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m. 602 ZS. Jahrgang

1. Seilage öes Vorwärts

vsnnerstag. 22. Dtjtmfcctmi

Groß�erlw Werktätige Menschenliebe. Tie Weihnachtsbescherung des Z. d. A. Eine Weihnachtsbescherung hatte der Zentralocrband der An- gestellten für die Kinder seiner Erwerbslosen geplant. Freiwillige Spenden es wurden von den Berliner Kollegen und Kolleginnen 300 000 M. gesammelt flössen aber in so reichem Maße, daß auch den Erwachsenen eine Weihnachtsfreude bereitet werden tonnte. Die Solidarität der Mitglieder aber wurde durch den stimmungsvollen und ergreifenden Verlauf der ganzen Veranstaltung, in der man so viele frohe Gesichter sah, belohnt. Im großen Saale der ,. Kammersäle', in der Teltower Straße, hatten stch gestern nachmittag annähernd 400 Personen eingefunden. Festlich waren die Tische gedeckt. Weihnachtsweisen erklangen, und ein im Glänze vieler Lichter strahlender Weihnachtebaum erhöhte die festliche Stimmung. Grete Weinberg begrüßte die Erschienenen im Namen des Verbandes und aller derer, die so eifrig an dem edlen Werk mitgewirkt hatten. Ins- besondere betonte ste, daß der Erfolg dieser Sammlung um so an- erkennenswerter sei, als hier die Armen den Aermsten geholfen hätten. Was hier getan wurde, geschah daher auch mit ganzem ijerzen. Und deshalb unterscheide sich diese Veranstaltung auch wesentlich von den Bescherungen der bürgerlichen Kreise, die oft- mals in einer Weihnachtsbescherungarmer Leute' in erster Linie eine gesellschaftliche Abwechslung erblicken. Die Sammlung in ihrer Art und Höhe ist ein sprechender Beweis, daßSolidarität' kein Schlagwort mehr unter den Angestellten, sondern lebendiger Begriff geworden ist. In diesem Zusammenhange wurden die Kinder aus die einzig wirkliche Religion, die Menschenliebe, hingewiesen und die Erwachsenen ermahnt, in ernsten Stunden nicht zu verzweifeln, sondern aus der Tatsache des Zusammenstehens aller Klassengenossen die Hoffnung a»f eine bessere Zukunft zu schöpfen. Trotz aller Zweifel, trotz aller Kämpfe: Eins steht unwandelbar fest, die Zukunft gehört dem Proletariat. Bei Schokolade und Kuchen konnten sich dann die Anwesenden an einem reichhaltigen Programm erfreuen. Ein Akt ausH S n s e l und Bretel' von Humperdinck rief lebhaften Beifall hervor. Re- zitationen lösten Gesangsvorträge ab. und damit die Großstadt- kinder in keiner Beziehung zu kurz kamen, fehlte auch zum Schluß das Kino nicht. Helle Freude strahlte aus den jungen Augen, Dank- barkeit und Rührung aus den Mienen der Erwachsenen, zumal, als die Pakete in Empfang genommen und geöffnet wurden. Was da an da« Tageslicht gefördert wurde von Kleidchen und A n- zögen, Strümpfen und Handschuhen, Hemdchen und Höschen, Spielsachen und Büchern, übertraf die Er- Wartung oller Erschienenen. Schade, daß nicht alle, die geholfen haben und in jener Stunde nicht bei der Bescherung weilten, sich durch Augenschein von dem Gelingen des guten Werkes überzeugen konnten. Immer wieder fragten die Kinder, bei wem sie sich denn nur für all das Schöne bedanken könnten, immer wieder tauchte bei den Erwachsenen die Frage auf, ob sie denn auch ein Recht hätten, so viele gute und schöne Dinge wirklich mit nach Hause zu nehmen. Das Fest hat sicherlich bei allen Teilnehmern ein Gefühl tiefster Be- friedigung ausgelöst, und gern werden sie in späteren Tagen der frohen Stunden gedenken. »» Eine Weihnachtsfeier hatte der Betriebsrat der Eisenbahn - Hauptwerkstätte Berlin 2 am Sonntag, den 18. Dezember, für 146 Pensionäre und Witwen der Werkstatt veranstaltet. Angespornt durch die große Not dieser Veteranen der Arbeit, brachte die Beleg» schaft die Mittel auf. und nahezu 20 000 Mark wurden an die not» leidenden Klassengenosien verausgabt. In würdiger Weise wurden die für diese Summe entstandenen Gaben zur Verteilung gebracht. Die Hutnadel als Waffe. Gestern abend wurde die Köchin Anna Schleicher in der Nähe de? Bahnhofes Wannsee plötzlich von einem Mann angefallen. Er versuchte,»hr die Handtasche zu rauben. Die Ueberfallcne aber setzte sich kräftig zur Wehr und griff in Ermange- lung einer anderen Waffe zur Hutnadel. Mit ihr brachte sie dem Räuber einen so empfindlichen Stich in die Hand bei. daß er es vorzog, von seinem Plane abzulaffen und� die Flucht zu ergreifen.

