1. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt. Zlr. 383. Freitag, den Dezember 1894. 11. Jalzrg. V�vlninenksveriehke. Deutscher Reichstag . 2. Sitzung vom 6. Dezember, 1 Uhr. Am Bundesrathsiisch: v. Bölticher, v. Marschall Nieberding, v. Mittnacht. Präsident v. Levetzow: Quod felis faustumque sit!*) Ich eröffne die Sitzung, die erste in dem neuen Hause. Meine Herren! Ein großarliger Bau, der seines gleichen sucht, weite Hallen, prächtige Säle anstatt unserer bisher gewohnten einfachen Heim- stätte, die wir wegen ihrer Wohnlichkeit, ihrer praktischen Ein- richtung und ihrer Bequemlichkeit noch oft vermissen werden (Lebhaste Zustimmung) nehmen von heute ab den Reichstag auf. Schon der Anblick so vieler Herrlichkeiten, wie sie deutsche Kunst, deutsches Gewerbe, deutsches Handwerk hier vereinigt haben, muß ein deutsches Herz erheben und erfreuen, muß uns dankbar stimmen für den genialen Baumeister(Leb- haster Beifall), der das Werk ersonnen und ausgeführt hat.(Er- neuter Beifall.) Ihm und seinen Gehilfen sei unser Dank dar- gebracht! Meine Herren! Dieser Reichstag und der Bundesrath ist dem Vaterland zu Nutz und Frommen errichtet, auf daß hier ein dauerhafter Webstuhl stehe, bestimmt, wesentlich mitzu- weben an den ferneren Geschicken des Reiches. Aber nicht nur iür die Gegenwart und Zukunst wird dieses Haus dienen, es erinnert auch an eine große Zeit, an diejenigen, die für die Aufrichtung gekämpft und geblutet haben, mit dem Schwerte und mit dem Geist, mit der Faust, mit ihrer Einsicht, ihrer Festigkeit und ihrem hohen Math. Sie haben die Grundlage und die Mittel in schweren Tagen uns gewonnen. Nicht blos nach seiner eigentlichen Bestimmung und feiner monumentalen Gestaltung, sondern auch weil es ein Denkmal jener Helden, eine nationale Siegessäule ist, hat das Haus einen hohen vaterländischen Werth.(Beifall.) Diesen vaterländischen Werth zu erhalten, zu pflegen und zu erhöhen, ist die Ausgabe des Reichstages. Diese Aufgabe kann und wird nur gelöst werden, wenn wir und unsere Nachfolger uns mit allem was wir berathen und beschließen uns ganz und gar in den Dienst des Vaterlandes stellen(Beifall), wenn wir nur dienen wollen dem Kaiser, dem Reiche und dem Volke. Ihr Wohl ist Zweck und Ziel dieses Hauses, die suxrewa lex(höchstes Gesetz) des Reichstages. Dem Kaiser, als dem Haupte, dem Reiche und dem Volk, auf daß sie alle Zeit einig und vereint, stark und ge- segnet bleiben, gilt der Ruf, unter dem wir von diesem neuen Heim Besitz nehmen: Seine Majestät der Kaiser lebe hoch! hoch! hoch!(Die Mitglieder des Hauses mit Ausnahme der wenigen im Saale anwesenden Sozialdemo- traten haben sich von den Sitzen erhoben und stimmen drei- mal in diesen Ruf ein. Großer Lärm, Rufe rechts: Pstxi! Schämt Euch! Frechheit! Hinaus!— Rufe bei den Sozial- demokraten: Nur langsam, schämt Euch selbst!) Eingegangen ist dieUmsturzvorlage und eine Mittheilung des Reichskanzlers, das spanische Handelsprovisorium betreffend. Abg. G e s ch e r(dk.) zeigt in einem Schreiben die Erlöschung seines Mandats infolge seiner Beförderung zum Oberregierungs- rath an. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Wahl der Präsidenten und der Schristsührer. Abg. Graf Hompesch(Z.) beantragt, den bisherigen Präsi- denten v. Levetzow durch Zuruf für die Dauer der ganzen Session wiederzuwählen.