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Nr. 477 3$. Jahrgang
2. Heilage öes Vorwärts
Sonntag, 9. Oktober ml
Der Hlock des HeHes. Vo»t Netzzerreif�ern u»rd Schlepptaubefreiern i»t Grotz-Berlin  .
In Groß-Verlin haben Demokraten, Zentrum und Wirtschafts- partei auf der einen Seite, Deutfchnotionale und Deutsche   Volks- Partei auf der anderen ihre L i st e n für die Stadtverordnetenwahlen miteinander verbunden. Der geschlossene Bürger- block, um dessen Schaffung sich bürgerliche Geschäftemacher seit Wochen abgemüht haben, tritt damit, zwar etwas verschämt maskiert, aber doch deutlich genug in die Erscheinung. Nichts wäre verfehlter, als aus der Tatsache, daß die Verhandlungen über eine ' Listenverbindung zwischen Deutschnationalen und Demo- k r a t e n nicht zum Ziele geführt haben, nun etwa irgendwelche Schlüsse für die künftige Kommunalpolitik in Groß-Berlin ziehen zu wollen. Die Parteikonstellation in Groß-Berlin liegt seit dem sozia- listischen Wahlsiege im Vorjahrs fest. Sie unterscheidet sich in ihren Grundzügen wie in ihren Einzelheiten sehr wesentlich von der Konstellation e:wa im Reiche oder in Preußen. Es ist ja überhaupt nichts gefährlicher, als die politische Einstellung von Fraktionen überall und stets lediglich nach dem Parteinamen bestimmen zu wollen. Gerode im engeren Rahmen einer Einzel- gemeinde, aber auch noch in den Landtagen können die a u s s ch l a g- gebenden Persönlichkeiten, die Rücksicht auf eine b e- sondere Wählerschicht und endlich der Kreis der nächsten Gegenwartsaufgaben der Politik einer Fraktion ihren vom Gesamtbilde der Partei sehr abweichenden Stempel aufprägen. Alle drei Faktoren haben in Groß-Berlin zusammengewirkt, um den Bürgerblock auf kommunalpolitischem Gebiete längst Wirklichkeit werden zu lassen. Es besteht im Roten chause eine so weitgehende Gesinnungsgemeinschaft von den Deutschnationalen bis zu den Demokraten, daß auch eine Gesamtliftenverbindung sehr wohl denkbar gewesen wäre, wie sie ja auch von Hansabunds-, Haus- besitzsr- und Bürgerratskreisen aus befürwortet worden ist. Wenn sie nicht zustande gekommen ist, so lag dies an der Rücksicht, die die Demokraten und vielleicht auch die Volkspartei der großen Politik schuldig zu sein glaubten, aber sicherlich nicht an irgendwelchen kommunalpolitischen Differenzen. Denn es kann kein Zufall sein, daß die Agitation sämtlicher bürgerlicher Parteien für die Stadtverordnetenwahlen auk den Ton der Reichstagswahlen vom Juni 1920 eingestellt ist. daß der Wahlkampf so geführt wird, als hätte es im Reiche überhaupt keine Entwicklung über das Kabinett Fehrenbach zum Kabinett Wirth gegeben.Herunter mit der roten Farbe!" schreit das Wahlplakat der D e u ts ch n a t i o n a l e n. auf dem ein schwarzweißroter Jauchenkübel gegen den roten Bären ge- ichwungen wird.Zerreißt das rote Neß!" ruft die Ketten- sprengerpartei, die für diesen Wahlkampf die Variante der roten Spinne erfunden hat. Und das kleine Häuflein der Demo- traten will unsaus dem Schlepptau der kommunistischen Moskaugarde" befreien, um uns dann gnädig zur Mitarbeitheran- zuziehen". Auch Zentrum und Wirtschaftspartei führen ihren Kampf ausschließlich gegen links und haben sich zu diesem Zweck mit den Demokraten verbündet. So ist die Front der Republikaner  , die sich in der großen Politik anbahnt, für diesen kommunalen Wahlkampf mitten durchgerissen. Die Geister haben sich geschieden an den drei wichtigsten k o m m u- nalpolitischen