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®cn ausscheidenden Ministem spreche ich den Dank aus für ihre dem Lande geleisteten wertvollen Dienste. Ich habe nicht den Ehrgeiz, den drei feit der Staatsumwälzung hier vorgetragenen Regicrungsprogrammen ein viertes zuzugesellen. Denn die Situation, in der sich unser Land befindet, heischt nicht Worte, sondern Taten, hingebende Arbeit zum Wohle des Bolksganzen. Ich werde mich daher darauf beschränken, kurz die allgemeinen Richtlinien für ÖU Politik des neuen Kabinetts aufzuzeigen. Schwer lostet wirtschaftliche Not und Bedrückung auf unserem Volke. Die Faust des Siegers brückt mit unverminderter Wucht auf uns und hämmert uns immer wieder die Erkenntnis ein, dasj wir einen Krieg verloren haben, einen Krieg von einem Um. fange und von einer so vernichtenden Wirkung, wie ihn die Welt- gc-schichte noch nicht aufzuweisen hatte. Preußen wird am schwer- stcn getroffen von den Auswirkungen des Friedens, der den unseligen Krieg formell beendet». Ich sage formell, weil zahlreiche Mahnohmen unserer ehemaligen Kriegsgegner nicht nur nicht mit den Bestimmungen von Versailles  , sondern auch mik einem wahre« Iriedenszustande nicht in Einklang zu bringen sind. Noch immer seufzen rheinische Städte unter dem Druck der rechtswidrig verhängten militärischen Sanktionen, für deren Aufrechterhaltung jetzt vollends jeder Rechtsboden fehlt, nach? dem auch die Umstände, die zu ihrer Verhängung zum Anlaß ge- uommen wurden, längst fortgefallen sind. Den deutschen   Volksge- nassen links und rechts des Rheins, die unter dem Druck der Be- segung leiden, spreche ich die wärmste Sympathie der Staatsregierung aus, die erneut verspricht, ihnen nach Kräften beizustehen in ihrer schweren Bedrängnis.(Lebhafter Beifall.) Aon den Reichslanden ovgesehen, trifft der ganze Verlust an Land und Bolk allein Preußen. Hunderttausende gut deutscher  Männer und Frauen sind zum Teil unbefragt unter fremde Slaakshoheit gezwungen worden. Die Früchte jahrzehntelanger, ja zum Teil jahrhunderte- langer deutscher Kulturarbeit, wirtschaftliche Kräfte von hohem Wert, von großer Bedeutung vornehmlich für unsere Aolksernährung, sind unserem durch de« Krieg und seine Folgen verarmten Lande ver- Korengegangen. Der schwerste Schlag aber ist Preußen, besonders seiner Wirt- schaft versetzt worden durch die Entscheidung über Oberschlesie«. lieber 700 Jahre Ist Oberschlesien   deutsche» Land und verdankt seine hohe wirtschaftliche Blüte allein deutscher Intelligenz und deutscher Arbeit, lieber CO Proz. der Bevölkerung hatten sich für das Wer- bleiben be! Deutschland   atwgesprochen. Gleichwohl hat man eine Grenze diktiert, die da« industrielle Wirtschaftsgebiet willkürlich zer- reihl und fast 40 Proz. der oberschlesischen BeoZlkerung und über SO Proz. der industriellen Anlagen Polen   ausliefert. Ich hoff« und wünsche, daß es den deutschen   Vertretern bei den uns aufgezwungenen Verhandlungen mit Polen   gelingen wird, da» wirtschaftliche Ver- hältnis zu dem polnischen Staate so zu gestalten, daß katastrophale Folgen für die obxrschlesische, für die gesamt« deutsche Wtrischaft vorerst vermieden werden, und den Oberschlesier  », die au» unserem Staatsvcrbande auszuscheiden gezwungen sind, in ihren materiellen und kulturellen Rechten ausreichender Schutz gesichert wird. (Zustimmung.) Mit ihnen bleiben wir im Geiste verbunden! denn der Machtspruch de» Siegers kann wohl geographische Gebilde zerreißen und neue Grenzsteine setzen, die geistige und kulturelle Gemeinschaft eines Volkes kann er nicht zerreißen.