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Nr. 582 38. Fahrgakg

2. Seilage öes vorwärts

Sonnabenö, 10. Vezember 1921

GroßSerlw EinKnacks� im Sürgerblock. Das Zentrum als»unzuverlässiger" Dundesgenosse! In der Stadtverordnetenversammlung, über die wir am Freitag berichtet haben, unterlag der Bürgerblock den drei Fraktionen der Linken bei der Abstimmung über die Erhöhung von Löhnen und Vergütungen der Arbeiter und uichtständig Angestellten und über die Vereinbarung neuer Gehaltssätze mit den in Streik getretenen Werk- a n g e st e l l t e n. Daß mit den Sozialdemokraten, Unabhängigen und Kommunisten, die geschlossen für diese Vorlagen des Magistrats eintraten, auch mehrere Mitglieder der kleinen Zentrumsfrattion stimmten, erregte begreiflicherweise den Zorn der weiter rechts stehenden Fraktionen. Durch die Absplitterung der paar Zentrumsleute wurde die nur auf einem lächerlich geringen Stimmenplus beruhende bürgerlicheMehrheit" in eine Minderheit verwandelt, so daß der Bürgerblock einen Knacks" erlitt. Ein Stadwerordaeter der Deutschen Volkspartei , der eine Zeitungskorrespondenz herausgibt, putzt jetzt die Abtrünnigen tüchtig herunter. Er schimpft: Don der Zentrumsfraktion waren es die 3 Vertreter der christlichen Gewerkschaften sowie der Vorsitzende der Frak- tton, Stadtv. Lange, die mit ihren Stimmen den bürgerlichen An- trag auf Ausschußberatung zu Fall und damit die Ma- gistratsvorlage zur sofortigen Annahme brachten. Der im Zentrum vorhandene Vertreter des Mittelstandes, Stadt- verordneter Obermeister Bieten, stimmte gegen die Ma- gistratsvorlage. Der rechte Flügel des Zentrums war bei der entscheidenden Abstimmung nicht anwesend. Nur dadurch kam die sozialdemokratische Mehrheit zustande. Mit dieser Haltung seines linken Flügels, die in den bürgerlichen Reihen des Stadtparlaments lebhaftes Befremden und erregte Zurufe an die Adresse des Zentrums auslöste, hat das Zentrum seine StellunginnerhalbderbürgerlichenFraktionen des Stadtparlaments aufs schwerste erschüttert, und es muß abgewartet werden, ob die demokratische Fraktion und die Wirtschaftspartei, die bisher eine Art von Arbeitsgemeinschaft mit dem Zentrum eingegangen waren, diese Gemeinschaft ange- sichts der gestrigen Abstimmung des Zenttums und seiner Hilfe für den sozialistischen Magistrat aufrechterhalten." Auch die Abstimmung des Zentrums über die Zuweisung der aus der Stadtliste gewählten Stadtverordneten an die Vezirksversammlungen findet nicht den Beifall der Deutschen Boltspartei. Der ihr als Sprachrohr dienende Stadwerordnete tadelt in seiner Korrespondenz, daß die Z e n t r u in s l e u t e, weil sie die Zuweisung eines der Ihrigen an den Bezirk Mitte wünschten, mtt den drei Frakttonen der Linken für Zuweisung des Un> abhängigen Dittmann an den Bezirk Wilmersdorf und gegen Zuweisung des Deutschnational.en Pfarrer K o ch an Bezirk Krcuzberg stimmten. Dazu sagt er: .Das alles der Sozialdemokratie zuliebe. Zum eigenen vor- teil benutzt das Zentrum, wie man sieht, alle aesetzlich gebotenen Mittel, zur Durchführung einer gemeinsamen Polittk der bürger- lichen Mehrheit, die auch gestern vorhanden gewesen wäre, ist es aber in entscheidenden Fällen nicht zu haben. Das Zenttum hat sich als ein höchst unzuverlässiger Bundesgenosse in der Kommunalpolitik erwiesen. Die Richtung Erz- berger-Wirth hat bei ihm die Oberhand." Man wird nicht fehl gegen, wenn man in dieser heftigen Ab- kanzelung des Zenttums nicht eine private Stilübung des betteffenden Stadwerordnete», sondern einen Ausdruck der- Mißstimmung sieht, die bei der Deutschen Dolkspartei gegenüber der Zenttums- fraktion infolge ihrerUnzuverläfsigkeit" entstanden ist. Die Drohung. daß die Zentrumsfraktion ihre Stellung innerhalb der bürgerlichen Fraktionen des Stadtparlamentsaufs schwerste erschüttert" habe, kann nur erheiternd wirken. Aufs schwerste erschüttert ist die Standfestigkeit des Bürgerblocks, der alsMehrheit" schon bei Verlust der paar Zenttumsleute erledigt wäre. Die Sätze öer Schulgelöftaffelung. Zur ZNinderbemitkelte völlige Schulgeldbefreiung. Der Berliner Magisttat hat, wie wir am Donnerstag meldeten, endlich deschlosien, die durch die Stadwerordnetenversammlung schon

