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Die Aussperrung im FektungsgeGerbe. Eine Machtprobe der Unternehmer? In der Betriebsversammlung der Arbeiter der Firma Rudolf Masse, die. wie wir schon kurz mitteilten, gestern stattfand, und an der auch Vertreter der Organisationen sowie der übrigen Berliner   Zeitungsdruckereien teilnahmen, erstattete zunächst der Vorsitzende des Arbeiterrats einen aus- führlichen Bericht über die Entstehung und den bisherigen Vcr- lauf des Konfliktes. Er ging auf die letzten zentralen Tarifverhandlungen der Buchdrucker ein und betonte, die Ma- terie fei so kompliziert, daß sich selbst dieGelehrten" heute noch nicht einig darüber seien. Für die Arbeiter könne nur das maßgebend sein, was ihnen gedruckt im alten und neuen Heft des Tarifamtes vor Augen geführt worden fei: Das Tarifschiedsgericht hat den Standpunkt vertreten, daß unsere Forderung unberechtigt ist. Eine an das T a r i f a m t gerichtete Beschwerde ist von diesem abgelehnt worden, während dasselbe Tarifamt den Ber  -echnern die höhere Teuerungszulage auf Grund des Tarifes zusprach. Um zu unserem Recht zu gelangen, haben wir der Firma Masse eine LohnforderungvonwöchentlichLOM. unterbreitet. Der Firma ist vom Arbeiterrat der Vorschlag ge- macht worden, ein unparteiisches Schiedsgericht dar­über beraten und urteilen zu lassen. Dies ist abgelehnt worden und daraus macht man uns den Borwurf, daß wir gegen die Tarifgemeinfchaft Sturm laufen. Von uns ist dies nicht geschehen, nur gegen die Auswüchse der- selben wenden wir uns. Eine andere Frage ist die. ob wir uns der richtigen Mittel bedient haben. Die Firma hat uns dieserhalb wegen Tarifbruch verklagt und zwar nicht das erstemal. Fest steht, daß bei unserer Firma noch nichts ohne einen sanften Druck erreicht wurde. Wie schon so oft, ist auch diesmal derselbe Weg beschritten und e i n Ultimatum gestellt worden. Es ist unwahr, wenn behauptet wird, wir hätten innerhalb drei Stunden die Er­füllung unserer Forderung verlangt. In diesem Zeitpunkt solste über diese verhandelt werden. Der Redner ging dann noch auf einen durch die bürgerlichen Blätter gegangenen Waschzettel ein. dessen Inhalt er als Lüge und Heuchelei bezeichnete. Das ganze Vor- gehen sei der erste Schritt der Scharfmacher im graphischen Ge- werbe, die Arbeiter niederzuknütteln. Es lei das Signal zum Kampf gegen den Acht- stundentag für denLohnabbau. Dieser Schlag müsse pariert werden. Der mit starkem Beifall aufgenommene Bericht wurde von verschiedenen Seiten wirkungsvoll ergänzt. Einen Sturm der Entrüstung rief die Mitteilung hervor, daß bei den internen Beratungen im Tarifschiedsgericht ein Vertreter der Unter- nehmer. das Betriebsratsmitglied einer großen Zeitungs- druckerei alsL a u s e f u n g e n" bezeichnete. Die anwesenden Organisationsvertreter erklärten, daß sich das Ausmaß des Konfliktes noch nicht übersehen lasse und die Organisationen dazu Stellung nehmen würden. Die Firma Masse habe sich aber an die Kreisvertreter wenden müssen. Das habe sie nicht getan und dadurch ganz wesentlich zur Verschär- fung des Konfliktes beigetragen. Vertreter anderer Druckereien bekundeten ihre Sympathie für die 'Ausgesperrten und erklärten, eine geschlossene Front gegen das Unternehmertum zu bilden. Die ideelle und ma- terielle Unterstützung wurde den Ausgesperrten in vollem Maße zugesichert. Die Stimmung der Versammlung kam in folgender ein« stimmig angenommenen Resolution zum Ausdruck: Die Betriebsversammlung der Firma Rudolf Masse billigt das Vorgehen ihrer gesetzlichen Vertretung. Sie verurteilt das brutale Vorgehender Firma, die nicht den Verhandlungsweg wählte, sondern die Arbeiter.
