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1. Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Nr. 284. Donnerstag, den 6. Dezember 1894. 11. Jabrg. V�vlAtnenkslrevichke. Deutscher Reichstag . 1. Sitzung vom 5. Dezember 1894, 41/* Uhr. Am Bundesrathstisch: Fürst H o h e n l o h e, v. Böt ticher, v. Marschall, Miquel, v. Berlepsch, v. Hammer- stein, S ch ö n st e d t. Das Haus ist sehr stark besetzt. Der Präsident der vorigen Session, Abg. v. Levetzow, eröffnet die Sitzung mit folgenden Worten: M. H.! Nach tz 1 unserer Geschäftsordnung liegt es mir als dem bisherigen �Präsidenten ob, die erste Sitzung des Reichstages zu eröffnen, was ich hiermit thue. Es würde, wie ich glaube, Ihren Geiühlen und den meinigen nicht entsprochen haben, wenn wir aus diesem Hause, das den Reichstag lange Zeil beherbergte, ohne Abschied scheiden wollten.(Lebhafte Zustimmung). Des­halb, und weil in dem neuen Reichstagsgebäude die Zurüstungen für die heutige Einweihungsfeier noch zu beseitigen sind, habeich mir erlaubt, Sie hierher einzuladen.(Beifall.) Zu provisorischen Schrntsührern ernennt der Präsident die Abgg. Melbach , Krebs, Kropatscheck und Pieschel. Schriftführer Kropatscheck verliest das Berzeichniß der seit der letzten Reichslagssession neugewähllen Abgeordneten. An Vorlagen sind eingegangen: der Reichs- Haushaltsetat für 1895/98 nebst Anleihegcsetz, der Etat für die Schutzgebiete pro 1895/96. der Bericht der Reichs> Schuldenverwaltung und mehrere Rechnungsvorlagen und Uebersichten. Die Verloosung der Mitglieder in die Abtheilungen wird nach bisheriger Gepflogenheit dem Bureau übertragen. Es folgt der Namensaufruf. Derselbe ergiebt die Anwesenheit von 333 Mitgliedern; das Haus ist somit beschlußfähig. Eingegangen sind zwei schleunige Anträge Auer und Ge- noffen aus Einstellung der schwebenden Strafversahren gegen die Abgg. Schippe! und Herbert- Stettin und ein dringlicher Antrag des Abg. Köhler und Genossen auf Einstellung des Strafverfahrens gegen den Abg. Hirsche!. Der Präsident schlägt vor, die nächste Sitzung morgen, 1 Uhr, im neuen Reichstags- Gebäude abzuhalten und auf die Tagesordnung zu setzen: Wahl der Präsidenten und der Schrift- führer und die Berathung der schleunigen Anträge, und fährt dann fort: Meine Herren! Es schlägt nun die Stunde der Trennung von diesem Hause, welches den Reichstag 23 Jahre lang be- berbergt hat. Mit vielem Geschick und großem Fleiß wurde im Jahre 1871 dieses Haus zum provisorischen Gebrauch für den Reichstag eingerichtet. Nacbdem der Plan, ein des erstandenen Reiches würdiges Reichstags- Gebäude zu errichten, schon gefaßt und die Milte! dazu aus der französischen Kriegsentschädigung reservirt waren.' Am 16. Oktober 1871-hat der Reichstag unter dem Prä- fidium des Dr. Simson hier seine erste Sitzung abgehalten. 21 von seinen damaligen Mitgliedern gehören noch heute dem Reichs- tage an, manche von ihnen allerdings nicht ununterbrochen. Jene 21 Mitglieder sind die Abgg. Bebel, v. Benda, Dr. von Bennigsen, Dr. Bock-Aachen. Dr. Böhme, v. Gerlach, v. Grand-Ry, Dr. Hammacher, Dr. Frhr. v. Heereman, Dr. v. Kalkstein, v. Kardorff, v. Kehler, Lender, Dr. Lieber- Montabaur, Dr. Lingens, Dr. v. Marquardsen, Richter, Dr. Rudolphi, v. Stein, Freiherr v. Stumm-Halberg und Uhden. Gar viele, meine Herren, von den Männern, welche an jenem Tage aus diesen Bänken saßen, sind inzwischen zu ihren Vätern heim- gegange«, und wie oft haben wir nicht traurig von unseren Sitzen uns erhoben, um das Andenken Heimgegangener Kollegen zu ehren. Als der Reichstag dieses Haus bezog, war die auf die Begründung des Reiches bezügliche