Das Haus ohne Jrauen. Wie die Junggesellen im Ledigenheim wohnen.

Wenn man die Chausiee. und Müllerstraße hinauswandert und hinter dem Ringbahnhof Gesundbrunnen in die Pankstraße ein­biegt, so begleiten einen noch immer getreulich die Häuser, die man nicht mit Unrecht Mietskasernen getauft hat, aber nach einiger Zeit schließt sich einem die machtvolle Weite eines freien Platzes auf und gestattet dem Auge ungehindertes Schweifen. Es ist der Brunnenplatz, begrenzt von der Schönstedt -, Thurneysser -, Pank- und Orthsttaße. Mitten aus dem Platz steht, trotz aller lächerlichen Zierrate imposant genug, das Amtsgericht Wedding. An der Ecke der Pank- und Böttgersttaße erhebt sich ein Schulbau in dem charakteristischen Rot der Hoffmannschen Ziegelbauten, das Schiller-Lyzeum mit einem merkwürdig weit ausladenden Turm. An der Ecke der Schönstedt - und Orthstraße aber reckt sich ein schlichter Putzbau achtunggebietend aus, daß größte und schönste Ledigenheim Groß-Berlins. Nun sagt ein Wort WUhelm Büschs:Bestecheich ist der äußere Schein der Weise dringet tiefer ein." Und da die meisten kaum eine Vorstellung haben, wie es in einem solchen Iunggesellenheim aussieht und Zugeht, so sei ein Gang durch diese» Riesenheim ge­schildert, das 500 Personen zur Wohnung dient. ficht thuaöratmeter mit Komfort. Im Vestibül des Heimes wird man sofort eine bestimmte Einteilung gewahr, die für das ganze Heim gilt. Der eine Flügel ist ein Studentenheim, der andere das eigentliche Ledigenheim.

nehmigen, denn Fußbadewannen find eingebaut. Sochgas steht gleichfalls zur Verfügung und wer eine gute Nase hat, kann über Mittag die verjchicdensten Düfte unterscheiden: Äinderschmorfleisch, Kotelett, Pökelfleisch, Spiegelei, Bralkartoffeln. So ein richtiger Junggeselle versteht sich auf die Zubereitung wunderbarster kuiina. rischer Genüsse. Er muß freilich das Geld dazu haben. Hat er es, wenig oder viel, so steht ihm außerdem auch im-Erdgeschoß ein trefflich geleitetts Speisehaus zur Verfügung. Für Z.M) IR. gibt es eine reichliche Portion nahrhafte Erbssuppe. Das höchste der Ge- fühle, ein saftiges Kotelett, ist für 10 M. zu haben. Mehlspeise mit Saft für 1 M. kann der Wirt gar nicht so viel herbeischaffen als verlangt wird. In dem Flügel an der Orthslraße befindet sich ein gut geleitetes Wannenbad, wo die 5)eiminlassen für 2 M., Fremde für 3 M. baden können Eine Bücherei sorgt für die geistigen Bedürfnisie. Uebersieht man das Ganze und vergleicht damit die trostlosen und unwürdigen Spelunken, in den wackere Männer der Arbeit mit einer zahlreichen Familie zu zehntausend«» in Berlin Hausen müssen, Wohnungen, die von all dem Komfort, der den Insassen des Ledigenheims zur Verfügung, nichts, aber auch gar nichts aufweist, so sollte man annehmen, daß die Ledigen- heimer, verglichen mit diesen Familien, sich wie im Paradies vor- kommen müssen. Kritiker am Zimmerpceis. Das ist aber nun keineswegs der Fall. In dem Heim ist eine große Unruhe darüber entstanden, daß die Mietspreije in der letzten Zeit erhöht worden sind, und zwar soll das Zimmer, je nach seiner age, zwischen IIS und 135 W. monatlich kosten. Dieser Preis