Problemen: Finanzpolitik der Ge- meinden, kommunale Betriebe und Werke, Schul- Verwaltung. Finanz- und Wirtschaftsfragen sind es ja auch im Reiche, die die Koalitionspolitik mit bürgerlichen Parteien ernstlich gefährden können; wir hoffen dort noch auf die bessere Einsicht, die Eigeninteressen hinter das Interesse der Allgeineinheit stellt. In der Kommunalpolitik aber hat sich der Block des Besitzes nur zu schnell zusammengefunden. Schulfragen bilden in Reich und Ländern den Konfliktsstoff zwischen Zentrum und Sozialdemokratie in Groß-Berlin ist der B l o ck d e s K u l t u r r ü ck s ch r i t t s von den Deutschnationalen bis zu den Demokraten   Wirklichkeit geworden, und gerade der Wahlaufruf der Demokraten entrüstet sich über die Desorganisation" unseres Schulwesens durch Gründung weltlicher
' Schulen, über denNiedergang" unseres Bildungswesens durch Per- suche mit neuen Schulformen. Gegen eine Finanzpolitik, die die Besitzlosen schont und den Besitz kräftig heranzieht, gegen den Aufbau und Ausbau städtischer Betriebe auf gemeinwirtschaftlicher Grundlage, gegen die Verein- heillichung unseres Schulwesens und seine innere Erneuerung geht also in Wahrheit der Kampf der vereinigten bürgerlichen Parteien. Das ist dasrote Netz", das zerrissen werden soll. Diese Aufgaben haben eine von der allgemeinen Politik so abweilHende Parteikonstellation in Groß-Verlin ergeben. Die Vertreter sozialistischer und demokratischer Gemeindepolitik haben diesem Bürgerblcck bisher keinen ebenso einheitlichen Block gegenüberzustellen. Eine Listenverbindung ist auch zwischen der USP. und uns nicht zu erreichen gewesen ein Beweis dafür, daß eine so weitgehende Gesinnung? gemeinschaft, bei der die Wähler der einen Partei ihre Reststimmen gern der anderen zur Verfügung stellen, noch nicht vorhanden ist. Die unabhängige Fraktion schleppt da immer noch die Schuldlast ihrer Etatsverweigerung mit sich, durch die an entscheidender Stelle sogar die Arbeits gemeinschaft unter den sozialistischen   Parteien durchbrochen wurde. Ohne eine solche Arbeitsgemeinschaft, ohne eine Koalitionspolitik auf dem Boden einer sicheren und zuverlässigen Mehrheit ist aber der Kampf gegen den Bürgerblock im Roten Hause nicht zu führen. Das haben all jene unerquicklichen Situationen, die durch die Unzuverlässigkcit der Kommuni st en und ihre auf das Agitationsbedürfnis eingc- stellte Augenblickspolitik herbeigeführt worden sind, zur Genüge be- wiesen. Das rote Netz ist also noch recht dünn, und es könnte leicht zer- rissen werden, wenn die sozialistische Mehrheit und insbesondere die Sozialdemokratische Fraktion nicht st ä r k e r aus diesen Neuwahlen hervorginge als bisher. Bei der Zusammensetzung und bei der politischen Einstellung der bürgerlichen Fraktionen in Groß-Berlin wäre aber eine andere Koalitionspolitik nicht möglich ohne schwere Gefährdung der Interessen der arbeiten- den Bevölkerung. Aus dieser Erkenntnis heraus sind wir den Dornenweg der Koalition innerhalb der sozialistischen   Mehrheit, die in Wirklichkeit leider nicht immer eine war, gewandert. Und wir können nur hoffen, daß eine erhebliche Stärkung der Sozial- demokratischen Fraktion und eine ebenso erhebliche Stärkung des Verantwortungsbewußtseins gerade der Unabhängigen Fraktion uns die Möglichkeit gibt, den Weg weiter zu wandern. Dann werden die Träume der Kettensprenger und Netzzerreißer nicht reifen. Die Entscheidung liegt bei den Wählern am 1k. Oktober. Richard Lohmann.
