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Nr. 558+ 38.Jahrgang

Beilage des Vorwärts

Der Mordprozeß um Wachtmeister Buchholz.

Die Schwurgerichtsverhandlung gegen die Schuhpolizeiwacht­meister Erren und Meyer von der Hundertschaft 2. b. B. brachte im zweiten Teil der gefirigen Sigung auffehenerregende 3eugenaussagen.

Im Anschluß an die schon mitgeteilten Befundungen der Geheim­räte Mosle und v. Briesdorff über Aufgaben und Geist der Hundert fchaft z. b. V." befundet zunächst noch Major Hattendorf, daß fie jeht wegen des Mißhandlungsprozesses aufgelöst wird. Er fand sie gut diszipliniert". Polizeioberst Friedrich hat Hauptmann Stennes auf die Vorwürfe in der Presse hingewiesen. Stennes hat aufs be­stimmteste bestritten, reaftionär zu sein. Zeuge hält ihn und seine Truppe für eine fefte Stüße von Republik   und Regierung. Hierauf wird der Kaufmann Löhr vernommen, der eine Spur des Täters

In der Anklage spielt eine wichtige Rolle

ein Schnaps,

Sonnabend, 26. November 1921

Groß- Berlin

Wiener am Wedding  .

Jeden Abend treffe ich ihn. Er steht immer an derselben Ecke, da oben, wo der Norden anfängt, so jenseits des Gtettiner Bahn­hofs, wo etwa der Wedding   beginnt. Sein Refsel mit den heißen Wienern", den er auf einen fleinen Schemel gestellt hat, dampfte im Sommer ebenso luftig wie heute, wo es talt geworden ist, und wer in die Versuchung tommt, bei ihm stehen zu bleiben, der wird, menn er nur ein fleines bißchen Verständnis für das Gemütliche hat, angezogen von dem dampfenden und singenden Gesellen.

bie Aufwärterin Fräulein Kaufmann einlud. zu dem der Angeklagte Meyer furz vor dem Schuß im Zimmer 39 Er soll das getan haben, um sie dem Zimmer 39 fern zu halten, das sie gerade be­treten wollte. 21s fie in Meners Zimmer den Schnaps trant, riß einer die Tür auf und rief:" Buchholz hat sich erschossen!" In der Boruntersuchung hat sie gesagt, daß dies nicht die erste Einladung zu einem Schnaps bei Meyer war, jezt aber bekundet sie, erst einige Zeit nach Buchholz Tod habe sie zum zweiten Male bei Meyer ge­trunken. Ihre Schwester, Frau n. Rogiledi, gleichfalls Aufmär terin, hat mitgetrunken, weiß aber nicht sicher, ob das vor oder nach Buchholz' Tod war. Zu ihr hat Buchholz noch mittags gefagt, sei ein Leutnant Franke" vorgestellt sie möchte ihm( der wegen des Unterschlagungsverbachytes entlassen worden, der Kriegsmaterial der Kriegsmaterial zum Kauf anbot. Der Zeuge war) umgehend ein möbliertes 3immer beforgen. Er hat dann erfahren, daß Franke tatsächlich Helbing heißt machte auf sie nicht den Eindruck, daß er sich mit Selbstmord und früher bei der Hundertschaft z. b. 2. war. Jetzt sei Frante- gedanten trug. Eine halbe Stunde vor seinem Tode ging er Helbing zu ihm gekommen und habe Geld von ihm gefordert. Er gerade zur Kantine, um sich Stullen schneiden zu lassen und müffe aus Berlin   flüchten, weil der Prozeß Buchholz beginne bat nochmals ihm ein Zimmer zu beforgen und morgen seinen und er den Täter kenne. Auch nach der Ermordung von Buchholz heiter, ging gefchäftig hin und her und begab sich dann noch zum wenn die Polizei eine jener Razzien veranstaltet hat, bei benen alle blauen Anzug zum Aufbügeln zu bringen. Er war

Bennen will. Ihm

habe er verschwinden müssen, wozu

werden.

