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sozialistische Bestrebungen und Ideale der Kritik unterworfen, der Staat und die Staatsfunktionen werden bemängelt, nicht als das, was sie in der heutigen Gesellschaft sein können, sondern als das, was sie zur Ueberwindung dieser Gesellschafts- form fein sollten. Im Sinne dieser Kritik wird man nie einen starken Staat, sondern einen anderen Staat fordern. Oder aber man kritisiert den Staat und seine Leiter als das, was er selbst sein will, was er seinen eigenen Gesetzen nach sein soll. In diesem Sinne kann man dann von ihm fordern, daß er stark genug sei. sein« eigenen Gesetze anzuwenden. Vor dieser Kritik hat die Regierung Bonomi nicht bestanden. Ein starker bürgerlicher Staat ist durchaus nicht das Ideal der sozialistischen Partei, aber trotzdem ist das»lindeste, was die Partei von der Regierung fordern kann, datz der Staat technisch soweit funktioniere, um den Schutz seiner Gesetze auch dem Proletariat zukommen zu lassen. Heute funktioniert er nicht so. Von bürgerlicher Seite wird den Sozialisten vorgeworfen, daß sie selbst die Autorität des Staates untergraben, indem sie z. B. die Ausstände in den öffentlichen D i e n st e n ermutigen. Ganz abgesehen davon, daß der ganze rechte Flügel der Partei diese Ausstände prinzipiell mißbilligt, steht dieses Messen der Kräfte auf einem ganz andern Blatt. Wenn der Staat aus einem Vorstoß zur Wahrung prole- tarischer Interessen geschwächt hervorgeht, ärmer an Autori - rät, so beweist das für die Partei nur, daß er den verschobenen Machtverhältnissen durch eine neue Gesetzgebung Rechnung trogen muß, wenn er nicht an der eigenen Schwäche hinsiechen will. Von dem Staate fordern, daß er die bestehenden Gesetze zum Schlitz von Leben und Besitz seiner Bürger durchführt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auf alle Fälle gibt das Vertrauensvotum der Regierung Bonomi Gelegenheit, zu zeigen, was sie will und was sie kann. Das Stehenbleiben auf der.goldenen Mittelstrahe" zwischen Sozialisten und Nationalisten bringt den Karren nicht vor- wärts. Will man die Löhne abbauen und die Ab­machungen der letzten Tage zeigen, daß die gewerkschaftliche Abwehr dies nicht verhindern kann, so muß man das be- ständige Steigen der Lebensmittelpreise ver- hindern, sonst treibt man die Arbeiterklasse zu verzweifelten Schritten. Die Hälfte aller Kommunaloerwaltungen des Landes entzieht sich dem Bankerott nur dadurcl), daß sie wesentlich« Ausgaben ganz unerfüllt läßt. Die sogenannte Reform der Bureaukratie"', die ein Drittel aller Staats- beamten binnen kurzem des Dienstes enthebt, wird Scharen arbeitsloser Glieder des Mittelstandes den proletarischen Ar- beitslosen zugesellen. Ohne eine Erstarrung des industriellen Lebens ist diese Masse nicht aufzusaugen. Wie aber soll Italiens Industrie erstarken, solange Mark und Krone durch einen automatischen Dumpingsprozeß feine industrielle Pro- duktion ersticken müssen? Es ist keine Kleinigkeit, diesen Ausgaben gegenübergestellt zu werden, auch wenn einem eine parlamentarische Schonzeit bewilligt wurde. Und vielleicht wurde die Schonzeit eben nur deshalb bewilligt, weil es niemand danach gelüstete, sich an so schwerer Aufgabe zu messen.

