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Nr. 615 3S. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Krettag, ZH.Vezember l�SI
Sei üen Serliner Wetterpropheten. Wie die Witterung erkundet und berechnet wird.
Alle Tag« berichten die Zeitungen, wie sich das Weiter vor- ousstchtlich gestatten wird. In den meisten Füllen treffen diese Prophezeiu.igcn prompt ein und jeder kann so au» dem stillen Watten der Wetterkunbigen Nutzen ziehen. Im zweiten Hof der Landwirtschaftlichen Hochschule in der Invaliden- straß c hausen die Berliner   Wetterweisen vier Stock hoch, ganz nahe bei Petrus  . Di« Fenster der mit Karten, Akten und Appa- raten gefüllten ArbeitsrSume find so klein, daß wohl bei trübem Wetter auch am Tage die Glühbirnen brennen müssen. Der Leiter der Berliner   Wetterdienststelle wird von drei wissenschaftlichen Mit- arbeitern unterstützt, insgesamt besteht das Personal aus neun Personen. Wettermeldung durch Junten. Dreimal täglich kaufen nun Wettermeldungen aus ollen Teilen Europas   ein. Eine eigene Funkenstalion, die eine Reichweite von etwa 1000 Kilometer hat und mit einer Wellenlänge von 2-tOO bis 5000 Metern arbeitet, empsängt von einer großen Zahl europäischer Stationen drahtlose Wetternachrichten. Was ist das für ein Lärm im Weltenraum, bevor die Station auf die von ihr gewünschte Sendestelle abgestimmt ist! Ein wahres Konzert von Nachrichten braust am Ohr vorüber, bevor z. B. die Verbindung mit dem Eisel- türm hergestellt ist. Auch Drahttclearamme treffen von einer großen Zahl von Wetterdienststellen ein. Ander« wieder berichten nur an die Soewari« in Hamburg  , die Ihr Nochrichieumalerial dreimal täg­lich durch Sommellelegramme cm alle lvetterflaiionen übermittell. Auf Grund dieses umsangrcichen Meldedienstes werden dann sofort die Voraussagen bearbeitet. Zm Apparateraum. Einige Schrille von den Bureauräumen entfernt, liegt der kleine Raum, in dem die meteorologischen Meßinstrumente untergebracht sind, die selbsttätig ihre Beobachtungen aufzeichnen, die dann hinaus- gerufen werden in die ganze Welt. Es find stille und zuverlässige Arbeiier, sie messen den Luftdruck, stellen Richtung und Geschwindig. keit des Windes fest und zeichnen die Temperaturen auf. All« diese Beobachtungen werden Lahr   um Jahr sorgfüillg auf Karten ver- zeichnet, und so gelingt es, eine gewisse Gesetzmäßigkeit all dieser Vorgänze herauszufinden. Der Luftdruck wird durch das Queck- stlberbarometer gemessen, dessen Hauptbestandteil«ln« 90 Zentimeter lange Glasröhre ist, auf deren umgebogenes unteres Ende der Luft- druck einwirkt. Dadurch wird das Steigen und Senken einer Queck- silbersäule hervorgerufen, die in dar Höhe des Meeresspiegels genau 700 Meter lang ist. An höher gelegenen Orten wird sie infolge de» oerminderten Luftdruckes kürzer. Da die Stationen meist in ver- schieden«! Höhen liegen, ist ein« Umrechnung der jeweiligen Baro, meterangaben notwendig, bevor sie in die Wetterkarten eingetragen werden. Ein einfaches Hebelsystem, in Berbindirng mit einem Uhr­werk, zeichnet di« Ergebnisse auf. Zur Kontrolle hängt neben diesem Baromeier noch ein einfaches, bei dem der jeweilige Stand obge- lesen werden muß und das in regelmäßigen Zellabschnitten mit den Apparaten anderer Stationen verglichen wird. Die Luft strömt aus den Gebieten höheren Luftdruckes in solche niederen Druckes. Daher ist es wesentlich, die Windrichtung zu kennen. Eine besonders gearbeitete wellerfahne. die auf Kugellagern läuft, betätigt einen kleinen Messingzylind»r, in den Kurven hineingeschnitten sind, in die die Schreibvorrichtung eingreift, die bei jeder wesentlichen Drehung arbeitet und so die Windrichtung zeichnerisch auf einem Papierzvlinder darstellt. Die Windgeschwindigkeit wird durch das Schalrnkreuzanemomeker gemessen. Aul einer hoch in die Lust ragenden Achse läuft dasScholen kreuz", das man mit einem winzigen Windmotor vergleichen kann, und treibt einen kleinen Dynamo. Die Stromstärke läßt alsdann auf die Windgeschwindig. kell   schließen.