(Beifall.) Da hiergegen kein Widerspruch erhoben wird, konstatirt Präsident v. Levetzow unter dem Beifall des Hauses, daß das Haus ihm zum Präsidenten erwählt habe und nimmt die Wahl mit folgenden Worten an: Meine Herren! Ich meine, Sie hätten vielleicht gut gethan, wenn Sie in dem neuen Hause einen neuen, geschickteren Präsidenten gewählt hätten (Heiterkeit), und vielleicht wäre es auch für mich besser gewesen. Ich habe die Ehre gehabt, so lange Präsident zu sein, und hätte mich damit begnügt und einer frischeren Kraft Platz gemacht. Jede Zeit hat ihre Männer und jeder Mann hat seine Zeit, und gefährlich ist es, wenn ein Mann nicht im rechten Augenblick zurücktritt. Aber Ihr mir heute erwiesenes Vertrauen lockt mich doch, die sachlichen Erwägungen sind bei Ihnen, und deshalb nehme ich die Wahl dankend an.(Beifall.) Wie schon so oft, so richte ich auch heute an Sie die Bitte um Ihre Nachsicht und wohlwollende Unterstützung. Meinerseits verspreche ich Ihnen guten Willen, Unparteilichkeit(Beifall), Sorge für die Würde und die Aufgaben des Hauses.(Beifall.) Wenn Sie meine Bitte erfüllen und wenn ich mein Versprechen halte und wen» durch dieses Haus immer der Geist der Vaterlandsliebe weht, so hoffe ich mit Gottes Hilfe die Pflichten meines Amts ersüllen zu können.(Beifall.) Auf Antrag des Abg. v. M a n t e u f f e l(dk.) werden die Abg. v. B u o l(Z.) zum ersten und Abg. B ü r k l i n(nl.) zum zweite» Vizepräsidenten durch Zuruf wiedergewählt. Abg. v. Buol: Indem ich dankend die Wahl annehme, schließe ich niich dem, was der Herr Präsident eben gesagt hat, auch hinsichtlich der Bitte, die er an das Haus gerichtet hat, vollkommen an.(Beifall.) Abg. Bürkliu: Ich nehme die Wahl dankend an und werde mich bemühen, meines Amtes zu walten nach besten Kräften ohne Ansehen der Person. Auch ich bitte hierfür um Ihre nachsichtige Unterstützung.(Beifall.) Bei der Wahl der 8 Schristsührer bemerkt Abg. Singer(Soz.) zur Geschästsordnung: Jch� gestatte mir, den Herrn Präsidenten zu bitten, die Vorschläge, die in bezug auf die Schriftsührerwahl eventuell beim Bureau eingegangen sein sollten, zu verlesen, und außerdem gestatte ich mir, für die Wahl zum Schristsührer den Abg. Fischer vor- zuschlagen. Präsident v. Levetzow: Mir ist ein gedruckter Zettel zu- gegangen, welcher neun Namen enthält. Ob eine Verständigung darüber stattgefunden hat, weiß ich nicht. Der Zettel enthält die Namen: Braun, v. Cegielski. Fischer, Hermes, v. Holleuffer, Krebs. Kropatscheck, Merbach. Pieschel. Der Namensaufruf wird vollzogen und die Stimmzettel werden abgegeben. Auf Vorschlag des Abg. v. Bennigsen wird die Zählung und Feststellung des Ergebnisses nach Schluß der Sitzung vom Bureau vorgenommen werden. Z» Quästoren werde» die Abgg. B ö t t ch e r und Rintelen ernannt, welche das Amt annehmen. Präsident v. Levetzow: Ich habe zu meinem großen Leidwesen eines Vorganges zu gedenken, der sich hier im Hause ereignet hat. Es kam nicht unerwartet, daß ein Hoch ans seine Majestät den Kaiser ausgebracht wurde, und es sind einige Mit- qlieder auf der äußersten Linke» dieses Hauses auf ihren Plätzen sitzen geblieben. Das entspricht nicht der Sitte deutscher Männer. (lebhafte Zustimmung rechts und links), nicht der Gewohnheit dieses Hauses(erneute Zustimmung), es beleidigt die Gefühle der Mitglieder dieses Hauses(großer Bestall) und ich kann nur be- dauern, daß ich kein Mittel habe, um ein derartiges Versahren zu rügen.(Lebhafter Beifall.)' �........