fim und reich in Groß-Herlm. Die Möglichkeiten eines Ätnsgleichs zwischen Wohlstand und sozialer Not.

Die Stadtgemeinde Groß-Berlin. ist geschaffen worden, um aus dem einheitlichen Wirtschafts- und Lebensgebiet auch eine Derwal- tungseinheit zu machen. Daneben aber sollte zugleich ein Aus- ! g l e i ch zwischen den sozialen Schwierigkeiten der ärmeren Vorortgemeinden und der größeren Bewegungsfreiheit finanziell kräftiger Bezirke angestrebt werden. Diese eigentlich soziale Aufgabe, die der neuen Einheitsgememde gestellt ist, konnte bisher leider noch nicht mit der wünschenswerten Tatkraft in Angriff ge- nommen werden. Bei der Ausstellung des letzten Etats und ins- besondere bei der Verteilung der Vorbehaltsmittel auf die Bezirke wurde die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs zwischen armen und reichen Bezirken von unserer Seite aufs kräf- tigste betont. Die Finanzverwalwng und das Statistische Amt haben daraufhin Tabellen zusammengestellt, aus denen die soziale Schichtung In Groß-Berlin mit großer Deutlichkeit er-

kennbar wird und die der Kämmerer in der �letzten Sitzung des ständigen Etatsausschuffes erläuterte. Die soziale Struktur Groß-Serllns. Wir greifen aus'per großen Zahl dieser Tabellen die unseres Erachtens beweiskräftigsten heraus und wollen versuchen, an ihrer Hand die sozial« Siruktur Groß-Beilins zu beleuchten: die 5)öhe der Ei n t o m m« n st e u c r in den einzelnen Bezirben, die Aus- gaben für Armenpflege, die Kinderzahl, die Zahl der Schüler an höheren Schulen und die Zahl der Klein- Wohnungen. Schon der erste Blick lehrt, daß alle dies« Kri- terien des WoWandes oder der Armut tu den einzelnen Bezirken durchweg dasselbe Bild ergeben. Der ärmste Grojz-Berliner Bezirk. Danach dürfte der ärmst« Bezirk Proß-Berlins W e i ß e n s e e sein, das jedesmal unter den sechs letzten erscheint, viermal an zweitletzter Stell«. Weißensee bringt an Einkommensteuer aus den Kopf der Bevölkerung noch nicht den S. Teil der reichsten Gemeinde (Zehlendors) aus. noch nicht zwei Drittel' des Grvß-Berliner Durch- schnitts. Weißcnsee trägt an Armenlasten L�mal so viel wie Schöneberg , es bat 20 Proz. mehr Kinder als der Groß- Berliner Durchschnitt, SO Proz. mehr als Wilmersdorf . Armut und Kinderreichtum wohnen also auch hier beieinander, während die sozial kräftigen Schichten des Berliner Westens den Kindersegen systematisch beschränken. Weißens«« hat noch nicht ein Drittel sovielhöhere' Schüler wie Zehlendors, aber dafür um 100 Proz. mehr Kleinwohnungen (von 1 bis 2 Räumen) als dieses. Mit Weißense« nahezu gleich steht der Bezirk Neukölln , auch er rangiert jedesmal im letzten halben Dutzend, zweimal sogar an absolut letzter Stelle: in der Einkommensteuer und in der Zahl

