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Ht. 54$ 5$. Jahrgang

! Seitage ües vsrwärts

Sonntag. 20. November 142?

Raöbruch über �ustizreform unö Amnestie.

Auf der gestrigen Tagesordnung des Reichstags stand die I Förderung des Wohnungsbaues. Abg. Bahr(Dem.) erstattet den Ausschußbericht: Danach beträgt! der jährliche Wohnungsbedarf 180 000 Wohnungen. Seit dem Kriege sind aber höchstens 400 000 Wohnungen, im letzten Lahre nur 100 000 neu gebaut worden. Die dazu notwendigen Mittel sollen von der Ocffentlichkeit durch Belastung der noch immer verhältnismäßig niedrigen Mieten in den alten Häusern ausgebracht werden. Eine Anleihe lehnt der Ausschuß ab, er ersucht aber die Regierung um ein Gesetz s ü r ein B a u p r o g r a m m für 1922/23 und gibt dafür in seinem gedruckten Bericht Richtlinien an. Abg. Runkel(D. Vp.) verliest als Vorsitzender des 13. Aus« schusies den Ausschüßbeschluß, in dem der Reichstag gebeten wird, den vorliegenden Bericht noch heute zur Kenntnis zu nehmen. Er geht dabei von der Voraussetzung aus, daß es sich nur um die Ueberweisung des Ergebnisses der Ausschußberatung an die Reichs- regierunq handelt, damit ohne Zeitverlust das Bauprogramm für 1922/23 in Angriff genommen werden kann. Abg. Gnlknechl(Dnat.) lehnt den Bericht als Ganzes ab. Gegen diesen Widerspruch wird der Ausschußbericht genehmigt. Es folgt die erste Beratung des allgemein beantragten �banSerungsgefetzes zur KngesteUtenversicherung. Abg. Giebel(Soz.) begründet den Entwurf: Bor Einbringung der letzten Aendcrung zum Angestelltenoerstcherungsgesetz haben zahlreiche Angestellte infolge der Propaganda der Lebensoersiche- rungsqesellschaften private Versicherungen abgeschlosien. Die Parteien haben sich dahin geeinigt, daß solche Lebensoersiche- rungen befreiend wirken sollen, die vor dem 10. Juni beantragt worden sind. Weil aber die Propaganda der Lebensversicherungs» gesellschaften nicht ganz einwandfrei war, konnte die zeitliche Grenze für den Abschluß solcher Versicherungen nicht weiter ausgedehnt werden. Es wird eine genaue Prüfung nötig fein, ob die Anträge tatsächlich vor dem 10. Juni gestellt worden sind. Grundsätzlich sollen nur solche Policen befreien, deren Prämien dem Betrag des Angestellten zur Zwangsversicherung gleichkommen. Es wird also nachgeprüft werden, ob die bisherigen Lebensversicherun» gen noch hoch genug sind. Für ihre Erhöhung ist dem Der» sicherten eine Nachversicherungssrist bis zum 31. Dezember d. I. ge­stellt. Das Gesetz wird ohne weitere Aussprache in der Ausschuß- fasiung in allen drei Lesungen angenommen. Es folgt der Bericht des Ausschusses für Volkswirtschaft über die Erhöhung üer Uvterstützungssähe für Erwerbslose. Arbeitsminister Drmins gibt dazu folgende Erklärung ab: Die Reichsregierung erkennt an, daß auch die Leistungen der Erwerbs- losenunterstützung den fortgesetzt steigenden Preisen angepaßt werden müsieu. Wir sind deshalb auch schon an die Landes- regierungen mit entsprechendem Antrage herangetreten. Ich gebe die Versicherung, daß ich alles tun werde, um die Notlage der wirklich unverschuldet Erwerbslosen, denen die Unterstützung zu- gedacht ist, mit größtmöglichster Beschleunigung zu mildern. Der Bericht wird angenommen. Der Beamtenausschuß schlägt eine Entschließung vor, vi« die Reichsregierung ersucht, die Einstellung von De- amtenanwärtern in allen Zweigen der Reichsoerwaltung bis zur Beratung des Reichshaushalts für 1922 zu untersagen und die freiwerdeuden planmäßigen Bcamtcnstellen unbeschadet der