Mr. 285.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 3,30 mt. pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. Defterreichs Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.
Vorwürts
11. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzetle oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn unb festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.
Ensprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner
Bolksblatt.
Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. T Freitag, den 7. Dezember 1894.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!
Die Umfturzvorlage.
Entwurf eines Gesetzes,
Preußen 2c.
betreffend
die Ehe oder das Eigenthum durch beschimpfende Aeußerungen öffentlich angreift, wird mit Geldstrafe bis zu Endlich ist sie da, die Umsturzvorlage, deren Geburts: 600 M. oder mit Gefängniß bis zu 2 Jahren bestraft." wehen bereits einem Reichskanzler und einem preußischen Dehnbar genug wäre diese Fassung, um eifrigen Staats- Aenderungen und Ergänzungen des StrafgesetzMinisterpräsidenten die Aemter gekostet haben und alle bürger- anwälten und Richtern noch umfangreichere politische Ver- buchs, des Militär- Strafgesetzbuchs und des lichen Parteien monatelang in Aufregung erhielten, nicht folgungen zu ermöglichen als jetzt. Der Ausdruck beschimpfen" aber die Sozialdemokratie. Und mit dem nämlichen Gleich ist von so unbestimmter Tragweite, daß das subjektive Gefühl Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Gesetzes über die Presse. muth, mit dem wir sie erwarteten, betrachten wir sie jetzt, des Richters da den weitesten Spielraum hat. Er fann da sie vor uns liegt: ein ohnmächtiges Ding, ohumächtig eine Beschimpfung erblicken in allem, was im Bolke nur als verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des und wäre sie zehnmal schärfer noch abgefaßt, zehnmal eine berechtigte sachliche Kritik von„ Religion, Monarchie, Bundesraths und des Reichstags, was folgt: wuchtiger ausgefallen und von zehnmal geschickteren Händen Eigenthum und Ehe" empfunden wird. Artikel I. geführt, als die sind, die jetzt zu ihrer Handhabung bereit In dem Strafgesetzbuch werden die§§ 111, 112, 126, 180, gehalten werden. Im neuen§ 131 liegt die Verschärfung darin, daß 131 durch nachstehende unter den gleichen Zahlen aufgeführte Wir geben nachstehend unseren Genossen den ganzen nicht nur verurtheilt werden kann, wer wissentlich Bestimmungen ersetzt und die folgen den neuen§§ 111a, 129 a Text der Vorlage sammt der ausführlichen bundesräthlichen unwahre Thatsachen behauptet, die geeignet sind Staats- eingestellt. § 111.1) Begründung. Bei den neuen Paragraphen des Strafgesetz- einrichtungen u. dgl. herabzuwürdigen, sondern auch wer buches haben wir in Anmerkungen hervorgehoben, worin die nach dem fujektiven Urtheil der Richter den Um st än den strafbaren Handlung auffordert, ist gleich dem Anstifter zu be Wer auf die im§ 1102) bezeichnete Weise zur Begehung einer Neuerungen gegenüber den alten Paragraphen bestehen. In nach annehmen muß, daß sie erdichtet oder entſtellt strafen, wenn die Aufforderung die strafbare Handlung oder einen besonderen Fußnoten haben wir dann diejenigen Paragraphen find. Dadurch sollen eingestandenermaßen die Zeitungen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. mitgetheilt, auf die im Text der Vorlage Bezug genommen werden. Es wird dann überhaupt nicht mehr möglich sein, strafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnißstrafe bis zu wegen der Kritik von staatlichen Mißständen getroffen Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt Geldwird. So haben unsere Leser und Genossen das ganze Material in Händen, um bei den bevorstehenden Verhand- irgend welche Uebergriffe der Behörden zu besprechen, einem Jahre und, sofern es sich um die Aufforderung zu Lungen sich stets über den Gegenstand unterrichten zu ohne daß die kleinste Unrichtigkeit den Veröffentlicher in einem Verbrechen handelt, Gefängnißstrafe bis zu drei Jahren den Negen des Strafgesetzbuches hängen bleiben läßt. ein. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, Eine ausführliche Besprechung der Vorlage und der Alles andere soll in der nämlichen Weise zur Erleichterung eine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst angedrohte. Begründung müssen wir uns vorbehalten. Heute wollen der gegen uns geplanten Verfolgungen dienen. Es sollen Gegen denjenigen, welcher auf die im§ 110 bezeichnete wir nur kurz hervorheben, in welchen Bestimmungen am Staat gerichtetes Vergehen oder Verbrechen öffentlich loben, 124, 125, 240, 242, 253, 305, 317, 3213) vorgesehenen Vergehen wir nur kurz hervorheben, in welchen Bestimmungen am insbesondern überall diejenigen, die irgend ein gegen den Weise ein Verbrechen oder eines der in den§§ 113 bis 115, schärfsten die Absicht zu tage tritt, der Sozialdemokratie und der Arbeiterschaft die Flügel zu beschneiden; der Sozial- genau so bestraft werden können, als wer dazu angeftiftet anpreist oder als erlaubt darstellt, finden die Strafvorschriften demokratie sagen wir, denn obschon der Vollständigkeit hat, und wer dazu angeftiftet hat, soll der Strafe nicht halber noch allerhand andere Bestrebungen daneben genannt entgehen, auch wenn das geplante Bergehen oder Verbrechen und sogar auswärtige anarchistische Publikationen, deren nicht zu stande gekommen ist. Auch diese Kautschukbestim- neuen. Urheber in Deutschland gar nicht faßbar sind, zur Be- mungen erweitern den Spielraum der subjektiven richtergründung herbeigezerrt werden, wird sich niemand darüber lichen Urtheile. täuschen, daß ihr Zweck ist, die politische wie die wirth
tönnen.
