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JTr. 546 ZS. Fahrgang

Seilage öes vorwärts

SonnabenS, 14. November 1421

Die tägliche Sorge. Was kann eine Hansfran heute kaufen? Früher... sa. früher! Man hört es immer wieder. Keiner! Pfund Zwiebeln, das sie mitnahm, kostet 1.S0 M. Unfer« kommt über den Vergleich hinweg, bis er sich plötzlich der vier Hausfrau sah mit trüben Augen den Inhalt ihres Portemonnaies Kriegsjahre erinnert, die ja dazwischen liegen und dies Elend in zusammenschrumpfen. Noch habe ich kein Brot� und Aepfel habe

seinem großen Ausmaß« verschuldeten. Man kaufte sich früher bei plötzlichem Hungergefühl«in Viertelpfund Wurst oder ein paar saftigeWarme " für wenige Groschen und delektierte sich ungeniert auf offener Straße. Heute ist die Wurst aller Art eine Luxusware geworden. In allen Schlächterläden und Delikatessengeschäften türmen sich verlockend die Wurstpyramiden und andere leckere Dinge. Man sieht und staunt, leckt sich verlangend den Schnabel und zieht den Schmachtriemen enzer. An zahlreichen Straßenecken wiehert, bellt, miaut es nach Einbruch der Dunkelheit aus dampfenden Blech» kesseln. Die Wurst ist auch nicht billiger, wenn sie nach Seife, Huf- nageln oder sonslwas schmeckt. Selbst der abgetriebenste Gaul kommt als Wurst zu hohen Ehren durch zwanzigsachen Preis­aufschlag. Aber was ist das alles gegen die Leiden der Hausfrau, be- fonders die des Arbeiters und Angestellten, die zu den g e p l a g- testen Menschen der Gegenwart gehört. Mancher geistige Arbeiter, der stolz ist auf seine Tätigkeit, hat keinen blasien Schimmer von der ungeheuren Denkarbeit, die eine Arbeiterfrau tagtäglich bewältigen muß, wenn sie für die Ihrigen sorgen und ihnen das Leben erleichtern will. Ein wahrer Segen ist es noch, daß die Mietpreise die allgemeine Preissteigerung nicht mitgemacht haben und der Himmel bewahre uns vor dcr freien Wirtschaft auch auf diesem Gebiete. Das Rechenexempel beim Einkauf. Begleiten wir nun einmal eine Frau, die im Norden Berlins wohnt, auf den Markt. Gehen wir mit ihr von Stand zu Stand. Wir werden alsdann die Folterqualen empfinden können, die sie leidet, wenn sie immer und immer wieder feststellen muß, daß dies oder jenes viel zu teuer für sie ist und bei weitem nicht mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, in Eintlanq zu bringen ist. An den F l e i s ch e r st ä n d e n drängen sich die Frauen, aber nur wenig wird gekauft. Schweinefleisch ist zu haben für 17 bis 22 M. das Pfund. Unsere Hausfrau schüttelt den Kopf. Zu t e u c r," sagt sie und fragt nach dem Preis des Rind- fleische?. Sie kann es haben für 14 bis 16 M. und teurer. Knochenreiche« Kalbfleisch kostet 12 bis 16 M.Sehen Sie." sagt die Frau,ich habe für meinen Mann und zwei Kinder zu sorgen, und mein Mann verdient 1806 M. den Monat. Und wir sind zufrieden, daß wir das noch haben. Nun rechnen Sie Steuern. Gas, Kleidung, Heizung, Stiefel und sonstige Ausgaben, die man nicht vorhersehen kann, ab, so darf ich sicherlich nicht mehr als 40 M. pro Tag ausgeben. Morgen ist Sonntag, da soll es was Besonderes geben. Ich bin selbst gespannt, was ich heute kaufen kann, denn die Preise sind in den letzten Wochen rasend gestiegen. Hier sehen Sie, gibt es Hammelfleisch, 12 Mark das Pfund." Zwei Pfund wandern in ihre Tasche und 24 M. in die Kasse des Schlächters.Was soll man machen," sagt die Frau.Gänsefseisch kostet 17 bis 22 M. das Pfund, und daneben liegen G ä n f e l i e s e n und für die dürfen Sie sogar 4S M bezahlen, mehr als mir an einem Tag für meine Familie zur Verfügung ftebt. Suppen knocken kosten 8 M. das Pfund. Sagen Sie selbst, was mir übrig bleiben soll von meinem Geld«. Ich würde sa gern einen Hasen kaufen, atme Fell, das Pfund 12 M., aber dazu brauche ich Speck , der koOet im Laden das Pfund 36 M. und auf dem Wagen zahlen Sie für Waren minderer Qualität 25 M. das Pfund. Margarine schwankt zwischen 24 und 34 M., und ich müßte davon reichlich nehmen. Butter, die 42 bis 44 M. kostet, oder Schmalz, für das ich 40 M. zahlen soll, kommt für mich gar nicht in Frage." Die Frau kaufte ein Pfund Margarine für 28 M. und ging dann zu den Gemüseständen. Da war Wirsingkohl, das Pfund 1.20 M., zu haben, Blumenkohl je nach Güte 4,50 bis 6 llll.; Rosenkohl kostet 9 M.. Weißkohl kommt das Pfund 1,40 M. und für Grün- kohl wird 90 Pf. bezahlt. Unsere Hausfrau kaufte zwei Bund Kohlrabi und zahlte dafür 5 M. und außerdem 10 Pfund Kartoffeln, für die sie 11,50 M. hinterlegen mußte. Ein