Der Arbeitsplan öes Reichstags. Der.Aeltestcnrat des Reichstags beschäftigte sich am Dienstag mit dem Geschüftsplcm für diese Woche. Die Plenarsitzungen sollen am Sonnabend dieser Woche zu Ende gehen. Erledigt sollen noch wer- den das Schulgesetz in erster Lesung, dos Ortsklassenoerzeichnls, die .Kohlen- und Tabaksteuer, das Gesetz gegen die Kapitalflucht, die Gesetze über den Verkehr mit ausländischen Zahlungsmitteln, über Erhöhung der Post-, Telegraphen- und Fernfprech- gebühren, über Neuregelung der Zulagen in der Unfallversiche- rung, über Wochenhilfe und Wochenfürsorge, über das Verfahren in Versorgungssachsn, ferner die Besoldungsordnung für die elsaß -lothringischen Landesbeamien, dl« Interpellation über die Finanznot der Gemeinden, ein Gesetzentwurf über eine Neustaffelung der Einkommensteuer und das Gesetz über die Aenderung des

Grundlohnes in der Kran kenverstcherung, sowie d«r Bericht des Untersuchungsausschusses über den Hungerstreik in der Strafanstalt Lichtenburg. Der Nachtrag zum Haushaltsplan wird dem Hauptausschuß überwiesen werden, so daß eine Aussprache über die Reparationsverpflichtungen erst in zweiter oder dritter Lesung stattfinden wird. Der Reichskanzler wird dazu erst in öffentlicher Sitzung noch Stattfinden der Verhandlungen im Ausschuß das Wort ergreifen. Sozialöemokratie unö Grtselassengefetz. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat beschlossen, für die Enblock-Annahme des Orts- klassengesetzes einzutreten. Dieser Beschluß wurde unter der Loraussetzung gefaßt, daß ein R e i ch s t a g s a u s- s ch u ß eine Nachprüfung zur B e s e i t i g u n g der z w e i f e l- los vorhandenen Ungerechtigkeiten des Orts- klassengesetzes vornimmt._ Rnnektioniften-Propaganüa im Saargebiet. Aus Saarbrücken wird uns mitgeteilt: Die Saarregierung hat den Vorstandsvertretern der deutschen Zentralgewerkschaften der Bergarbeiter und Eisenbahner die Einreise in da» Saargebiet verboten. Wohl um diese auto- kratische Maßnahme, die allerhand Aufsehen erregt hat, zurecht- fertigen", muß der im Dienste der französischen Propaganda stehende neueSaar-Kurier" eine Anzahl führender Mitglieder der Mehr- heitssozialdemokratl« und der freien Gewerkschaften als mehr oder weniger oertappte alldeutsche Annektionisten hinstellen. Ausge- rechnet das Blatt der französischen Annektionisten beschuldigt unsere Parteigenossen Hermann Müller , Lobe, Hue und Stampfer der Annektionslustl Dem Genossen Hue, der vor einiger Zeit einigen übereifrigen Frankenfreunden in die Parade gefahren ist, wirft das französische Annektionistenblatt vor, er habe die alldeutschen Eroberungsabsichten auf das Eisenhüttengebiet Longwy und Briey unterstützt. Ein dümmerer Schwindel tonnte nicht ausgeheckt werden. War es doch gerode Genosse Hue, der sich mit großer Schärfe gegen die schwerlndustriellen Eroberungspolt- tlker wandte und dem deshalb während des Krieges im Saargebiet verboten wurde, in Versammlungen über annektionspolitische Fragen zu sprechen. Daß das französische Annektionistenblatt ausgerechnet den Genossen Hue als Annektionist der Saarbevölkerung zu denun» zieren versucht, zeigt, in welcher tödlichen Verlegenheit sich die Macht« haber gegenüber den Protesten der Saarbeoölkerung gegen die französische Annektionspolitik befinden. Damit die Ausnahmemaß- reget gegen die deutschen Gewerkschaftsführer recht markant hervor- tritt, hat die löbliche Saarregierung kein« Einwände erhoben gegen die Einreise kommunistischer und anarchistischer Agiloloreu. Diese dürfen im Saargebiet Versammlungen abhalten. Kürzlich gab hier aiich der bekannte anarchistische Syndikalist Fritz Kater aus Verlin eine Separatvorstellung. Es oerlautet ober, daß infolge eine» Winkes aus Paris die Saarregierung veranlaßt worden ist, die Ein- reise kommunistischer und anarchistischer Agitatoren zu verbieten. Schade! Unserctwegcn hätten die oerehrlichen Moskauer und San- dikalisten noch recht viele Gastrollen im Saargebiet geben dürfen. Sie paßten nämlich ganz vortrefflich in das autokratssche Regime, unter welchem die Saarbevölkerung heute seufzt. Uebrigens ist der Redak­teur des neuen Saarkuriers, ein Herr Weber, eingetragene» Mitglied der USP. Sein Einfluß auf die allerdings außerordent- lich zusammengeschrumpfte USP.-Gruppe in Saarbrucken sst keines- wcgs unbedeutend. Die USP. darf zu ihrem ausgezeichneten Mit- glied, Herrn Weber, journalistischer Vertrauensmann der fran- zösischen Annektionisten, ollerwärmsten» beglückwünscht werden. Tabakarbclicr und Tabaksteuer. Im ReichStagSauS« iNiur für Verbrauchs st euer» wurde am Dienetag die Tabaksteuer weiter beraten. Ein Antrag R i e d m ftl l e r(So�.) fand ebenfalls Annahme, wonach die mehr als ein Jadr im Tabaks« gewerbe beschäftigt gewesenen Ange st eilten und Arbeiter. die nachgewiesenermaßen infolge dieses Gesetzes innerhalb der nächsten diei Jahre nach seinem Jnirafltrsten, entweder vorüber­gehend oder für längere Zeit arbeitslos werden, Unter- st ü y u n g e n bis zu einem Jahre aus der ReichSkasse erhallen sollen.