der Kleinwohnungen. Dann folgen Alt- Verl in und Rei- nickendors, von denen Alt-Berlin an höheren Schülern am ärmsten, dafür aber an Armen am reichsten ist, R e i n i ck« n- d o r f die größte Kinderzahl in Groß-Berlin aufzuweisen hat, während Alt-Berlin wieder in der 51inderzahl, Reinickendorf in der Zusammenpstrchung seiner Bewohner ein klein wenig besser gestellt sind als die beiden ärmsten Bezirke. Und als letzte der armen Ge- meinden schließt sich dann Lichtenberg an, das zwar im allge- meinen sich ein wenig über die anderen vier erhebt, aber doch durch «ine verhältnismäßig große Kluft von den Gemeinden mit einem Durchschnittswohlstand in Groß-Berlin getrennt ist. Diesen fünf Bezirken müßten also in erster Linie die Segnungen der Einheitsgemeinde auf sozialem Gebiet zugute kommen. Der reichste Groß-Derliner Bezirk. An der Spitze der reichen Bezirke marschiert, wie zu erwarten war, das kleine Zehlendorf , dessen Bevölkerung am wenigsten eng zusammengedrängt ist in Groß-Berlin, das die meisten Steuern bezahlt und die meisten höheren Schulen besitzt(8 Proz. der Gesamt- einwohnerschaft besuchen höhere Lehranstalten gegenüber einem Per- liner Durchschnitt von 2,75 Proz.) Auf Zehlendorf folgen Wil- meredorf und Schöneberg und als vierte reiche Gemeinde in geringem Abstände Steglitz . Zwischen Reich und Arm gruppieren sich dann die übrigen Be- zirke als ein« Art durchschnittliche Mittelschicht, sie werden auf sozialem Gebiete in absehbarer Zeit weder zu geben noch zu nehmen haben. Wie groß die Spannungen innerhalb der Einlieits« gemeinde sind, wie ungleich oerteilt des Lebens Güter inner- halb Groß-Berlins noch sind, ist schon gestreift worden. Es fei noch einmal am grellen Schlaglicht der Extrem« be- leuchtet. Zehiendorf bringt fast 600 Proz. der Einkommensteuer von Neukölln auf, Reinickendorf hat fast 50 Proz. mehr Kinder als Wilmersdorf , Alt-Berlin zahlt 360 Proz. mehr Armengelder als Schöneberg , Weißenlee hat 300 Prozent mehr Kleinwohnungen als Wilmersdorf . Die Zukunstsaufgabe. Das Ziel der künstigen Politik in Groß-Berlin ist als» klar vorgezeichnet: Es gilt, diese Spannungen durch eine den Tatsachen gerecht werdend« Sozial- und Finanzpolitik aus zu- gleichen. Auch die ärmeren und ärmsten Bezirke in Groß-Berlin müssen endlich an dem Wohlstand reicherer Gemeinden Anteil er- holten, und diese wohlhabenden Bezirke müsien so lange auf ihre bisherigen Privilegien verzichten lernen, bis der Ausgleich zwischen den' sozialen Nöten auf der«inen und dem W o h l st a n d auf der anderen Seit« herbeigeführt ist/ Für diesen Ausgleich zu sorgen, muh die Aufgabe der Stadtverordnetenversammlung bei der Aus- stelluug des neuen Haushaltplans fein. Richard Lohmann.