Ein neues SyphNls-heNmiilel? Wie aus Paris   gemeldet wird, hat Dr. Roux. der Leiter des Pasteurschen In. st i t u t s, der Akademie der Wissenschaften eine wichtige Entdeckung zur DeHandlung der Syphilis durch Muekeleinspritzun- gen von Wismuthsalz unterbreitet. Hundert Kranke sind damit bereits geheilt. Die Geschwüre vernarbten bei die'u: Be­handlung in einem Zeitraum von ein bis drei Wochen, und von der ersten Einspritzung an verschwanden die Syphiliserreger aus dem offenen Geschwür. Dr. Roux fügte hinzu, daß lange Beobachtungen notwendia seien, ehe behauptet werden könne, daß das Wismuthsalz die Fähig. keit besitze, syphiliskranke Personen zu heilen. von den Schimpansen in unserem Zoologischen Garten ist im Kosmos" allerlei Interessantes und Ergötzliches nacbzulesen. Be- sonders anschaulich ist aeschildert, wie Sultan  , der einzige Mann im Käfig, eine aufdringliche Schimpansin. die ihm einige Zeit vorher auch nicht hold gewesen war, ablaufen läßt. All ihr Müben um Sultans Gunst war umsonst. Sie zeigte sich von ihrerschönsten" Seite, machte endlose Verbeugungen, winkte und lockte, tippte ihn mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger in die Rippen. Sultan  guckt mit einer unbeschreiblichen Gleichgültigkeit in die linke untere Käfigecke und ein Weilchen nachher nach einem frommen Augen- aufschlag in die rechte obere, bis da» Schimpansenfräulein kehrt macht, laut die Klapptüre hinter sich zufallen läßt und im inneren Käfig verschwindet. Stilvoller, so meint der Verfasser, kann auch«in vollendeter Kavalier eine zudringliche Schöne nicht ablaufen lassen. Reinlichkeit. Wir können uns kaum eine Vorstellung machen, wie wenig früher selbst die Vornehmsten aus Reinlichkeit hielten. Ludwig XTV.. der Sonnenkönig, hat in seinem ganzen langen Freudenleben ein einzige» Mal auf ärztliches Anraten gebadet, und der ganze Versailler   Hof bebte und zitterte, wie der König dies Abenteuer bestehen würde. In einer französischen   Chronik heißt es auch gelegentlich von einer schönen Hosdome, daß sie beim Galadiner leider so schmutzige ljände gehabt hätte, daß von der Schönheit ihrer Handform niemand einen ergötzlichen Eindruck hatte, und gewissenhaft setzt der Chronist hinzu:Man sollte sich doch wenigstens täglich ein- mal die Hände übergießen und, wenn möglich, auch ebenso oft das Gesicht abspülen."_ TentscheS Tbeater. Heute gelangt zur Erswufflihrung:.Loui» Ferdinand, Vrtn» von Preußen', Drama in lüns Akten von F r I fc v. Unruh. Der Beginn der Vorstellung ist ouf 7 Uhr angesetzt. Die Regie sflkirt K u st a v Härtung,«ei der zur Handlung gehörigen de» zweiten AtleS gelangt eine Originalkomposttion des Prinzen Louis Ferdinand   zur Aufführung. MusenWSlührungen durch wissenschaftliche Beamte finden am nächsten Sonntag, den 23. 9'/, Uhr. Im Kaiser-Friedrich, Museum(älb- teilung Italienische Bildwerte), im Neuen Museum lAegyprische Ab- teilnng) und im Museum für Völlerkunde lAsrlkanische Ab- teilung) statt. Der Vitaler Professor Julius Kronberg   ist Montag in Stock- Holm im Alter von 71 Jahren gestorben. DaS alte Livländische RitterhanS in Riga  , gegenwärtig der Sitz der l-Usschen Konjtitnante, steht in Flamm,».
