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Das Proletariat als Kind einer so revolutionären Klasse rvi« die Bourgeoisie, ist aber nsteder revolutionärer als diese. Zertriimmerte die Bourgeoisie überall wo sie unbeschränkt zur Herrschaft kam, die kleinen politischen Gebilde und schuf die großen Einheitsstaaten England, J-ra»kreich. Italien , und bis zu einem gewissen Grade Deulschland so geht das Proletariat über sie hinaus. Es hebt schließlich auch die großen National- staate» auf und gründet die allgemeine Völkerverbrüderung. Daher darf der klassenbewußte Proletarier, der klassen- bewußte Sozialdemokrat kein Partikularist mehr sein.. Ist er es dennoch, so hat er noch nicht die Einflüsse, die rückständige Produktions- und Lebensbedingungen aus ihn ausüben und sein Denken und Handeln mit bestimmen, abgestreift. Darüber müssen wir uns als Sozialdemokraten klar sein. Können wir die sozialen Zustände nicht beliebig modeln, weil das außer unserer Macht liegt, und können wir nicht verhindern, daß rückständige Produklionsznstände und Lebensbedingungen unsere Umgebung beeinflussen, so ist es aber als denkend« Sozialdemokraten unsere Pflicht und Schuldigkeit, uns selbst von den Vor- ur t h eil e n u n f ere r Um g e b n n g z u befreien und, nachdem wir uns selbst davon befreit haben, u st reden, auchunsereUmgebung davon zube- r e i e n. Wir müssen von unseren Parteigenossen fordern, daß sie nicht den Vorurtheilen Rechnung tragen, wohl aar ihnen entgegen- kommen, wie dies in derBudgetabstinrmungs- Debatte des Frankfurter Parteitages hervor- trat, sondern daß sie den Vorurtheilen ent- gegentreten, die Vorurtheilsvollen erziehen, lie aufklären, sie zu uns emporheben, statt zu ihnen hinabzu st eigen, selb st auf die Gefahr hin, daß unsere Fortschritte weniger rasch, dafür aber umso gründlicher sich gestalten. Ich habe nicht gesagt, wie die Berichte zum Theil mich sagen lassen, mir ist eine kleine Partei lieber als «! eine große, sondern mir ist«ine kleinere Partei lieber als eine große, in der eni großer Hause vollständig un- klarer Köpfe sich befindet; Mitläufer, wie Genosse Schippel sie . sehr richtig in seinem Artikel über den Parteitag in Nr. 43 des Sozialdemokrat" nennt, die als Schwergewicht sich an uns hangen und die Partei in den Sumpf deS jammervollste» Opportunismus ziehen. Diese mein« Auffassung wird in der Partei weit getheilt, sie wird sogar hier und da im Vollmar'schen Lager geiheilt, in Um man über die Warnung vor dem Versumpfen und Verwässern sich lustig macht, aber mit der gehandhablen Taktik das Ver- suinpfen und Verwässern eifrigst betreibt. Diese Anklage erhebt ich so lange, bis sie hinfällig wird. Die Erkenntniß, daß diese partikularistische und opportunistische Richtung, die sich an die rückständigsten Elemente wendet und mit Rücksicht auf sie d i e A g i t a t i o n bis zur Ver- schleierung oder Verschiveigung der Partei« Prinzipien betreibt, so viel Boden in der Partei hat, und nach den Vorgängen ans dem Frankfurter Parteitag dem Anschein nach immer mehr Boden gewinnt, hat einen Theil unserer Genossen und wahrlich nicht den schlechtesten zu geradezu ungeheuerlichen Echlußfolgerungen getrieben. So den Elsasser Genossen, der in Nr. 41 desSozialdemokrat" in dem ArtikelTie Eidesverweigerung in der elsässischcn Sozialdemokratie" schreibt: M an steht hier vor einer Gefahr(der Konzession an den Unverstand), welche die ganze Partei in ver- schiedener Art und Weise bedroht, und welche bedenklicher für sie ist als neue NnSnahmegrsche." Diese Bedrohung der Partei charakterisirt der Schreiber kurz und bündig mit den Worten:Dort führt einer