(Lebh. Sehr wahr!) I Der ungerechte, mit den Friedensbestimmungen nicht im Ein- klang stehende Machtspruch führt auch zu den ärgsten Befürchtungen für unsere Staatsfinanzen. Roch ist keine Deckung für den l Fehlbetrag gefunden. Trotz aller Sparsamkeit, dt« auch weiter auf allen Gebieten der Verwaltung geübt werden soll, bringt doch jeder 'Tag neue Anforderungen, die, soweit flc unabweisbar stnd, befrie- digt werhen müssen. Soll es gelingen, den Staatshaushalt zu balancieren. dann muß die steuerlich« Lraft unsere» Volkes noch Neuer angespannt und vor allein der Besitz nach Maßgabe der von der Rcichsgeletz- gebung belassenen Lesieuerungsmögltchkeiten in»ollem Umfange seiner Leistungsfähigkeit heran-'ezogeiz werden.(Lachen bei den Kommunisten.) Ich oerstehe nicht, waren Sie gerade hiergegen protestieren! Größere Selbstttndigkeit der Finanzen des Staate« und der Ge- meinden können nur durch Erschließung eigener ausreichender Einnahmequellen erreicht werden; sie können aber nur ergiebig fein, wenn unsere Wirtschaft prosperiert. Deshalb wird die Staats- regierung all« Maßnahmen unterstützen, die geeignet sind, das Wirt- schaftslcven zu fördern und
dl« wirtschaftliche Kraft unsere» Volke» erstlos einer unsere Volkswirtschaft befruchtenden Auswertung zu- zuführen. Zur Hebung unserer landwirtschaftlichen Erzeu- gung wird die Regierung der Steigerung des Bodenertrages, der Vermehrung unserer Anbauflächen durch Urbarmachung von Moor- und Oedländercien und einer gesunden, umfassenden Siedlungs- tätigtest auch fernerhin ihr regstes Augenmerk zuwenden. Den schädlichen sozialen Begleiterscheinungen einer intensiven Wirtschaftstätigkeit muß durch Sicherung und Ausbau der sozialen Gesetzgebung entgegengewirkt werden. Auch müssen die Auswüchse de» krassesten Egoismus, wie sie in den wucherischen Preisireibertie« und den wilden, hemmungslosen Spekulationen auf dem Waren-, Effekten- und Devisenmarkt in die Erscheinung treten, mit allen Machtmitteln der Justiz und der Exekutive bekämpft und der Grundsatz zur Geltung gebracht werden, daß das Gemeinwohl über dem Bereicherungsflreben des einzelnen steht. Soll indes eine nachhaltige Besserung erzielt werden, dann muh dieser Grundsatz Gemeingut des ganzen Volkes werden, was nur zu ereichen ist, wenn er schon zur Grundlage der Jugend­erziehung in den Schulen gemacht wird. Das wird ganz be- sonders zu der dringend notwendigen Versöhnung der Volksschichten beitragen. Wenn dazu noch eine rückhaltlose, oewußte Erziehnug der Jugend zur Staatsgeslnnung hinzukommt, der Will« zum Staat, der allein die Kräfte des Aufbaues entbindet, dann wird auch der Geist der neuen Verfassung volles Eigentum der Jugend werden. Im übrigen soll die Um- und Ausgestaltung unseres Schul- wefen» lm Rahmen der Reichsverfassung fortgesetzt werden mit dem Ziele, alle intellektuellen Kräfte unseres Volkes zur vollen Eni- faltung und höchsten Ausbildung zu bringen und sie so dem Wohle des Volksganzen dienstbar zu machen. Eine unserer wichtigsten Aufgaben wird es fein, die Verfassung zu sichern, und zu festigen und in der Gesetzgebung de» Landes und in allen Zweigen feiner Verwaltung zur vollen Auswirkung zu bringen. Di« zur Verwirklichung diese, Zieles und zur Demokrattsie- rung der Verwaltung bestimmten Gesetze werden mit tun- ltchster Beschleunigung vorgelegt werden. Auch die Beamtenschaft muß sich der Pflicht bewußt sein, in ihrem Amte ebenso die Verfassung gegen jedermann mit allen Mitteln in Schutz zu nehmen und für die Autorität de» Frei- staates und der verfassungsmäßigen Regierung ewzu- treten. Auch außerhalb des Amtes muß sie. unbeschadet der Freiheit ihrer politischen Meinungsäußerung bei ihrem Berbalten stets der besonderen Pflichten eingedenk sein, die i h r gegenüber dem Staats und der Regierung obliegen. Neben dieser selbstverständlichen Ver- pflichtung muß Indes bei der Zulassung zu Staatsämtern die per- sönllche Eignung, sowie