-c Abg. Singer(zur Geschäftsordnung): Ich bitte um die Er- laubniß, gegenüber der Bemerkung des Herrn Präsi - *) Möge es gut und glücklich von Statten gehen. deuten ebenfalls eine Bemerkung machen zu dürfen und hier zu erklären, und zwar namens meiner Fraktion, daß wir uns nie und nimmer dazu verstehen werden und zwingen lasten, ein Hoch auszubringen auf jenen Mann, der gesagt hat, es könnten:(Großer Lärm im ganzen Hause, Rufe: Pfui, hinaus! Glocke des Präsidenten.) Präsident v. Levetzow: Herr Abg. Singer, ich kann nicht zugeben, daß die Person seiner Majestät in die Debatte ge- zogen wird. Abg. Singer(fortfahrend): Ich muß mich dem Gebot des Herrn Präsidenten fügen, erkläre aber, daß wir gegenüber dem Umstände, wonach befohlen war oder in Aussicht gestellt worden ist zu befehlen, daß Soldaten, die Söhne des Volkes, auf ihre Brüder, ihre Mütter und Väter schießen sollen, und gegenüber der Thatsache, daß wir jetzt eine Gesetzvorlage zu machen haben, die sich gegen uns richtet, es mit unserer Würde und Ehre nicht vereinbar finden, in ein solches Hoch einzustimmen.(Lebhafter Widerspruch.) Der Präsident schlägt vor, die üblichen Fachkommissionen demnächst zu wählen. Da! Haus stimmt dem zu. Das Haus tritt hierauf in die Berathuug deZ Antrages Auer und Genosten wegen Einstellung des gegen den Abg. terbert schwebenden Strafverfahrens für die Daner der ession. Hierzu liegt ein Antrag des Abg. v. Manteuffel und Genossen vor. den Antrag Auer der Geschästsordmmgs- Kom- Mission zu überweisen. Abg. Singer(Soz.): Ich weiß nicht, weshalb die Herren von dem bisher geübten Brauch, solchen Anträgen kurzer Hand stattzugeben, abweichen wollen. Herbert ist in erster Instanz mit dem niedrigsten Strafmaß belegt worden und hat nun Revision eingelegt. Er bat aus einem ultramontanen Blatt eine Notiz übernommen(Oho! im Zentrum) in welcher im Anschluß an die Erzählung der Thatsache, daß der Kaiser einen Offizier direkt vom Exerzierplatz aus zu Pserde nach Dresden geschickt hat, ge- fragt worden war, ob es denn keine Eisenbahn nach Dresden gäbe, eine— Notiz, welche auch von vielen anderen Blättern gebracht wurde, ohne daß gegen den Redakteur Anklage erhoben wurde. Die Umsturzvorlage hat wohl ihren Schatten schon vor- ausgeworfen! Wenn Sie den Antrag v. Manteuffel annehmen und die Kommissionsberathung recht lange hinausgeschoben wird, so gelingt es Ihnen in der That, hier einen Gegner der Umsturz- vorläge zu entfernen. Abg. v. Manteuffel(konservativ): Das letztere ist absolut nicht unser Wunsch. Die Ausführungen Singer's sind nicht im stände, unsere Bedenken gegen eine sofortige Annahme zu be- seitigen. Wenn wir auch den Worten Singer's glauben, durch Ihr Verhalten und Ihre Thaten wüsten wir aber in unserem Antrage nur bestärkt werden. Sie haben ja die Majestätsbeleidigung zum System und Prinzip erhoben!(Leb- hafte Zustimmung rechts.) Sie greifen die Majestät an— uns ist sie theuer. Ein Trost ist es mir. daß die Worte Singer's nicht den Nachhall schwächen werden, den die Worte des Präst- denten im ganzen Deutschen Reich gefunden haben. Abg. Gröber(Z.) erklärt, daß das Zentrum die bisher geübte Praxis weiter befolgen werde. Abgg. Rickert und v. Marquardsen(nl.) geben für ihre Fraktionen dieselbe Erklärung ab. Abg. v. Stumm(Rp.): Die Praxis ist keineswegs gewohn- heitsrechilich gleichmäßig geübt. Wir haben wiederholt Anträge auf Kommissionsberathung gestellt. Wenn wir dieses privi- legium odiosum weiter unbedingt gelten lassen, dann ent- steht im Volke die Auffassung, als ob der