schuft fristlo s aufs Pflaster warf. Sie verurteilt serner die Haltung ihrer Organisationsvertreter im Tarif- schiedsgericht, die den beleidigenden Aeußerungen des Prin- zipalsvertreters nicht mit der gebotenen Schärfe entgegen- getreten sind. Sie gelobt, treu auszuhalten im Vertrauen auf die Solidarität der gesamten Arbeiterschaft." O Der Arbeiterrat der Firma Masse ersucht uns um Auf- nähme folgender Klarstellung: Die Behauptung des Vorsitzen­den des Arbeitgeberverbandes, daß bei der Firma Mojse keine Aussperrung erfolgt sei. entspricht nicht den Tat- fachen. Richtig ist, daß das gesamte technischePer- sonal am S o n n a b e nd n a chm itt a g gegen 1/24 Uhr fristlos entlassen und somit aus- gesperrt wurde._
Die folgen öer freien Wirtschaft.& Svzialdemokratische Interpellation. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat folgende Interpellation Müller-Franken u. Gen. eingebracht: Durch die Aufhebung der Zwangswirtschaft sind die Preise für alle Nahrungsmittel und Gegenstände des täglichen Gebrauchs maßlos in die höhe getrieben. Der Preis für das freie Getreide steht well über 4000 Hl. pro Tonne: der Kartoffelpreis ist um rund 100 Proz. höher als er im vorigen Jahre war und alle Anzeichen deuten darauf hin, daß der Preis für dieses wichttge Volksnahrungsmittel noch weiter steigt. Die Preise für R o h h ä u t e sind im Zeitraum weniger Wochen um 200 bis 400 Prcz. gestiegen, so daß damit zu rechnen ist, daß der Lederpreis in kurzer Zeit eine Rekordhöhe erreichen wird. Ebenso steht es mit den Preisen für i n l ä nd i s ch e Rohwolle. Löhne und Gehälter sind, angesichts der gewaltigen Teue- rung, völlig unzureichend erhöht. Die wirsschaftliche Lage der Invaliden-, Alters-, Unfall- und Kriegs- r e n t n e r hat sich bedeutend verschlechtert und die Kleinrentner sinken Immer tiefer ins Elend. Wir fragen daher: Was gedenkt die Reichsregierung zu tun, um die Preissteigerung der Waren deutscher   Herkunft und den offen betriebenen Wucher zu unterbinden? Die Aufhebung der Zwangswirtschaft, die das Kabinett Fehrenbach-Simons durchgeführt hat, rechnen sich die bürgerlichen Parteien als besonderes Verdienst an. Die von der Sozialdemokratie vorausgesagte Folge ungeheurer Preis- steigerungen ist in einem Maße eingetteten, das die pessi- mistischesten Voraussagen noch weit hinter sich läßt, Luüwig Wittelsbach gestorben. Auf seiner Besitzung in Sarvar in Westungarn ist der letzte Bayernkönig aus dem Leben geschieden. Als Prinz hatte er unter den.Reichsräten der Krone Bayern  " Aussehen als Liberaler gemacht und einer kleineren Wahlreform mit zum Erfolg verholfen. Er war schon recht alt. als er seinem Dater Luitpold   als Prinzregent  folgte, und viele dachten, nun würde ein preußenfeindlicher Kurs ein- setzen, denn der alte Herr trug noch von anno 06 eine preußische Kugel im Bein, und dann hatte er einmal im Fürstengesolge Wil- Helms auf einer Rußlandresse feierlich dagegen protestiert, daß Wil  - Helm von seinen B a s a 1 1 e n, statt von Bundesgenosse� gesprochen hatte. Aber als Landesregent war Ludwig schon die Kaisertreue selber, zumal ihm ja Wilhelm eifrig um den Bari   ging, nicht unter­ließ. von der Allnürnberger Tradttion seines Hauses zu reden und den Schneid der königlich bayerischen Armee zu preisen, in der ja aus Paritätsgründen die Landeskinder oft noch toller gezwiebelt wurden als im rauhen Norden. Im Krieg schlug sich Ludwig bald auf die Seite der Länder- schlucker, die Rheinmündung wollte er für Deutschland   haben und gegen Ende der Tragikomödie sogar einen elsaß-lothringischen Thron als Ausgleich für das hohenzollcrnsche Herzogtum Kurland... Bis dann der Swrm alles zerblies. Erst der jüngsten Münchener   Epoche blieb es vorbehalten, den wenig militärischen König wieder vor der Feldherrnhalle   Orgesch- paraden abnehmen zu lassen. Daß er übrigens noch bei Lebzeiten des geisteskranken Otto, der im Forftenrieder Park dahindämmerte, sich zum König befördern ließ, ist ihm in Boyern verübelt worden, weil man finanzielle Ab- sichten dahinter vermutete. Ueberhaupt war Ludwig stark tauf- männisch veranlagt, und man sprach sogar von Zusammenhängen zwischen seiner Begeisterung für den Donau-Main-Kanal   und den fpmilienfidcikommissarsschen Forsten in Unterfranken  , deren Holz den billigen Wassertransport gut brauchen könnte. Das Kunstinteresse mancher früheren Wittelsbacher   hatte Ludwig nicht: fein Vieh in Leutstetten   interessierte ihn mehr. In München  ging er früher als schlichter alter Herr spazieren, und das muß man ja sagen: so ein schneidiger Operettenfürst wie gewisse seiner Kollegen der wilhelminischen Aera war er gewiß nicht.