die fachliche Tüchtigkeit und Erfahrung der Anwärter in erster Linie maßgebend sein. Die neuzeitliche Regelung der Nechtsoerhällnlsse der Beamten wird durch Schaffung eines zeilgemäßen Diszlpssnargesetzes elnge- leitet werden. Für die Sicherung des demokrakischeu Selbstbestimmungsrechts des Volkes wird die Staot»r«ierung sich jederzeit einsetzen, indes kann sie Bestrebungen auf Aosplitterung einzelner Ge- bietsteile aus dem preußischen Stcatsgesüge nicht unterstützen, Denn nur durch ein ungeteiltes und ungefchwöchtes Preußen im Reiche kann die Reichseinheit gewahrt und in organischer Fortent, Wicklung der Weimarer Verfassung sen« Vereinheitlichung des Reiches und seiner Verwaltung angebahnt werden, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Verarmung unseres Landes unerläß- lich erscheint. Da Preuße» und da» Reich aufeinander angewiesen stnd. Preußen nicht ohne da» Reich und das Reich nicht ohne Preußen leben kann, ist ein gedeihliches Ausammenarbeiten der Regierungen dringendes Gebot. Die Regierung wird daher, unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte Preußens auf ein gutes Verhältnis zur Reichsregierung und ew reibungsloses ZufckMmsnarbestsn mit ihr stet» Bedacht nehmen. Das sind tm wesentlichen die Richtlinien der Regierungzpolitlk. wie ich sie im Benehmen mit den Mitgliedern bestimmt habe. Ei« stehen im Einklang mit den Vereinbarungen, die für die Zusammen- arbeit der Koalitionsparteien getroffen sind. Das treibende Motiv für die Schaffung der großen Koalition der vier Parteien, die da, neu« Kabinett stützen, war dos Bestreben, mehr Stetigkeit und Sicherheit in die preußisch« Politik zu bringen und der Staatsregierung die Möglichkeit zur planmäßigen, ersprießlichen Aufbauarbelt zu geben.
Bei der Eigenart unseres deutschen   Parteiwesens und bei den starken politischen und wirtschaftlichen Gegensätzen in unserem Volke ist es unendlich schwer, vier politische Partecen auf einer Regie- rungsplattform zu gemeinsamer Arbeit zu vereinen. Jede Partei muß dabei Opfer bringen, sich in ihren Ansprüchen bescheiden. Daß es gleichwohl gelungen ist, die Arbeitsgemeinschaft der vier Parteien in Preußen nach langen Bemühungen zu ererichen, ist ein Beweis dafür, daß innerhalb dieser Parteien aus der Erkenntnis der furcht- bar ernsten Situation unseres Volkes heraus der Wille gewachsen ist. zur Verhütung de» Schlimmsten eine Einheitsfront aller derer zu bilden, die auch in dem Chaos dieser Zeit den festen Glauben an den Wiederauf st leg unseres Volkes nicht verloren haben, und die daher ihre ganze Kraft einsetzen wollen, um unser Land und Volk vor dem Zusammenbruch zu bewahren und es in langsamer, aufopfernder und zäher Arbeit aus ven furchtbaren Nöten unserer Zeit einer besseren Zukunft entgegenzuführen. Die Aufgabe, die wir uns gestellt hauen, ist groß, ihre Lösung schwer. Unserer Verantwortung vor dem ganzen Volke bewußt, gehen wir mit festem Willen und zukunstssroher Hoffnung ans Wert, zu dem wir Sie um vertrauensvolle Mitarbeit bitten.(Beifall links und in der Mitte.). Es folgt die Besprechung der Erklärung: Abg. hauschlldt lSoz.): Wir billigen die Regierungserklärung.(Zuruf von den USP.: Auch dt« cllf) An ihrer Durchführung«rnslhast mitzuwirken sind wir bereit wie es überhaupt unser Will« ist, der Republik   und unserem Volke im Geiste unserer Weltanschauung und Staatsauf- fassung zu dienen. Um das so stark wie nur möglich tun zu kön- nen, nimmt meine Partei aua) an der Regierung teil. Allein oder mit anderen sozialistischen   Parteien zusammen die Regierung»- gewalt zu übernehmen, sind wir zurzeit leider nicht stark genug. Deshalb sind wir schon früher Koalitionen mit bürger- lichen Parteien eingegangen. Die Koalition ist nicht unser