Wir gingen weiter

ich den Kindern zum Sonntag versprochen. und kamen zu den Fischständen. Bor ein paar Tagen hatte ich Heringe gekauft," sagt« die Frau,sehen Sie, heute kosten sie 85 Pf. bis 1�50 M. das Stück. Es ist übrigens ganz intercsiant. auch, die Preise der Fische festzu- stellen. Karpfen sind für 13 M. das Pfund zu haben, die kleinen Bleie für 7 bis 9 M. und Schellfisch für 5 M. Wie gern würde ich Bücklinge kaufen, aber 11 M. das Pfund sind mir doch zu teuer. Sehen Sie bier für einen Räucherhering soll ich 2,75 M. zahlen und für«in Bicrtel Sprotten 3,50 M. Alles Deli­katessen, die nicht mehr für uns existieren. Bald ist Weihnachten da! Wie gern würde ich meinen Kindern ein paar Nüsse kaufen. Hier sind Walnüsse"14 M. das Pfund," sagt der Händler.Das ist mir zu teuer," bemerkte die Frau.Dann toofen Sie fe eben nich." erwiderte der Händler brutal.Meine Kinder sind so blutarm," sagte die Frau,immer sind sie müde, und die Schule fällt ihnen so schwer. Wie gerne würde ich ihnen Eier kaufen, aber 3,35 bis 3,76 M. ist doch zu teuer. Alles was man sieht, ist zu teuer, man wogt schon beinahe gar nicht, etwas zu kaufen. Ach. da gibt es Aepfel. Sehen Sie die kleinen murksiqen Dinger. 3 M. d a s P f u n d. Die anderen find mir zu teuer." Und fckweren Herzens kaufte sie ein Wund von den Aepfeln, um ibrcn Kindern wenigstens eine kleine Freud« bereiten zu können. Beim Bäcker wurde ein Brot gekauft, und dafür legte sie 7,65 M. auf den Ladentisch. Zum Schluß war unsere Hausfrau leichtsinnig und kaufte ein Viertel Pfund Kaffee für 8,50 M.(den billigsten). Damit mein Mann auch mal merkt, daß Feiertag ist." Das Resultat in üer Markttasche. Was meinen Sie, was ich ausgegeben habe?" fragte die Frau bedrückt. 2 Wund Hammelfleisch... M. 24. 1 Bnmd Margarine...., 28. 2 Bund Kohlrabi...... 6. 1 V'und Zwiebeln,, 1.50 10 P'imd Kartoffeln...., 11.60 1 P'imd Aepfel ......» 3. 1 Brot»........ 7.65 Pfund Kaffee�_..... 850

zusammen M. 89.15 Es wird niemand zu behaupten wagen, daß diese Frau ver- schwenderisch mit ihrem Geld« umgegangen wäre und doch über« steigt dieser bescheidene Einkauf bei weitem die Mittel, die ihrer Familie für den täglichen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Gewiß, Kartoffeln. Margarine, Zwiebeln, Kaffee und vielleicht auch dos Fleisch werden für mehrer« Tage reichen muffen, dagegen ist keinPfennigfür Mehl, Milch oder ander« Nährmittel ausgegeben worden, an W u r st, Käse oder sonstigen Belag ist gar nicht zu denken. Welcher Unternehmer, der schnell bereit ist, über die Begehr­lichkeit der schaffenden Bevölkerung zu zetern, wäre in der Lage, das Rechenexcmpel befriedigend zu lösen, das sich aus dem unglaub- lichen Mißverhältnis zwischen Einkommen und den hohen Preisen der notwendigsten Bcdarfsmittel klar ergibt?