Gesetzgebung der Hauptsache nach abgeschloffen, aber der legislative Ausbau des Reiches voll- zog sich hier. Ich erinnere nur an die Justizgesetze, die sozialen Gesetze, die Gesetze, welche die Stärkung der Wehrkraft und der Reichsfinanzen, die Handels- und Wirlhschastspolitik, die kolonialen Bestrebungen, die Verfassung und Verwaltung der Reichslande zum Gegenstande haben. Wie überall, so haben auch in diesem Hause gute und böse Tage gewechselt. Oft war der Redekampf hart, die Meinangsverschiedenheilen groß, die Sitzung erregt, die Arbeit schwer. Aber auch manche liebe Bekanntschaft ist hier geschloffen, manche Freundschaft begründet, manche Ueber- einstimmung der Meinungen mit Freuden konstntirt worden, und stets hat über uns die Fahne des Reiches, zu der wir halten, ge- weht.(Beifall.) Heimisch fühlten wir uns in diesen, Hause und die Erinnerung an die hier verbrachten Tage und Stunden wird m uns lebendig bleiben. Scheiden thut immer weh, und des- wegen werden wir auch nicht ohne eine Anwandlung der Weh- muth heute unseren Auszug halten. Begleiten möge uns das Borhaben, daß wir alle überall dem Vaterlande dienen wollen. (Beifall.) Meine Herren! Im Begriff, diesen Platz für immer zu verlassen, empfinde ich es besonders lebhast, was ich nie ver- gaß und nie vergessen werde, daß während der langen Dauer meiner Amtsführung der Reichstag in keinem Augenblick sein Wohlwollen, seine Unterstützung, seine Nachsicht mir vorenthalten hat. Der Ausdruck herzlichen Dankes dafür sei mein letztes Wort von diesem Platze. Hiermit schließe ich die Sitzung und das HauS. Außerhalb der Sitzung und außerhalb des stenographi - schen Protokolls, was die Herren Stenographen bemerken wollen (Heiterkeit), schlage ich den Herren vor, heute gegen 9 Uhr in dem neuen Reichslags-Gebäude, und zwar in dem Speisesaal, zu einer zwaugslosen geselligen Vereinigung zusammenzukommen. Sie werden bort wahrnehmen, daß Landsleute auf beiden Hemi- sphären ihrer Theilnahme an der Feier der Einweihung des Reichstags- Gebäudes einen thatsächlichen Ausdruck gegeben habe».(Heiterkeil). Wie ich schon bemerkte, ist die Sitzung ge- schlössen. Schluß 5'/« Uhr. Der Prozeß des Dr. Hans HInm gegen denDorniärts". Vor dem hiesigen Schössengmchte stand deute Termin an in der Beleidigungsklage des Rechtsanwalts Dr. Hans Blum in Leipzig gegen den verantwortlichen Redakteur desVorwärts", Herrn Hugo P ö tz s ch. Am 1. Juni fand in Plauen eine Reichstags-Stichwahl statt, aus welcher der sozialdemokratische Kandidat Albin Gerisch als Sieger hervorging. Am 31. Mai brachte der in Plauen erscheinendeVoigtländische An- zeiger" einen Artikel, in welchem es hieß:In dem Prozeß gegen Boulanger(der vom 8. 15. August 1889 in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt wurde) sei festgestellt worden und zwar unleugbar, sowohl nacb den Ausführungen der Anklage, wie auch nach denen der Vertheidiguug, nach den überein- stimmenden Berichten der Presse, wie nach den zahlreichen Streitschriften für und gegen Boulanger. daß ein sehr namhafter Theil der französischen Staatsgelder. deren Unterschlagung dem französischen Kriegsminister beigemessen war, als wirklich ausgegeben belegt worden ist. Diese Gelder seien an deutsche Sozialdemokraten ausgegeben worden zu dem Zwecke, damit diese im Rücken der deutschen Heere, wenn letztere in den von Boulanger angezettelten Krieg gegen Frankreich zögen, eine Revolution entzünden sollten, um die deutschen Wehr- kräfte zwischen zwei Feuer zu bringen, das des Feindes vor der Front und des vaterlandslosen Gesindels im Hinterhalte. Natür- lich wären uns die Namen dieser