Aus dem Dache. Trotz der Dunkelheit kletterten wir eine schmal« Trepp« zum Doch hinauf. Ein hohes Gestell mit einem viereckigen Kasten er- j regte sofort die Aufmerksamkeit. Seine Wände sind durch dochartig« Jalousien gebildet, die dem Sonnenlicht den Zutritt verwehren, während der Wind ungehindert durchwehen kann. In diesem Kasten sind die Thermometer untergebracht. Ein kleines Gestell trägt in senbrechtcr Anordnung das trockene und da- feuchte Thermo. mcler. Die Queckfilberkugel des letzteren wird durch einen im Wasser endenden Docht ständig"feucht gehalten. Bei trockener Luft ver- dunstet das Wasser schnell und senkt dadurch die Temperaturangabe dieses Thermometers. Aus dem Unterschied zwischen diesen beiden Thermometern läßt sich somit die Luftfeuchtigkeit bestimmen. Wag«. recht dazu liegen das Minimum- und das Maximumthermoweter. deren Quecksilbersäule ein kleines Stahl- oder Alasröhrchen fort- bewegt, das dann an der höchsten bzw. niedrigsten Stell« liegen bleibt und so automatisch die höchste und auch die niedrigst« Tag«»- temperatur erkennen läßt. Außerdem zeichnet im Apparateraum ein Thermograph täglich die Temperaturen laufend aus. Beinahe wären wir in der herrschenden Dunkelheit über»inen Regenmesser gestolpert. Das ist ein unscheinbare» runde» Gesäß mit scharfem Rand, das Regen, Schnee oder Hagel auffängt, durch einen Trichter in eine kleine Kanne leitet, deren. Inhalt alsdann in ein Meßglo» gegossen wird, an dessen Millimetereinteilung di« Niederschlagsmenge bis auf ein Zehntel Millimeter genau abgelesen werden kann. Schnee und Hagel müssen natürlich vor dem Messen geschmolzen werden; es gibt auch Apparate, die die Niederschlags- mengen selbsttätig zeichnerisch darstellen. vie Verwertung üer Ergebniffe. Alle diese Beobachtungen werden in Verbindung mit den bei der Station eingelaufenen Nachrichten auf voraedruckte Landkarten von Europa   eingetragen. Da gibt es Karten, die nur den Luftdruck, andere, die nur die Temperaturen verzeichnen. Die wichtigste aber, die olle Ergebnisse enthält, ist die Wetterkarle. Auf ihr sind die Orte gleichen Luftdrucks und gleicher Temperatur durch Linien per- bunden, so daß man die Witterungsverhältnisse Europas   leicht ab- lesen kann. Die zunächst von S)<<nb auf die vorgedruckten Karten ge- zeichneten Linien werden auf eine Wachsplatte durchgezeichnet oder gedruckt. Die Voraussagungen werden im Laufe des Vormittags den Zeitungen übermittelt und feit 1906 bei den Telexraphenämtern öffentlich angeschlagen. Aber auch Privatpersonen beziehen diese Voraussagen, z. B. Landwirt«, Brauereien, Filmfobrikanten(um di« Tage der Ausnahmen im Freien bestimmen zu können), und auch Gastwirte, die im Sommer große Gartenlokale betreiben, ferner noch viele andere Derusszweige, d!« vom Wetter abhängig sind. Der Preis für den vierteljährlichen Bezug dieler Nachrichten dcköust sich auf 3,7S M.(vor dem Kriege 50 Pf.). So zeigt sich der praktische Wert dieser Arbeiten, deren Auswirkung geipiß nicht unterschätzt werden darf. Leider sind auch die Wetterdiensffiellen durch hie Finanz- n o t in ihrer Existenz bedroht, da di« DlUlhersagetelegramm«, die bisher von der Post zu sehr mähigen Sätzen befördert«ichden. un­geheuer verteuert werden sollen. Hoffentlich ist da» Reich tn der Lage, die für diesen Dienst notwendigen Mittel auch fernerhin zur Verfügung stellen zu können.
