Nr.477 38. Jahrgang Ausgabe A nr. 241
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Sonntag, den 9. Oktober 1921
An die Partei!
Der Parteitag in Görlig liegt hinter uns. Er war eine Heerschau über die stärkste und innerlich geschlossenste Partei der Welt. Er war ein Parteitag harter, fruchtbringender Arbeit im Dienste des Proletariats. Wenn seine Ergebniffe heute noch im Urteil der Partei umstritten sind, so liegt das an den Schwierigkeiten der von ihm behandelten Probleme, die aus den veränderten sozialen und politischen Lebensbedingungen unserer Zeit erwachsen. Klar ist jedoch dies eine, daß der entschlossene Wille, errungene Machtpositionen zu verteidigen und zu er
weitern, den Parteitag beherrschte. Alle seine Beschlüsse dienen nur
diesem Zwed.
Dem Parteitag zu Görlih ist es gelungen, der Partei ein neues Programm zu geben, das einen jahrzehntelangen Streit der Geister abschließt und den Kämpfen der Gegenwart Wege und Ziele weist. Schon dadurch allein wird der Parteitag von Görlih als der denkwürdigsten und fruchtbarsten einer in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie fortieben.
Das Görliker Programm bedeutet teine Abkehr von der großen Bergangenheit der Partei, sondern eine Führung über sie hinaus im Sinne einer dreißigjährigen Entwicklung, ihrer wiffenschaftlichen Erkenntniffe und praktischen Erfahrungen. Die demofratische Republik ist nicht mehr erstrebtes Ziel, sondern gewonnenes Gut, das verteidigt und gefestigt werden muß. Dem Sozialismus gilt der Kampf, der nur in langem schweren Ringen mit geistigen Waffen gewonnen werden kann. Es gilt das Cos des fchaffenden Volkes zu erleichtern, das politisch befreit, aber durch den Krieg und feine Folgen wirtschaftlich zurückgeworfen ist.
Das Görliger Programm ift ein erneutes Bekenntnis zu den hohen Menschheitszielen des sozialistischen Befreiungstampfes. Der Parteivorstand betrachtet es als eine feiner vornehmsten Pflichten, ihm die weiteste Auswirkung auf die massen zu verleihen, es zum geistigen Gemeingut des ganzen schaffenden Volkes zu machen. Dabei erwartet er die tatkräftige Unterstützung aller Parteigenoffinnen und Parteigenoffen.
Durch seinen Beschluß zur Frage der Regierungsbildung hat der Parteitag dem Parteivorstand die Bewegungsfreiheit gegeben, deren er bedarf, um die Intereffen der Partei und des arbeitenden Volfes nach allen Seiten hin nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten.
Das Ziel der Sozialdemokratischen Partei ist die Errichtung einer rein sozialistischen Regierung. Koalitionspolitit treibt sie nur unter dem Zwange der Not, nicht einer der bürgerlichen Parteien zuliebe. Sie ist schon jetzt zur Teilnahme an der Regierung ge3wungen, weil fie die größte Partei des deutschen Volkes ist und zugleich die einzige Partei, die grundsäglich und geschlossen auf dem Boden der republitanischen Verfassung und des demokratischen Selbstbestimmungsrechts des Volkes steht. Offen hat die Sozialdemokratie in Görlih ihr Banner entrollt, offen hat sie den politischen Gegnern gesagt, was sie in Zukunft zu fun gedenkt. Mit rücksichtsloser Offenheit hat sie vor allem den meuchlern der Republit erklärt, daß sie den Kampf auf Leben und Tod gegen fie aufnimmt.
Un den Anderen ist es nun, zu befennen! Wollen fie den Bestand der Republit, die Demokratifierung unferes öffentlichen Lebens, die Gleichberechtigung der werftätigen Schichten, dann gehen wir ein Stüd Weges gemeinsam. Mundtofmachung breiter Schichten, dann bietet die Sozialdemokratie Wollen fie die Monarchie, die wirtschaftliche Knebelung oder die stärkste Gegnerschaft und heftigsten Kampf.
Das ist die Parole von Görlih!
im Mai d.