Reichstag sich nichts aus Majestätsbeleidigungen mache; allerdings mit Unrecht. Ich bin in der Beurtheilung dieser Frage frei von parteipolitischen Tendenzen, von irgendwelcher Animosität gegen die Sozialdemo- traten, aber wenn mir irgend etwas es erleichtert, für den An- trag v. Manteuffel zu stimmen, so ist es heute das Verhalten der Sozialdemokraten. Abg. v. Manteuffel bemerkt, daß sein Antrag nicht außer- halb der Praxis des Hauses läge, seine Partei habe vielmehr schon öfter solche Anträge gestellt. Abg. Richter: Ter Zwischenfall am Beginn der Sitzung war durch die Worte des Präsidenten abgethan(Abg. v. Man- teufsel: Meinen Sie?), den Eindruck dieser Worte können solche Bemerkungen eines einzelnen Abgeordneten nicht er- höhen. Der Antrag Manteuffel ist durch den Zwischenfall nicht hervorgerufen, er lag schon vor deniselben auf unseren Plätzen. Durch den Antrag kämen wir zu einqx Beurtheilung sämmllicher Strafprozesse und zur Würdigung der einzelnen Parteien, heute der sozialdemokratischen, im anderen Falle viel- leicht der antisemitischen oder sonst einer Partei. Dadurch würde der Reichstag seinen eigentlichen Arbeiten in einem Umfange entzogen, wie es dem Ansehen des Parlamentarismus nicht ent- spricht. Wir könnten nur prüfen, ob durch solche Anträge eine Verdunkelung des Thalbestaudes möglich wäre, und das ist hier nicht der Fall. Wir dürfen also von der bisherigen Praxis nicht abgehen. Abg. v. Manteuffel: Ich habe es nicht so dargestellt, als ob mein Antrag durch zenen Zwischenfall hervorgerufen ist. Das Vorgehen der Herren hat uns nur in der Ueberzeugitng bestärkt, daß wir mit unserem Antrage richtig handelten. Für uns liegt die Majestätsbeleidigung eben Kars ligne. Damit schließt die Diskussion. Im Schlußwort bemerkt Abg. Singer: Der blinde Eifer gegen die Sozialdemokratie führt Herrn v. Stumm dazu, Dinge hereinzubringen, um die es sich hier gar nicht handelt. Unsere Stellung bezüglich des Zwischenfalles habe ich genügend skizzirt. und wir lassen uns durch das Wohlwollen oder Mißwollen eines Abgeordneten nicht beeinflussen. In den Kreisen, auf deren Urtheil wir Werth legen, d. h. im deutschen Volk, wird die Sache richtig gewürdigt werden. (Lackien rechts.) Herr v. Manteuffel ist entrüstet über die Majestäts- beleidigung. Als der Abg. Schippe! aus der Zeitung des Bundes der Landwirthe die Stelle von den»grünen Jungens" in sehr verständlichem Zusammenhange zitirte, und als ein Mitglied der konservativen Partei und des Bundes der Landwirthe sagte: „Wenn die Regierung und der König es nicht thut, werden wir Sozialdemokraten"— da merkte man nichts von Ihrer Ent- rüstung.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Herr v. Stumm schien uns nur den neuen Reichstag mit einer königslreuen Demonstration nach oben einweihen zu wollen.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Ter Antrag v. Manteuffel wird abgelehnt(für den- selben stimmen nur die Konservativen und die Reichspartei), der Antrag Auer wird angenommen. Die Anträge Auer und Köhler auf Einstellung des Straf- Verfahrens gegen den Abg. Schippe! bezw. Hirsche! werden ohne Debatte angenommen. Es»st ein schleuniger Antrag Zim mer mann und Ge- »offen eingegangen: den Reichskanzler zu veranlassen, das gegen den Abg. Werner schwebende Strafversahren für die Dauer der Session einzustellen. Der Präsident schlägt vor. diesen Antrag in der nächsten Sitzung. Dienstag. 