Schurken nicht enthüllt worden. Der französische Gerichtshof habe die Namen derjenigen, welche aus den Quittungen prangen, sorgfältig geheim gehalten wahr- scheinlich, damit sich Frankreich dieser Schurken i» künftigen Fällen abermals bedienen könne. Sollten diese Vaterlandsverräther, für welche Tausende von Franken aus dem französischen Staats- schätze gezahlt worden seien, völlig unbekannte Leute innerhalb der sozialdemokratischen Partei Deutschlands sein? Kaum glaub- lich!! Auer und Liebknecht waren zufällig in Plauen und ließen sofort ein Flugblatt erscheinen unter dem Titel:Ein Bubenstück", in welchem sie den Arlikel alsLügenmachwerk", Bubenstück" bezeichneten und den Verfasser alsfeigen, elenden Ehrabschneider" brandmarkten. DerVoigtländische Anzeiger" erklärte, daß er seine Angaben einem bereits 1391 erschienenen Buche von Blum,Die Lügen der Sozialdemokratie", entnommen habe. Gleich darauf erschien ein von Blum unterzeichnetes Flugblatt, ebenfalls unter dem Titel:Ein Bubenstück". Darin bemerkte Blum, daß die von ihm behaupteten Thatsachen in dem Boulanger-Prozeß von dem Gerichtshofe für vollständig erwiesen erachtet worden seien,wie der in seinem Besitz befindliche steno- graphische Bericht jenes Prozesses beweise".Die Herren Auer und Liebknecht besäßen gewiß ein ebenso großes hochpatriotisches Interesse daran, als auch reiche Mittel dafür, die Namen der Genossin festzustellen, welche jenes französische Geld zu diesen landesverrätherischen Zwecken genommen haben."Sie würden sich durch diese Enthüllungen zum ersten Male den Dank Deutsch- lands erwerben." Das Arbeiter-Wahlkomitee Plauen ant- wortete in einem Flugblatt, in welchem Dr. Blum als ein Verleumder, als feiger, elender Ehrabschneider k. bezeichnet wurde. Dieses Flugblatt wurde in Nr. 131 desVorwärts" vom 9. Juni d. I. abgedruckt. Hierdurch wurde Dr. Blum veranlaßt, sowohl gegen die Mitglieder des Arbeiter-Wahlkomitees, als auch gegen den Redakteur desVorwärts", Herrn P ö tz s ch, Beleidigungs- klage anzustrengen. Im heutigen Termin ist nur der Angekl. P ö tz s ch, welcher durch Herrn R.-A. He i n e verlheidigt wird, persönlich anwesend. Der Kläger R.-A. Dr. Blum ist nicht erschienen, sondern wird durch den R.-A. Sauer vertreten. Den Vorsitz des Gerichts- Hofes führt Amtsrichter Kuttner. Der Vertreter des Klägers erklärt, daß Dr. Hans Blum das mit seinem Namen unterzeichnete Flugblatt zwar verfaßt, die Mittheilung aber nicht zum Zwecke der Veröffentlichung in einem Flugblatte, sondern nur zum Zwecke der Orientirung seiner Freunde gemacht habe. Der Angeklagte giebt zu, daß die in dem Artikel desVor- wärts" enthaltenen scharfen Ausdrücke auf Hans Blum ge- münzt seien. Rechtsanwalt Sauer beantragt die Verurtheilung des An- geklagten zu einer G e f ä n g n i ß st r a f e, da es bekannt sei, daß die Redakteure sozialdemokratischer Zeitungen etwaige Geld- strafen nicht aus eigener, sondern aus der Parteikasse bezahlen. Der Privatkläger beantrage serner die Zuerkennung einer Buße von 1990 Mark. Derselbe habe diesen Antrag damit begründet, daß er Rechtsanwalt sei und durch solche schwere Beleidigungen auch in seinem Berufe geschädigt werde, daß er ferner im öffent- lichen Leben stehe und vielfach in Vereinen u. f. w. Vorträge halte. Auch da erleide er durch solche Beleidigungen pekuniären Schaden. R.