dessen Insassen sich aus Arbeitern. Angestellten. Beamten. Hand- wird wie folgt errechnet: Grundmiete 33 M., Heizung 27 M stäg- werkern und Invalidenrentnern zusammensetzt. Die Verteilung des> lich 90 Pf. Wer kann sich das ir ein warmes Zimmer machen H, Raumes hat etwa zu gleichen Teilen staltgefunden, so daß die Licht 1,KS M.(monallich), Jochgas 4,20 M., Wäsche 9 M., Wasser- -''"' lieferung. warm und kalt, 4.70 M.. Benutzung der Möbel 5,15 M. und Reinigung 37,80 M., zusammen als Durchschnitt 122,50 M. monatlich. Befremdend wirkt bei diesen Zahlen die Höhe der Reinigung, doch mußten dazu vollberuslich tätige Frauen angestellt werden, die natürlich tariflich bezahlt werden müssen. Do eine gründliche Reinigung zweimal in der Woche stattsindet, so kostet jede Reinigung durchschnittlich 3 M. Bon den Kritikern wird nun darauf hingewiesen, daß Sriegsrenlner und Arbeilsiose diese Sähe

Studenten nicht mehr Zimmer zur Verfügung haben als die übri gen. Das Riescngebäude besteht aus zwei Vorder-, zwei Hinter- und zwei Ouerflllgeln. Di« Innen, bzw. Hinterzimmer gruppieren sich um zwei helle Höfe. Auf dem Dach der Ouergebäude befindet sich ein geräumiges Sonnenbad, das im Sommer in ausgiebigster Weise benutzt wird. Jedes Zimmer hat einen Flächeninhalt von S Quadratmetern, find mit Linoleum ausgelegt, haben einen bellen, freundlichen Anstrich, Warmwasserheizung, elektrische Beleuchtung.

Das Inventar eines jeden Zimmers, das von dem Heim selbst ge- nicht bezahlen könneu. Doch wurde uns initgeteilt, daß auf derart stellt wird, besteht aus Bett. Schrank. Tisch. Stuhl. Waschtisch und j Unbemittelte die denkbor größte Rücksicht genommen wird, Bücherbort. Außerdem ist es den Bewohnern überlassen, sich das' während die Erhöhung notwendig war. um die Unkosten des Heimes Zimmer nach Belieben gemütlich zu gestalten. Der eine hat sich einigermaßen zu decken. Eine weit größere Erhöhung aber wäre

einen alten Regulator mitgebracht, dessen Tick-Tack traulich durch die Stille singt. Ein anderer ist im Besitz eines Faul t e u i l s. dem zwar die Beine fehlen, das ober gerade dadurch außerordenttich gemütlich und kuschlig wirkt. Ein dritter ist Kunst- freund und hat Bilder und Büsten. Ein vierter p h o t o g r a- p h i e r t und hat alles mit den Produkten seiner Kunst aus- tapeziert. Ein fünfter ist eifrigerStudiker" nicht Student und die Werke von Marx und Lassalle, dazu Sombart , Wil- brandt und andere grüßen den Beschauer. Ein sechster wieder ist ein Schönheitssucher, denn über seinem Tisch hängt dos Bild eines wunderschönen Mädchens auf einem Prachtpferd reitend. Lad und Mikkagstisch im Hause. Erhebt sich der Insasse früh um sieben, so ist sein Zimmer bereits warm, denn der Hauswart muß die Zentralheizung bereits um 5 Uhr in Gang bringen. Ueber den Flur kommt der Insasse zum Toilettenraum. Dort ist fließendes, heißes Wasser. Wenn er will, kann er auch ein wohliges warmes oder heißes Fußbad ge-