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Der Ausfall der Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung am nächsten Sonntag ist von weit größerer Bedeutung als der irgendeiner anderen Gemeindevertreterwahl. Ist das gemeinsame Ziel unserer Gegner, mögen sie auch getrennt marschieren, doch nicht nur die Beseitigung der Hauptstadt der jungen deutschen Republik , sondern gibt sich sozialistischen" Mehrheit in der Bürgerschaftsvertretung der doch ein Teil von ihnen gleichzeitig der Hoffnung hin, durch ihren Sieg der Sozialdemokratie und damit dem republikaet 3. unter dem furchtbarsten außenpolitischen Drud. Ohne feßen, Der Eintritt der Partei in die Reichsregierung erfolgte nischen Gedanken selbst einen empfindlichen Schlag zu verDie sozialistische Mehrheit, von der so viel Bedingungen, ohne Vorbehalte- nur um das Land vor dem Schlimmsten zu bewahren, bildete die Partei mit Zentrum und De- geredet wird, besteht tatsächlich nicht. Leider! Wir hätten mokraten die neue Koalitionsregierung. Aber mit der bloßen 2 n- fie haben können, wenn sich die Arbeiterklasse nicht selbst durch nahme des Ultimatums war die damals übernommene Auf- den unfeligen Bruderkrieg so ungeheuer geschadet hätte. Die gabe nicht erfüllt, ihre Lösung hat vielmehr jetzt erst begonnen, und Mehrheit, bestehend aus Sozialdemokraten, Unabhängigen der weitaus schwerste Teil steht noch bevor. Das ganze Bolt ist an und Kommunisten, bildet keineswegs einen in sich geschlossenen ihr beteiligt, und nur außerordentliche Maßnahmen fönnen uns vor Block, und fast in jeder Sigung fonnte man beobachten, wie zum mindesten die Kommunisten und die Sozialdemokraten, dem Untergange reffen. Daß unsere Aktionsfähigkeit dadurch nicht gerade gestärkt häufig aber auch alle drei Gruppen gegeneinander stimmten. wird, bedarf feines Beweises. Uns Mehrheitssozialdemokraten trennt von den Kommunisten unsere grundsätzliche Bewertung parlamentarischer Tätigkeit. Es ist ein Unsinn, wenn eine Partei, die ausschlaggebend in der Verwaltung und damit für die Verwaltung mit verantwortlich ist, sich in verneinender Kritik erschöpft und die Parlamentstribüne lediglich als Agitationsboden benutzt, wie es die Kommunisten tun. Das ist gerechtfertigt, solange dem Eindringen der Vertreter einer bestimmten Richtung in die Verwaltung unüberwindliche gefeßliche Hindernisse gezogen sind, wie es vor der Reform des Gemeindewahlrechts der Fall war, oder wenn eine Partei durch ein plutokratisches Wahlgesetz, wie wir es in dem alten Preußen hatten, zu einer hoffnungslosen Minderheit verurteilt wird. In einem demokratischen Gemeinwesen dagegen stehen den Rechten eines jeden einzelnen Pflichten gegenüber. Wer mit ratet und mit tatet, der trägt auch die Verantwortung für fein Handeln.
Wir lehnen es ab, in den Maffen den Glauben zu erweden, als ob die Sozialdemokratie heute allein imftande wäre, die elfernen Feffeln des Versailler Vertrages zu lösen oder allein die drückenden Verpflichtungen des Londoner Ultimatums zu erfüllen.
Der Parteitag zu Görlitz unterstrich die realpolitischen Notwendigkeiten der Gegenwart. Er lehnte jede Politit der großen Worte ab, die die Maffen in Jufionen gewiegt hätten und sie zur Abkehr von der Partei bewegen würden, wenn die gemachten Bersprechungen sich nicht erfüllt hätten. Er ließ feinen Zweifel darüber, daß die Verwirklichung unserer Forderungen nicht nur von unserem Wollen, sondern auch von der Reife der politischen und wirtschaftlichen Entwidlung abhängt.