Der erste Kappistenprozeß. v. Jagow uud v. Wangenheim als Angeklagte. LZ. Bor dem vereinigten 8. und 3. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig   beginnt am Donnerstag, den 27. d. M., der Prozeß gegen den Regierungspräsidenten a. D. Traugott o. Jagow und gegen den Borsttzenden des Reichslandbundes und der Pommerfchen Landwirtlchaftskammer Dr. phil. h. c. Freiherrn   o. Wangen- Heim-Klein-Spiegel wegen Beteiligung am Kapp-Pussch. Beide Angeklagte sind des Verbrechens des H o ch o e r r a t s<8 8t StGB.), und zwar als Mittäter, beschuldigt. Sie sollen im März 1320 gemeinschaftlich unter sich und im Berein mit dem General- landschaftsdirettor Dr. Kapp, dem General Lüttwitz und anderen es unternommen haben, die Verfassung des Deutschen Reiche» gewalt- sam zu ändern. Die Amncstieverordnung vom 4. August 1320 Ist für beide Angeklagte nicht zur Anwendung gekommen, weil sowohl v. Jagow wie Freiherr   v. Wangenheim als Führer des Kapp-Unternehmens betrachtet werden. Die Anklageschrift, die 160 Seiten umfaßt, geht sehr aus- führlich auf die Entstehungsgeschichte des Militärputsches ein, dessen Anfänge sie in der ' Bewegung unier den in Ostpreußen   stehenden Truppen erblickt, die zu der Zeit, als es sich um die U n t e r z e i ch n u n g d e s Friedensoertrages handelte, zur Rettung Danzigs   ein Bor. gehen gegen Polen   geplant hatten. Schondamals habe General- landschaftsdjrektor Dr. Kapp sich mit militärischen Stellen Ostpreußens   in Verbindung gefetzt, um sie für ein Unternehmen zu gewinnen, das nach der Behauptung der Beteiligten alsrein- nationale äußere Abwehr", nicht ober als innsrpolitische Aktion ge- dacht war. Eine weitere Entstehungsursache des Militärpussches er- blickt die Anklageschrist in den Bewegungen, die sich im Heer gegen- über der Forderung der Entente auf Auslieferung der.Kriegsver» brecher" und ferner zur Niederschlagung einer eventuellen Bol'chc- wistengefahr geltend gemacht hatten. Die stärkste Görung aber sei In militärischen Kreisen eingetteten, als die Herabsetzung der Heeres- Särke von den Alliierten verlangt wurde und viele Offiziers und Mannschaften sich von der Gefahr de« Brottvswerdens bedroht ge-
sehen hätten. Diese Bewegung habe sich am schärfsten bei den in Döberitz   liegenden Formationen der Brigade   Ehrhardt be, merkbar gemacht. Der Haftbefehl der Reichsregierung gegen Kapp, General Lüllwitz und Hauptmann Pabst habe diese Truppen dann zum vorzeiligen Losschlagen veranlaßt. Die Anklageschrift geht dann weiter auf die bekannten Vorgänge des 13. März 1320, auf die Flucht der Reichsregierung und die Konstituierung der Kapp-Regierung ein, in der Herr v. Jagow den Posten des I n ne n m i n i st e r s bekleidete, während Freiherr  v. Wangenheim, der in wirsschastlicher Hinsicht tätig war, von Kapp zum Landwirtsch aftsmin ister ausersehen war, ohne aber eine Ernennung je erhallen oder diesen Posten bekleidet zu haben.