gemeinde Berlin überljaupt vorhandenen Wohnungen ist in der von un» fckon erwäbnien kleinen Sckrifl des Statistischen Amte» der Stadt Berlin zum ersten Male gegeben. In dieser Zuiammensteliung find die Wohnungen nach vier Grötzengruppen emgeleiit, und zwar nach Kleinwohnungen mit bis zwer Wohnräumen ohne»nd mit Küche: niitlieren Wohnungen mit abgesehen von Küche drei bis vier Wohn- räumen; größeren Wohnungen mit abgesehen von Küche fünf bis sieben Wohnräumen; ganz große Wohnungen mit abgelehen von Klicke ockt oder mehr Wohn- räumen. Im Gefamldurckicknitl der Siadlgemeinde stell! sich der Anteil der K l e i n w o h n u n p e n auf 69.2 Pi oz.. d.». fast aller Wohnungen, eine Ziffer, die fckon an sich auf die allgemeine wirlschafiliche Lage der Bevölterung ein iehr bezeichnendes Lickt wirft. In obioluren Zahlen ergibt sich folgendes Bild: Den rund 797000 Kleinwohnungen gesellen sick zu rund 241000 mittelg roß«, 9260V größere Wohnungen und endlich über 2 0 7 0 0 ganz große W o h n n n g e n.�Alick hier zeigt sich der große Unierickicd zwischen den einzelnen Slodt- teilen. Während die K l e« n w o b n u n g e n im Weslen, im Be- zirk X(Zehlendorf ) nur 3l.6. im Bezirk IX WilmerSdors> nur 85.8 Proz betragen, stellen sie sick im Bezirk IV(Prenzlauer Berg ) auf 79,6, im Bezirk XIV(Neulöllnd aus 8l.l. im Bezirl V iFriedrick«. Hain) auf 82,7, um endlich den HZchstbelrag auf dem Weding, im Bezirk III mit 85,8 Proz. zu erreichen. Bis zu welchem Grade die VerhäUnisie auseinandergehen, zeigt die nachstehende Gegenüberstellung: Im Verwaltung?» eiitiolle» von fe 100 Wohnungen auf die bezirk kleine» urUleien größeren gonr g' oßen 10. Zehlendorf 81.62 28.08 23.18 17.12 3. Wedding 85.79 12.83 1,71 0.l7

Wie wohnen wir! Berliner Wohnungsverhältniffe in der Statistik. Wie elend Proleiarier in den modernen Großstädten auch vor dem Kriege wohnlen, ist hinlänglich bekannt. Zusammengepfercht in Kasernenbauien mit zahlreichen engen Höfen ohne Lust und Sonne. Dazu das sozial und siitlich veiwüstende Schlasstellrn- weien. Durch die Unlärigkeit auf dem Baumarkt während und nach dcr KriegSzeit haben sich die Berhäiiniffe noch um ein Biel - fackeS verschliuiinerl. Eine Nebersick« über die in der neuen Stadl-