-A. Heine schickt seinem Plaidoyer voraus, daß ein Theil der inkriminirten Ausdrücke berechtigt erscheinen müsse, da für gewiss« Dinge die deutsche Sprache andere Ausdrücke nicht besitze. Für eine wider besseres Wissen in die Welt geschleuderte Hn- wahrheit gebe es eben in der deutschen Sprache keinen anderen Ausdruck alsLüge". Dazu komme, daß der Angeklagte die berechtigtsten Interessen vertrat, als er Herrn Blum zu Leibe ging. Es ist, fährt er fort, eine ganz ungeheuerliche Beschuldigung, die Hans Blum gegen die deutsche Sozialdemokratie geschleudert hat, und in einem solchen Fall hat jeder anständige Schriftsteller oder Politiker die Pflicht, wenigstens die moralische, das zu beweisen, was er sagt. Herr Blum hat aber niemals auch nur den Ver- such zu einem solchen Beweise gemacht. Als ich ihn bei Gelegen- heit früherer Prozesse in derselben Angelegenheit einmal auf die Ungeheuerlichkeit seiner Beschuldigungen aufmerksam machte, zog er sich zurück und meinte, er wolle za gar nicht behaupten, daß das, was er in seinem Buch über die Bestechung deutscher Sozialdemokraten durch Boulanger sage, objektiv wahr sei, er habe nur konstatirt, daß dies im Boulanger-Prozeß als erwiesen angenommen worden sei. Und aufmerksam gemacht auf eine Stelle seines Buches, an der es heißt, daß es zweifellos sei,daß der französische Kriegs- minister dieses schmachvolle Abkommen nicht getroffen haben könne mit völlig unbekannten Schulzen, Müllern und Meyern, sondern nur mit Leuten, welche innerhalb der sozialistischen Partei Teutschlands sich eines bestimmenden Einflusses erfreuten", erklärte er, das sei ja nur eineV e r m u t h n» g". Trotzdem. daß ihm im damaligen Prozesse doch klar werden mußte, daß man solcheVermuthnngen" ohne irgend welchen Anhalt nicht in die Welt fetzen darf, wiederholte er sie in der zweiten Auf- läge seines Buches und in wenig veränderter Form in dem Brief an feine Freunde in Plauen . Nun sollte Herrn Blum diesmal Gelegenheit gegeben werden, seine für jeden Sozial- demokrate», also auch für den Angeklagten, im höchsten Maße beleidigenden Behauptungen zu beweisen. Er ist gebeten worden, persönlich zur Verhandlung zu kommen. Er wollte nicht. Er wurde gebeten, die nach seiner Aussage in seinem Besitz befind- lichen stenographischen Protokolle aus jenem Boulanger-Prozesse an Gerichlsstelle niederzulegen. Herr Blum hat erklärt, er könne diese Papiere nicht aus den Händen gebe». Es ist ihm nahe- gelegt worden, seine Beweisstücke persönlich vorzulegen. Er ist aber nicht gekommen. Warum nicht? Weil sich die Behauptungen nicht beweisen lassen, weil es wider besseres Wissen vorgebrachte Unwahrheiten sind. Herr Blum hat an der betreffenden Stelle seines Buches(S. 305) eine Reihe von offiziellen Berichten und sonstige Literatur über den Boulanger-Prozeß angeführt, aus welchen Veröffentlichungen er seine beleidigenden Angaben geschöpft haben will. Ich habe mir das Wesentlichste dieser in Blum's Werk zitirten Literatur verschafft, da Herr Blum ja die in seinen Händen befindlichen Originale nicht vorlegen wollte, und ich kann nach sorgfältiger Prüfung erklären: In jenen Büchern, aus die sich Blum beruft, steht von der ganzen Geschichte kern Wort! Herr Blum be- hauptet zum Beispiel, selbst die Vertheidiger hätten in jenem Prozeß zugeben müssen, daß französische Beftechungsgelder an die deutsche Sozialdemokratie durch Boulanger gezahlt worden wären; in jenem Prozeß sind Vertheidiger aber überhaupt gar nicht aufgetreten. Ist dies nicht eine Unwahrheit wider besseres Wissen? Ja, hätte er sich nicht ausdrücklich aus die offiziellen französischen Berich- berufen! Er beruft sich aber darauf und berichtet somit falsch. Entweder er hat gewußt, daß das. was er sagt, nicht in der von ihm zitirten Literatur stehl: dann hat er das gethan, was man im Deutschen lügen" nennt. Oder er hat die Literatur, die er zitirt, nicht gelesen und sie in der