Der Selbstmord im Pfarrhause. Der unfähige Waisenrat. Wie wir vor einiger Zeit mitteilten, hat sich die bei' dem Pfarrer Lützow in Eich walde(Kreis Teltow) beschäftigte Hausangestellte, eine arme Halbwaise Hermine Dreiyer in- folge der ihr in diesem Hause zuteil gewor- denen Behandlung dos Leben genommen. In der letzten Sitzung der Gemeindevertretung wurde dieser Borfdll durch die sozialistischen Fraktionen einer scharfen Kritik unterzogen. An Stelle des von den Bürgerlichen unter fadenscheinigen Gründen abgesägten Gemeindevorstehers Genosse P u ch e r t leitete der 1. Schösse, Genosse Ewers, die Berhond'unoen. Er bezeichnete das bedauerliche Vorkommnis als den Schlußakt einer Tragödie. Fest stehe, daß das Mädchen bei unge­nügender Beköstigung sehr schlecht behandelt worden sei. Dom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht habe das Mädchen, das fast noch«in Kind war, angestrengt arbeiten müsien. angetrieben mit Scheltworten von der Frau Pfarrer, dem Illjährigen Sohn und der sogenannten Stütze'. Pfarrer Lützow. als Seelsorger und Waisen- r a t hätte sich der Halbwaise unbedingt onnehmen müssen. Wenn

er nicht einmal im eigenen Hause dem armen Mädchen zu seinem Recht verhelfen konnte, so habe er sein« Pslicht als Waiscnrat gröblich st verletzt und eigne sich also nicht zu diesem Amt. Den sechs bürgerlichen Gemeindevertretcrn war bei dieser Feststellung höchst unbehagtich. Der Lehrer Lanze meinte, die Sache gehöre höchstens nur so weit vor die Gemeinde- Vertretung, als die Gemeindebeamten beim Trans- »ort der Leiche ihre Pflicht verletzt hätten. Der bürgerliche Gemeindevertrater Voigt war teilnehmend genug, den Vorfall als außerordentlich bedauerlich und die Hand- lungsweise des Amtsdieners P r i c b e als wenig pietätvoll anzusehen. Während der weiteren Aussprache verließen vier bürgerliche Vertreter den Sitzungssaal, da aber die zurückgebliebenen sieben Vertreter beschlußfähig waren, erfolgte d 1 e Annahme eines Antrages: beim Landrat die Entfernung des Pfarrers Lützow von seinem Posten als Waisenrat zu verlangen. 7'Ahr-Schluß der Kaffeehäuser am Heiligabend. Der Berein der KaffeehauSbesitzcr von Groß-Berlin und Provinz Brandenburg hat beschlossen, am Heiligabend die Kaffeehäuser um 7 Uhr zu fchließen.

Der Trambchnwagen der Areiheit.

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Novelle von Otto Rung .