notwendig geworden, wenn nicht das Bezirksamt eine Anzahl Räume des Heimes notwendigerweise in Benutzung nehmen mußte auch das hat Unwillen erregt mit einer jährlichen Mete von 80 000 M. bezahlt. Durch diesen Bettag können die Mieten der Heiminsassen niedriger gehalten werden als es sonst der Fall war. Der Eindruck des Ganzen ist ein so durchaus erfreulicher, daß man wünschen muß, es möge den Insassen gelingen, in Berück- sichtigung ihrer an sich tadellosen Wohngelegenhcit ihrer Kritik und ihrer Unzufriedenheit die Form zu geben, die es dem Bezirksamt ermöglicht, den Wünschen der Insassen nach Maßgabe der Umständs zu entsprechen. Man mag den Kritikern das Recht zugestehen, die Verhältnisse noch immer mehr zu bessern, aber man muß auch an ihr soziales Empfinden appellieren und sie auf jene trostlosen und entsetzlichen Wohnverhältnisse hinweisen, in denen zehntausende ihrer Klassengenossen schmachten müssen. Diese Verhältnisse zu bessern ist die nächste große Aufgabe und dringendste Notwendigkeit.

im Juni d. I. geforderte Staffelung des Schulgeldes der höheren Schulen durchzuführen. Ueber die Sätze der Staffelung, die nach unten bis zur völligen Schulgeldbefreiung gehen wird, verbreitet jetzt das Nachrichtenamt der Stadt folgende Mit- tcilung: Der Magistrat hat den Grundsäßen, die die Deputation für Schulwesen für die Ermäßigung des ischulgeldes aufgestellt hat, im wesentlichen zugestimmt. Entsprechend dem Beschlüsse der Stadt- vcrordnetenversammlung bei der Aufstellung des Haushalts ttitt-eine Ermäßigung bis zur völligen Schulgeldbefteiung je nach Einkommen der Eltern und der Anzahl der Kinder ein. Die vom Magisttat vor- geschlagene Staffelung weicht nur insofern von den Dorschlägen der Deputation ab, als sie den heutigen W ä h r u n g s v er h ö l t- nissen Rechnung zu tragen versucht. Beschlossen wurde: bei einem steuerpflichtigen Einkommen bis zu 14 000 M. fchulgeldftei,

über 14 000 bis 18 000 M. für das erste Kind 250 M., für das zweite Kind 125 M., die übrigen Kinder frei: über 18 000. bis 24 000 M. für das erste Kind 375 M., für das zweite Kino 250 M., für das dritte Kind 125 M.; über 24 000 bis 40 000 M. für das erste Kind 500 M., für das zweite Kind 375 M.. für das dritte Kind 250 M., für das vierte Kind 125 M.: über 40 000 M. für jedes Kind 500 M. Eine wesentliche Erleichterung für die schulgeldpflichtigen Eltern tritt dadurch ein, daß das steuerpflichtige Einkommen nach der Steuerveranlagung von 1920 erfolgt. Nach Mitteilung der Finanzbehörden ist diese im Laufe des Frühjahrs bestimmt zu erwarten. Die zwangsweise Einziehung von Schul» geld läßt sich nicht völlig umgehen, doch soll in allen begründeten Fällen ein weites Entgegenkommen geübt und Stundung der Zahlung des noch nicht ermäßigten Schulgeldes gewährt werden.