Das Reichsentschödlguagsomt für llrieasfchSden nimint feine Tätigkeit am l. Zannar aui. Mit diesem Tage geht das Arbeits- gebiet der Geschäitsstelle ,ur Errichtung des Reichsentschädigungs- amiZ aus das Amt selbst über. Seine Geschäftsräume'befinden sich in Berlin   WS, K r a u s e n st r. 68. Pitt der vorläufigen Wabr- neljmuug der Geschäfte deS Präsidenten de« Reichsentschädigungs« amts ist der Unlerstaaissekretär z. D. T r o n a u beauftragt.
Der verkehr in der Silvesternacht. Je mehr sich bei uns wieder normale wirtschaftliche und gesell« schaftlich« Verhältnisse einstellen, desto mehr bejesttgen sich auch wieder di« alten silvesterlichen Gepflogenhellen. Die Berliner   Fahrdienst« deamten, deren Nachtdienst feit der Revolution aus sozialen und ge« sundheiilichen Gründen eingeschränkt worden ist, haben sich bereit erklärt, in der Siloesternacht längeren Dienst zu tun. Infolgedessen können die städtischen Verkehrsmittel den gesteigerten Anforderungen angepaßt werden. Auf der H o ch b o h n verkehren an diesem Tage die letzten Züge wie folgt: In der Richtung nach Wilmersdorf  , Dahlem   um 1,42 Ilhr nachts." In der Richtung Charlottenburg   um 1,47 Uhr. nachts, mit Anschluß nach dem Osten, Warschauer Straß«, Schönsberg, Uhland« strsße und Westend  . Der letzte Zug nach dem Ayrhring wird um 1,54 Minuten nachts vom Nntergrundbohnhof Friedrichstraß« ab« fahren. Im übrigen wird der Zugverkehr dahin verstärkt, daß von etwa 12,30 Minuten nachts ab b!» zum Betriebsschluß, der um eine halbe Stunde hinausgeschoben ist, auf der Streck« Alexanderplotz--Witt«nbergplatz die Zugfolge aus einen Fünf« Minutenverkehr mit den gewöhnlich bestehenden Anschlüssen zur Durchführung kommt. Auch aus der Flachbahn(Warschauer Straße Lichtenberg  ) wird der Verkehr soweit verlängert, daß der Zug der Oststrcck« der Hochbahn, der Anschluß in Gleisdreieck vom Zug« ab Bahnhof   Friedrichsträße 1,22 Uhr nacht» hat, den letzten Anschluß an cie Flachbahnsrrecke vermittelt. Auf den wichtigsten Strecken der Straßenbahn wird in de» Abendstunden ebenfalls ein verlängerter Betrieb durchgeführt werden. Der Berkehr der letzten Züge auf der Straßenbahn wird sich um etwa eine halbe Stunde in dem Umfange des in früheren Jahre» üblichen Silriestsrnachtoerkehrs verlängern. Die Stadt-, Ring-undBorvrtbahnen hoben bis zur Stund« keinerlei Veränderungen ihres Fahrplans getroffen bzw. be» kannt gemacht, so daß Port in der Silvesternacht alles beim alten bleiben wird. Wenn man allerding» di« großen lockenden und piewersprechen» den Ankündigungen der wcltstädtischen Lokale liest, dann macht« man bezweifeln, daß sehr viele von den letzten Wagen Gebrauch machen werden. Weit mehr dürsten die ersten Frühzüg« und Wagen de» ersten Tages im neuen Jahr benutzt werden.