Rechte der außerplanmäßigen Beamten nach Möglichkeit mit Warte- geldempfängern und Beamten aus den abgetretenen Ge- bieten zu besetzen. Die Entschließung wird einstimmig an- genommen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfes zur Crweite- rung des Anwendungsgebiets der Geldstrafe und zur Einschränkung öer kurzen Ireiheitsstrofen. Abg. Koenen(Komm.) bringt dabei einen Antrag auf Haft- entlassung der im Zuchthause Lichten bürg bei Torgau sich im Hungerstreik befindenden politischen Gefangenen ein. In Pen Berliner Großbetrieben ist die Erregung groß. Deputationen sind hierher unterwegs, um Hilfe für die Hungernden zu fordern. Auch in der Nähe der L>ungerburg finden schon Demonstrationm während der Arbeitszeit statt. Seit drei Tagen verhandeln wir mit Minister Radbruch , der erst vor wenigen Wochen eine fulminante Rede hielt. Von Torgau soll schon Schupo unterwegs sein.(Lärm links.) Abg. Rlüllcr-Franken(Soz.) erklärt, daß es sich um einen selbständigen Antrag handele, der gar nicht zu diesem Gesetz gehöre. (Zurufe von der Tribüne der Präsident verwarnt den Rufer. Abg. H o s s m a n n(Komm. Arbeitsgemeinschaft): Ihr habt nur Sleuenc zu zahlen und das Maul zu halten! Große Unruhe.) Präsident Löbe: Ich bitte Sie, in die Befugnisie des Präsidenten nicht einzugreifen. Wenn die Herren dort oben mitreden dürften, brauchten Sie nicht hier zu sein.(Lebhaste Zustimmung.) Abg. Rosenseld(U. Soz.) unterstützt den kommunistischen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Zu- stände in den Gefängnissen. Abg. tedebour(U. Soz.) erklärt, er müsse das Gewissen der Sozialdemokraten aufrütteln.(Lachen.) Abg. Dr. Leoi(Komm.): Wenn der Hunger schreit, dann müssen die Geschäftsordnungsbedenken überwunden werden.(Zu­ruf rechts: Sie hungern ja freiwillig!) Justizministcr Dr. Radbruch erklärt Pch bereit, zu gegebener Zeit über die Zustände in Lichtenburg Auskunft zu geben. Der Verbindung des kommunistischen Antrags mit der Tages- ordnung wird nicht widersprochen. AbZ Dr. Rosenfeld(U. ooz.): Von dem Gesetzentwurf de» soxlaldemokratischcn Jubizministers sind wir schwer enttäuscht. Die Geldstrafen sind so hoch, daß kaum einem Arbeiter die Wohltat der ..uvondlunz von Freihritsftrafen in Gkldstrofen zuteil werden wird Wir werden im Alisschuß beantragen, daß die Geld- strafe sich den E i n k o m m e n s o e r y ä l t n i s s e n anpaßt. Für unbescholtene politische Gefangene ist das Gefängnis die größte moralische Gefahr. Am schlimmsten sind die Zustände in B a y- r n. In Lichtenburg wären die Frauen und Kinder der politischen Gefangenen schon lange Hungers gestorben, wenn die Arbeiterschaft sich nicht ihrer angenommen hätte. Deshalb sind die Gefangenen in den Hungerstreik getreten. Der Beauftragte der Regierung, der die dortigen Zustände prüfen sollte, hat sich einwickeln lassen von dem Oberstaatsanwalt m Naumburg , einem üblen reaktionären Kappisten. Abg. Svenen(Komm.)' Gegen den Gesetzentwurf haben wir schwere Bedenken. Iuftizmimster Dr. Radbruch: Ueber den vorliegenden Gesetzentwurf will ich nur wenige Worte saaen. Er ist einer der ersten Schritte zur Verwirklichung der Staats- rcchtsreformideen meines großen Lehrers Franz v. L i s z t..Es Ist wahrlich nicht wenig, was dieser Entwurf bringt. Er bringt nicht> nur die Erhöhung'der Geldstrafe, er bringt praktisch die A b- z schoffung der kurzzeitigen Freiheitsstrafen. Er bringt ein einfacheres und milderes Verfahren der Einziehung der

