Nr. 34+ 39. Jahrgang
Ausgabe
Nr. 17
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Freitag, den 20. Januar 1922
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Eine zweite Rede Poincarés.
Konferenz der Ministerpräsidenten.
und
Paris , 20. Januar .( WIB.) Nach den Morgenblättern ist tie Priorität der Tagesordnung Arago, die während der Sigung verkündet wurde, nicht mit 472 gegen 107, sondern mit 434 gegen Die Ministerpräsidenten der deutschen Länder 24 Stimmen bei 74 Enthaltungen ausgesprochen worden. find heute vormittag 11 Uhr in der Reichstanzlei zu Die Vertrauensfagesordnung selbst wurde mit großer Mehrheit an- fammengetreten haben zunächst einen Vortrag genommen. Gegen die Priorität der Tagesordnung Arago haben Dr. Rathenaus über die Verhandlungen von Cannes enter der Ansicht, daß geflimmt: 2 Kommunisten, 52 Sozialisten, 5 republifanische Sozia- gegengenommen. liften, darunter auch Hennessy , 8 Raditale, 7 Abgeordnete, die teiner Die für heute vormittag angesetzte Sigung des Aus Partei angehören. 74 Abgeordnete haben sich der Abstimmung wärtigen Ausschusses wurde wegen der gleichzeitig statt enthalten, nämlich 12 republikanische Sozialisten, 53 Raditale, 4 mit findenden Konferenz der deutschen Ministerpräsidenten auf glieder der demofrajch- republikanischen Cinfen und Mitglieder der Montag vormittag 10 Uhr verschoben. republikanischen und sozialistischen Fration, 1 Mitglied der Partei Arago, 3 Mitglieder, die feiner Partei angehören und schließlich der Kammerpräsident, der die Sigung leitete.
Paris , 20. Januar .( WTB.) Bor der bereits gemeldeten An. nahme der Vertrauenstagesordnung Arago ergriff nochmals Boin caré das Wort. Er führte aus: Sie haben mich nicht nach meiner Bergangenheit, fondern nach meinen zufünftigen Handlungen zu ber urteilen, aber ich habe nichts zu desavouieren, denn ich wollte stets dem Lande dienen. Ich war Ministerpräsident, als die erften Woiten auf dem Balkan aufstiegen. Mit dem Präsidenten der Republik Fallières und dem Beistand aller Deputierten haben wir uns bemüht, die Gefahr zu befchwören. Gegen den Willen der franzöfifchen Regierung ist der Krieg ausgebrochen.( Lebhafter Beifall mit Ausnahme her äußersten Linten. Alle Abgeordneten erheben sich und flatschen Boincaré Beifall.) Wenn ich der Mann wäre, als den mich Cachin hingestellt hat, so würde ich
mich selbst verabscheuen!" ( Lebhafter Beifall.( Bon der Linten wird gerufen:„ Die Geschichte wird urteilen!") Poincaré fährt fort:„ Ich fürchte das Urteil der Geschichte nicht, aber ich hasse die Geschichtsfälscher.( Beifall.) Als der Krieg gegen Frankreich erklärt wurde, war mein einziger Wunsch, den Gieq mit dem Beistand alier im Burgfrieden sicherzustellen. Mi. nifter aller Barteien wurden berufen, um mit dem Bräsidenten der Republik zu arbeiten. Heute würde ich feine Aufgabe übernehmen, die nicht einer nationalen Einigkeit entspränge. In der Bufammenschung meines Rabinetts hätte ich gern noch flarer diesen Wunsch nach Bufemmenarbeit ausgedrückt. Es hing nicht von mir ab, daß das nicht möglich gewesen ist. Unsere Politit muß den schweren Problemren der Außenpolitit untergeordnet werden. Ich appefiere an die Unparteilichtcit aller.
"
Im Innern verlangen wir, daß die Bräfeften mit Gerechtigkeit ihr Amt verwalten."( Es wird auf der äußersten Linten gelacht.) Beincare fragt: Wem gilt dieses Lachen?"( Bon der äußersten Linten wird gerufen:„ Dem nationalen Blod!") Poincaré fährt fort: Wenn diefes Lochen gegen mich gerichtet gewesen wäre, so würde ich entworten, daß ich
immer ein Linksrepublikaner gewefen bin, daß ich, ohne mich um' Lob und Tabel zu fümmern, mir selbst treu bleiben mußte, und daß ich die republikanischen Inftitutionen gegen jeden Angriff verteidigen werde."