schaftliche Arbeiterbewegung Deutschlands zu schädigen. Am wirksamsten glauben die Urheber der Gesetze die Arbeiterbewegung dadurch zu schädigen, daß sie ihr das im neuen Reiche der Gottesfurcht und guten Sitte sowieso fümmerliche Recht der freien Meinungsäußerung noch mehr verkümmern. Dazu sollen vor allem die Abänderungen der §§ 130 und 131 des Reichs- Strafgesetzbuchs dienen. Der § 130 hat den Busaz erhalten:
Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise die Religion, die Monarchie, die Familie,
Feuilleton.
Am Exil.
§ 111a.
1) Der alte§ 111 enthielt nur den ersten Absah des 2) Der§ 110 lautet:
Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch und verschärfte Quälereien und Verfolgungen über unsere gehorsam gegen Gefeße oder rechtsgiltige Verordnungen oder Kommt das Gesetz zu stande, so werden zweifellos neue ftellung von Schriften oder anderen Darstellungen zum Un Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Aus Genossen überall in Deutschland hereinbrechen, und so gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit gemancher mißliebige Publizist oder Agitator anderer Parteien troffenen Anordnungen auffordert, wird mit Geldstrafe bis zu wird gleichfalls so nebenbei sein Theil abkriegen; aber es fechshundert Mark oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren gehört eine wirklich an das Urtheil des Kanzlers Oxenstiana bestraft. über die Weltregierung gemahnende Kurzsichtigkeit dazu, Gefeßen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungswenn man glaubt, daß durch solche Verfolgungen die Sozial- bebörden oder von Urtheilen und Verfügungen der Gerichte be demokratie geschädigt, die Arbeiterbewegung in ihrer Ent- rufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewickelung gehemmt, der Sieg der sozialistischen Ideen ver- walt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder hindert werden könne. wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung
Fee, eine Zauberin zu sein, oder mindestens über eine Polizeimacht zu gebieten, fügte sie hinzu:
Ich bin gutmüthig! Ich könnte Sie ja zappeln lassen. ( Nachdruck verboten.] Aber ich will Ihnen mein Geheimniß lieber gleich ver 21 rathen. Henri hat mich über alles, was Sie gesagt und gethan haben, auf dem Laufenden erhalten.
Roman von Georges Renar d. Autorisirte Uebersetzung von Marie Runert.
René gefiel es, diesem Geplauder zuzuhören, das frisch dahinfloß wie das leise Geplätscher einer Quelle. Es freut mich, sagte er, daß Sie in der deutschen Schweiz Ihren Frohsinn nicht verlernt haben. Aber wie haben Sie es fertig gebracht, sich in Basel den echten Pariser Atzent anzunehmen? Denn Sie haben ihn wirklich, Fräulein, oder ich müßte mich nicht darauf verftehen!
Ach, sagte Annette mit ihrem schönsten Lachen, in meiner Benfion waren auch Pariserinnen, die ich mir zu Freundinnen und Muſtern erwählte! Warum auch nicht? Meinem Herzen nach bin ich Französin.
D, so haben Sie mich also verrathen, sagte René zu Henri und drohte mit dem Finger.
Wenn unter uns Verräther find..." intonirte Henri mit einer Baßftimme, die beständig in die hohen Töne der Knabenstimme umschlug.
Genug! Genug! flehte die ganze Gesellschaft, und das Echo der Felsen wiederholte undeutlich: genug!
Halt! hier ist ein Echo, sagte Henri.
Und für einige Minuten amüsirte er sich wie ein Kind damit, von den Felsen Gutturaltöne wiederholen zu lassen, die nichts Menschliches hatten, oder auch fremdsprachige, gelehrte Worte, wie die Berge fie, so lange sie standen, gewiß noch nicht gehört hatten.