Das Schmerzenskinü Straßenbahn. Die Kommunalisierung soll schuld sein. In der Agitation für die am 16. Oktober zu vollziehenden St ad tv er ordneten wählen, deren Ausgang über den künftigen Kurs in der Berliner Kommunalverwaltung entscheiden soll, benutzen die bürgerlichen Parteien die Kommunali- sierung als Schreckgespe n st. Sie erzählen in Flugblättern, in Zeitungsartikeln und in Versammlungsreden den Wählern allerlei von drohenden Kommunalisierungen, durch die Tausende von Existenzen vernichtet würden, während weder der Stadtsäckel noch der Berbraucher einen Borteil davon haben werden. Als abschreckendes Beispiel muß die Straßenbahn her- halten, die für die Stadt Berlin   zu.cinem Schmerzenskind geworden sei, weil sie trotz allen Tariferhöhu�jcn nicht zum Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben gelangen könne. Die gegenteilige Nach- richt, daß gerade in letzter Zeit die Gesundung der Straßenbahn merkliche Fortschritte gemacht hat, scheint den bürgerlichen Parteien gar nicht recht gewesen zu sein. Für ihre Wahlagitation paßte ihnen das schlecht in den Kram darum beeilte sich die bürgerliche
Presse, ihre Leser mit der aus der Luft gegriffenen Meldung zu beunruhigen, daß schon wieder eine Tariferhöhung bevorstehe. Die immer erneuten Hinweise aus die Kommunalisierung der Straßenbahn als angebliche Ursache der Misere sind eine so durch- sichtige Spekulation auf die Dummheit, daß keiner, der seine fünf Sinne beisammen hat, darauf hineinfallen kann. Wen will man glauben machen, daß die Straßenbahntarife, wenn das Unternehmen in den Händen einer privaten Erwerbsgesellschaft ge- blieben wäre, nickt zu derselben Höhe hätten' hinaufgeschraubt werden müssen? Die Lohnerhöhungen, die dem Personal infolge der fort- schreitenden Geldentwertung und Unterhaltsverteuerung bewilligt werden mußten, die bedeutende Steigerung der Ausgaben für die Stromlieferung, für die Wagenerneuerung, für die Gleisbauten alles das wäre wohl bei einer privaten Gesellschaft nicht gekommen? Nielleicht könnten wir, wenn die Straßenbahn nicht an die Stadt übergegangen wäre, noch jetzt für 19 Pf. fahren was? Die Kommunalisierung der Straßenbahn gegen die rote" Mehrheit in der Kommunalverwaltung ausschlachten zu wollen, ist ein Gipfel der Verlogenheit. Die Mehrheit in Groß-Berlin erlangten die sozialistischen   Parteien im Sommer 1929 bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung der neuen und einheillichen Stadtgemeinde Berlin  , der Erwerb des Straßenbahnunternehmens aber wurde bereits im Sommer 1919 be- schlössen. Diesen Beschluß faßte der Vorgänger der neuen Stadt- gemeinde Berlin  , der damals noch bestehende Zweckverband Groß-Berlin, in dem die Sozialdemokratie erst durch eine ganz kleine Gruppe vertreten war. Der Beschluß, der uns als notwendig und vernünftig galt und noch gilt, ist der bürgerlichen Mehrheit des Zwsckverbandes aufs Konto zu setzen, denselben Bürgerlichen. die ihn heute als einen schweren Fehler hinstellen möchten, weil sie damit Geschäfte bei den Wahlen zu machen hoffen. Daß d i e Straßenbahn schon damals zur Sozialisierung reif war, erklärte noch ein Jahr später der Professor G i e s e, der zuletzt das Amt eines Vertreters des fehlenden Vcrbandsdirektors ge- habt hatte und den nach dem Zustandekommen der neuen Stadt- gemeinde die Bürgerlichen gern als Leiter des Verkehrswesens im Magistrat gesehen hätten. Nein, nicht die Kommunalisierung ist schuld an der Misere! Bei fernerem Verbleib des Straßenbahnuntcrnehmens in den Händen einer privaten Gesellschaft hätten die Berliner noch ganz andere Dinge erlebt. In dem jetzigen Ieiialker der uferlosen