Eine lmverftänöttche Maßnahme. An anderer Stelle des Blattes beschäftigen wir uns eingehend mit denAusschreitungen" im Streik der Gastwirtsanzestellten. Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß auch die geringsten Mißgrisse von feiten der Streikenden, d>e niemandem wehe tun, von den Unternehmern fürchterlich aufgebauscht werden. Der Zweck der Uebung scheint nunmehr erreicht zu sein. Ab heute werden die Be- amten der Schupo in der Bannmeile mit Karabinern ausgerüstet werden,um die'' öffentliche Ordnung und Sicherheit unter allen Umständen durchführen zu können". Nach einer Korrespondenz sollen zu dieser Maßnahme Borgänge vor dem RestaurantTraube" in ver Leipziger Straße geführt haben. Vom Polizeipräsidium wurde uns bestätigt, daß tatsächlich die Beamten in der Bannmeile mit Karabinern ausgerüstet werden,um die Ruhe und Ordnung sicher- zustellen". Aus die Frage, wodurch die Ruhe und Ordnung gestört würde, konnte uns keine Auskunft gegeben werden. Die ausdrück» liche Frage, ob Ausschreitungen der Gastwirtsangestellten die Ur- fache dazu sind, wurde nicht verneint. Wir gestehen, daß uns das Vorgehen der Schupo sehr überrascht und richten an die maßgeb- lichen Stellen das dringende Verlangen, unverzüglich diese provokatorische Maßnahme aufzuheben, zu der absolut gar keine Veranlassung vorliegt, selbst wenn alle dieAus- schreitungen" vorgekommen sein sollten. Zu welch skandalösen Dorkommnissen diese Maßnahme der offenbar immer arbeiterfeindlicher werdenden Leitung der Schupo führen kann, zeigt ein Borfall, der sich nach der Bekanntgabe der Bewaffnung der Schupo mit Karabinern abspielte. Die Stteikenden der FirmaTraube", ca. 200 Personen(1), hatten sich zu allem Uebersluß zu einer Demonstration vor dem Lokal, das in der Bann» meile liegt, versammelt. Sofort traf aus Lastautos die Schupo in Stärke von ca. 100 bis 150 Mann ein und ging mit gefälltem Bajonett und entsichertem Revolver gegen die De» monstranten und das Publikum vor. Dabei wurden am Boden liegende Frauen ebenso wie Männer in brutalster Weise gepackt und auf die Lastautos geladen. Die Mauerstraße wurde gesperrt. Auf eine Anfrage im Polizeipräsidium wegen dieses Borsolles er- hielten wir bis Redaktionsschluß leider keine Auskunft, woraus man wohl den Schluß ziehen darf, daß hier einiges nicht in Ordnung ist. Was soll nun eigentlich diesesschneidige" Auftteten der Schupo, das bei allen Wirtschaftskämpfen der Aroeiter in der letzten Zeit fast täglich beobachtet werden konnte? Ist sich das Kommando der Schutzpolizei   immer noch nicht klar darüber, daß es seinen Unter- gebenen höchst zuwider ist, bei jeder, auch der kleinsten Gelegenhell als Kampf truppe auftreten zu müssen? Oft genug haben sich Be- amte über diese Art ihrer Verwendung bei uns beklagt und die durchaus glaubwürdige Versicherung abgegeben, daß einige ruhige Polizisten, die das Publikum und besonders die Stimmung Strei- kender und hungernder Arbeiter kennen, viel eher in der Lage sind, irgendwelche Zwischenfälle ohne Aufregung zu erledigen als eine von einem tatendurstigen Leutnant geleitete Abteilung.