Bist Du mit Deinen barbarischen Versuchen bald fertig? unterbrach Jules ihn sichtlich gereizt.
wie Sie. Annette fönnte uns aber als richtige kleine Lerche, die sie ist, etwas vorsingen.
Bravo! Unterstützt! rief René.
Gerade so wie ich Franzose, rief Henri. Es lebe Frankreich . Poztausend! Da Ihr nicht wollt, daß ich finge! er Der schöne Jules zuckte die Achseln. Er schien sich dar- widerte Henri. Wenn Ihr Andern doch an meiner Stelle über zu ärgern, daß seine Kousine mit René, den sie doch etwas fingen wolltet! Ich bin sicher, Fräulein Rosa, daß nur zufällig unterwegs getroffen hatte, so intim plauderte. Sie alle Arten von hübschen Barcarolen singen können. Von Zeit zu Zeit wandte er sich mit unwilliger Miene um. Ich? entgegnete sie. Ich singe beinahe ebenso falsch Toch nahm die Unterhaltung deshalb ungestört ihren Verlauf, im vertrauten Gespräch die verschiedensten Dinge berührend, bald zu fröhlichen Scherzen abschweifend, bald von verhaltener Erregung durchzittert. René begann zu erzählen, was er während dieser sechs Jahre getrieben. Doch Annette unterbrach ihn; sie wußte alles, sie fonnte ihm Nur zu, Schwesterchen! Einen schöneren Konzertsaal ganz genau sagen: In dem Sommer haben Sie Italien wirst Du niemals haben. Wir werden an den Felsen vor: besucht, in jenem Winter haben Sie den und den Vortrag über fahren, um das Echo zu vermeiden und im Takte die gehalten. Alles, was er geschrieben, hatte sie gelesen. Sie Ruder in die harmonischen Fluthen tauchen. Das wird wußte sogar, daß er sehr traurig gewesen war, ja, mein ganz lamartinisch werden. Herr, jehr traurig." Das junge Mädchen zögerte noch. René sagte: Ich würde mich so sehr freuen, Sie einmal zu hören.
Als René sie mit komischem Staunen beschuldigte, eine
Auch Jules glaubte seine Bitten denen der übrigen hinzufügen zu müssen, und Henri fuhr fort:
3) 118. Wer einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von
Sie sah ihn an, senkte die Augen wieder und lächelte. Dann begann sie plöglich entschlossen:
Wohlan! Sei es denn! Nur will ich Ihnen gleich sagen, daß ich mich rächen werde, Herr Messant. In meinem Liede werden Sie sich selbst zur Hälfte wiederfinden. Ich werde Ihnen die Blume des Vergessens" fingen. René fuhr erstaunt von seinem Platze auf. Es war ein Lied, das er selbst nach einer alten, melancholischen Weise gedichtet und in seiner Zeitschrift veröffentlicht hatte, als er einmal Mangel an Füllstoff hatte. Er hatte sich von seinem Staunen noch nicht erholt, als Annette, die im Boote aufrecht stand, zuerst mit schüchterner Stimme, die aber nach und nach immer sicherer wurde und rein und frisch durch die stille Luft scholl, zu singen begann. Das Lied war eine rührende Klage über die Einsamkeit des Erils. Um seine Leiden zu vergessen, wünschte der Dichter sich jene fagenhafte Blume des Vergessens, die Lotosblüthe, welche die Erinnerung an sein Heimathland in seinem schmerz erfüllten Herzen auslöschen sollte.
Das junge Mädchen hatte in die letzten Verse, die sie schlicht und schmerzlich ergriffen vortrug, ihre ganze Seele hineingelegt. Bravorufe ertönten. Und während René, dem die Kehle wie zugeschnürt war, leise ein ersticktes Dank!" stammelte, tommandirte Henri:
11
Ein Bravo für die Sängerin!
Die Hände schlugen im Takt zusammen. Ein doppeltes Bravo für den Dichter!
Und in noch schnellerem Rythmus erschollen die vier feierlichen Salven. Dann entstand eine Pause. René, dem die Sympathie, die Annette ihm so naiv und frei müthig gezeigt hatte, innig wohlthat, fühlte sich weich gestimmt und wie berauscht, als wenn er den ersten lauen Hauch des Frühlingswindes einathmete. Während seine Augen seine Dankbarkeit aussprachen, verharrte er in staunendem Entzücken. Liebesträume schwebten vom Himmel herab und senkten sich in sein Herz. Er wagte nicht zu sprechen, aus Furcht, sie damit zu verscheuchen. ( Fortsetzung folgt.)