Er hielt die Harmonika zwischen den Zähnen und tanzte Solo, er streckte die Arme nach Solborg aus, aber sie schlug nach ihm und lachte schämte er sich nicht solch ein alter Bock! Und sie segelte weiter mit Manghild, stumm, bezaubert, die starren großen Augen voll von Mondschein. Die Sterne blinkten durch die Daumkronen, und Nachtigallen gurgelten in der Tiefe des Buschwerks. Und Ankersen jubelte:Ist es nicht schön in Paris ?" Tränen liefen ihm über die Wangen, während er auf seinem Trittbrett saß und blies, wunderbar betrübt und be- rauscht von der Musik. Es war ja so weit, o so weit bis zu dem kleinen Trianon und Versailles ' funkelndem Spring- brunnen, aber bis hierher meinte er das Wasser über die Stein- decken rauschen zu hören, und oben im Museum träumten Meisterwerke und Marmorgötter, die er nie mehr sehen sollte. Was er jetzt besaß, waren nur die Landstraßen und die zer- zausten Hecken auf regennassen Feldern, ewig sollte er wandern und meterweise malen für fette Gutsbesitzer und hoch­mütige Bauern. Heute abend aber ja, heute nacht jubelte sein Herz mit dem Sang all der rieselnden Springbrunnen in Bersaille s! Nein, heute nacht war er kein Vagabund, kein billiger kleiner Landstraßenmaler. Er war der Meister, die Farben kochten auf seiner Palette, die Linien erhoben sich, allmächtig, schwellend von Inhalt, all das, was er erträumt hatte, wurde wahr, und rings um den ersterbenden Feuerstoß tanzten seine Musen!--- Nach drei Tagen voll Fest und Musik und üppiger Mahl- Zeiten erwachte Ankersen und streckte die Beine auf der Vorder- Plattform aus. Er hatte Krämpfe in den Waden und über die ganze Haut kribbelte es ihm wie Ameisen. Ich muß fort! dachte er. Den, Sack auf den Nacken und aus und davon. Rasch? Drinnen im Wagen hustete Solborg. Er duckte den Nacken und horchte. Was hatte er soeben beschlossen? Ja, also fort von hier! Auf der Stelle. Viele Meilen weit, ehe der Mittag kam! Er langte mit der Hand unter den Tramwagen n�ch seinen Schuhen, die zwischen denen Manghild? und Toi- dorgs zum Bürsten standen. Sollte er wohl zuerst Lebewohl sagen? In diesem Augenblick klingelte Solborg nach>hr«m Morgentee und er lies elligst mit dem neuen Kessel zum Bach

hinab, äußerst beschämt, und suchte Solborgs Schuhputzcreme aus dem Magazin des Koirdulteurs hervor. Sie wurde sehr böse, wenn ihre Schuhe nicht glänzend blank waren. Manghild kam herausgekrochen, halb angezogen und ver- schlafen. Solborg hatte gesagt, sie öde sie an, und hatte sie hinausgejagt. Und eine Stunde später zeigte Solborg sich auf der Plattform, reizend schön in ihrem roten Seidenleib, das gelbe Stirnhaar wie einen Messinghut herabgestrichen bis zu den Brauen, die wie ein Kohlenstrich über den blitzenden Augen standen. Manghild mußte hineingehen und die Stube in Ord- nung bringen, die Gardinen zurückziehen und die Bettücher zusammenrollen. Ankersen hatte den Raum behaglich gemacht, indem er seine Gemälde an den Wänden aufhing: die Mühle und den Schifsbruch zwischen den Dünen und die Fjordaussicht mit den beiden schwarzfleckigen Kühen. Solborg hatte sie kritisch und kalt betrachtet. Sie war einmal in ihrem Leben in einem Viehmarkt-Wirtshaus gewesen und hatte da«in paar Kühe gesehen, aber die waren alle feuerrot gewesen.Mir scheint. Sie malen nicht gut," sagte sie. sich auf dem Plaid räkelnd, den sie vor dem Wagen aus das Gras gebreitet hatten. Ich glaube," fuhr sie fort,'s wär an der Zeit, daß Sie was Gescheites anfangen. Wir können nicht von der Luft leben!" Sie betrachtete ihn höhnisch unter den niederen Lidern, während er demütig seine Pinsel sammelte und mit grüner Seife und Gras rein trocknete. Das Landleben hier," fuhr sie fort,mag ja im Sommer recht gut sein. Halt die Beine still, Manghild, ich krieg Schmerzen im Genick! Im Winter aber, wenn wir nach der Stadt ziehen, müssen wir mindestens drei Zimmer auf Nörre- bro haben, nach vorne! Eines, wo Sie drin malen können ich kann den Terpentingeruch nicht vertrage», und Mang­hild will ich nicht mehr in meinem Schlafzimmer haben, sie ist mondsüchtig." Ich pflege in einem Häuschen drüben auf Iütland zu wohnen." sagte Ankersen schwach,unten an der Nordsee. Im Winter." Ich kann recht gut in der Zirkushalle tanzen, wenn ich will," bemerkte Solborg,dann kann ich mir selbst Seiden- strümpfe und Psefferminzkuchen leisten. Manghild kann auch was ansangen, sie sieht gar nicht so dumm aus, wenn sie erst ein bißchen fix srisiert ist und'n wenig Reispuder auf die Nase kriegt. S'ist immer besser als im Bäckerladen stehen. Mang» hlld! Oder für Heimatlose Herrennachthemden nähen, drüben im Reumrgsheim bei Fräulein Skjödt, dem Ekelt Sie hatte