Gegen die im freien Boltsstaate sich noch zäh erhaltende lassen justiz erhob der Parteitag lebhaften Protest, er forderte durchgreifende Maßnahmen bei der kommenden 3 u sfizreform. Durch Zuziehung von Caienrichtern, besonders bei den Strafgerichten aller Arten und Stufen, durch Wahl der Schöffen und Geschworenen muß eine deutsche Justiz geschaffen werden, die im Volfe Vertrauen zur Rechtspflege erwedt.
Bon dem Gedanken beseelt, daß nur eine große, einige Kampforganisation aller geistig und körperlich Schaffenden den Sieg über die reaktionären Mächte gewinnen tann, erklärte fich der Parteitag für die nationale und internationale Einigung des Proletariats. Die Sache aller Bedrückten der Erde erklärte er zu der feinen.
Schließt die Reihen! Werbt unabläffig für die Partei! lebe die Sozialdemokratie!
Es
Diefer Pflicht hat sich die Sozialdemokratie nicht entzogen. Nicht„ Rücksichten auf die Straße", von denen sich die Kommunisten ständig, die Unabhängigen nur allzu oft leiten ließen, waren für fie maßgebend, sondern einzig und allein die Rückficht auf das Gemeinwohl, mit dem das Wohl der Arbeiterklasse aufs engste verknüpft ist.
Es heißt deshalb, den Wählern Sand in die Augen Aus den Reden der ausländischen Gäste haben wir er- ftreuen, wenn man von einer Beseitigung der sozialistischen fahren, daß die Welt der Arbeit noch immer mit Vertrauen und Mehrheit spricht. Was nicht existiert, fann auch nicht beseitigt Hoffnung auf die deutsche Sozialdemokratie blidt. Rechtfertigen werden. In Wahrheit handelt es sich um den Versuch der wir dieses Vertrauen durch unermüdlichen Kampf für unsere große Aufrichtung einer rein bürgerlichen Mehrheit, Sache! die imstande ist, unter Außerachtlassung aller Rücksichten auf die proletarischen Massen nach eigenem Gutdünten zu schalten und zu walten. Gewiß, es ist in dem neuen Berlin nicht alles so, wie es fein sollte und wie wir es gern wünschten. Ganz abgesehen von den widerlichen Szenen, deren Zeugen wir in so pielen Sizungen gewesen find, Szenen, die niemand so scharf verurteilt wie die Sozialdemokratie, an denen aber nicht nur die Heißfporne auf der äußersten Linken, sondern in demselben Maße auch die auf der äußersten Rechten die Schuld tragen, ganz abgesehen davon ist auch in materieller Be ziehung vieles zu beanstanden, und es wird noch heißer Arbeit und unermüdlicher Anstrengungen bedürfen, bis die Verhält niffe sich einigermaßen zu unserer Zufriedenheit gestaltet haben.
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Fr. Bartels, Dr. M. Braun, Offo Braun, R. Fischer, D. Frant, O. Heinrich, C. Hildenbrand, Marie Juchacz , Fr. Krüger, Herm. Moltenbuhr, Herm. Müller, W. Pfannkuch, Ad. Ritter, Elfriede Ryned, H. Schulz, Fr. Stampfer, O. Wels.
Reparationen und abgelieferte Schiffe.
Die Breslauer 3eitung" und die Schlesische 3eitung" find vom 11. bis 25. Oftober für Oberschlesien verboten
Paris , 8. Oftober.( WTB.) Wie Temps" mitteilt, wurde worden. Deutschland durch den Schiedsrichter für die an Frankreich abgelieferten Binnenschiffe und Hafeneirichtungen auf Reparationsfonto die Summe von 15 450 000 Goldmart gutge= schrieben; die an die Tschechoslowakei auf der Donau abge= tretenen Schiffe find mit 338 940 Goldmart bewertet worden, die Schiffe auf der Elbe mit 8350 000 Goldmart.
Die oberschlesische Frage.