die diebesfamilie vom Kurfürftenöamm. ZNillionenbeuts durch tadendiebstähle. Di« Zunft per gewerbsmäßigen Ladenhiebe, die sich schwr immer durch gewandtes und sicheres Auftreten auszeichnen, ist jejzit durch die Festnahme einer ganzen Gesellschaft ihrer tätigsten Mit« glieder verringert worden. Das Treiben dieser Gesellschaft wurde aufgedeckt infolge eines Diebstahl», hei dem eine Frau Räber und ihre Schwester in einem Spezialgeschäft in der Leipziger Straße   ertappt wurden. Dia Heiden Kuninnnen wurden zunächst wieder entlassen, nachdem mau sie als.Damen vom Kurfürst« illianun" festgestellt hatte und weil die Verkäuferin nicht ganz sicher zu sein schien. Am nächsten Tag« erschienen In dem Geschäft der Gatte der Frau Räber und«tntt seiner Schwiegersöhne. Die beiden gaben sich als die E h e m a n» nex der beschuldigten Damen aus. erkundigten sich zu- nächst genauer nach den Vorgängen und spietten di« Entrüstete« und Beleidigten, als sie merkten, daß die Verkäuferin sich hatte«N- schüchtern lassen und schwankend geworden war. Die beiden Herren, die schwer« Pelz« trugen, mit Schmuck beladen waren und ihr« mll Tousendmarksch einen gefüllten Brfcfcf- taschen zeigten, verlangten jetzt«ine Ehrenerklärung. Von dem jZarieil erfuhr ober auch die Kriminalpolizei, die der Sache auf den Grund ging. Das gab dann«ine überraschend« Aus- klÄkung. Es wurde festgestellt, daß das Ehepaar Röder, da» jetzt am K u r f ü r st e n d a m m 141 im zweiten Stack eins glänzend ausgestattete Sechszimmerwohnung innehat, schon stüher Nicht bloß im Verdacht de? Lavendiebstahls gestanden hat. sondern
Das Dödeli. i] von Jakob Vohhark. »Ich habe Euch dreihundert Franken angeboten, Schuh- macher. Das hatte ick nicht recht überlegt; die Pfleger finden. es habe bei zmeihundertnmszig zu bleiben, die ich Euch im zweiten-Ruck antrug. Wir haben den ganzen Handel noch- rnals überschlagen und sind der Meinung geworden, Jlzr be- nehmt Euch nicht so, daß man ein rechtschaffene? Zutrauen zu Euch fassen könnte. Es ist Euch mehr um dp? Geld als um die Person unserer Bürgerin Dödeli Schudel zu wn, das ist uns ein Anstoß, denn wir müssen auch an die Zukunft denken. Das Dödeli ist keine von den Gescheitesten, wir wollen Stroh nicht als Heu ausgeben: aber es ist ein gutes, treues Geschöpf, und es täte uns leid, wenn es in unrechte Hände käme. Wer es zu behandeln weiß, wird in ihm eine rechte Hausmutter heimholen und auch sonst seine Zufriedenheit erleben. Wir bieten Euch dreihundert Fronken an Hausrat und zwei- hundertstinfzig auf die Hand und ein Hochzeitskleid für Dödeli. Ihr könnt nun zugreifen oder abschlagen. Für den Preis finden wir dem Dödeli an jedem Regentag ein Paar Hofen, wenn wir wollen." Schuppli   biß sich in die Unterlippe und überlegte:E? ist ihm diesmal ernst. Er war' imftand, mir noch mehr ab­zuzwacken." Sagt Euer Ja oder Euer Rein," drängte der Präsident. Wenn's nicht anders fein kann, so sei's um dreihundert," brummte Schuppli  . Um zweihundertfünfzig! Habt Ihr nicht recht gehört?" Also meinetwegen, um zweihundertfünfzig. Und wann bekomm ick, das Geldchen?" Das Geld? Nach der Hochzeit, versteht sich." Man könnt« mir schon eine Abschlagszahlung.. Nichts da von Abschlagszahlung." knurrte der Präsident. Ich muß den Ledigen den T'haus ausrichten." Der