Angriffe auf Drianö. Paris  . 18. Oktober(MTB.) Die außerordentliche Session der Kammer ist heute nachmittag eröffnet worden. Briand   erklärte, es sei gut, die Interpellationen über die allgemeine und über die auswärtige Polllik der Regierung miteinander zu verbinden. Die Regierung stehe sofort zur Verfügung des Parlaments. Als erster Intcrpellationsredner bedauerte der Radikals M a r g a i n e, daß Deutschland   einen beträchtlichen indu- striellen Einfluß im Industriebezirt von Oberschlcsien behalten solle. Er drückte sodann seine Befriedigung darüber aus, daß Briand   selbst Frankreich   in Washington   vertreten werde. Der Sozialist M o u t e t interpellierte über die Maßnahmen zur Hilfe für die Hungernden in Rußland  . In einer Zwischenbemerkung erklärte Briand  . die französische   Regierung und die anderen teilnehmenden Staaten im internationalen Hilfsausschuß hätten keine Hintergedanken und nur das Ziel im Auge, den Hungernden Hilfe zu bringen. Das fei eine menschliche Pflicht. Das Komitee habe aber die elementare Pflicht Sehabt, sich zu sichern, daß die Hilfeleistung tassächlich ihren weck erreiche und daß die Züge mit Nahrungsmitteln nicht ge- plündert würden. Abg. M o u t e t forderte die Regierung auf. sich den Grundsätzen Nansens anzuschließen. Jetzt sei es noch Zeit, Rußland   zu helfen. Ms dritter Interpellat!onsredn.cr ttat der Royalsst Daudet   auf. Die Aufhebung der wirsschaftlichen Sanktto- neu In Deutschland   sei fünf Wochen nach der Ermordung des Kom- Mandanten Montalegre   erfolgt. Die Regierung habe'Deutschland  gegenüber eine klar bestimmte Politik zu versolgen, die zum Aus- druck komme durch das Abkommen von Wiesbaden.  (In diesem Augenblick unterbrach jemand von der Tribüne Daudet   mit dem Zwischenruf:Nieder mit dem Komödianten Daudet  !" Der Ruhe- störer wurde entfernt.) Daudet   fuhr fort, es scheine, daß die sran- zöstsche Regierung die Geschichte verkenne und wieder die Haltung des Besiegten annehme, die vor dem Abschluß des Friedens von Versailles   hätte gebilligt werden können, aber jetzt nicht mehr zulässig sei. Er wundere sich, daß der Mörder Montalegre« nur zu ö Jahren Ge- fängnis verurteilt worden sei. Die französische   Regierung habe ihre Pflicht nicht getan. Alle» das sei geschehen auf einem Gebiet, das der interalliierten Rechtsprechung unterworfen sei. Briand  fragt Daudet  , was er getan hätte. Daudet   erwiderte Imrauf, die Regierung habe nicht ihre Pflicht getan, weil sie wenige Wochen nach dem Attentat die wirsschaftlichen Sanktionen aufgehoben habe. Die nachfolgenden Regierungen würden einen Krieg führen müssen. Briand   protestiert, aber Daudet   wirft ihm vor, daß er Frankreich  den Rat gegeben habe, sich die Ohren mit Baumwolle zu oerstopfen, um nicht diejenigen zu hören, die schon 1913 und 1314 auf die deutsche  Gefahr aufmerksam gemacht hätten. Jetzt müsse man Deutschland  wahrhaft die Hand an den Kragen legen. Die deutschen   Einnahmen müßten internationalisiert werden. Die deutschen   Industriemagnaten mühten bezahlen.(Beifall rechts.) Abg. P e y r o u x wendet sich gegen die in der oberschlesischen Frage befolgte Methode. Die Berzlchttcislunzen Frankreichs   gegenüber Lloyd George  müßten endlich aufhören. Briand   unterbricht und erklärt, wenn die Kammer eine Politik der Gewalimaßnahmen gegen Deutschland  wünsche, die aber zu einer Isolierung Frankreichs   von den übrigen Alliierten führen würde, möge sie es klar aussprechen, und alle Konsequenzen daraus ziehen.Ich bin entschlossen, eine gewisse Reise(nach Washington  . Red.) nicht anzutreten, wenn die Kammer nicht mit großer Mehrheit meiner Friedenspolitik ein Vertrauens- ootum schenkt. Wenn eine große Mehrheit zeigte, daß sie im Wider- spruch zu mir steht, so würde Ich es a n d e r en überlassen, die Politik durchzuführen, die die Kammer wünscht."(Beifall links.) Peyroux schließt mit den Worten, daß die Allianz mit England zwar wert- voll sein möge, daß man aber auf sie verzichten müsse, wenn die Bande, die Frankreich   und England miteinander verknüpfen, Frankreich   erwürgen würden. Die Debatte wird morgen fort» gesetzt.