Ideal, sondern nur ein Gebot der Vernunft, Ginge es nach unserem Wunsch, wir würden die klein« koalision, erweitert durch dl« Unabhängige-, mit Freuden begrüßen. Aber stärker als un�er Wunch ist die Macht der realen Verhältnisse. (Sehr richtig b d. Soz.) Vor die Alternative gestellt, entweder mit der Volkspartei an der Regierung teilzunehmen oder die bür- gerllchen Parteien weiterhin allein regieren zu lassen, entfchie- den wir uns für da» erflere, nachdem ein Arbeiteprogramm ver- einbart war, dessen Tendenz dem Geiste unserer Görlitzer Koalitionsbedingungen entspraä).(Sehr richtig! b. d. Soz.) Es war von seh'.? unser Bestreben, zu verhindern, daß Preußen sich zu einem zweiten Bayern   entwickelt.(Sehr wahr! b. d, Soz.) Wir wollen nicht, daß d!« Hergt und Genossen Gelegenheit erhalten, von Preußen wle von Bayern   aus die deui- sche Republik nach ihrem Willen m die Zange zu nehmen. Wir haben vollauf genug an einem Bayern  . (Sehr richtig! b. d. Soz. Unruhe b. d. Komm.) Wir wollen nicht, daß an der weiteren Entwicklung der Dinge In Preußen, das drei Fünftel des ganzen Reiches umfaßt, die Helfferlch und Westarp hellste Freud« habcn. Darum sind wir an dle Regierungs- bildung mit dem Vorsatz herangetreten, wenn lrgendmöglich,»ine sozialistcnreine Regierung zu verhindern. Es schien uns im Volksintcrelse unbedingt geboten, so zu handeln. Wir hoffen, daß der Ministerpräsident auf der gekennzeichneten Bahn erfolgreich eine groß« Wegstrecke zurücklegen kann. Die» ist möglich, wenn jede der beteiligten Parteien Verständnis für die politischen Notwendigkeiten der Zeit bekundet.(Sehr richttgl) Es kommt nun darauf an, doß im Geiste der Regierungscmärung gebandelt wird. Wir erwarten, daß uns di« vom Herrn Minister- Präsidenten angekündigten Gesetze, insbesondere die Gesetze zur Demokratisierung der Verwaltung bald vorgelegt werden. Fruchtbringende Gesttz-»arbeit lm Valksinteress« ist notwendig. Des Volles Wohl, des Volkes Wille soll dabei ausschließlich der Leitstern unsere, Handeln« sein.(Vravo b. d. Soz.) Abg. Herold(Z.) gibll oft durch lärmende tommunlstifche Zu- ruf« unterbrochen, ein« Erklärung ab. in der er bedauert, daß nicht Etegerwnld an der Spitze de» erweiterten Koalttione- kabinclls steht. Dt» Koalition war aber nur zu erreichen, wenn wir von der Perlon des Herrn Stegerwald Abstand nahmen. (Hört! Hört! rechts.) Die Zusammensetzung des Ministeriums ent- spricht zwar nicht ganz unseren Wünschen, aber im Interesse der Koalition haben wir Konzessionen gemacht. Wir hoffen, daß die
5« M. Dostojewski. Zu seinem Ivo. Geburtstag. Wenn es auf der Welt ein Land gibt," schreibt einmal Dosts- jewski,das andern Ländern unbekannter und unerforschter, unver- stöndlichsr und unverstandener ist als sämtliche übrigen Länder, so ist es zweifellos Rußland   für feine westlichen Nachbarn. Ehina und Japan   liegen entfernter und find schwerer zugiingllch; Rußland da gegen ist für Europa   offen, die Russen zeigen sich den Europäern, wie sie sind, und doch ist der Charakter des Russen Im europäischen  Bewußtsein noch schwächer umrissen al» der de» Chinesen und des Japaners. Ruhland ist für Europa   ein Sphlnxrätsel: man weiß, daß dort Menschen wohnen, russische Menschen, aber wo» sind das für Menschen?"