knlturkämpferischc Reden, hier bewilligt ein anderer öffentliche Gelder zu kirchliche» Zwecken. Um die Bauern zu gewinnen, werden gelegentlich die grundlegenden Sätze des Kommunistischen Manifest es über das Eigen- thum abgeschworen. Verwerfung des Impf- zwanges, Vegetarianismus und Natiirheil- Methode erscheinen nicht selten unter Partei- flagge. Es hat oft den Anschein, als ob der Partei alle Dinge zum Besten dienen müssen". Derselben Schlußfolgerung wie der Elsässer Genosse gab Genosse Scköpstin in der bekannten Berliner Partei- Versammlung Ausdruck und man kann dieselbe Anschauung auf Schritt und Tritt in der Partei von den eisrigsten Genossen äußern hören. Es ist ein Znstand, der wahrhaftig zu denken. giebt, daß ein Tdeil der Genossen bereits so pessimistisch über die Verhältnisse in der Partei urtheilt, daß er ein Aus- Nahmegesetz als eine Art Rettung vor der Versumpfung betrachtet. Vor zehn Jahren, wo noch keine Gefahr der Versumpfung wie beute bestand, war es sogar Vellmar , der, als damals die Verlängerung des Sozialistengesetzes wieder aus der Tages- ordnung stand, im ZüricherSozialdemokrat" eS für die revolutio­närere Entwickelung der Partei für förderlicher fand, daß der Asu- nahmezustand erhallen bleibe. Das war damals und heule? Di« Partei hat also die Pflicht, die hier erörterte» Gesichts- punkte unausgesetzt im Auge zu behalten, die proletarisch-revolu- tionäre Auffassung zu erweitern und zu vertiefen und mit aller Entschiedenheit alle Bestrebungen zurückzuweisen, die auf Berwässerung und . Bersnnipfung gehen. Die Gefahr vor dem Rückfall in die partikularistische und opportunistische Rückständigkeit ist heute größer als je, an- gesickls des großen Hausens unsicherer, unklarer Kam tonisten, die sich Sozialdemokraten nennen, es aber nicht sind, angesichts des Bestredens, Anbänger um jeden Preis und mit allen Mitteln unter vollständiger Verleugnung des Klassenkampf- Eharaklers der Partei und ihrer proletarischen Wesenheit zu erober». Dies klar zu stellen, habe ich mit meinen Angriffen aus den Partikularismus, die Kleinbürgern und Spießbürgern bezweckt. die auch schon Genossen ergriffen hat, die auf ihre frühere Thäiigkeil hin in angesehene Vertrauensstellungen gelangten, in- folge ihrer kleinbürgerlichen Existenzweise aber allmälig das proletarische Klassenbewußtsein verloren, ihre geistige Ausbildung und Weiterbildung an den Nagel hingen und nur noch von den Brocken überwundenen Wissens leben und damit die Genossen und Nichtgenossen füttern. Ich nenne keine Namen, weil ich keinen persönlichen Streit haben will. Wer glaubt, daß er von mir gemeint sei, mag sich strenge prüfen und findet er, daß ich Recht habe, so mag er ent- weder andere Wege einschlagen oder einem jüngeren streb- sanieren Genossen seinen Platz räumen. Unsere Partei ist eine Partei des unausgesetzten Fortschritts auf allen Gebieten, wir befinden uns in beständiger geistiger Mauserung zu immer Höherer Erkenntniß, da brauchen wsr auch überall leitende Kräfte, welche mit dem Beispiel der Selbsterziebung vorausgehen. Man hat meine Anklage, daß kleinbürgerlicher Geist vielfach in unseren Reihen herrsche und kleinbürgerliche Verhältnisse, natürlich neben mangelndem Streben, das verschulden, damit zu widerlegen versucht, daß man antwortete: Die Tbatsache, daß viele tüchtige Genossen und Du selbst aus kleinbürgerlichen Ver- hältnissen hervorkamen, widerlegt Dich. Man hätte mit der gleichen Logik sagen können: Da Marx , Engels , Laffalle und andere in unseren Reihen aus Bourgeoisfamilien stammen, kann von einem Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat keine Rede sein. Im