12 Uhr, zu erledigen und sodann nach Ber- lesung der Interpellation der Abgg. Dr. P a a s ch e und Fried- berg wegen Abänderung des geltenden Zuckersteuer-Gesetzes, mit der ersten Berathung des Reichs-Haushaltsetats zu beginnen. Abg. Richter schlägt vor, die Interpellation erst an dritter Stelle zu verhandeln; es sei nicht richtig, einen derartigen speziellen Gegenstand der bei der Etatsberathung üblichen allgemeinen politischen Erörterung vorangehen zu lassen. Abg. v. Manteuffel schließt sich diesem Vorschlage an; seine Partei habe auch die Absicht, verschiedene Anfragen an die verbündeten Regierungen zu richten, möchte ihnen aber zu- nächst Gelegenheit geben, sich über die allgemeine politische Lage zu äußern. Nachdem Abg. v. Bennigsen noch darauf hingewiesen hat, daß formell den Interpellanten das Recht nicht verschränkt werden könne, zu verlangen, daß ihre Interpellation auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werde, erklärt Abg. Paas che, daß er und sein Mit-Jntecpellant mit dem Vorschlage des Abg. Richter einverstanden seien. Schluß gegen 3Vs Uhr. Nächste Sitzung: Dienstag 12 Uhr. (Schleuniger Antrag Zimmermann und Genossen, erste Be- rathung des Reichs-Haushaltsetats und Interpellation Paasch« und Friedberg .) 5>c»rlk«»re»rk«rtsrsxes. Den Mitgliedern des Reichstages sind bis jetzt folgende Vor« lagen zugegangen: Verzeichniß der Mitglieder des Reichstages. T Reichshaushalts- Etat für 1895/36. Entwurf eines Gesetzes betr. Aufnahme einer Anleihe für Militär- und Eisenbahnzwecke. Etat für die Kolonien. Bericht der Reichsschulden- Kommission. Gesetz betr. Kontrolle des Reichshaushalts ec. Uebersicht der Reichsausgaben. Uebersicht der Etatsüberschreitungen in Ein- nähme und Ausgabe. Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Kolonien für 92/93 und 93/94. Rechnungen über den Reichs» Haushalt für die Jahre 1884 bis 1899. Ferner eine Anfrag« von Dr. Pasche in betreff der Zuckersteuer- Gesetze, und endlich seitens»mserer Parteigenossen die folgenden schleunigen Anträge: I. Auer und Genossen. Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, zu veranlassen, daß gegen den Abgeordneten Herbert wegen Beleidigung des Buch- druckereibesitzers Graßmann zu Stettin , des Restaurateurs Bothmeyer zu Stettin , und wegen Beleidiglmg der Offiziere und Unteroffiziere der Armee, sowie wegen Majestätsbeleidigung schwebenden Strafverfahren für die Dauer der gegenwärtigen Session eingestellt werden. II. Auer und Genossen: Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, zu veranlasien, daß das gegen den Abgeordneten Schippe! bei dem Landgericht I Berlin wegen Beleidigung durch die Presse(ZZ 186, 186, 194, 196, 200 des Straf-Gesetzbuches) schwebende Strafverfahren auf die Dauer der gegenwärtigen Session eingestellt wird. »» Die sozialdemokratische Fraktion beschloß in ihrer letzten Sitzung, auch während der lausenden Session wie früher, die regelmäßigen Fraktionssitzungen jeden Mittwoch abzuhalten. Der vorläufige Arbeitsplan im Reichstag ist in folgen, der Weise festgestellt. Am nächsten Dienstag beginnt die Etats- debatte. Für dieselbe sind 3 Tage in Aussicht genommen. Im Anschlüsse an die Etatsdebatten wird die Interpellation Paasch« und Genossen wegen Beibehaltung der Zuckerprämien ihre Er- ledigung finden. An die Verhandlungen über den Etat und die Zuckerinterpellation soll sich die über die Umsturzvorlag« anschließen. Nach den bis jetzt in Aussicht genommenen Geschäftsplan soll die Umsturzvorlage