Vieöer p!ünöerunlien. Das Rosenchaler Skadlviertel unter verstärktem Polizeischuh. Trotz der Warnungen des Polizeipräsidenten ist es gestern wieder zu Plünderungen von Geschäften gekommen. Mittags gegen 12V* Uhr rotteten sich im Rosenthaler Stadtviertel mehrere hundert Perlonen meist jugendlichen Alters zusammen und zogen durch die Linien-, Gips-, Ll u g u st- und Kleine Hamburger Straße, wobei sie eine Reihe von Geschäften verschiede- ner Art ausplünderten und mehrer« Schaufensterscheiben zertrümmerten. Viele Geschäftsleute, die noch rechtzeitig qewarnt werden konnten, schloffen ihre Läden und ließen die Jalousien her- unter. Die herbeigerufene Polizei zerstreute die Ansammlung und verhaftete drei der Haupttäter. Die genannten Straßenzüg« stehen jetzt unter verstärktem volizeilichen Schutz. Selbst die Trödlerläden wurden nicht verschont. Besonders geschädigt wurden die Trödler Hirsch, Kleine Hamburger Straße 5, Markus Roffohn, Kleine Hamburger Straß« 19, und Sommer, Linienstr. 103. Gestern abend gegen 9 Uhr drangen etwa 30 jugendliche Dur- scheu in die Konditorei der Witwe Ball, Dresdener Straße 18, ein und rafften in aller Eile an Lebensmitteln zusammen, was steter» reichen konnten. Dann verschwanden sie in der Richtung Neukölln. Gestern abend versammelten sich vor dem Leb-nsmtttelgefchäft von Sasse in der Karls gart enstr e. Ecke Wißmcmnstrahe in Reukölln mehr als hundert Personen, zum größten Teil Frauen, und drangen in das Geschäft ein. Anderthalb Zentner Butter und sieben Faß Marmelade fallen verschwunden sein. Beim Eintreffen der Polizei stob die Menge fluchtartig auseinander. Spitze! runSum! Die verderbliche Tätigkeit der �Zents provocateurs. Eine eigenartige Illustration dazu, wie ein Ministerialerlaß in Wirklichkett beachtet wird, lieferte eine Verhandlung, die das Schöffengericht Bcrlin-Mitte beschäftigte. Es handelte sich um eine Strafsache Fuhrmeister und Genclsen, in der sieben Angeklagten vorgeworfen wurde, gemeinschaftlich und wissentlich von falschen Steuerbanderolen Gebrauch gemacht und gegen den Z 68 des Tabat- steuergefetzes vom 12. September 1919 verstoßen zu h oben. Der unter Anklage gestellte Tatbestand droht eine gesetzliche Mindeststrafe von 3 Monaten Gefängnis an. In der Verhandlung gelang es den Berteldigern nochzuweisen, daß keine Red« davon sein könne, daß sich die Angeklagten im Sinne der Anklage vergangen hätten. Die Angeklagten hätten sich dcs nicht erschienenen Angeklagten Fuhrmeister, der Polizei- f p> tz« l sei, gar nicht erwehren können. Dieser habe ihnen so viel

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Fräulein.

Don Paul Enderling . Fräuleins Gesicht war trotz des raschen Steigens blaß. Hermann sah sie ernst an. Wie schön sie war! J>as sind die Gebete und Seufzer gequälter Seelen, die im Laufe der Jahrhunderte das Kirchenschiff da unten durch- zittert haben," fuhr er fort.Sie flattern noch hier umher und schreien nach der versprochenen Erlösung und Erfüllung; wie wir alle schreien." Als sie im Wächterzimmer etwas gezögert hatten, fanden sie im gespenstischen Halbdunkel die nächste Treppe nicht mehr. Sie irrten fast eine Viertelstunde in dem Raum umher, über Balken stolpernd und in der Furcht, durchzubrechen und in das Turminnere zu stürzen. Endlich sahen sie den schräge aufge- hängten Spiegel, der das Licht von oben auffing und etwas davon auf die Treppe träufelte. Ohne zu sprechen, schwerer atmend, gingen sie die steilen Stiegen empor. Kaum daß sie sich noch Zeit ließen, durch die Luken auf das Bild zu blicken, daß sich da ausbreitete, immer klarer, immer schöner, immer weiter. Und nun kamen die Glocken, die großen Glocken von St. Marien: Gratia, die große Aoe-Mariaglocke, Osanna, die Sturmglocke In diesem Augenblick setzten die Glocken sich in Bewegung und begannen feierlich, machtvoll mit dröhnendem Pathos zu reden. Die Töne erfüllten den ganzen Raum, ergossen sich durcb die Luken und über die Treppen und strömten auf Stadt und Land in ununterbrochenem Fluß. Es war keine Melodie, kein Rhythmus, kein einzelner Takt zu erkennen. Es war eine brausende Heerschar von Akkorden, die unaufhaltsam, unauf- härlich heranstürmte und zuriickwellte, wie das Meer. Eine Holzlade mar zurückgeschoben. Im Licht der Vor- Mittagssonne sahen sie nun auch die Leute, die auf den Tret- bälgen standen und die Glocken bin und her schwangen, daß sie an die riesigen, ehernen Klöppel schlugen. Es war Leben in dem alten Turm, der bei dem Brüllen und Schluchzen und Jauchzen der Glocken zu zsttern und zu schwanken schien. Fräulein hielt sich beide Ohren zu und sah Hermann an, der sich lächelnd am Geländer hielt. - Er fühlte, daß sie auf ih« wartet«, und hielt sich ferner