übrigen habe ich schon weiter oben die Antwort gegeben, wie auch der Kleinbürger in unseren Reihen zum wirklichen konsequenten Sozialdemokraten werden kann und werden soll. Ich habe in meiner Berliner Rede weiter gesagt: Die Partei sei i» ihrer geistigen Entwickelung mehr in die Breite als in die Tiefe gegangen, wir hätten uns quantitativ sehr vermehrt, qualitativ nicht entsprechend verbessert. Das halte ich aufrecht. Ware es nicht so, die Befürchtung vor Versumpfung und Ver- Wässerung könnte nicht den Boden eingenommen haben, den sie in der Partei besitzt. Gewiß hat sich der Kern unserer Literatur bedeutend ver- bessert. Wollte ich das nicht zugeben, ich spräche eine Be- leidigung gegen die Männer aus, die als Urheber dieser Literatur anzusehen sind. Es wäre auch tief traurig, wenn es nicht so wäre. Aber neben dieser guten, auf der Höhe der Zeit stehenden Literatur, hat sich eine faule, seichte Literatur sehr breit gemacht, welche der guten gewaltig Konkurrenz macht und nach Ansicht sachverständiger Genossen vergleichsweise weitere Verbreitung findet, als unsere gute Literatur. Das ist bedenklich. Daß gegen diese Literatur schon prolestirt wurde und zwar in erster Linie wieder aus der Reihe der Berliner Genossen, ist erfreulich. Daß endlich auch im Zentralorgan die Praxis Platz gegriffen hat, was aus dem literarischen Markt erscheint, zu krilisiren auch wenn es von einem Parteigenossen erscheint, und nickt zu schweigen, wo man tadeln muß, ist ebenfalls ein Fortschritt. Aber daß man zu dieser Praxis kam, geschah, weil das Uebel schon seinen Höhepunkt erreicht hatte. Es ist ferner zu beachten, daß, um Massen, die heute zur Sozialdemokratie sich rechnen, mit sozialistischem Sauerteig zu erfüllen, ganz gewaltig mehr an guter Literatur und gutem Lesestoff verbreitet werden muß als früher, wo die Partei kleiner war. Ich bestreite, daß dies in entsprechendem Maße geschieht. Ein guter Theil unserer Agitatoren muß ebenfalls streben, weit mehr auf die Höhe zu kommen, als das bis jetzt der Fall ist. Diesen meist überarbeiteten in proletarischster Lebenslage befind- lichen Männern dies in jeder Beziehung zu erleichtern, muß sich die Partei zur Pflicht machen. Unbestreitbar ist auch, und es ist die größte Enttäuschung, die wenigstens ich seit dem Fall des Sozialistengesetzes erlebte, daß der Zuwachs an hervorragend tüchtigen, intelligenten Kräften, weit hinter der Ausdehnung der Partei zurückblieb. Was wir an solchen Kräften in den letzten Isünf Jahren gewonnen haben, läßt sich an den Fingern einer Hand abzählen. Wir haben alles aufzubieten, daß dieses anders wird. Ein Theil unserer Genossen ist gegen die sogen. Akademiker voll Mißtrauen erfüllt. Mag sein, gegen den einen und den anderen mit Recht, gegen die Akademiker an sich mit Unrecht. Es wurde schon auf dem Parteitag darauf hingewiesen, wo wohl die Partei geblieben, wären die Akademiker, welche die wiffenschairlichen Begründer des Sozialis- »ins sind, nicht gewesen. Eine Partei, welche die Erfahrungs- Wissenschaft zur Grundlage gesellschaftlicher Bildungen machen will, muß branchbare wissenschaftlich gebildete Männer begrüßen, wo sie für die Partei sich finde». Kommen diese als hochnäsige Berather. als Allesbesserwisser, behastet mit den Eierschalen bürgerlicher Denk- und Vor- siellungsweise zu uns, so setzen wir ihnen den Stuhl vor die Thür oder rathen ihnen, erst weiter zu lernen, bescheidener zu werden und dann wieder zu kommen. Treten sie aber als charaktervolle Jugend, von Idealismus und idealer KanipfeSlust getrieben, in unsere Reihen, ausgestattet mit jenem wissenschaftlichen Rüstzeug, das für