Fußnote nur dazu gesetzt, um den Schein zu erwecken, als ob er sehr sorgfältig vorgegangen sei und die Beweise für seine Behauptungen aus jenem Werke geschöpft habe. Auch in diesem Falle würde eine literarische Unehrlichkeit schlimmster Sorte vorliegen. Dabei möge es dahingestellt bleiben, ob Herr Blum die ganze Beschuldigung gegen die Sozialdemo- kratie frei erfunden oder ob er sie aus wer weiß welcher Quelle geschöpft hat. Der Vorwurf der bewußten Unwahrheit bleibt nach dem, was die von ihm zitirte Literatur ergeben hat, auf ihm sitzen. Vor einigen Jahren in Halberstadt konnte man noch zu seinen Gunsten annehmen, daß er blos grob fahrlässig eine unsinnige Nachricht verbreitet habe, ohne Erkundigungen einzuziehen; jetzt aber ist er dabei ertappt, daß er falsch zitirt. Gegen ein solches Verfahren ist kein Wort der Kritik scharf genug, und der Älus- druckschamlose Agitation" ist noch milde. Dasselbe gilt von den meisten übrigen Ausdrücken, die gebraucht worden sind. Man ist nicht verpflichtet, der Sprache Gewalt anzuthun, man hat das Recht, eine bewußte Unwahrheit eine Lüge zu nennen, und für den Begriff der Ehrabscheidung und Verleumdung giebt es auch keine anderen Wörter. Wenn das Verfahren des Herrn Blum feig genannt worden ist, so wäre es wirklich schwer, einen anderen Ausdruck dafür zu finden. Sollte der Gerichtshof aber noch irgend welche Bedenken haben, ob Herr Hans Blum wirklich wider besseres Wissen seine Behauptungen ausgestellt hat, dann bitte ich nochmals, ihn zur Verhandlung persönlich zu laden und ihm aufzugeben, sein Be- weismaterial vorzulegen. Da diese beleidigenden Behauptungen seinerzeit vollständig bcweislos in die Welt geschleudert wurden, mußte sich der Angeklagte in seiner Ehre auf's höchste beleidigt fühlen und deshalb ist der ArtikelSchamlose Agitation" in Nr. 134. desVorwärts" weder in seiner Tendenz noch in seinen Ausdrücken beleidigend. Aus allen diesen Erwägungen beantrage ich die Freisprechung des angeklagten Redakteurs Pötzsch. Was die von Herrn Hans Blum beanspruchte Buße von 1000 Mark betrifft, die er verlangt, weil er durch den Vorwärts- Artikel geschädigt worden sei, so ist allerdings zuzugeben, daß es ihn schädigen muß. wenn, wie jetzt hier vor aller Welt, be» wiesen wird, was es mit der Wahrheit seiner beleidigenden Behauptungen auf sich hat und wie seine eigenen Quellen ihn widerlegen. Nichts kann Herrn Dr. Blum aber mehr schädigen. als ihm seine Handlungsweise in den Augen jedes anständigen Menschen, welcher Partei er auch angehöre, bereits geschadet hat. Rechtsanwalt Heine legt darauf die von Blum zitirten Bücher auf dem Gerichtstische nieder. Der Angeklagte Pötzsch macht geltend, daß er berechtigte Interessen wahrgenommen und sich in seiner Eigenschaft als Sozialdemokrat von Dr. Blum persönlich beleidigt gehalten habe. R.-A. Dr. Sauer: Ich habe von dem Kläger nur die In- struktionen erhallen, die sich auf die hier in Frage stehenden Be- leidigungen beziehen und kann meinem Mandanten nur sorgfältig Bericht über die neuen Behauptungen und Angriffe des Gegners erstatten. Jedenfalls weise ich diese als unbegründet zurück. Durch das Urtheil wird der Angeklagte der formellen Beleidi- gung für schuldig erklärt und zu 100 Mark Geldstrafe ver- urlheilt, der Antrag auf Buße aber als der prinzipiellen Be- gründung wie auch"der Höhe nach ungerechtfertigt abgelehnt. Der Gerichtshof hat, wie der Vorsitzende hervorhebt, nicht- angenommen, daß i« dem heutigen Verfahren der Beweis voll geführt sei, daß Herr Dr. Hans Blum wissentlich eine Unwahrheit gesagt habe. Allerdings lei auch die Wahrheit der Blum'schen