-

Friseur.

Einen Höhepunkt des Prozesses bildet die

Bernehmung der Witwe Buchholz.

warm

Daneben aber steht Wurstmage, frierend leicht von einem Bein auf das andere hüpfend, mit roter Nase und müden Augen. Bon Zeit zu Zeit ruft er leife: heiße Wiener, heiße Wiener find se noch, falt wer'n se doch." Angezogen von diesem Lockruf, fauft dann wirklich der eine oder der andere ein paar von den Heißen, die Wurfimage mit Behendigkeit aus dem Kessel herausfischt und schnell mit Mostrich bestreicht. Schon sind wieder vier Mark in seinen Taschen verschwunden.

Zuweilen aber geht das Geschäft nicht gut. So zum Beispiel Straßenpaffanten des betreffenden Abschnittes gegen ihren Willen auf die Lastautos der Schupo gepreßt den Weg zum Polizeipräsidium antreten müssen. Solche Ereignisse bringen eine schlechte Kon­lang leer. Jeder sieht so schnell wie möglich aus der gefährlichen junktur für unseren Wurstmage. Dann sind die Straßen eine Zeit­Gegend davonzukommen. Dann steht Burstmare oft, bis der Mor­gen graut, und schimpft über die schlechten Zeiten und die Polizei, die ihm das Geschäft verdarb. Und nach einigen Wochen ist die blüht von neuem. Burstmage muß auch Steuern zahlen. Gewissen. von Baiffe" wieder einer Hauffe" gewichen, und das Wurstgeschäft haft soll er jedes verkaufte Paar verbuchen. Die Steuerbehörde fontrolliert ihn zuweilen, läßt durch einen Beamten an einem be­ftimmten Tage jedes heiße Baar, das seinen Kessel verließ, zählen und das Ergebnis fein säuberlich notieren. Und wenn Burstmagens Gedächtnis so schlecht war, bas er gerade an solch einem Tage ge­Steuerverwaltung nachweist, wird er wegen Steuerhinterziehung glaubt hatte, weniger verkauft zu haben, als der Zettel bei der bestraft. Steuerverwaltung nachweist, wird er wegen Steuerhinterziehung

"

Armer Wurstmage ein schlechtes Gedächtnis darf man nur haben, wenn man seine Waren in Taufenden von Zentnern ver­schiebt.