Dividendensieigerungen hätte auch hier die Profitgier ihre Orgien feiern wollen. Der Kampf um die notwendigen Lohnerhöhungen hätte dann zu noch sehr viel schlimmeren Störungen des Verkehrswesens geführt, als wir sie gesehen haben. Und wahrscheinlich wäre der Fahrpreis schon längst noch sehr viel höher, als er heute ist. Für private Er- werbsgesellschaften ist der Prosit das heiligste Gut und seine Steigerung das höchste Gesetz. Darum wird von ihnen der V e r» braucher mit derselben Skrupellosigkeit wie der Arbeiter ausgebeutet. Was die bürgerlichen Parteien über die Kommunalisierung den Wählern vorschwindeln, paßt zu dem ganzen System verlogenen Geschreies über angebliche Mißwirtschaft der roten" Mehrheit im Rathause. Genossen und Genossinnen, nützet die nur noch kurze Zeit und sorgt durch regste Agitation dafür, daß aus den Stadtoerordnetenwahlen die Sozialdemokrakie siegreich hervorgeht. Der Nlagistrat über Sie Zuckerknappheit. Ein Verschulden der staatlichen Stellen. Der Mangel an Zucker, unter dem die Berliner Bevölkerung zurzeit leidet, gibt dem Berliner Magistrat Veranlassung zu folgen- den Ausführungen:Die zurzeit in Berlin   eingetretene Zucker- knappheit beruht nicht auf mangelnder Vorsorge des Magistrats Berlin  . Durch Verfügung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 31. August 1921 ist die Zuckerzwangswirt. schaft für den Zucker der neuen Ernte bereits mit dem IS. Septem- der 1921 aufgehoben worden. Die der Stadt zur Verfügung ge- stellten Vorräte der alten Ernte sind inzwischen durch Abgabe auf Karten nah'ezurestlos aufgebraucht. Für die Ueber-
24s
Fräulein.
Von Paul Enderling  . Der Oberlehrer zog mit vollen Zügen an seiner Pfeife. Vor ihm lag ein großer Stapel blauer Hefte mit ängstlich in die Mitte geklebten Etiketts, die mit ungelenken Buchstaben verziert waren:Aufsatzheft". Einunddreißig Hefte hatte er gestern korrigiert; jetzt las er zum zweiunddreißigsten Male:Wie bringt Schiller uns Wallenstein menschlich näher?" Er war eben dabei, mit roter Tinte ein großes A an den Rand zu schreiben-, als es klopfte. Erst ganz bescheiden, dann in regelrechtem Trommelwirbel. Und ehe er nochHerein" gerufen hatte, kam Thea. Dacht' ich mir's doch! Wer hat es denn auch so eilig wie die Jugend?". O, ich stör' dich, Onkelchen? Soll ich wieder gehen? I bewahre. Laß mich nur noch diesen wunderbar ge- bauten Satz zu Ende lesen, zu dem einmal Atemholen faktisch nicht ausreicht:Nicht nur durch seine erstaunliche..., nicht nur durch seine großartige..., sondern auch durch..., die ebenso klug wie edel ist, nähert sich Wallenstein   unserem Herzen." Was hältst du davon?" Thea zuckte die Achseln.Meiner Meinung nach ist das Quatsch." Meiner Meinung nach auch, mein Kind. Und doch muß ich den Vengel, der mit diesem Satzungetüm eine halbe Seite füllt, noch loben, daß er dos fertiggekriegt hat. Jetzt kriegst du wohl so einen leisen Schimmer von Lehrerfreuden, nicht? Das soll mm deutsch   lesen, soll einen deutschen Dichter ver- stehen können. Es ist nicht zum Ansehen, nicht zum Ansehen. So durchstreich es doch und schreib eine dicke Fünf hin!" Dann hebe ich die ganze Philologie aus den Angeln. Und ich bin kein Herkules  . Las» ihn nur schreiben. Es wird ja doch ein Beamter, und da kann er kein Unheil anrichten. Da braucht er niemandmenschlich näher zu bringen"." Warum gibst du auch so ein greuliches Thema?" Das ist mir vorgeschrieben. Ich wasche meine Hände in Unschuld." Du Aermster!" Danke. Mitleid ist süß wie Honigseim und tut gerade