- Zweisellos keine so rätselhaften, so unerklärlichen, wie dieser beste Kenner der russischen Seele, wie Dostosewstt selbst, e» ist. Dostosewskis Leben wie feine Kunst fcheinen aus lauter Reak- tionen zu bestehen. Eine schwere, finstere Kindheit das entsetzliche Milieu derGebrüder Karomasow" enthält viele Züge der eigenen Jugend mochte ihn einsam, belesen, feinfühlig. Er fügt sich wi- derspruchslos dem Willen feines krankhaft strengen, bösartigen Va- ters, erduldet noch vier Jahre nach dessen Tod die aufreibende Mlli- tärdilziplin der Ingenieurschule und gibt erst«in Jahr nach deren Ab- soloierung.den Staatsdienst auf, um sich ganz der Literatur zu wid- nien. Fünfundzwanzigjährig, schreibt er, der Adlige, sein Erstlings- werk,Arme Leute  ", einen naturalistischen Roman, der ihn be- rühmt macht. Er schließt sich in sener Zeit, in der sogar zu denken verboten war, an«inen Kreis von Fourier-Anhängem und Atheisten an. um von europäischen   Fortschritten zu träumen, und schreibt In den nächsten drei Jahren eine Reihe von Romanen und Novellen naturalistischen Genres mit ziemlich farblosen Phantosiehclden, bereu Seelen Experimente über psychologische Einzelfälle sind. Typisch ist, bah hier schon die Annen die seelisch Reicheren sind, daß er schon Probleme anschneidet, die erst Wedekind   InFrühlings Erwachen  " aufzustellen wagt, und daß er den Satz von derKunst um ihrer selbst willen" predigt. Das Jahr!!M3, das Europa   eine Ahnung von Freiheit gab, ließ in Rußland   die Reaktion noch wachsamer werden. Der Kreis der Verschwörer" wurde entdeckt. Sie wurden vor Gericht gestellt, und die Roheit des Zaren ließ sie zum Tode verurteilen, um sie dann auf dem Richtplatz im Angesicht des Todes zum Zuchthaus zu begnadigen. Der 28jährige Dostojewski   wird nach Sibirien   verbannt. Er nahm das Schicksal mit demselben äußeren Gleichmut wie die früheren Unterdrückungen auf sich, über di« inneren Vorgänge aber berichten die Worte:Ich war nahe der Verzweiflung. Jene vier Jahre(im Zuchthaus) rechne ich-l» ein« Zeit, in der ich lebendig begraben war und in. einem geschlossenen Sarg lag." Dann kam der Strafdienst
in einem sibirischen Regiment, und erst zehn Lahre nach der Per- schickung wurde Dostojewski  die Gnade" zuteil, nach dem europät- schcn Ruhland zurückzukehren. Dieses dem Ich so fürchterliche Jahrzehnt formt« den Menschen und Künstler Dpstojewski. Da? Evangelium, die einzig« erlaubte Lektüre, und die Wirklichkeit, dle jeden Gedanken des Evangeliums ins Ungeheure steigerte, muhte das mitfühlende Herz Dostojewskis für immer denUnglücklichen" zuwenden. Dostojewski   wird das Gefühl eigen, daß auch derverworfenste" letzte Mensch doch Mensch und(sein) Bruder lst". Lächerlich erscheint ihm das Unterfangen derVolksbeglücker". wie er selbst früher einer fein wollte. Er schreibt:Nicht vieles können unsere Weisen das Volk lehren; um» gekehrt, sie selbst müßten bei ihm in die Lehre gehen." Diese Liebe zum Menschen ist die Grundlage von Dostojewskis Religiosität. Wie weit e« mit seinem so gern ausgemünztem Pan- flawismus her ist, zeigen die Sätze:Für uns Russen gibt es zwei Vaterlande: unser Rußland   und Europa  . Europa   ist«ine furcht- bare, heilige Angelegenheit. Einem Russen ist Europa   ebenso kost- bar wie Rußland  . Oh, sogar noch kostbarerl" Nur die Eurppa- Nachäfferei oerwarf er, aus der Erkenntnis, daß jedes Volk seinen eigenen Weg gehen müsse. Sein Monarchismus ist eine Reaktion auf den Nihilismus. Er glaubte, daß die Seele seines russischen Volle« die Selbswerantwortung und die autoritätslose Freiheit nicht ertragen könnte, und verlangte des- halb zuerst das Schaffen von Hemmungen gegen das Böse in der Seele eines jeden. Da der jung« Zar Zllexander II. gerade die Leib- eizenfchaft aufgehoben hatte, erwartete Dostojewski   gemäß seiner Natur. ,chie immer und in allem bis zur letzten Grenze ging", von ihm die Rettung. Die russischeIntelligenz" bezichtigte den Dichter deswegen des Verrats. Nachdem die nächste Gruppe der Romane. von demGutshof Stepantfchikowo" bis zu denMe. m 0 i r e n a u s d e m T 0 t e n h a u s e"(d. h. aus der sibirischen Ber- bannung) erschienen war. begann der Kampf zwischen Dostoscwski und der Intelligenz. Während er von sich selbst