Geldstrafen. Er bringt die Möglichkeit der Abarbeitung der Geldstrafen. Der Herr Kollege Rosenfeld ist in seinen Aus- führungen auf die Verhältnisse unseres Strafvollzuges eingegangen. Ich kann erwidern, daß ich am Freitag angeordnet habe, Vorschläge zu machen über eine Revision der Grundsätze de» Strafverfahrens, die im Jahre 1897 vom Bundesrat aufgestellt worden sind. Mir scheint die Revision dieser Grundsätze so dringend zu sein, daß ich glaube, sie der Gesamtreform unsere» Strafvollzuges vorausschicken zu müssen. Aus die vielen Einzelheiten über Anstalten und Personen, die hier genannt worden sind, glaube ich nicht eingehen zu müssen. Rur ein kurzes Wort über Niederschönenfeld . Der Herr Kollege Rosenseld nimmt ohne weiteres an, daß ich die Angelegenheit Niederschönenfeld , sobald ich Minister geworden bin, vergessen hätte. Es entzieht sich feiner Kenntnis, was inzwischen von meiner Seite für Niederfchönenfeld getan worden ist. Ich werde das Recht der Reichsaufsicht geltend machen in welcher Welse, das muß ich mir selbst vorbehallen. Schließlich dle Amnestlefrage. Ich halte an dem fest, was ich damals gesagt habe, fest daran, daß das Reich auch für bayerische wie andere landesrechtliche Fälle da» Recht zur Amnestie hat. Der Hungerstreik in Lichtenburg ist eine heroische Torheit, aber nichtsdestoweniger eine Tor- heit.(Sehr richtigl) Man kann ihn unter zwei Gesichtspunkten de- trachten: Entweder als einen Verzweiflungsakt oder als eine Demonstration, und ich verstehe zunächst alle Gründe, die zu einer solchen Verzweiflungstat fuhren konnten. Dahin gehört nicht nur die Rot der Angehörigen dieser Gefangenen, sondern auch die noch tiefere Rot. in der jetzt unsere Rechtspflege ist.(Sehr richtigl b. d. Soz.) Ich will hier keine Schuldfragen aufwerfen, ich will nur Tatfachen feststellen. die Tatsache der angefühnken Tötnngssälle. die von rechts gegen links begangen worden sind(Sehr wahr! links. Große Unruhe und Zurufe rechts), die Tatsache der Verzögerung der Aburteilung der K a p p l e u t e, die Tatsache der furchtbar harten Urteile, die zum Teil von den Sonderaerichten erlassen worden sind. (Andauernde große Unruhe rechts. Glocke des Präsidenten.) Als Verzweiflungsakt kann ich also den Hungerstreik allenfalls verstehen und in den privaten Besprechungen, die Ich mit den Herren Kommunisten hatte, wurde diese Aktion auch wesentlich als ein Ver- zwelflungsakt gewürdigt, demgegenüber Sie, meine Herren von der äußersten Linken, zunächst ,die Verpflichtung hätten, abzuraten und zu be r u h i g e n. Daß es auch geschehen ist, weiß ich. Aber Ihre Presse, IhreRote Fahne" führt eine ganz andere Sprache. Da Ist mit keinem Wort davon die Rede, daß man diese Aktion ver- urteilt, sondern man verherrlicht sie und benutzt sie als den Ausgangspunkt für welkere Aktionen. So stellt sich also dieser Hungerstreik nicht nur al» Derzwetflungsakt dar, fondern durch die Interpretation, die die Presse und die Sie selber(zur äußersten Linken) ihm hier zuteil werden lassen, wesent- llch als eine Demonstration und als eine Demonstration nun, gegen wen? Als eine Demonstration zunächst einmal nicht gegen den Strafvollzug. Denn der Herr Kollege Dr. Rosenseld hat un» selbst den Brief der Gefangenen vorgelesen, der mit dem Satz endet:Dir führen keine Beschwerde gegen die Direktion der Strafanstalt, sondern verlangen einzig und allein unsere Frei- heil oder den Hungertod." Gegen wen wird also demonstriert? Ich gedenke nicht vor dieser Demonstration zurückzuweichen. Wohin sollten wir denn kommen, wenn sich ein Hungerstreit an den anderen schlösse? Heute sind es die politischen, morgen sind e» die g e- meinen Verbrecher. Es ist nicht zu verantworten für die Straf- rechtspflege, die der Sicherung der Allgemeinheit dient, vor jedem Hungerstreik ohne weiteres die Waffen zu strecken.