so gut. Wenn die Schüler alle wüßten, wieviel ihrem Lehrer vorgeschrieben ist, sie würden Erbarmen haben." Sind sie schlimm?" Lehrer sein kommt gleich hinter Galeerenarbeit." Du bist ein vorbildlicher Pädagoge, Onkel. Denken alle so?" Ob sie so denken, ist nicht so wichtig, mein Kind. Wenn sie nur anders handeln. Die meisten von uns kommen mit der Sträflingsmiene ins Klassenzimmer und erzeugen Ber- bitterung. ohne daß sie wissen, warum. Denn die Schüler sind jung, und junge Menschen haben ein noch sein empfind- liches Tastvermögen der Seele. Sie spüren ganz richtig die Beleidigung, die in dieser Auffassung des Berufs steckt, und setzen sich auf die Hinterbeine. Jeder Lehrer, der wie der Vor- trab einer feindlichen Macht angerückt kommt, darf sich, nicht wundern, wenn er auf eine'seindliche Gruppe stößt. Fast jede Schulstunde ist heute ein stiller Krieg." Aber ein unblutiger." Leider nicht. Den Kindern wird die Freude am Lernen genommen, und sie gehen so ihr Leben lang blind an den Schätzen von Tausend und einer Nacht vorüber. Und dem Lehrer wird die Freude am Lehren genommen. Das sind die schlimmen Wunden, die nach innen bluten." Thea schwang sich auf den Schreibtisch und legte ihre Hand an den großen Globus. In der Ecke auf einem Bücher- regal stand eine Schopenbauerbüste. Bist du eigentlich glücklich, Onkel?" Er lachte.Hast du keine anderen Sorgen?" Ich kam heute so darauf." So. Gerade heute? Ist man etwas verkatert?" Aber nicht die Spur. Ehrenwort." Ich habe dich aber oft und tief ins Glas gucken sehen." Alles vertanzi. Ich bin nüchtern wie ein Frosch im Wallgraben." Ja, aber wenn man nüchtern ist, fragt man doch nicht nach dem Glück seiner Mitmenschen?" Ich bin nun mal so." Ja, wenn du nun mal so bist, werde ich auch mal so sein. Also, Theagöttin: Der dort in der Ecke hat gesagt: Ich habe noch keinen Menschen glücklich gesehen, außer er wäre betrunken gewesen." Thea sah zu Schopenhauer   hinüber. Wie unerbittlich
waren diese Augen, wie wissend dieser Mund.Da haben wir's. Es gibt also keins." Der Oberlehrer stopfte seine Pfeife von neuem und zündete sie langsam an.Glück, liebes Kind, ist etwas Relatives." Das ist mir zu hoch." Also sieh mal: Du kennst doch den Tischler Schönhut?" Das Hinkebein." Ja. Er hat das kurze Bein bei der Gelegenheit be- kommen, die ihn ins Zuchthaus   brachte." Ach ja, er hat ja gesessen" Wegen Einbruchs mit Revolver und so. Ich habe ihn mal gefragt, wie es da war. Ach, sagte er, ganz schön. Namentlich im Frühling. Da ragte ein Zweig aus einem benachbarten Garten über die Zuchthausmauer, und dieser Zweig war ganz voll blauer Blüten ohne Blätter. Es muß eine Abart von Magnolien fein, die da geblüht hat. Und solange dieser eine schwarze Zweig seine großen blauen Blüten herüberreichte, war er glücklich. Er sagt, sie seien in diesen Tagen alle früher aufgestanden, als es die Zuchthaus- ordnung verlangte. Eines Nachts rasierte der Wind dann die Blüten ab. Da war das Glück vorbei." Das Glück  --" Ja, es ist relativ. Unter anderen Verhältnissen hätte Schönhut, der sonst ein Duhnas ist, den Teufel nach dem Magnolienbaum gefragt. Dort machte er ihn auf ein paar Tags glücklich." Und du?" Wie meinst du?" Du entgehst mir nicht, Onkel. Bist du nun glücklich?" Wenn die Aufsätze beendigt sind, ja. Dies Glück hätte ich nie gehabt, wenn ich nun wenn ich etwa einen anderen Beruf erwählt hätte." Wolltest du einmal etwas anderes werden, Onkel?" Ja, Kind, ein großer Gelehrter wollte ich werden. Einer von den großen Sternkundigen, die das Weltbild erweitern." Warum ging es nicht?" Das Geld reichte nicht." Aber ihr seid doch reich gewesen?" Gerade deshalb. Hätten wir uns einschränken müssen, märe alles gut gegangen. Aber reiche Menschen geben mit lahmen Händen." (Forts, folgt.)