wirksamen Geistes- kämpf unentbehrlich ist und das wir Autodidakten uns erst müh- selig erwerben mußten, und oft doch nur sehr unvollständig uns eriverben konnten, dann sollen wir sie willkommen heißen. Wir betrachten sie deshalb nicht als Wesen höherer Qualität, sondern kritisiren ihr Handeln so gut wie das aller andern. Beachten wir ferner, daß anch in den Reihen der akademisch Gebildeten der Kampf ums Dasein immer verzweifeltere Formen annimmt und daß Anhang in ihren Reihe» für uns gewinnen bedeutet, der bürgerlichen Gesellschaft nicht den schlechtesten Theil ihrer Ueberproduktion an Intelligenz abzunehmen und für unsere Zwecke nutzbar zu machen. Ich bin mrt meinen Ausführungen zu Ende. Nur noch wenige Worte. Als ich infolge der geschilderten Erfahrungen auf dem Frank- surter Parteitag mich zu dem sogenanntenPronunziamento", meiner Berliner Rede entschloß, mußte ich auch dazu kommen, das, was in Frankfurt sich mir offenbarte, bis zu seinem Ur- sprung zu verfolgen. So gelangte ich dazu, daß manche Er- örterungen in meiner Rede Raum fanden, die für den ober- flächlichen Leser in keinem Zusammenhang mit dem Partei- tag zu stehen schienen. Griff ich nun in meinen Ausführungen dabei besonders Vellmar an, indem ich eine Person mit den von mir hervorgehobenen Erscheinungen n Verbindung brachte, so weil ich in ihm das eigentliche Haupt der Strömung sehe, die ich für verhängnißvoll halte und der Partei nachdrücklichst zur Beachtung denunziren wollte. Ich hoffte, ihn auf das Gebiet sachlicher Auseinander- setzungen drängen zu können, damit die Partei die Möglichkeit bekam, die sich gegenüberstehenden Anschauungen gründlich kennen zu lernen und darüber zu entscheiden. Endlich muß einmal Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Partei fernerhin die alte Fahne weiter trägt, oder ob eine neue an ihre Stelle treten soll, auf welcher die Verleugnung des alten Klassenkampf« Standpunktes und der Opportunismus an die rückständigsten Eleniente entfaltet werden soll. Vollmar, welcher so gut wie der größte Theil der Partei- presse, meine Absicht erkannte, wich derselben aus. Er suchte de» Stiel umzudrehen, indem er mich der Partei als einen Menschen denunzirte, der aus den n i e d r i g st e» Beweggründen, ausverletzter Eigenliebe", unzugänglicher Rechthaberei und Selbst- Herrlichkeit" zu einemPronunziamento". zu einerFahnen- Erhebung" sich entschloß und die Fackel der Zwietracht in die eigenen Reihen schleuderte". Was es mit diesen elenden Verdächtigungen für eine Be- wandtniß hat, mögen die Parteigenossen entscheiden, die diesen meinen Ausführungen gefolgt sind. Ich bin vorläufig fertig und zu weiterem Kampf bereit. Berlin , den 29. November lS94. A. Bebel. ltaUUMze MebevttkM. Berlin , den 30. November. Wozu die Eile? Tie sozialdemokratische Fraktion des Reickstages wird während des wesentlichsten und größten Theiles der Session zweier ihrer tüchtigsten Mit- glieder beraubt sein. Mit einem sonst nicht üblichen Eifer wurde das Gerichtsverfahren gegen die Genossen Stadthagen und Schippel beschleunigt. Heute wurde Genosse Stadt- bagen auf Grund des Urlheils des Reichsgericvts um 7 Uhr Morgens verhaftet und nach Plötzensce gebracht. Gleichfalls heute wurde das Urtheil gegen den Genossen Schippel, das auf 3 Monate lautete, vom Reichsgericht bestätigt. Wir bedauern, daß unseren Genossen die Möglichkeit entzogen wurde, im Kampfe gegen die Regierungsvorlagen zur Verschärfung des Preß- und Strafgesetzes theilzunchmen. Wir wissen aber, daß durch die Maßnahmen gegen die Ab- geordneten von Niederbarnim und Chemnitz wir moralisch fast so viel gewinnen, als das heute herrschende