrik zufolge soll die Herstellung von Ammonsulfaffalpeter und ähnlichen balzen in Oppau nicht wieder aufgenommen werden. Dafür will sich die Fabrikleitung der Her- stellung ungefährlicher, aber für die Verwendung in der Landwirt- wirffchaft ebenso brauchbarer Düngemittel zuwenden. Ich bin in Oppau nicht nur mit der Betriebsleitung, sondern auch mst der Arbeiterschaft in Verbindung getreten. Bei der Besprechung
hat sich ergeben, daß auch die Arbeitnehmer noch kein end- gültiges Urteil über die Ursache des Unglücks abzugeben im- stände waren und sich im wesentlichen auf die Angaben der Fabrik- leitung beschränkten. Bei diesem vorläufigen Ergebnis soll es je- doch nicht bleiben. Die Untersuchung wird unter Mitwirkung aller Beteiligten, auch der Arbeiter, fortgesetzt werden. Auch seitens der Staatsanwaltschaft in Franken- thal ist unter Mitwirkung technischer Sachverständiger eine Unter- suchung eingeleitet worden. Vom Standpunkt der Unfalloer- hütung müssen weitere, gegebenenfalls auch gesetz- geberische Folgen aus den Ergebnissen der Untersuchung ge- zogen werden. Unsere zweite, ebenso dringliche Aufgabe ist die Hilfeleistung für die Opfer der Katasttophe. Die Reichsregierung hat sofort die Bewilligung von 10 Millionen Mark-beantragt. Für Unterbringung der Obdachlosen und den Wiederaufbau der Wohnungen sind alle Maßnahmen getroffen. Ein besonderes Gesetz zur Versorgung der Opfer von Oppau ist nicht notwendig. Ein Spezialgesetz für die Opfer eines Unglücks hat schwere Bedenken für die soziale Gesetzgebung überhaupt. Es wird alles geschehen, um helfend einzugreifen. Auf Antrag des Abg. Müller(Soz.) wird die Besprechung der Interpellation beschlossen. Abg. Hosmann-Ludwigshasen(Z.): Eine Erbauung war mir die heldenhafte Kameradschaft der Arbeiter, die ihren verunglückten Kameraden Hilfe brachten. Die Ausführungen des Arbeitsministers haben uns befriedigt. Die 10 Millionen der Reichsregierung reichen nicht aus, wir find bereit, mehr zu bewilligen. Abg. Dr. Semler(Dnatl.) fragt den Ernährungsminister, ob durch den Ausfall an Düngemitteln jetzt nicht etwa die Landwirt- schaft gefährdet werde. Abg. Dr. Moldenhauer(D. Vp.): Wir stimmen der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu. Ich möchte aber warnen, schon jetzt Leute, die noch unter dem Eindruck der Katastrophe stehen, als Zeugen zu vernehmen. Abg. Schwarz-Baden(U. Soz.): Wir wollen niemanden als Schuldigen hinstellen, aber es geht nicht, daß die Direktion der Ba- dischen Anilinfabrit so tut, als ob ihre Unschuld schon einwandfrei bewiesen wäre. Der Untersuchungsausschuh muß feststellen, ob bei den Sprengungen die üblichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden. Ein Notgesetz ist erforderlich, weil die Sozial- gesetzgebung bei der Not der Hinterbliebenen in solchen Fällen un- zulänglich ist. Wer den Geschädigten wirklich helfen will, muß unseren Antrag annehmen. Abg. Diettich(Dem.): Die Explosion hat mit dem Produktions- prozeß nichts zu tun. Der Stickstoff ist eine Lebensnotwendigkeit für die Landwirtschaft und muß deshalb weiter erzeugt werden. Der parlamentarische Untersuchungsausschuß kann nur der Beruhigung dienen, aber keine wirkliche Aufklärung über die Ursachen bringen. Abg. Remmcle(Komm.): Meine Erkundungen an Ort und Stelle decken sich mit den Ausführungen des Kollegen Brey, auch mir wurde gesagt, daß bei den Sprengungen fahrlässig vorgegangen worden ist. Es war sehr bezeichnend, daß die Paläste und Villen in Mannheim und Ludwigshasen den obdachlosen Familien kein Quartter gewährt haben. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß es einen subjektiv Schuldigen nicht gibt. Daß aber eine objektive Schuld vorliegt, deren eigentliche Ursache in der Profitgier des Kapitals zu suchen ist. Die Unternehmerschaft der chemischen Indu- strie muß in erster Linie zum Ersatz der Schäden herangezogen werden. Damit schließt die Aussprache. Auf Antrag der Unabhängigen und Kommunisten wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß ein- gesetzt. Der kommunistische Anttag, daß dieser Ausschuß auch An- gestellte und Arbeiter zuziehen muß, die von den in Oppau Be- schäftigten gewählt werden sollen, wird gegen die �Stimmen der Un- abhängigen und Kommunisten abgelehnt. Die Anträge auf Bor - läge eines Notgesetzes gehen an den 6. Ausschuß. Damit ist die Tagesordnung erschöpft.— Nächste Sitzung, Frei- tag, 12 Uhr: Kleine Vorlagen, Friedensvertrag mit Amerika , An- ttäge der Deuffchnationalen und Unabhängigen bett. die Verordnung des Reichspräsidenten und die bayerische Angelegenheit.— Schluß'AS Uhr. » Der Aeltestenrat des Reichstages beschloß in seiner Mitt- wochsitzung, den Gesetzentwurf zum Schutze der Republik sowie einen ähnlichen Entwurf, welcher von den Sozialdemokraten eingebracht worden ist, am Freitag bei der politischen De- b a t t e mit zur Beratung zu stellen. «* Völkerverhetzung am Maffengrab. Unter dieser Ueberschrift wendet sich unser Hamburger Parteiblatt mit der größten Schärfe gegen die Art, wie einige rechtsstehende Hamburger Blätter es unternommen haben, auf Grund fa l s ch e r Darstellungen der Haltung der fran- zösischen Besatzungsbehörden und-Truppen die grauenhafte. Oppauer Katastrophe im nationalistischen Sinne auszuschlach- ten. Auch wir hatten bereits am vorigen Donnerstag gegen ähnliche Versuche rechtsgerichteter Berliner Zeitungen ent- schieden Stellung genommen. Indes verdient der vom„Echo" zitierte Artikel der„Hamburger Nachrichten" auch hier be- kannt und an den Pranger gestellt zu werden, zumal er zu einer Zeit erschien, wo die ersten unwahren Nachrichten über eine Nichtbeteiligung der Franzosen am Rettungswerk längst widerrufen waren. Die„Hamburger Nachrich- ten" schrieben: »Wenn wir uns früherer deutscher Hilfsleistungen in fremden Ländern erinnern, so verlangen wir keineswegs, daß fremde Völker nun uns helfen, denn dieses Verlangen wäre doch vergebens. Deutsch - land hat sein Empfinden und seine Nächstenliebe für sich: von andern werden sie nicht geteilt. Daß sich die Franzosen , die mit der bayerischen Rheinpfalz auch Ludwigshafen besetzt halten und dort überreiche Truppenkräfte stehen haben, nicht am Rettungs- werk, ja nicht einmal an den notwendigen Absperrungen beteiligten, werwundertsichdarüber? Niemand durste von den Iran - zosen etwas anderes erwarten.... Die Franzosen verbieten das Hilfswerk mit grinsendem Zynismus. Nicht einmal den eigenen Volksgenossen mit deutscher Hilfe im schrecklichen Unheil beistehen zu dürfen, ist das grausamste Los, das uns diese Tage aus französischer Hand bescheren. Doch der Sadismus ist ja französischen Ursprungs und der Marquis de Sade der größte Franzose, in dem sich sein Volk am deutlichsten verkörpert sieht." Aus allem, was wir bisher vernommen haben, geht her- vor, daß die Franzosen sich anläßlich der Oppauer Katastrophe in jeder Hinsicht tadellos verhalten haben. Wenn aber diese unqualifizierbaren Gemeinheiten rechtsstehender Blätter der D a n k für ihre Opferwilligteit sein sollen, dann darf man sich allerdings nichst darüber wundern, wenn in Zukunft die