D!e neuen Postgebühren. Giesberts über die Umstellung des Postweseus. In der Sitzung des Reichsrats am 12. Dezember, in der die weitere Erhöhung der Postgebühren auf das 20soche der Dorkriegs- zeit beschlossen wurde, führte Reichspostminister Giesberts fol- gendes aus: Das Reichspostministerium ist vom Rcichssinanzministerium auf- gefordert worden, das Defizit aus seinem Haushall schon für 1822 zu beseitigen Dieses Verlangen stützt sich im wesentlichen darauf, daß, solange die Verkehrsbetriebe des Reichs Milliardenzuschüsse aus der allgemeinen Finanzoerwaltung erhalten, ein Entgegenkommen der Entenke bei den sogenannten Reparationsleistungen kaum zu erwarten ist. Sie macht ein solche« Entgegenkommen vielmehr davon abhängig, daß die Rcichssinanzen durch Steuern und die Reichsverkehrsbetriebe durch Erhöhung der Einnahmen �ind Verminderung der Ausgaben saniert werden. In dieser Zwangslage sehe ich mich genötigt, den Reichsrat zu bitten, die Postgebühren nunmehr in dem Verhältnis von 1: 20 festzusetzen. Im allgemeinen glaube ich sagen zu dürfen, daß bei unverändert bleibenden Wirtschafts- Verhältnissen die neue Erhöhung den Posthaushalt ins Gleichgewicht bringen wird. Diese Gebührenerhöhung hat «ine merkwürdige Vorgeschichte. Im Frühjahr 1821 glaubten wir, mit dem öH-Pf.-Brieftarif aus- kommen zu können. Der damals einsetzende Preisabbau ver- leitete uns zu der optimistischen Aussasjung, daß, wenn auch dos Defizit nicht vollständig gedeckt werden würde, doch infolge allmäh- licher Verbesserung unserer Valuta und eines weiteren Sinkens der Preise In Verbindung mit der Einschränkung und Vereinfachung von Betriebseinrichtungen und der Verringerung des Personals die Aus- gaben sich so ermäßigen ließen, daß vielleicht schon im Jahre 1922 ein gewisses Gleichgewicht Im Posthoushalt ein- treten würde. Das finanzielle Ergebnis dieser Tariferhöhung hat un» nicht enttäuscht. Es stellt sich sogar noch besser, als wir an- genommen hatten. Dagegen sind unsere Hoffnungen auf eine günstigere Preiswirtschast nicht eingetroffen. Die einsehende Skeigernng aller Materialpreise und die Erhöhung der Teuerungszuschüsse für das Personal nötigten uns von neuem, an eine Erhöhung der Tarife heranzugehen. Der Vorschlag der Postoerwaltung, hierbei das Verhältnis von 1: 10 zu- gründe zu legen, war im Verkehrsbeirat eben angenommen, als die jüngste Bejoldungsaufbesserung eintrat. Vel der Post war die Wirkung die, daß selbst ihre Mehreinnahmen jetzt nicht ein- mal zur Deckung dieser Ausgaben genügten. Auch bei Zugrunde- legung des Gevührenverhältnisse» von 1: IS verblieb noch ein Defizit von ungefähr 2 Milliarden Mark. Um�den Verkehr und da» Wirischaftsleben nicht unnötig zu belasten, glaubten wir, mit diesen 2 Milliarden Defizit un» abfinden zu sollen, In der Hoffnung, durch weitere Ersparnisse Im Betriebe und die Folgen einer Verkehrs- zunähme den Etat staffelwcise verbessern zu können. Di« Aufsorde- rung de» Reichsfinanzministeriums, den Posthaushalt schon jetzt zu balänzieren, schafft eine neue Lage. E» wird von der Post schon seit dem Krieg« fortgesetzt erhöhte Spar- samkeit oerlangt. Die Postetats der letzten Jahre sind so knapp gehalten, daß sie kaum noch zur Befriedigung des Allcrnotwendlgsten ausreichen. Dabei