Hauptmann Stennes ihm Geld gegeben habe. Er zeigte Zeugnisse von Stennes vor. Den Täter will er bemerkt haben, wie er die Tür aufmachte, auf Buchholz schoß und dann den abgefchoffenen Revolver neben die Leiche Die jekt 22jährige Frau heiratete Buchholz im Februar 1920 aus legte. Frante- Helbing nannte auch den Namen, der adlig war; Neigung, boch fam es bald zu Differenzen; fie fagt: aus gegen der Zeuge hat ihn aber vergessen. Frante- Helbing babe mehrere feitiger Starrföpfigkeit". Sie verließ ihn und beide strengten Ehe Bässe gehabt, die auf Frante" und andere Namen ausgestellt waren, fcheibungsflage an, doch föhnten sie sich wieder aus. Bei der beab­Ser alle Helbings Photographie enthielten. Architekt Droise, der sichtigten Taufe ihres Kindes( das inzwischen verstorben ist) fehlte Löhr mit Helbing bekanntgemacht hat, erklärt dessen Erzählungen für fie und ihr Kind, weil sie nicht wollte, daß der von ihrem Manne Phantasien und Prahlereien. Helbing wohnt jekt in Breslau  , ausgewählte, ihr unsympathische Oberwachtmeister Behmann das Kind Bifchofftr. 1. Er soll auf Antrag des Staatsanwalts geladen aber die Taufe hielt. Ihr Mann sei verschlossen und daher Angefl. Erren bestätigt, daß bei der Hundertschaft ein bei seinen Kameraden nicht beliebt gewesen, aber sehr Helbing war. Nach Bekundung des Oberleutnants Malwitz ist aber gutmütig und feiber kein Menschentenner. Er ging gern gut ge­Helbing schon kurz vor dem Tode Buchholz entlassen worden. fleidet und gab dafür viel aus. hatte aber große ebenein Ueber das Verhalten des Wachtmeisters Buchholz turz vor nahmen aus quien Tips für die Grunewaldrennbahn und aus dem feinem Tode äußert sich Schneidermeister Seidler, der bei Bertauf von Fleisch, bas bei waggonmäßigem Einkauf des der Hundertschaft arbeitet. Am Tage por bem Tobe hat er Buch- Fleisches der Hundertschaft für ihn orüberblieb. Gelb berfchaffte er müssen. Buchholz hatte sich an dem Rod auch noch die Buchholz ist mit ihrem Manne vor seinem Tode öfter zusammen ge­holz die Kleidung zurückgebracht, die er ihm noch hatte instand sehen fich auch durch Verkauf ihrer Möbel sowie eines Raffehundes. Frau Aermet länger machen lassen. Als Geibler am Abend wesen. Nach seiner Entleffung aus der Untersuchungshaft fand fie wiederfam, um fein Geld zu holen, faß Buchholz mit Oberwacht ihn in fehr guter Stimmung, und fie gingen zusammen zur Staats meister Wilhelm zusammen. Beide sprachen von der Kaffenvermal anwaltschaft, wo Buchholz vor Berbunkungsgefahr warnte. Zu tung, und Buchholz schien wichtige Dinge der Staatsanwaltschaft feiner Frau fagte er: Ich gebe Dir alles noch ichrift übergeben zu wollen. Der Zeuge hatte den Eindrud, bag Unterlich, falls ich mundtot gemacht werbe, damit Du wenige ichlagungen von anderen begangen waren, doch verstand stens weitergeben fannst." Er erzählte ihr von Agentengeldern", Aufhebung des Versammlungsverbotes. er die Namen nicht. Als er am nächsten Abend von Buchholz' Tod die er unter Decbelegen habe buchen müssen, und von Schiebungen, 216 28. November Umzüge wieder gestattet. erfuhr, alaubte er nicht an einen Gelbstmord. Noch am Nachmittag die andere begangen hätten. Gelbstmordneigung hat fie nie bei ihm Der Polizeipräsident von Berlin   erläßt folgende Be­um 3 Uhr hatte er Buchholz   gefehen und nichts Auffälliges an ihm gemerft. Sie felber fagte ihm: Wenn Du lange Finger gemacht fanntmachung: bemerkt. Auffällig fand er nachher aber, daß Buchholz fich noch haft, fchieße Dir lieber eine Auget durch den Kopf." feine Sachen herrichten ließ und fich bannerfchoffen Er antwortete: Das habe ich gar nicht nötig. Ich werde den 22. Rovember 1921 angeordnete Berbot von Ver Das auf Grund des Artikels 128 der Reichsverfassung unter