Kolonisten aus Weltschmerz 8s Bon Wilhelm Rhenius. 18. September. Pedro sitzt auf dem Dache und deckt. Ich bin Handlanger, der Doktor liegt und schüttelt sich. Wir haben uns schon darin ergeben, daß letzteres einen Tag um den andern auf dem Programm steht. Frau Luiia humpelt mit ihren wehen Füßen umher und pflegt ihn. Sie klagt nicht, aber ein vergrämter Zug liegt aus ihrem Gesicht. Es ist sehr heiß und die Fliegen sind unausstehlich. Pedro scheint verstimmt. Die Arbeit geht ihm nicht recht von der Hand. Hat etwas auf dem Heiden. Am Abend kommt es heraus. Er will für drei bis vier Tage nach Hause, angeb- lich, um irgendein. Fest mitzumachen, bei dem er aus einem Dutzend Gründen nicht fehlen darf. Wir haben alle den Per- dacht, daß er sich drücken will. Er hat sich wahrscheinlich aus- gerechnet, daß er seinen landesüblichen Vorschuß ungefähr abgearbeitet hat, und als lebenslustiger Bursche sehnt er sich aus dem Walde und unserer melancholischen Gesellschaft fort. Ilnlcr Verdacht gründet sich hauptsächlich darauf, daß er. hätte er die Absicht wiederzukommen, sicher einen neuen Vorschuß verlangt hätte. Das Dach ist kaum zum vierten Teil gedeckt. 9. verlassen. Dachdeckereiarbeit. Indianer. 19. September. Als wir uns erheben, ist Pedro schon verschwunden. Wir geben uns beinahe mit keinem Gedanken der Hoffnung hin. daß er wiederkehren wird. Obgleich wir ihm das ein wenig verdenken, ist's uns doch, als sei eine lieb gewordene Einquartierung, bestehend aus einem ganzen Re- giment, ohne Sang und Klang abmarschiert. In der Früh- stücksstunde gähnt ein riesiges Loch an der Stelle, wo er zu sitzen und zu plaudern pflegte. Wir fühlten uns verlassen! Jeremias fühlt sich verlassen, und über die Verlassenheit des Hahnes bestand schon längst kein Zweifel mehr. Ä Ich überrede den Doktor, mst mir ans Dachdecken zu gehen. Habe Pedro ein wenig von dieser Kunst abgesehen, leider ein wenig zu wenig. Trotzdem wir genug loses Stroh zwischen den Sparren durchfallen lassen, um alle Spatzen der

Welt mit Niststoff zu versorgen, behalten wir doch, nachdem über die Hälfte des Daches am Abend gedeckt ist, nach unserer Schätzung genug Stroh übrig, um eine Scheune zu decken. 20. September. Der Doktor will einen Versuch machen, das Fieber durch einen Gewaltmarsch zu brechen, und läuft nach einer Tasse Kaffee in den Wald hinein, der verwachsenen Pikade folgend. Frau Luisa fleht mich an, mit ihm zu gehen, was ich natürlich tue Dach Dach sein lassend. Vielleicht be- fürchtet sie, daß ihr Gatte in seinen Fieberphantasien den Wald so lange nach seinen Skatkollegen durchsucht, bis er sich nicht mehr herausfindet. Wir sind wohl eine Viertelstunde unterwegs, als lautes, angstvolles Rufen von unserem Lager der uns mit einem Ruck stehen bleiben, dann umwenden und im Dauerlauf zurück- eilen läßt. Es ist Frau Luifas Stimme. Sie kommt uns auf halbem Weg atemlos entgegen. Indianer! stammelt sie bloß. Wir laufen weiter, sie hinter uns her. Da vor dem Zelt stehen richtig drei dieser Naturkinder kleine Gestalten, uns mit einem breiten Lächeln begrüßend. Ihre Toilettengegen- stände konnte man in einer Westentasche unterbringen. Jeder hat einen mächtigen, sechs Fuß langen Bogen und eine hübsche Kollektion vier Fuß langer Pfeile. Einer von ihnen scheint eine höhere Würde zu betleiden, da ihm ein kleines Ton- pfeifchen um den Hals hängt. Wo er den dazu gehörigen Tabak trägt, ist uns ein Rätsel. Sie betrachten mit kindlicher Neugier alles ihnen Fremd- artige. Der Doktor, den es schon wieder schüttelt, kann es sich nicht versagen, ihnen aus einer kleinen Musikdosc etwas vor- zuspie'en. Sie sind aus dem Häuschen und schlagen panto- mimisch Tmischgelchäfte vor. Natürlich wollen sie die Musik- dose. Indem wir olle beisteuern, geben wir statt dessen dem Häuptling ein Nachthemd, dos ibm etwa einen Fuß zu lang ist. und ein« Reisemütze. Den übrigen ein Stückchen Zeug und außerdem einem jeden einen der vom Frühstück übrig- gebliebenen Maiskuchen. Dafür erhalten wir einen Bogen nebst Pfeilen und das Tonvfeifchen. Sie sind seelenvergnügt, schnuppern noch ein Weilchen umher und trollen dann ab, an den Maiskuchen knabbernd. Se. Majestät, mit Nachthemd und Reifemütze bekleidet, verschwindet als letzter im Waldes- dunkel...». Der Doktor schüttelt sich jetzt ungestört unter seinen Decken. Frau Luisa betastet ängstlich Pfeil und Bogen der Indianer. Sie hatte ihre Furcht noch nicht überwunden und besorgt