Präsident stutzte;Das ist etwas andere?! Für den TTiaus könnt Ihr beim Säckelmeistsr zwanzig Franken holen. und wenn's Euch sonst«ist, so geht heut' noch zum Zivil. Mit dem Dödeli red' ich selber." I Dann war es. wie wenn der Präsident in seinen alten Tagen plötzlich nochmals Stimmbruch erfahren sollte; seine Stimme schlug auf einmal ins Tiefere und Salbungsvolle um, und er sagte:Wir sind Euch nun entgegengekommen,! Schuppli  , wie eine Gemeinde einem Zugereisten nicht alle; Tage entgegenkommt. Das ist zu achten. Wir halten Euch für einen geschickten Schuhmacher, dem zu ein�p seßhaften Leben nur der eigen« Tisch und die eigene Bettstaft fehlt. Zeigt nun, daß Ihr unsere gute Meinung verdient, und haltet die Dödeli Smudel mie's Brauch und Recht ist." Dann in seinen ge- wohnlichen Ton umschlagend:An Arbeit soll es Euch nicht
fehlen. Seit der Nachbar Nöggeli tot ist, sperren alle Schuhe im Dorf die Mäuler auf; ich weiß nicht, schnappen sie nach Wasser oder brüllen sie nach dem Pechludi." Damit schloß er die Sitzung. Nur einer ging mit be- schwertem Herzen nach Hause. Als der Präsident über den Kirchplatz schritt, erblickte er das Dödeli vor der Türe des Sigristen, wo es Schnee weg- scheuerte.Komm unter Licht zu mir." rief er ihr gedämpft zu. Sie, die nicht recht verstanden hatte, warf gleich den Besen hin und folgte ihm wie ein Schäfchen. Er führte sie in feine Tenne und fragte mit verschmitzten Augen, ob sie den Schuh- macher Schuppli   kenne. Ihr Gesicht wurde um di« Hälft« breiter, als sie den Namen hörte, und sie fing an, verlegen an ihrer Schürze zu zupfen. Er verfolgte die Wirkung seiner Frage mit Wohlgefallen und forschte weiter:Was würdest du da, zu sagen, Dödeli, wenn man dir einen Mann gäbe?" Mir? einen rechten?" wunderte sie und machte Augen, als wollte sie damit den Präsidenten perschlingen. Ja, einen rechten, mit Haar ums ganze Maul herum." Nun schlug sie die Hände zusammen, zog geräuschvoll di« Luft zwischen den Lippen ein und brach dann in ein so glück- liches Lachen aus, daß auch dem Präsidenten die Lippen etwas zuckten. Er fuhr mit verstelltem Ernst fort:Ich weiß nicht, gebe ich dir meinen Knecht, den Joggest, er ist noch nicht einmal sechzig, oder den Kaminfeger Gniggnäck. Der hinkt zwar etwas, seit er im Löwen das Kamin heruntergefallen ist, hat aber sonst keinen Leibschaden und hält noch lange zusammen." Sie verzog das Gesicht. Oder wickle ich dich vielleicht in einen Schuhmacherschurz ein?" Nun lachte sie wieder hell heraus, wie eine Trompete und humpelte im Kreis herum. Er gab ihr einen Klaps auf di« Backe und schickte sie nach Haus«.Wenn du aber dem Meister etwas ausschwatzest," schärfte er ihr ein,gibt's keinen Mann oder höchstens den Gniggnäck." An jenem Abend geschah dos Seltsame, daß das Dödeli zu singen versuchte, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben. Es war ein Reim, den es irgend einmal aufgefangen hatte: I der Chile   ischt en Tritt, wo me d'Liebi zämmegit." Kein Ton stimmte zum anderen, aber lustig klang's doch. Auch der Präsident war wohlgelaunt, er durchstöberte seine Scheune und pfiff vor''ch hin, was er sonst nur tat, wenn er einen ganz guten Handel abgeschlossen hatte. In den ersten Tagen des neuen Jahres war Hochzeit in Illingen  , der Schuster brachte sein Dödeli unter Dach. Die Braut war ganz hochmütig aus ihren Mann und den neuen Rock. Als die beiden das Dorf hinunter schritten, krachte es ein paarmal so heftig, daß die Eiszapfen von den Dächern plumpsten. Der Präsident hatte feinem Knecht befohlen, Wurzelstöcke zu svxcngcn, die seit letztem Herbst oben an seinem Haus gelegen hatten. O�was Pulper schien ihm das Hochzeits«