haben sollte. Bu Seidler hat, nach dessen Befundung, Erren gesagt, den Spieß umbrehen." er habe gerade von Rimmer 39 aus an seine Braut telephoniert, nehmen lassen, fie feien aber, wie ein gewiffer Simon ihr erzählt bember 1921 außer Kraft. Auf Grund dieser Bekanntmachung Beweisstücke habe er beschlag sammlungen unter freiem Himmel tritt am 28. No­als hinter ihm Buchholz fich erichoß, und die Braut habe noch ae habe, auf Anordnung von Stennes verbrannt worden. Ihr Mann fragt: Was ist denn bei Euch los, da schießen sie woht?" Am nächsten habe ihr erzählt, baß man ihm 100 000 mt. Schweigegeld ge- find vom Montag, den 28. November 1921 ab Versammlungen Tage aber habe boten habe, wenn er eine Fehlbuchung auf sich nehmen wolle. Ais unter freiem gimmel, Umzüge und Straßendemonstrationen Erren sich berichtigt, Wachtmeister Ladebeck, Bursche des Hauptmanns Stennes  , ihr den wieder gestattet. Von der politischen Einsicht der Berliner  er fei noch gar nicht in dem Rimmer gewesen, fondern habe erit Tod thres Mannes melbete, babe fie sofort gerufen: Das haben seine Bevölkerung darf erwartet werden, daß sie den Mißbrauch der Ver hineingehen wollen, um zu telephonieren. Erren bestreitet, über- Feinde getan! Für Geld bekommt man Handwerker!" In ber Sta fammlungsfreiheit zu verbrecherischen Ausschreitungen in Zukunft haupt von einer Braut und ihrer angeblichen Aeußerung über das ferne habe sie mit Hauptmann Stennes und Oberleutnant Malwiz verhindern wird. Schießen geredet zu haben. Der Borsigende häft ihm vor, daß er gesprochen, deren Verhalten sie sonderbar fand. Auch mit in der Boruntersuchuma das als möglich bezeichnet habe. Erren ere flärt das für einen Irrtum bes Protokolls; er habe teine Braut. Schuhmachermeister Langhammer, Zivilangestellter bei der Hundertschaft, befundet, auch ihm habe Erren gesagt, daß er gerabe telephoniert und die Braut ihn gefragt habe: Was ist bei Euch los, da wird ja geschoffen?" Erren antwortet mit dem lachenden Gesicht, das er auf der Anklagebant so oft zeigt: Es ist nicht Demgegenüber befundet Oberleutnant Malwis, daß Helbing meine Manier, von irgendeiner jungen Dame als von meiner Braut am 9. Juni entlassen und feittem nicht mehr in der Kajerne zu sprechen. Dazu bin ich nicht leichtsinnig genug. Seidel und gefehen worden sei. Buchholz starb am 15. Juni. Frau Buchholz Es ist festgestellt worden, daß in einer nicht unbeträchtlichen Langhammer bestätigen, bak Buchholz viel auf aute Kleidung hielt bleibt dabei, daß sie ihn dort noch nachher angetroffen habe. Mal- Zahl von Fällen Waggons mit Kartoffeln, die für und beure Stiefel faufte. Langhammer hat aehört, wie Buchholz wis bemerft, fie habe nicht den Eindruck einer trauernden Witwe Berlin   bestimmt und hier auch angekommen waren, von dem noch am Abend vor seinem Tode äußerte: Wenn die Bande mich gemacht. Frau Buchholz: lagen und Weinen hätte mir nicht ge- Großhandel zu höheren Preisen nach anderen ins Gefängnis bringen will, forge ich dafür, bak die ganze holfen." Stennes habe ihr gefagt, er fönne Erren nicht Orten, zum Teil permutlich sogar nach dem Aus­Gefellschaft in die Luft geht. Auch Schneiderge'elle für einen Mörder halten, der sei ja fo meichlich. Frau land, verkauft worden sind. Die zurzeit bestehende Leuerung Mende, der bei Seidler arbeitet, befundet, daß Erren ihm erzählt Buchholz hat ihm geantwortet: Gerade die Weichlichen sind dazu auf dem Kartoffelmarkt und die Knappheit der Ware ist zum großen habe, er habe gerade an seine Braut telephonieren wollen, als der gut zu brauchen, denen traut man das nicht zu." Teil auch auf derartige Machinationen zurückzuführen. Durch einen Schuk flet. Berkauf von Ware, die für Berlin   bestimmt ist, zu teuerem Preis