vielleicht, daß sich die Indianer bei ihrem nächsten Besuch keiner Formalitäten bedienen werden. Ich suche sie von der Harmlosigkeit dieser Wilden zu überzeugen und klettere dann auf das Dach, fest entschlossen, heute noch damit fertig zu werden. Es gelingt mir, und es bleibt ein Haufen Stroh übrig. Da der Kranke im Zelt liegt und die Palmhütte ein etwas enger und dumpfer Schlafplatz ist, so schlage ich mein Nachtlager in dem Neubau auf. Er hat zwar noch keine Wände, aber ein Dach, für das ich zum größten Teil ver­antwortlich bin. Und wie ich da vor dem Einschlafen noch eine Weile da- liege, beim matten Sckjein einer Laterne mein Tagebuch führe und sinnend nach oben blicke, da sehe ich einen Stern mit mildem Glanz auf mich herniederstrahlen. Es ist ein Steril erster Größe und ich überlege, was es wohl für einer sein mag. Dabei werde ich mir bewußt, daß es selbst für Sterne erster Größe eine ungewöhnliche Leistung ist, durch Dächer hindurchzuscheinen. Und ich schicke durch mein transparentes Dach ein in- brünstiges Stoßgebet nach oben, daß es wenigstens diese Nacht noch nicht regnen möge. 1V. Eine böse Entdeckung und ein ver- zweifelter Schritt. 20. bis 22. September. Frau Luisa macht beim Füttern ihres Kanarienvogels eine schreckliche Entdeckung. Ihr Bor, rat an Kanarienlamen ist beinahe ganz von Mäusen oder sonstigen: Ungeziefer geiresscn. Auch wenn sie die Nationen sehr beschneidet, muß ihr Liebling ba!d ohne sein gewöhn- liches Futter sein. Sie ist ganz untröstlick. In der Tat dörte sie kaum geknickter sein können, wenn sie ein Flaschenkind ihr eigen genannt und vor der Leiche chrer einzigen Milchkuh gestanden hätte. In meiner Unschuld schlage ich Maiskörner als Ersatz- futter vor. was sie für einen plumpen Scherz hält und erst ! recht weint. Das ist zu viel für mich. Ich erkläre mit fester Stimme, daß ich mit Jeremias nach gemischtem Hanfsamen ausreiten werde, und sollte ich bei dem Versuch zugrunde gehen. Sie sieht mich halb zweifelnd, halb glücklich an:Im Städtchen gibt es welchen." jagt sie zögernd. (Forts, folgt.)