(Lärmende Zu- rufe auf der äußersten Linken.) Das preußische Ministerium hat gestern einen Kommissar nach Lichtenburg geschickt. Der Kommissar des Reichsjustizministers ist gleichfalls in der Anstalt eingetroffen. Es wird die Ueberführung aller Kranken ins Lazarett und, wo das Lazarett sachlich oder räumlich nicht ausreicht, in das Krankenhaus angeordnet werden. Es kommt dabei freilich nicht eine Strafaussetzung in Betracht. Daß eine Strafaussetzung nicht stattfindet, kommt auch den Gefangenen selbst in gewissem Sinne zugute, weil ihnen die Zeit im Krankenhaus aus ihre Strafzeit angerechnet wird. Vor allem aber habe ich meinen Kommissar beaustragt, den Gefangenen mitzuteilen, daß, sobald Gnadengesuche von ihnen eingereicht werden, ihre Ange- legenheit schleunigst und wohlwollend geprüft wird. Ungeprüft können wir niemand begnadigen. Außerdem wird den Gesungenen eröffnet werden, daß vom 1. April 1922 ab in Zeilabständen immer wieder von neuem die Urteile gesiebt werden, so daß auch die schwereren Fälle vor dem Ablauf der Strafzeit größtenteils zur Begnadigung kommen.(Andauernde Unterbrechung von den Kommunisten.) In Lichtenburg handelt es sich nicht um ganz einfache polltische Verbrechen. Ich habe die einzelnen Fälle nicht alle feststellen können, ich habe aber feststellen können die Straftat des Gefangenen, der den auf dem Tisch des Hause» liegenden Brief geschrieben hat. Er hat ein Eisenbahngleis g e f p r e n g t mit der Wirkung, daß durch die Sprengung dieser Eisenbahnschiene ich werde es vorlesen: Durch die Tat selbst sollte verhindert werden, daß die in Sondcrshausen garnisonlerie Reichswehr nach Sangerhansen ge­worfen werden konnte. Wäre die Stelle nicht alsbald besichtig» und die verbogene Schienenanlaae ausgewechselt worden, so wäre eine Entgleisung de» Zrühzoge», der in der Haupt­sache von Vergleolen der umliegenden Kallgrube beuuhl wurde, unbedingt eingetreten." Aus eine solche Tat war eine sofortige Begnadigung natürlich ausgeschlossen. Ich möchte Ihnen doch einmal ein paar Zahlen mit- teilen, um Ihnen einen Beariff von der im Auaust vom Reichstag be'cblosse.ien Begnodinunnsaktion zu geben. Es sind Gnadenerwetse erteilt worden in 7(5(5 Fällen, Gnadenerwei« abgelehnt in 550 Fällen. Sämtliche Zuchthausurteile, die. durch die Sondergerichte erlassen sind, wurden auch ohne besonderes Gesuch der Nachprüfung unter- zogen. Das Ergebnis war. daß von 400 Zuchthausfällen 257 mit Gnadenerweisen bedacht wurden, während die Begnadigung in 203 Fällen abgelehnt worden ist. Bei alledem sind die zahlreichen Strasaussetzunqen, die unmittelbar vom Gericht gewährt wurden, noch nich« mitgezählt. Wir werden vor der neuen Begnodt- gungsaktion der ersten periodischen Nachprüfung am 1. April 1922 nochmals neue Grundsätze ausstellen lassen, und die Begnadigung nicht nur auf die ganz be- deutungslosen Mitläufer, sondern' aus einen weiteren Krei» er- strecken.(Abg. H o f s m a n n- Berlin: Tun Sie bald etwas, sonst erleben Sie es nicht mehr!) Ich muß ein Wort wiederholen, was ich hier schon einmal ge- sprachen habe: Amnestien sind INeilensteine der Reoolulion. Sie be- zeichnen endgültia abgeschlossene Abschnitte ihrer Entwicklung(Zurufe bei den Komm.: Die neue wird schon kommen!), die sich nicht wieder- holen werden. Meine Herren von der äußersten Linken, solange Sie nicht auf das Kampfmittel der Gewalt verzichten, können Sie von uns nicht verlangen, daß w i r daraus verzichten, Gewalt