paar schon wert zu sein, und er wußte, daß er überdies den Sigristen ärgerte, der in der Gemeinde gegen ihn wühlt«, seit das Trötteli an einen andern vergeben worden war. Schuppli   führte seine junge Frau in die Ratsche, ein ver« lottertes Haus, das man ihm um billigen Mietzins überlosssn hatte. Schon am zweiten Tag zog schlimmes Wetter in vi« Ratsche«in. Der Tag hatte sich gut angelassen. In der Frühe klopste der Schuster so munter auf sein Leder los. daß der Stein auf seinen Knien fast wie eine Glocke klang. Dann aber schoß ihm plötzlich etwas durch den Kopf; er warf 5iammer und Stein unter den Werktisch und lief ins Dorf hinauf. Als er wiederkehrte, fuhr er wie ein Donnerschlag ins Haus und auf das Dödeli los. Er hott« beim Säckelmeister das ver- sprachen« Bargeld holen wollen und erfahren, daß man es ohne Umwege Näggelis Witwe ausgeliefert hatte. Das war ein Schelmenstreich, für den ihm seine Frau herhalten mußte. Den ganen Tag ging es im Schvsterhauss zu, wie an einem schwülen Sommertag: Ein Gewitter nach dem andern zog herauf und donnerte sich aus. Eine halbe Stunde klopfte der Schuster sein Leder wie wild oder schlug Nägel in die Sohlen, dann sprang er auf und wetterte das Trötteli in alle Winkel und Ecken hinein. Am Abend trug er die zusammsngefluchte Arbeit ins Kundenhaus, ließ sich den Lohn auszahlen und beschloß den Tag imFreihof", wo er aus den Präsidenten los« klopfte, wie zu Hause auf das Sohlleder. So nahm das Leben in der Ratsche seinen Anfang, und so blieb es. Die Schuhmacherin ließ alles über sich«rgehen oder nahm es hin, wie andere Leute Regenwetter oder Frost, als etwas Unabwendbares, zum Leben Gehörige». Sie war stolz, eine Frau zu heißen, und empfand, daß solche Ehre ein Opfer heische. Es war trotz allem ihre hohe Zeit. Sie sah zu ihrem Manne hinauf und fühlte wahrscheinlich ihr Elend weniger, als es eine andere empfunden hätte. Nur wenn Schuppli   seinen Zorn ganz überlaufen ließ und zum Knie, riemen griff, kauerte sie in einen Schlupfwinkel nieder und wimmerte und wehklagte wie ein kleines Kind. Damit führt« sie, ohne es zu wollen, immer das Ende des Zankes herbei; denn Schuppli   war Weibertränen gegenüber machtlos und hätte sich von ihnen aus der Weit jagen lassen. Es gibt ja harte Steine, die mürhe Stellen haben. Ein« ander« Hütt« au» dieser Gemütslage ihre» Mannes ihren Nutzen gezogen; der Schuhmacherin fiel das nicht einmal ein. Sie weinte nur, wenn sie Gnmd. hatte, und der Grund mußte wenigsten» ein geschwungener Knieriemen sein. Wenn Nachbarinnen sie ver« Hetzen wollten, ging sie nicht darauf ein. sondern nahm den Mann in Schlitz  :Schuppli   ist gäch, aber er meint's nicht schlimm, muß viel Leder klopfen." Ließ man diel« Wort» nicht gelten, so konnte sia böse werden und ihren Mann mit den kräftigsten Ausdrücken verteidigen, die man ihr selber schon angeworfen hatte, und sie besaß einen reichen Vorrat, (Schluß folgt.)