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Fräulein.

Bon Paul Enderling  .

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Wie schade, Herr van Steen. In einer Stunde erwarte ich schon meinen Bräutigam." " Den Bräutigam? Ach so? Wer ist denn der Glüdliche?" " Das ist noch tiefes Geheimnis, Herr van Steen. Er meiß es selbst noch nicht genau." Annemarie lachte ihm ins Geficht und lief davon, übermütig wie ein Füllen.

Herr van Steen blickte ihr topfschüttelnd nach. Annemarie blieb in jedem Tor stehen und hielt vor jedem alten Haus und vor jeder Kirche. Je länger fie wanderte, desto vertauter und lieber wurde ihr alles.

Wachtmeister Helbing

fei fie dort noch zusammengetroffen. Der habe ihr gesagt, er glaube nicht an Selbstmord. Wie die Sache verlaufen fei, wiffe er genau. Aber er fahre noch heute nach Oberschlesien  , sonst friege auch er eine Kugel ab.

Heute geht die Beweisaufnahme weiter.

gaffe gehen oder rechts zum Görfeschen Hause abbiegen sollte. Eigentlich hatte sie direkt zum Notar auf den Kohlenmarkt gehen wollen, wohin sie um drei Uhr bestellt war. Es war faft noch eine Stunde Zeit, und sie hätte gut noch herum­bummeln können, eine der Kirchen besichtigen oder im Danziger Lachs" ein echtes Schnäpschen trinken, der Oktoberwind blies tüchtig, und es hätte gut getan.

"

Da dachte sie wieder an Herrn van Steen. Jeßt war er auf der Börse, der biebere Bürger, und brauchte feinen Seft taltstellen zu lassen für Görfes Fräulein. Dabei fiel ihr ein, daß er sie ja mal eingeladen hatte, seinem Fräulein Gesell­schaft zu leisten.

Sie machte sich auf den Weg zur Roepergasse. An einem dunkeln Haus der dunklen Caffe stand der Name van Steen" auf einem großen Porzellanfchild.

Auf ihr Klingeln wurde ihr nicht geöffnet. Da die Haus­türe offen stand, trat sie ein. Eine Treppe führte aus dem weiten Flur nach oben.

Annemarie ging zögernd empor. Als sie auf der halben Treppe war, tam jemand aus der Türe und lief die Treppe herunter ihr entgegen. Annemarie erkannte das brünette Mäd­chen, das einmal bei Görfes eine Bestellung von van Steens ausgerichtet hatte.

Ist Fräulein oben?" fragte Annemarie. " Fräulein?" Das Mädchen blieb stehen und lachte. Nein. Fräulein ist nicht mehr da."

"

Warum lachen Sie?" fagte Annemarie.

Der Kartoffelschwund.

Seitdem dem Bucher   in Berlin   ein wenig schärfer auf die Finger gesehen wird, haben die Herrschaften von der Schieberzunft die Hauptstadt des Reiches auf ihre schwarze Liste gesetzt. Nach der Moral dieser Blutsauger am Bolksganzen verkauft man eben nur bort, wo man die höchsten Preise erzielt. Die Preisprüfungsstelle Berlin   teilt dazu mit:

Schade, daß sie van Steen nicht noch sah! Sie hätte dem liebenswürdigen alten Herrn gern noch eine Liebenswürdigkeit geschenkt.

Es fröstelte sie. Sie wollte ihre Sachen zum Bahnho bringen, un vom Notar aus frei zu sein und dann nicht mehr ins Görfesche Haus zurückzumüffen. Und jetzt, wo sie an das Görkesche Haus dachte, fam wieder die alte Unruhe über sie. Ohne daß sie es wußte, war Annemarie wieder für eine Weile Fräulein".

Sie ging schnell, wie sie sonst auf ihren Bestellgängen ging, schalt sich deswegen und mäßigte ihren Schritt dennoch nicht. Staf ihr das Gefühl, angestellt zu sein und feine eigene Beit zu haben, doch noch so im Blut? Warum war sie nicht frei davon? Würde sie nie davon frei werden können, wie man sich nicht von einer Tätowierung befreien fann?

Als sie im Görtefchen Hause antam, merkte sie gleich, daß hier etwas nicht in Ordnung war. Das ruhige Gleichmaß aller Handlungen, die alle nach der Uhr geregelt waren, schien plöz­lich einem Durcheinander gewichen. Sie hörte hastiges Hin­und Herlaufen, Türenzuschlagen, des alten Görfe harte, ein wenig fnarrende Stimme- wütende Worte, das Kreischen des Mädchens und dazwischen das Jammern von Frau Görke. Was war geschehen? Die Stubentüre stand sperrweit auf, obwohl man schon geheizt hatte.