gegen Gewalt zu setzen.(Stürmische Pfuirufe bei den U. Soz. und den Komm.) Abg. Dr. Rosenseld(U. Soz.): Der beste Sozialist kann im Bunde mit den bürgerlichen Parteien nichts ausrichten. Der Mi- nister ist auf dem besten Wege, ein würdiger Nachfolger des Herrn von Putttamer zu werden, dos zeigt der Beifall der Rechten. Reichsjustizmtnister Dr. Radbruch: Ich habe nicht gejagt, daß die Amnestie in Bayern rechtlich notwendig sei, aber aus politischen Gründen abzuwenden, sondern eine Amnestie ist auch für Bayern zulässig, aber au» politischen Gründen nicht empfehlenswert, da« von Gebrauch zu machen. Herr Rosenseld will der Verzweislungs» aktion nicht etwa ein Ende fetzen im Interesse der armen Opfer, sondern ihr zum Erfolg verHelsen! Er sragie mich, wann der Zeit- punkt für die Amnestie gegeben sein wird? Die Sowjetrcgierung hat bei der letzten Amnestie erklärt, sie wolle ihren bisherigen Feinden die Freiheit wiedergeben, wenn sie ihre Anschläge gegen die Räteregierung einstellen Das haben die Sozialrevolu- tionäre abgelehnt. DieFreiheit" fügt hinzu:Soll die Sowjetregierung ihren bisherigen Feinden das Spiel erleichtern?" Sollen wir, so frag« ictv unseren offenen Feinden das Spiel er- leichtern?(Tosender Larm auf der äußersten Linken. Ruf: Also di« Arbeiter sind Ihre offenen Feinde!) Abg. Dr. Lern(Komm.): Nicht wir, sondern Sie, Herr Mi- nister, sind berufen, dieser Demonstration ein Ende zu setzen. Ihnen tanzen die Leute, die nur das Unrecht wollen, auf der Nase herum. Abg. koencn(Komm.) onliest eine Entschließung der Arbeiterschaft aller sozialistischen Richtungen verschiedener Groß-Derliner Werke zwecks Freilassung der politi- schen Gefangenen. Die Wortführer, die diese Resolution über» bracht haben, glaubten vorher noch mit dem Iustizminister Rück- spräche nehmen zu können, sie glaubten nicht, daß der Justiz- minister Rodbruch ein zweiter Noske sei. Nach der Kenntnisnahme der Rede des Herrn Iustizministers verzichteten sie auf eine etwaige Rücksprache.(Abg. L u b b r i n a(Soz.): Das Ganze ist ein Schwindel! Abg. Höllein(Komm.), dem Abg. Lübb- ring mit der Faust drohend: Das kann nur ein so verkommenes Subjekt wie Du sagen! Große Heiterkeit.) Abg. Ledebour<U. Soz.) berichtet, daß während der Sitzung Vertreter der sozialistischen und kommunistischen Arbeiter über die Situation erneut verhandelt haben. Abg. Müller-Franken(Soz.): Herr Ledebour hat keinen Grund, uns wegen unserer Koa- litionspolitik Vorwürfe zu machen, lo lange die Unabhängigen sich konsequent w e ig e r n, in die Regierung einzutreten. Die Ar- bester haben unsere Politik verstanden, dos können wir zahlenmäßig nachweisen.(Zuruf links: Stinnes-Regierung!) Davon kann nicht die Rede sein. Wir werden den Wählern Rechenschaft geben und sie werden uns oerstehen, wie sie uns in Baden und Hessen verstayden haben. Unsere alten Parteimitglieder haben oft genug um ihrer politischen Anschauung willen im Gefängnis ge- jessen und sind nicht ausgerissen wie Drcmdler. Wir hoben also Verständnis für politische Gefangene. In der Ab- lehnung einer allgemeinen Amnestie sind wir mit dem Minister einig. Die von uns geforderte Nachprüfung aller Fälle ist er- folgt. Zur Entlassung der durch den Hungerstreik trank Geworde- nen hat der Reichsjustizminister kein Recht. Er wird aber in dem Sinne auf die Ministerien der betreffenden Länder