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Berlin , 8. Oktober. ( WTB.) Die Reichszentralstelle Daß dem so ist, daran tragen nicht wir die Schuld, für Kriegs- und Zivilgefangene teilt mit: Der Dampfer Wigbert" sondern das ist die ganz natürliche Folge des verlorentrifft auf seiner fünften Fahrt von Noworosist am 10. Oktober er- gegangenen Krieges, der die Finanzen aller Gemeinden in neut in Triest ein. Er hat 1166 Heimkehrende, darunter 266 Reichs- Unordnung gebracht hat und Anforderungen an sie stellt, die deutsche, an Bord. Diese Reichsdeutschen werden dem Durchgangs- in vollem Umfange zu erfüllen schlechterdings unmöglich ist. lager Lechfeld zweds Entlassung zugeleitet. Der Dampfer Brillant" Deshalb war auch die sozialdemokratische Fraktion mehr als ist inzwischen in Odessa eingetroffen, hat dort Heimkehrende an Bord einmal gezwungen, einerseits Anträge niederzustimmen, die Die Pariser Botschafterkonferenz hat die Maßnahmen geprüft, genommen und befindet sich zurzeit auf der Fahrt nach Noworossist, sich zwar durchaus in der Richtung ihres Kommunaldie ergriffen werden sollen, um in Oberschlesien die Ordnung wo die Heimkehrenden von dem etwa am 12. Oftober dort ein- programms bewegen, aber angesichts der Berarmung Berlins aufrechtzuerhalten, wenn die Entscheidung durchgeführt treffenden Dampfer Harald" an Bord genommen und nach Triest in der Jektzeit nichts als leere Demonstrationen sind, andererwerden soll, die hinsichtlich der Grenzfestsetzung zu erwarten ist. gebracht werden. Aus Petersburg ist am 6. Oktober der Dampfer feits Vorlagen zuzustimmen, mit denen sie sich nur schweren Der ehemalige Redakteur der Grenzzeitung", Ro- Aarnot" mit 250 Heimkehrenden aller Nationalitäten ausgelaufen, Herzens abfindet. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen walsky, hat der polnischen Sache den Rücken gekehrt. In einer des weiteren hat am 6. Oftober der Dampfer Herbert Horn" mit Triebe mußte sie lieb gewordene Forderungen zurückstelien, Erklärung an das oberschlesische Bolt führt er aus, daß das strupel- 420 österreichisch- ungarischen Heimkehrenden Riga verlassen. weil sich kein Weg zur Deckung der dadurch bedingten lofe Spiel Korfantys mit einem ganzen Volt, das er aus eigener Ausgaben fand. Ausgaben zu beschließen und die anderen Anschauung tennengelernt, und der Eigennutz und die Unbarm sich über die Deckung den Kopf zerbrechen lassen, ist sehr leicht herzigkeit, die er bei einem Besuche in Warschau beim Minister. und äußerst bequem, aber ein Politiker, der ernst genommen präsidenten Witos fand, ihn aus dem polnischen Lager getrieben Wien , 8. Oktober. ( Eigener Drahtbericht des Vorwärts".) merden will, darf so nicht verfahren. Das überlassen wir den habe. Die Erklärung gipfelt in folgender Bitte:„ Laßt ab von der Die ungarischen Banden haben heute nacht und heute vor- Parteien, denen in erster Linie an der Befriedigung ihres euch eingeimpften polnischen Idee! Ihr seid, Oberschlesier und mittag Bruck an der Leitha beschoffen, sie wurden aber zurückge- Agitationsbedürfnisses gelegen ist. habt mit Warschau nichts gemein." worfen. Heute nacht ist eine ungarische Bande über die Leithabrücke Man vergesse nicht, daß die Verhältnisse in Groß- Berlin Korfanty ist, nachdem er bei der letzten polnischen Regie- bis an die Wiener Neustadt gelangt. Der sozialdemokratische schwieriger sind als irgendwo anders. Die Einheitsrungsbildung durchgefallen ist, wieder in seinem Hauptquartier Bürgermeister von Wiener Neustadt hat sich an die Regierung gemeinde ist erst im Werden, und es wird noch geraume Sosnowice eingetroffen und hat dessen Leitung wieder über- gewandt, der Bundeskanzler erklärte aber, daß für Wiener Neu- Beit vergehen, bis der Gedanke sich durchgefeht hat, daß die stadt teine Gefahr vorliegt. 3ersplitterung in zahllose Einzelgemeinden ein Ende hat, daß
nommen.
Der Bandenkrieg in Westungarn.