System verliert. Das Neueste vom neuen KnrS. Zur Geschichte der Um- sturzvorlage bezeichnet dieKöln . Tolls-Ztg." die Angabe der MünchenerAllgemeinen Zeitung ", daß. die Reslerungsaktion gegen den Umsturz von den Industriellen ausgegangen sei, die einen verstärkten Schutz gegen die sozial- revolutionäre Propaganda verlangt hatten, als int großen und ganzen richtig. Man habe jedoch vielleicht nur an zwei hoch-- mögende Herren in der Rheinprovinz zu denken, von denen besonders der eine, Freiherr von Stumm , einen großen Einfluß in Berlin besitze.Später allerdings, nämlich im Herbst d. I., haben die ostelbischen Konservativen in dieselbe Kerbe gehauen. weil sie in Erfahrung gebracht hatten, daß der Gedanke schärferer Maßregeln gegen die Sozialdemokraten bei dem Kaiser auf großes Entgegenkommen zu rechnen habe. Den Konservativen dient« dieser Hebel aber mehr als Mittel zum Zweck, nämlich zuni Sturze Caprivi's." Jetzt liege aber auch den konservativen Kreisen sehr wenig mehr an einem Zustandekommen eines Anti- Umsturzgesetzes, und ohne das Drängen der Vertreter der Groß- Industrie wäre es nicht unwahrscheinlich, daß die ganze Aktion wieder aufgegeben wurde.In Regierungskreisen verhehlt man die Verlegenheit über die Suppe, die man sich selber eingebrockt. gar nicht. Reaierungsmänner gestehen offen ein, das Anti- Umsturzgesetz muffe entweder soschneidig" und scharf sein, daß der Reichstag es nicht annehme, oder es werde ein bloßes Schaugericht. Jetzt ist man natürlich bestrebt, ein Fahnvasser zu finden, in dem man zwischen dieser Scylla und Charybdis hindurch laviren kann. Freudigkeit hat niemand bei dem ganzen Unternehmen, selbst die Väter und Gevattern der geplanten Maßregeln bezweifeln den Erfolg. Allem Anschein nach geht man nur vor. weil man nach allem Vorhergegangenen sich des Rückzuges schämt; man glaubt sich schon zu wert engagirt zu haben, um ohne Schaden für die Autorität der Regierung zurück- gehen zu können." Perfide, wie eben dieHamburger Nachrichten" sind, behaupten sie, diesmal in die Fußspuren derNordd. Allg. Ztg." tmeiid, daß die Debatte zwischen Vollmar und Bebel ein Täuschungsversuch der nach den Gesetzen gegen den Umsturz rufenden Politiker sei. Es wäre dem elenden Zeitungsgeschwister zu viel Ehre angethan, wollte man sie eines Wortes der Erwiderung würdigen. Ein schneidiger Wind weht überall im Deutschen Reich. Auch die bayerischen Unter- und Oberbeamten spannen gemeinschaftlich ihre Kräfte an, das Vaterland vor dem Umsturz zsi retten. Nach dem bayerischen Vereins- gesetz dürfen Minderjährige politischen Versamm- luugen nicht anwohnen. Ein Schneidergeselle, der jüngst in einer Versaminluug zugegen war, aber erst im nächsten Monat 21 Jahre alt wird, erhielt ein Strafmandat von 10 M. Es ist das wohl der erste Fall, daß in dieser Weise vorgegangen wird. Wir wetten, der junge Mann wird der eifrigste Versammlungsbesncher in Bayern , sobald er erst einen Monat älter geworden ist. Wie viel Polizei wird da aber niehr gebraucht, wenn künftig jeder jung aus- sehende Versammlungsbesncher aus sein Lebensalter geprüft werden soll! Die richterliche Praxis in Majestätsbeleidigung genau zu kennen, ist für jeden Sozialdemokraten, besonders tn den gegenwärtigen staatsrettnngsschwangeren Zeitläufen von Bedeutung. Neuerdings ist es vorgekommen, daß das Reichsgericht in Uebereiustimmuug mit der Strafkammer einen wegen Majestätsbeleidigung zur Untersuchnng gezogenen Angeklagten, der bei einem auf den Kaiser ausgebrachten och sich von seinem Sitze nicht erhoben hatte, freisprach. eber die Beurtheilung ähnlicher Fälle hat das Reichsgericht nach Mitthcilung