am Freitag nächster Woche auf die Tagesordnung gestellt werden. Ob sich das Pensum in der vorstehend angegebenen Weise erledigen lassen wird, begegnet um deswillen gerechten Zweifeln, als dieses Mal besonders die Etatsdebatte» einen breiten Raum einnehmen dürften. Auch die Zuckerprämienfrage wird zu sehr lebhaften Debatte führen, so daß die Annahme, in drei Tagen mit diesen beiden Punkten fertig zu werden, als eine sehr san» guinische erscheint. Von der sozialdemokrati?chen Fraktion sind für die Be- rathung der Umsturzvorlage die Abgeordneten Auer, Frohme und Singer als Redner bestimmt worden. Zur Zucker-Jnterpellation werden von unserer Seitdie Abgeordneten Wurm eventuell Schippe! oder Bock sprechen. Initiativanträge im Reichstag. DaS ReichstagSbureau ist gestern, nach der„Vossischen Zeitung" mit Initiativ» antrügen überschüttet worden. Jede einzelne Partei suchte der anderen den Rang abzulaufen. Im vorigen Jahre hatte das Zentrum mit einem ganzen Bündel von Anträgen den ersten Platz erhalten, und die Folge davon war, daß Monate hindurch die Schwerinstage fast nur von den Wünschen btZ Zentrums widerhallten. Diesmal waren die übrigen Parteien klüger und reichten gleichfalls unmittelbar nach der Eröffnung des Reichstages ihre Anträge ein. Nicht weniger als 28 Initiativ- antrüge sind gestern im Reichstagsbureau eingegangen. Dieser Wettlauf ist eine Folge des§ 35 der Geschäfts- ordnung des Reichstages, in dem es heißt:„Auf die Tages- ordnung dieser Sitzung(am Schwerinstage) werden die vorliegenden Anträge und Petitionen in der Reihen- folge gebracht, in welcher sie eingegangen, beziehentlich zur Verhandlung im Plenum vorbereitet sind." Es läßt sich nicht l Eignen, daß dadurch eine Reihenfolge der Anträge hergestellt wird, vie sehr häufig als ungerecht empfunden worden ist. Diesmal dürfte aber die Bestimmung des§ 35 gänzlich versagen Denn wenn nicht etwa der Bureaudirektor des Reichs- tages mit der Uhr in der Hand gestern die eingehenden Anträge numerirt hat, was kaum anzunehmen ist, so sind alle 28 Anträge gleichberechtigt. Es ist nun nicht recht ersichtlich, nach welchen Grundsätzen man bei der Reihenfolge der Anträge verfahren will; eine Aenderung oder wenigstens Ergänzung des§ 35 wird aber allgemein für nothwendig erachtet. Die nationalliberale Fraktion will den Seuiorenkonvent auffordern. Vorschläge wegen einer anderweitigen Regelung der Behandlung der Initiativanträge zu machen, wobei man an eine Reihenfolge nach der Stärke der Parteien zu denken scheint. Die freisinnige Volkspartei in Verbindung mit der deutschen Volkspartei beantragt dagegen, in dem Z 35 der Ge- schäftsordnung des Reichstages einzufügen: „Alle Anträge, welche innerhalb der ersten 14 Tage der Session eingebracht»verde», gelten, sofern sie nicht schon vor dem Ablauf dieser Frist zur Verhandlung gelangt sind, als gleichzeitig eingebracht. Ueber die Priorität unter ihnen entscheidet das Laos ." Der starke Wettkampf der Parteien bei Einbringung der Initiativanträge ist insofern nicht ohne allgemeine Bedeutung, als er die Verlegung des Schwerpunktes von der Regierung auf den Reichstag bedeutet. Thatsüchlich ist es ja auch heute so, daß die Regierung nur langsam den Ideen nachhinkt, die von den einzelnen Fraktionen längst zur Erörterung gestellt worden sind. Damit sind allmälig die Schwerinstage zu einer Bedeutung ge- kommen, die sie früher nicht besaßen.
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