einwirken. Den Antrag, alle Hungerstreikenden zu entlassen, müssen wir ablehnen, oerlangen aber Nachprüfung der einzelnen Fälle und werden für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stimmen. (Pfuiruf« bei den Kommunisten.) Abg. Crispin(U. Soz.): Solche Worte sind eine Schande für den Vertreter einer Arbeiterpartei. Der Iustizminister ist ein De- weis für den vollkommenen Bankrott der rechtssozialistischen Koa- litionspolitik. Wir unterstützen die Regierung nicht, sondern prüfen jede einzelne Handlung. Der kommunistische Antrag auf Freilassung der Hungerstreikenden wird abgelehnt. Der Antrag, zur Prüfung der Zustände in den Gefängnissen einen parlamentarischen Ausschuß einzusetzen, wird angenommen. Das Gesetz über die Freiheitsstrafen geht an den Rechtsausschuß. Das Lanöungsverbot für ruPsthe Schiffe. Es folgt dle kommunistische Interpellation über das Verbot de» Landens russischer Schiffe in Deutschland . Abg. Dletlner(Komm.) begründet die Interpellation. In Stettin und Hamburg sei russischen Schiffen die Landung im eigent- lichen Hofen verboten worden. Diese Ausnahmebehandlung russischer Schiffe verstößt gegen das deutsch -russische Abkommen. Reichsminister des Innern Dr. KSfier: Für dle grenzpolizeiliche Betrachtung müssen wir zwei Gesichts� punkte beachten. Wir müssen alle Wirtschaftsbeziehungen ohne jede Sentimentalität betrachten. Unsere Wirtschaftsbe- Ziehungen haben sich lediglich nach dem wirtschaftlichen Interesse zu richten. Ebenso wichtig ist ein zweiter Gesichts- Punkt: Die deutsche Reaierunz hat jede Interventions- volitikabgelehnt. Aber gerade darum können wir erwarten, daß die rufsssche Sowjetrepublik, daß ihre offenen und heimlichen Emissäre, wenn es solche geben sollte, uns gegenüber dieselbe klare. Haltung einnehmen. Wir werden in dieser Beziehung keine Nach- giebigkeit kennen, auch wenn die Wirtschaftsbeziehungen sich aus» bauen. Nur dann wird der deutsch -russische Wirtschaftsverkehr jene Entwicklung nehmen, die da« deutsche und das russische Volk erhoffen Der russisch -deutsche Seehandel ist erst im Entstehen begriffen. Die ersten Versuche mitdemstaatlichenHandelsverkehr müssen natürlich zunächst Reibungen ergeben. Die Sowjetregierung nimmt für olle Ihre Schiffe das Vorrecht der Exterritorialisie- rung in Anspruch. Di- Frage, ob Staatshaiidelsschisfe exterritorial zu behandeln sind, ist aber nach heutigem Völkerrecht noch nicht gelöst. Das Staatshandelsschiff Ist ein vollkommenes Novum. Wir sind bereit, die russischen Schiffe sofort ebenso zu behandeln, wie die leder anderen Nation, sobald die Art und Weise der Massen- stansporte deutscher Kriegsgefangener und Zivilinterninter aus Rußland die deutsche Regierung der Pflicht entbindet, diese Trans- parte in der Quarantäne und Kontrolle anders zu behandeln, und satzurigetT klangen, daß diese Schiffe und Be- lediglich Handel trelbea. Bis jetzt macht eine Reihe von Berdachtsmomenten es uns noch immer 'chwer. an die Absicht eines reinen Handelsverkehrs zu glauoen. Die beiden Schiffe hatten viel stärkere Besatzungen, als nach ihrer Größe notwendig war. Der Dampfer Tronsvale hatte zweiDruckpressenan Bord. Mitglieder der Schiffsbesatzungen haben sich in Hamburg widerrechtlich von Bord entfernt und sind später als kommunistische Agitatoren aufgetaucht. Da kann man uns ein gewisses Mißtrauen gegen diese Schiffe nicht ver- denken, noch dazu, wenn wir wissen, daß gewisse Behörden der Sowjetrepublik sich in den Besitz zahlreicher deutscher Pässe gesetzt haben,(Hört, hörtl)