von ihr als je. Er nahm sich vor, ihr oben alles zu sagen. Die Minuten bis dahin gehörten aber noch ihm Diese Minuten waren zu schön. Wie lang« würde er davon zehren müssen! Und er segnete das Sturmgebraus der Glocken, die ein Reden jetzt unmöglich machten. Langsam ging er an ihr vorbei und stieg empor. Sie folgte ihm durch dies« Sturmflut der Töne, die alle Dämme zerrissen hatte. Endlich wurde es lichter. Der Turm öffnete sich. Auf einer breiten Holzstieg«, die schon fast freilag. kletterten sie zur letzten Plattform hinauf. Sonne war um sie und Unendlichkeit. Di« Glockentöne klangen hier oben gedämpft, wie durch einen Samworhang hindurch. Sie schienen die Tauben zu tragen, deren weiße Leiber über dem bordeaux -roten Ziegeldach und der grünen Patina der Dachreiter und Seitentürmchen schwebten. Die Sonne ließ all die Goldzierate an den Patrizier- Häusern da unten, am Zeughaus, an dem dicht vor ihnen auf­wachsenden palmenschlanken Ratsturm aufflimmern. All« Farben wurden reicher, tiefer, satter. Die Stadt sah ganz klein und zusammengedrängt aus, als hallen Riesenhände im Uebermut all dies« Häuser und Häus- chen zusammengescharrt. Eins preßte sich ans andere, gedrückt und eingeschüchtert, und wollte nicht gesehen werden. Wie Engpässe scbnittcn die schnurgeraden Straßen durch das Häusergewirr. Als überragende Wegweiser die vielen, vielen Türme. Er lehnte ssch auf das Geländer, in das Buchstaben und ganze Namen eingeschnitten waren. Eine Wetterfahne mit zwei Kreuzen und der Zahl 1609 bewegt« sich knarrend und quietschend. Rings uyi die Stadt ein grüner Gürtel von Bergen. Wällen und Feldern. Dort hinter der Speicherinsel lag das Werder mit seinen fetten Neckem, seinen Kanälen und Gräben, in denen an den Abenden die Frösche quakten, und seinen Weidenbäumen, die so bizarr und melancholisch waren. Fräulein war seinen Blicken gefolgt und deutete mm hinüber. ,.Ki- saaten mir einmal Verse..Vor den Wällen' hießen sie. Wissen Sie sie noch?" »Ja." sagte er und sprach langsam sein« Vers«: Ich sebe sie noch Im Abendschein. Die struppigen Weiden am schmalen Rain, Da bin ich als Knabe gegangen, Gesenkten Hauptes guerfewein... Und die Lerchen sangen.

Und des Ratsmlms güidner Glanz, Der iihcr der Walle grünen Kranz Herüberschaute... Und Froschgequat und Mückentanz Und der nordisch» Himmec blaute. Vor schwarzen Krähen ein kreischender Strich Und Glocken klangen so feierlich lieber die Land«/ Des Knaben Augen weiteten sich. Und das Herz war voll bis zum Rande... Ich sehe sie noch... Und die Seele sinnt: All mein Leiden würde im Wind Restlos verwehen, Könnt' ich noch einmal, wie damals als Kind, Unter den Weiden gehen... Fräulein schwieg. Dann gab sie ihm die Hand.Von wem sind die Verse?" Er lächelte.Von meinem besten Freunde. Er heißt Hermann Görke ." Sie sind doch ein Dichter."» Ich glaubte es auch einmal," sagte er leise.Aber nun bin ich von diesem und anderem Gkauben gehellt." Er trat an die Brustwehr. Sie stand jetzt neben ihm. Durch das Stadtbild und die Felder nach der See zu ringelten sich wie grau« Schlangen die Flüsse. Ueber der See lag mllchiger Dunst und kämpfte gegen die Sonne. Von unten erscholl langsame, getragene Mufft und ver- wehte gleich wieder. Dies Aufklingen und Verebben der Töne geschah ohne Uebergang, so daß sie nicht eher ihren Ursprung zu erkennen vermochten, als bis ffe auf dem Holzmarkt nach der Promenade zu den Trauerzug entdeckten.' Das lenkte den Blick wieder auf das Stadtbild zu ihren Füßen, und ffe versuchten, einzelne Häuser zu erkennen; es glückte aber nicht. Im Gewühl der Giebel verschwand das Einzelne. Ist es nickt sanderbar? In jedem Haus und Häuscken da unten ffnd Menschen, die sich so ungeheuer wichtig sind wie sonst nichts. Jeder hat sein« eigenen Sorgsn und seine eigenen Träume, jeder erstickt an der Oual des Heute und tröstet sich mit dem Morgen. Und einer weiß vom anderen so wenig, wie wir von ihnen wissen und ffe von uns wissen. Wir sind eben«inander alle nur Nebenmenscken." kFarts. folgt.)