Be- Häuptlingen nicht erwiesen. Dagegen glaubr der Gerichtshof, daß der Angeklagte von der Unwahrheit der Behauptungen überzeugt gewesen ist und sich deswegen in begreiflicher Erregung befinden mußte. Die Behauptung, daß die Partei des Angeklagten Baler- lands-Verrath üben und im Kriegsfalle mit dem Feind des eigenen Volkes gemeinsame Sache habe machen wollen, müsse jeden Deutschen heftig erregen. Immerhin sei der Angeklagte über die zulässigen Grenzen der Abwehr hinaus- gegangen und müsse deshalb bestraft werden. Der Gerichtshof habe aber mit Rücksicht auf die schwere Reizung des Angeklagten und die Thatsache, daß Dr. Blum jene Behauptungen unmittelbar vor der Entscheidung in den Wahlkampf geworfen und dadurch den Wahlkampf, der vorher sachlich geführt worden sei, zu einem erbitterten und gehässigen gemacht habe, von einer Freiheilsstrafe Abstand ge- nommen. Aus den Urtheilsgründen ging nicht hervor, ob das Gericht die von Herrn Rechtsanwalt Heine überreichten Berichte über den Boulanger-Prozeß gelesen hatte. Da das wohl mehrere hundert Seiten sind und die Bcratbung nur 20 Minuten dauerte,»niß man annehmen, daß das Gericht zu seinem Spruche ohne Priisung dieses Beweismaterials gelangt ist. Oolrnles. Die Sprechstunde des RechtöanwattS Mittags von 12 bis 1 Uhr abgehalten. wird heut» Die Liste der boykottfreien Gastwirthe und Nestau» rateure wird der am Sonnabend erscheinenden Nummer bei- Vorwärts" wieder beigelegt werden. Veränderungen in der Liste müssen von den hierzu beauftragten Kontrolleuren bis spätestens Freitag Vormittag 10 Uhr in der Druckerei von Max Badina. Beuthstraße 2, Hof 3 Treppen, abgeliefert werden. Ueber das fatale nasse Jahr läßt sich der Geschäftsbericht der VereinsbrauereiRixdorf unter anderem folgender- maßen aus: Infolge der allgemeinen wirthschaftlichen Verhältnisse, des Boykotts und der schlechten Witterung des vergangenen Sominers hat sich der Bierabsatz wesentlich vermindert, andererseits hatten wir für Gerste und Hopfen eine Mehrausgabe von ca. 86 000 M., wozu dann noch dst Abschreibung auf unseren Hopfenbestand per ultimo September a. c. in Höhe von zirka 11 000 Mark ge- kommen ist. Alles dies hat zusammengewirkt, das Resultat des abgelaufenen Betriebsjahres als ein weniger erfreuliches er- scheinen zu lassen. Ter Reingewinn von 171 017 M. hat sich gegen das Vor- jähr um nicht weniger als t!i27S7M. verringert. Die Dividende beträgt für die Prioritätsaktien ö'/e pCt.(im Vorjahre 7»/2pCt.) und für die Stammaktien, die im Vorjahre 5'/» pCt. einbrachten. gar nur 31/» pCt. In ihrem Schmerz ist der Vereinsbrauerei aber ein süßer Trost geworden: sie ist durch Errichtung der neuen Aus- schanklokale in die Lage versetzt, die Generalversammlung hinfort auf ihrem eigenen Grundstück abzuhalten. Vielleicht hilft diese Annehiiilichkeit die Aktionäre über alle Boykollschmerzen hinweg. Wie der Boykott weiter gewirkt hat.Die Sozietäts- brauerei Waldschlößchen in Dresden hat durch den(inzwischen ausgehobenen) 6t/2 monatlichen sozialdemokratischen Boykott einen Ausfall von 17 �11 Hekiolitern im Bierverkaus erlitten. Der Absatz ist von 202 404 Hektolirern im Vorjahre auf 184 593Hekto- liter in 1893/94 zurückgegangen. Der Rohgewinn beträgt 396 192 M.(i. V. 622 585 M.); für Abschreibungen nach den seitherigen Prozentsätzen sind 222 471 M.(i. B. 291 159 M.) ab­zusetzen. wonach 177 339 M.(i. V. 334 152 M.) als Rein- gewinn verbleiben. Hiervon dienen 32 133 M.(i. V. 61 314 M.) zu Tantiemen. 144 000 M. als 10 pCl. Dividende(i. V. 18 pCt.)." So steht im Börsentheil bürgerlicher Blätter zu lesen. Auch die Echloßbrauerei Schöneberg muß sich