hat ein allgemeiner Verkehrsrückgang bei der Post nicht stattgefunden. Der eigentliche Postverkehr ist schon nnhezu wieder aus der Höh« der Vorkriegszeit angelangt. In der Telegraphie, im Fernfprech- und Funkwesen, so- wie im Postscheckvertehr sind sogar beträchtliche Verkehrssteigerungen zu verzeichnen. Das bedingt naturgemäß ein« Vermehrung der A r b e I t s krä f t e, so daß sich schon hieraus das Mehr an Personal gegenüber der Vorkriegszeit zum Teil erklärt. Da ferner bei der Eisenbahn bereits vor dem Krieg« in ihren einen bedeutenden Teil des Pcsonals beschästigenden Werkstätten die neunstündige Ar- beitszeit bestand, während für das untere Postpersonal der Wochen- stundenplan einschließlich der Sonn- und Festtage 60 69 Dienst- siunden umfaßte, erfordert« die Durchführung der 48- Stunden-Woche bei der Post eine im Verhältnis größere Ver- mehrung des ständigen Personale. Bei den aus der Kricgszeit über- nommenen Hllfskräften, die teil» aus sozialen Gründen wegen der in den Jahren 1919 und 1920 herrschenden großen Arbeitslosigkeit, teils wegen der Demobilmachungsvorschristen zunächst weiterbeschäf- tigt werden mußten, haben seit Frühjahr 1921 umfang- reiche Entlassungen eingesetzt. Seitdem wird dauernd der Personalbedarf bei den Dienststellen der Verwaltung nachgeprüft und

Die Not unö öie Gerechtigkeit. Von Max Porzig . Müde strich die Rot durch die Straßen der Stadt. Drohend streckte sie die dürren Arm« aus gegen die trotzigen Paläste. Ihr war übel von den vielen Armeleutestuben, die sie auf- zusuche» hatte. Ins Unendliche war ihre Aufgabe gewachsen. Kein Haus blieb von ihrer Gegenwart verschont nur diese protzig hin- gestellten Gebäude tonnte sie nicht betreten. Dort füllte der Ueber- fluß alle Räume. Seine robuste Gestalt machte jede Annäherung unmöglich. Und doch hätte auck sie sich gern einmal an den vollen Tisch gesetzt, hätte das schmatzende Behagen der Bewohner der Prunk« palaste einmal in zitternde» Entsetzen verwandeln mögen. Besonders hätte sie jenem hochmütigen Kriegsgewinnler, der mit dem Laster und der Gemeinheit tafelte, den die Schamlosigkeit bediente, der so hochmütig auf ihr« treuen Freunde, die Arbeiter, die Besitzlosen herabdlickte, diesen fetten Kriegsgewinnler hätte sie, die Not, gar zu gern einmal in ihre dürren Arme gepreßt, bis ihm der freche Atem ausging. Aber der Ueberfluß grinste ihr höhnisch entgegen. Auf seinen Knien schaukelten sich kichernd das Laster Und die Gemeinheit. Die Herzlosigkeit aber hatte dicke Stacheldrähte um den Prunkbau gezogen, und die Schamlosigkeit schleppte an Genüssen herbei, was nur irgendwie auszutreiben war. Lüge und Aberglauben stellten Maschinengewehre und Flammenwerfer hinter den Stachel- draht. Große Schilder aber verkündeten von allen Türmen:.Heilig ist das Eigentum." Die Not schlich sich zurück in die Straßen der Vorstadt. Auf halbem Wege begegnete ihr die Gerechtigkeit. Einen Augenblick, ich flehe dich an, Gerechtigkeit, begleite mich." bat die Not. Es mußte etwas in Stimme und Gebärde der Not liegen, da» die Gerechtigkeit zwang, der Bitte zu entsprechen. Es war sonst nicht ihre Art, aus die Stimme der Not zu hören allzu häßlich klang ihr diese. Jetzt aber raffte sie ihr prächtiges Kleid, um mit dem Schmutz der