schreibt:Ich bin ein Literat-Proletarier, und wer meine Arbelt will, muß mir Leben»- Möglichkeit geben", während er in Einsamkeit, drückendster Armut eine Riesenwerke auf Bestellung wie ein Lkkordarbeiter schafft, richtet er Anklage aus Anklage gegen die revolutionäre, goldene Ju- gend. Diese Anklagen sind, wie er selbst schreibt, keine vorgefaßten Ideen. Seine Gedanken entstehen wahrend de« künstlerlschen Schaf« i fens als das Ergebnis de» Charakter» der geschilderten Person. Da»! ist das Rätsel Dostojewskis. Beim Beobachten und Zergliedern der anderen versetzte er sich mit genialer Intuition in ihre Seelen, so daß er als sie dachte, fühlte und empfand und keine Mögtichteit mehr hatte, sich selbst gesondert von Ihnen zu erfassen. So konnte dieser subjektivste Dichter der Welt vollständig objekttv«, für sich lebende Mensche» geben: nur so ist e« ihm möglich geworden, in seine»
größten Werken, wie demIdiot",S ch u l d und Sühne" und Gebrüder Karamasow  " eine eigene abgeschlossen« Welt zu erschaffen. Vor diesem künstlerischen Genius beugten sich seine Gegner; bei seinem Tode(1881) beugt« sich zuerst ganz Rußland   und dann Eu- rapa. Seine Menschen erleben in wenigen Minuten, was die ge- wöhnlichen Menschen in Ihrem ganzen Leben nicht erleben könne'». In alle Abgründe der menschlichen Seele leuchtet er hinein. Er kennt nichts so Grausizes, so Verworfenes, so Verbrecherische», das nicht in einer Brust mit dem Menschlichsten leben könnte, und um dessen willen er zu allen Menschen eiye grenzenlose, selbstaufopfernde Liebe fordert. Er weiß,durch Menschlichkeit kann man jeden ver- menschlichen. Selbst jene, in denen das Gottesantlitz schon längst oerdunkelt ist." Cr zeigt uns die Welt des Entsetzens und des Uiitec- gangs, aber er glaubt und verspricht ihre Erneuerung. Nicht ourch irgendeinen Gottmenschen, auf den man warten und hoffen soll, sondern durch uns selbst! Michael Eharol. 1 Dostosewskl ist der Prophet der russischen Revolution. Doch, wie das häufig mit Propheten geschieht, ihm selbst war der wahre Sinn seiner Prophezeiungen verborgen. Ein unversöhnlicher Widerspruch klafft zwischen der Suberen Schale und dem inneren Wesen Dosto- jewfkis. Von außen ist es die tote Schale zeitgebundenen Irrtums, von innen der lebendige Kern ewiger Wahrheit. D. Mereschkowsti.
Mesbach in Berlin  . Endlich weht mir der Zufall einmal den Miesbachcr Anzeiger" in die Hände. Aue Stößen von Zeitungen leuchtet mir der Titel entgegen. Ich freue mich auf die Lektüre des berühmten Blattes. Es mit Genuß zu lesen schnell noch eine Karte zweiter Klasse, dann hinein in die Untergrund. Ich bin nicht enttäuscht. Ein Bericht über das Leichenbegängnis des bayerischen Exkönigopaares. Sehr interessant zu erfahren, wie schön geordnet die Konditorinnung, der Verein rei'cnder Schau­steller. der Gärtnerverein Moosach  , der Deutsche Offiziersbund. Herr Lichendorff usw. yn der Demonstration teilnahmen. Auch die Gugel- männer, die Signalraketen, der Priisentlermarsch und dieprächtigen Wackersberger mit geschulterter Büchse und Rucksack" machen tiefen Eindruck auf mich. Den letzten Kranz, der om Katafalk niedergelegt wird, widmet ein kleiner Bayer", ein dreijähriger Bub." Ich leiste dir Abbitte. Bayenwolk, du mußt politisch wirklich sehr reif sein, wenn in deinem Land schon dreijährige Buben über die Frage Republik   oder Mon- archie urteilen können und offizielle Kranzspenden niederlegen lassen. Bei uns zu Hause, im roten Thüringen  , bekleckern sie in dem Alter noch die ersten Höschen. Oder tut das dein kleiner Bayer ouck. wenn er nicht gerade mit Fragen der Politik anderweitig veschäf- ttgt ist? Im Anwesen de« Landwirte» Josef Schmauß ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen." Stur dort? A.©.