wohl die Absicht, mich bei einem frommen Konsumvereins- Vorsteher als Kinderfrüulein unterzubringen! Aber mich kriegen sie nie dazu, ums Brot zu dienen! Nein! Mich nicht!" Sie stand auf und stemmte die Hände in die Mitte, so daß die Hüftenbogen gespannt standen wie ein Korb, und die Lenden bewegten sich üppig unter dem strammen Rock. Schüttelte das Nackenhaar und ließ Luft zwischen ihre weißen Porzellanzähnchen sickern. Der Rücken stand lang und hohl wie ein Bambusbogen.Ich bin gewachsen, was?" Und sie blickte höhnisch herab auf die kurze und dicke kleine Manghild, die schwer auf ihren Fingern im Grase saß. Ankersen schaute zu ihr auf, bedrückt und entzückt; da stand sie, gelb und rot wie ein von der eben ausgegangenen Morgen- sonne fallengelassener Strahl. Er saß da, die Leinwand im Blendrahmen auf den Knien. Der Pinsel bebte in seinen Fingern. Und er begann atemlos Farben auf seine Palette zu schmieren, reine Kulören heftig gegeneinander gesetzt: die grünen, grünen Sträucher, die gelben Seitenflächen' des Tram- wagens, das Knallblau des Himmels mit Wolken wie Herden von Watteschafen und mitten darin gleich einem blutroten Rauch Solborg! Ach, hätte er Gold oder Gluten, um sie damit zu malen! Es waren Farben, die förmlich betäuben konnten, er fühlte sich ganz schwindlig wie jenesmal vor vielen Iahren, als er der Lehre des Malermeisters im Heidedorf ent- laufen war und zum ersten Male in seinem Leben das Meer sah; grellblau wie eine ganz neue Farbe in der Welt, wie die Schwelle zu einem Vagabunden- und Wander- und Künstler- leben, einem Sichdurchfechten durch Tausende Unterschiedlicher Himmel und unvergeßlicher Landschaften. Malen Sie mich ab!" sagte Solborg und zog das Stirn- netz in einem festen Strich zu den Augen hinab. Der Blick wurde meerblau, mit Wogenschaumgeglitzer in den Augen- winkeln. Ankersen preßte seine Tuben ohne Rücksicht auf Oskonomie, selbst das teure Rosa, und der Daumen wurde der Spatel. Oh. wie alle Linien rund um ihre Brust flirrten und der Seidenstoff an ihren Hüften hinabzitterte, das alles mußte er mithaben, so, mit festen und leicht wogenden Strichen. Ja! nun wurde es lebendig, so! und hier im Haare: dünne Schattenlinien wie klein« grüne Schlänglein, die krochen; und nun alles viereckig draußen um sie her: der Tram- wagen und die Baumkronen, die Wolken am Himmel; hier war sie die einzige, die Bewegung hatte und rund und lebendig war. Und um noch deutlicher ihre Belebtheit zu zeigen, malte er ihre Hände nüt einer Masse flimmernder Striche. (Schluß folgttj