Vorstadt nicht ln Berührung zu kommen, und ging mit der Not durch einige Elendsgassen, begleitete sie in einige von der Armut bevölkerte Häuser. Bleiche Kinder hoben zitternd die Hände auf zur Gerechtigkeit. Welle, müde Mütter knieten vor der Gerechtigkeit nieder und flehten, nicht für sich, nur für die Kinder. Selbst die Väter, die trotzig und zornig blickten, vergaßen ihren Stolz und gaben der Gerechtigkeit gute Worte. Sie alle sahen wohl die rinqgeschmückten Finger, sahen das Perlenhalsband, die geschminkten Wangen und die falschen Augen. Dennoch erwachte ihnen allen ein Hoffnungsfunke, der sie yn eine Selbstbesinnung der zur Dirne gewordenen Gerechtigkeit glauben ließ. Die Gerechtigkeit erschrak, als sie das Elend sah. Noch nie hatte lie den dichten Schleier zu lüften versucht, der sich zwischen sie und die Welt der Hoffnungslosigkeit geschoben hatte. Auch sie stammte von redlichen Menschen ab. Auch pe war

anfänglich vom festen Willen beseelt gewesen. Ihre hellig« Misston ohne Ansehen der Person zu erfüllen. Aber der Lockungen waren zu viele. Bald wurde sie launisch und flatterhaft. Einmal mißbrauchte sie die Gewalt und nahm ihr den letzten Rest von Scham. Dann macht« sie der Besitz zur Dirn«. Schließlich ward sie jedem seil, der sie bezahlte. Allen ward sie käuflich, nur der Armut nicht. Das alles ging der Gerechtigkeit jetzt durch den Sinn. Aber die Scham hatte sie restlos verloren. Nur ein Fünkchcn Mitleid regte sich in einer entlegenen Hcrzensfaltr. Sie ließ die Not bei der Armut zurück,«Ute zum Ueberfluß, war ihm rasch zu Willen und verbarg da» reiche Geschenk dafür im Gewand. Dam, eilte sie. so schnell sie ihre Füße trugen, zur Armut zurück. Die Rot kauerte noch immer ln der Ecke der dumpfen Stube. Der Tod grinste zum Fenster herein. Als die Gerechtigkeit zu den armen Menschen zurückkehrte, irrte eln Schimmer von Freude über die blassen Gesichter. Ich bringe euch die Wohltat," sagte die Gerechtigkeit, zog die erhaltenen dreißig Silberlinge aus der Tasche und legt» si« mit stolzer Geberfreude vor die Armut hin. Gierig wollten die schmalen, bleichen Kinderhände nach den blinkenden Geldstücken greifen. Auch die Mutter erhoffte von der Wohltat eine Erleichterung ihrer trostlosen Lag« für die nächste Zelt. Im Gesicht des Mannes aber arbeitete es von verhaltenem Zorn. Schwer schlug seine Hand auf den Tisch, daß es in allen Fugen krachte. Dann raffte er die Geldstücke, den Schandlohn der Dirne, vom Boden auf, spuckte der Gerechtigkeit mitten ins Gesicht und schleudert« mit einem wilden Fluch die dreißig Silberlinge zum Fenster hinaus. Die Armut und die Not aber rissen ihr den Flittertram vom Leibe, bis sie völlig nackt vor den Menschen stand. Und e» zeigte sich, daß alles falsch an ihr war. Don ekelhaften 'Krankheiten war der ganze Leib zerfressen. Nun jagten sie alle diese Gerechtigkeit unter gotteslästerlichen Flüchen aus dem Hause der Armut. Undankbares Gesindel," schrie die Gerechtigkeit In den höchsten Tönen zurück. Dann eilte sie in die Arme des Besitzes, der sie bald wieder mit neuen Prunkgewändern bedeckte Der arme Mann aber tröstete Weib und Kinder und vetfprach ihnen eine neue Gerechtigkeit, die gesund und ohne Falsch sei und der Mann ging hin und ward Sozialdemokrat.