derJurist. Wochenschrift" neuerdings folgende Grundsätze ausgestellt: Die Beleidigung eines Monarchen kann darin enthalten sein, daß einer üblichen, von der Mehrzahl der Staatsangehörigen als schuldige Ehrfurchtsbezeugung betrachteten Huldigung mit einem Prot« st oder sonst störend entgegen- getreten wird. Eine derartige Huldigung liegt aber vor, ivenn Wahlversammlungen oder sonstige politische Versamm« lnngen der monarchisch gesinnten Parteien mit einem Hoch auf den Kaiser eröffnet werden. Als ein Protest oder als eine Störung kann es aber ferner betrachtet werden, wenn einzelne gleichzeitig und unberufen ein Hoch in anderer Richtung ausbringen. Ob in einem solchen Gebühren je nach Lage des einzelnen Falls eine Beleidigung zu finden, ist Sache der thatsächlichen Würdigung des ersten Richters. Die in dieser Beziehung getroffenen Festsiellungen erster Instanz sind mittels Revision nicht anfechtbar." Soweit ist die Sache ja klar. Man setzt sich der richter- lichen Verurtheilung aus, wenn man in einer Versammlung sogenannter Reichslreucr bei einem auf den Kaiser aus- gebrachten Hoch sitzen bleibt oder gleichzeitig ein Gegenhoch ausbringt. Dagegen sind die Richter augenscheinlich davon zurückgekommen, es als Majestätsbcleidignng gelten zu lassen, wenn etwa in einer sozialdemokratischen Versammlung die Anwesenden bei einem von anderer Seite in provokatori- scher Absicht ausgebrachten Hoch auf den Kaiser sich nicht von ihren Sitzen erheben. Tie verstorbene Fürstin von Bismarck war während des deutsch -französischen Krieges, den ihr würdiger Gemahl durch Fälschung der Einser Depesche entzündet hatte, so christlich", daß sie verlangte, alle Franzosen bis zu d e n K i n d e r n herunter müßten erschossen oder erstochen werden. Der biedere Gatte erzählte dies selbst schmunzelnd und hat es weiland durch eins seiner Hausreptilien dasBüsch'chen" in die Denkwürdig- reiten des Hauses Bismarck eintragen lassen. Wir erwähnen derAnekdote" blos, weil jetzt sehr viel von derchristlichen" Gesinnung der verstorbenen Dame die Rede ist. Man muß sich dasChristenthum " dieser edelsten"�Me»schensorte mitunter einmal ansehen. Den Stand der österreichischen Wahlrcformfrage beleuchtet unser Wiener Korrespondent in dem folgenden Briefe: Gestern Abend hat die Regierung endlich eingestanden, daß sie mit ihrem Latein zu Ende ist, daß ihre Bemühungen, irgend eine Art von Wahlresorm allen drei Koalitionsparteien annehm- bar zu machen, definitiv gescheitert sind. Aber anstatt, wie sie verpflichtet wäre, einfach abzutreten, nachdem sie die von ihr selbst alserste und wichtigste" bezeichnete Aufgabe nicht zu lösen vermag, macht sie sich die Sache bequem und stellt dem Wahlreform- Ausschuß anheim, zu leisten, was sie nicht vermochte. Und sie thut dies, ohne dem Ausschuß auch nur den Schatten einer Idee mit aus den Weg zu geben. Fürst Windischgrätz setzte auseinander, daß die Regierung für Arbeiter- kammern zu haben gewesen sei, daß aber von Seilen der Vertrauensmänner gewisser Parteiengewichtige Bedenken' erhoben wurden, so daß dieser Weg keinen Erfolg verspreche. Darüber seien alle Parteien und die Regierung einig, daßdie Gewährung einer parlamentarischen Vertretung an die Arbeiter unter allen Um» ständen angezeigt sei". Die Regierung werde sich aber derBerücksichtigung auch anderer Volksschichten" nicht wider- setzen. Mit einem Wort, es ist dem Koalitionsministerium Alles egal, wenn es nur am Ruder bleibt. Die politische Impotenz ist niemals in einer ärgeren Blamage manisestirt worden, als durch diese Regierung, welche die Luv Üvur aller österreichischen Staatsiveisheit in sich vereinigt.