Als sie die Treppe nach oben ging, begegnete ihr das Dienstmädchen. Jetzt sind sie bei Ihnen, Fräuleinchen," sagte sie mit schlecht verhehlter Schadenfreude.

Gie entdeckte steife, düstere Türme von der Farbe ge­ronnenen Blutes. Sie entdeckte Giebelbefrönungen, die wie Spigengewebe waren, fleine grasbewachsene Pläße und alte Häuser geschmückt mit goldenen Cäsarentöpfen, und auf der obersten Spitze der Giebel saß hier und da allerlei Getier als Windzeichen: Schildkröten oder Vögel mit ausgespreizten Flügeln. Sie entbedte fleine blante Häuschen mit schmalen fchnurgeraden Grachten. Sie studierte die Steinreliefs an den Balustraden der Vorbauten: Jakob stieg auf der Himmels­leiter empor... eine dicke, nackte Venus spiegelte sich in einem runden Spiegel... Sie fuhr mit der Hand über die Löwen­köpfe der Wasserspeier und schlich sich, wo eines der alten Häuser offen stand, in den Flur. Und einmal fletterte fie Ich lach nur über unseren Herrn. Sein Gesicht hätten eine gewundene Holztreppe empor zu einer Galerie, auf der Sie sehen sollen, als Fräulein sich bei der Gnädigen über ihn mächtige, tiefgeschnigte Schränke und eisenbeschlagene Truhen beschwerte." Und im Flüsterton fette fie, nach oben schielend, standen. Am Ende verirrte sie sich sogar zwischen die Speicher. hinzu: Ihnen tann ich's ja jagen. Sie sind doch selbst Fräu Die trugen wunderliche Namen: es gab einen Goldenen Beli- leinchen. Sie wissen ja, wie das ist. Er ist zudringlich ge­fan, einen Adebar, einen Patriarchen Jakob, eine Graue worden." Gans, einen Walfisch, eine Milchmagd, eine Besta. Donn Annemarie trat etmas zurüd. Und nun ist sie fort?" stand sie an der Fähre, die über den Fluß zum Krantor hin ,, Natürlich hat die Gnädige fie' rausgeschmissen. Den Alten überschwamm. und fuhr hinüber inmitten hocender Last- tann fie doch nicht gut' rausschmeißen." träger und ängstlicher Hausfrauen. Der Fährmann marf eine Natürlich," fagte Annemarie und ging ohne ein Wort Der Schuhmann wühlte in Annemaries Koffer, der offen furze eiserne Sette um den Strid und zog vornübergebeugt. Des Abschieds fort. Mit äußerster Borsicht faßte sie das ftand. All ihre mühsam gepackten Sachen lagen zerstreut auf Ein fleiner froschgrüner Dampfer mußte warten und vertrieb Geländer der Treppe und die Klinke der Haustüre an. Alles dem Fußboden: die Kleider, die Wäschestücke, die Schachteln, fich die Zeit mit Pfeifen. tam ihr schmukig, flebrig und widerlich vor. Also so was gab die Bücher.

Als fie ausstieg, zögerte fie, ob fie geradeaus in die Breit- I es auch... So was gab es auch.

Wer?" fragte Annemarie, ohne die Antwort abzuwarten. Auch die Türe zu ihrem Zimmer stand auf, und sie sah eine Anzahl Menschen, darunter einen Uniformierten dort stehen; nun erkannte sie: es war ein Schuhmann. Was gefchieht hier?" fragte fie erregt. ,, Ach Gott  , nun ist sie doch da," sagte Frau Görke und rang die Hände. Das ist abscheulich, Bater." fagte Thea. Ruhe!" donnerte Julius Gürfe.

( Forts. folgt.)