Erziehung zur staalsbürgersicheu Verantworlung. An der Deutschen Hochschule für Politik wurde gestern durch den Vertreter de» preußischen Ministers für Handel und Gewerbe, Ministerialdirektor o. Seefeld , diefflerufspädagogische Woche" eröffnet, und Zwar unter so starkem Andrang aus den Kreisen der Fach- und Berufsschulen, daß eine Wiederholung des Kursus sich sofort als notwendig erwies. Ministerialdirektor n. Seefeld wies darauf hin, daß dos Pro- blem der staatsbürgerlichen Erziehung sich nicht in einer staats- bürgerlichen Belehrung erschöpfen könne, sondern zur Erweckung der staatsbürgerlichen Verantwortlicht«lt führen'

müsse. Wenn auch in der Frage der methodischen Behandlung de» Stoffes keine wesentliche Aenderung erforderlich sei, so gelt« die» um so mehr für den Inhalt des zur Behandlung kommenden Ge- sehe«- und Rechtistoffes, der in seiner Tragwelt« und Mannigfaltig- keit zu erfassen selbst für die Fachleute eine schwierige Ausgabe be- deute. Um so dankbarer sei«e daher zu begrüßen, daß die Deutsche Hochschul« für Politik es unter Bereitstellung ihrer Einrichtung auf Anregung des preußischen Minister» für Handel und Gewerbe unter- nommen habe, ln einem sorgfältig zusammengestellten Lehrgang die wichtigsten Fragen auf diesem Gebiete für die Zwecke der Unterricht- lichen Verwertung an Fach- und Berufsschulen behandeln zu lassen. Besonderer Dank gebühre auch den bei der Mitarbeit Im neuen Staatswesen an hervorragender Stelle bewährten Männern, die als erste berujen sind, au» der Fülle ihrer Ersahrungen einen allseitigen Ueberblick über die zur Erörterung stehenden Fragen zu geben. Im Anschluß hieran begann Reichsmlnister a. D. Dr. Koch mit seiner Vorlesung über die Grundzüge der deutschen Reichs- Verfassung. Unter den anderen Vortragenden besinden sich auch Staatsminister Dr. S ä m i s ch und Staatsminister Dr. D r e w». Oesterreich» letzter Leutnant. Im österreichischen Rationalrat wurd« dieser Tage«in Bericht über die Ehargenzusammensetzung der jetzigen österreichischen Armee vorgelegt. Das Verzeichnis zählt di« gesamten l46? Osfizier« wie folgt aus: S Oberstbrigadiere, 230 Ober­sten, 857 Oberstleutnant», 410 Majore, 312 Hauptteute, 144 Ober­leutnants und 1 einen Leutnant. Ein einziger einsamer Leutnant für di« ganze österreichische Armeel Da hoben wir es in Deutschland doch besser. Uns ist der LeuMont nicht nur in zahlreichen Exemplaren, sondern auch in einer Qualität erhallen geblieben, die noch immer mit Hackenschmiß und Monokel allen Anforderungen eines wirklich gediegenen Mili- tarismus genügt. Den Oesterreichern aber raten wir, ihrem letzten Leutnant bei Lebzeiten die Wohltoten eines rationellen Naturschutzes angedeihen zu lassen und das Exemplar nach seinem Ableben sut konserviert Im Zoologischen Museum unterzubringen. verblaue Vogel" des Mount Eoeresi. Die Sammlungen von seltenen Vögeln und Pflanzen, die die englische Expedition bei der versuchsweisen Besteigung des Mount Evcrest zusammengebracht hat, ist nunmehr in London eingetroffen, und es befindet sich dar- unter auch ein eigenartigerblauer Vogel", der von den Ein- geborenen als ein Glücksbringer angesehen wird. Der Fund dieses Märchenvogels, der die Erinnerung an Maeterlincks schönes Drama wachruft, erschien auch der Expedition als ein günstiges Omen für die glückliche Bezwingung des höchsten Berges der Welt. In der Sammlung befindet sich außerdem ein Sperling, der in einer Höhe von 18500 Fuß gefangen wurd-, fodann verschiedene Lärchenarten, Bachstelzen, wcisstöpficv Rotkehlchen, Dohlen, Rot- und Blaufinken. Außerdem gehören' zahlreiche Kästen mil Vogel- eiern, unbekannten Schmetterlingen und Insekten, Fliegen und Bienen sowie Frösche. Fifa )« und einige Säugetiere zu dieser Samm- lung. Unter Wr. botanischen Gegenständen befinden sich verschieden« zur Fan-ll'.« der Nelken gehörige Pflanzen/ die in einer Höhe vot> 400 Fuß über dem Meeresspiegel gesunden wurden, ver- schiebene Primclarten und Zwergrhododcndren. Hg Pakete mit Samen kamen in gutem Zustand,<m.