Cadin ruft: as werden die Reaktionäre denten?" Poincaré antwortet:„ Ich rede nicht, um Beifall zu ernten, ich rede, um zu fagen, was ich dente."( Lebhafter Beifall auf fafi
allen Bänken.)
Der Ministerpräsident ging bann dazu über, die ministerielle Erklärung zu fommentieren. Die Regierung habe nur ein Ziel: die Ausführung des Friedensvertrages von Ber. failles. Man müsse anerkennen, daß dies das gemeinsame Intereffe Frankreichs und Englands fel, nur über die Ausführungs. methoden gebe es Meinungsverschiedenheiten. Er habe nichts von dem zurückzunehmen, was er geschrieben habe. Er habe geglaubt, daß die feit ungefähr zwei Jahren zur Anwendung gebrachte Methode der häufigen Zusammenfünfte, das
was man pomphast den Oberflen Rat nenne, nicht die sicherste Art sei, zur Lösung zu gelangen. Er glaube, daß die Akten studiert werden müßten und daß man vorher auf dem gewöhnlichen diplomatischen Wege Borbereitungen treffen müsse, damit jedes Mißverständnis, jede Improvisierung und jede Ueberraschung ausgefch offen feien.( Beifall in der Mitte.) Er wife ganz genau, daß die Konferenzen, wie die von Cannes , nicht von der franzöfifchen Regierung verlangt worden seien. In ber Berschwiegenheit der Kabinette müßte die diplomatische Arbeit vollbracht werden und die Konferenzen müßten viel mehr das Abkommen besiegeln als es vorbereiten. Nach dem Kriege neige jeder dazu, nur seine eigenen Leiden zu erkennen, Frankreich aber habe das Recht zu sagen, daß es am stärfften gelitten habe. Die heroischen franzo chen Soldaten hätten fich zweifelsohne für Frant reich töten lassen, aber auch zweifelsohne für die Nationen, die erst später fich ihm angeschlossen hätten.
Die Finanzlage Frankreichs erfordere gebieterisch, daß alles, was bezahlt werden könne, bezahlt werde. Aber selbst mit dem brüdendsten Budget fönne das Defizit nicht gedeckt werden, wenn Frankreich nicht die beträchtlichen Borschülfe zurückerhalte, die es für Deutschland gemacht habe. Die Kriegsschulden seien
auf fyftematische Verwüllungen zurückzuführen. Eine offizielle Broschüre stelle fest, dak ein Einverständnis bestanden habe zwifchen dem deutschen Generalstab und dem deutschen Groß handel, Frankreichs 3ndustrie und feine Webereien
zu vernichten und damit natürlich Frankreichs Macht.( Leb. hafter Beifall.) Boincaré fuhr fort: Jeder Berzicht auf unsere Forderung wäre eine Ermutigung dazu, aufs neue zu beginnen. ( Lange anhaltender Beifall auf allen Bänken mit Ausnahme der äußersten Linfen.) Ich weiß sehr gut, daß Deutschland be hauptet, daß es für den Krieg nicht verantwortlich sei. Cine Bofttarte, die von Wilhelm unterzeichnet ist, trägt die Worte: Die Behauptung, daß Deutschland den Krieg verursacht hat, ist eine schamlose Lüge." Diefe Lüge nehmen wir auf unsere Schultern. ( Lebhafter Beifall.) Die Geschichte wird Deutschland unter der Mitfchuld Desterreichs für den Krieg verantwortlich erklären. Deutsch land hat die Kriegsschäden durch die Mihhandlung der Frauen, der Greife und der Bassagiere der Handelsschiffe erschwert, und die Interafliierte juristische Kommission für die Kriegsbeschuldigten hat entschieden, daß die Beschuldigten gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages von Versailles ausgeliefert werden follen. Die französische Regierung ist der Ansicht, daß die
Auslieferung der Kriegsbeschuldigten fo bald wie möglich verlangt werden muß. Weigert sich Deutschland , dann sind im Friedensvertrag Strafmaßnahmen vorgefehen. Das wäre dann eine neue Berfehlung, die vor allen Dingen eine neue Hinausschiebung der Räumung des linken Rheinufers nach sich ziehen würde.
Was die Reparationen anbetrifft, fo fonnte die Reparationsfommiffion nur einstimmig eine Entscheidung annehmen. die die Reparationen verbindet, die uns geschuldet werden. Die Repa rationstommiffion hat einen Auff chub bewilligt, aber die Alliierten müssen von Deutschland gewiffe Rahlungsgarantien verlangen. Frankreich fann von feinen Forderungen nichts aufgeben; es wird auch den Grundfah der Briorität zugunsten feines Verbündeten Belgien aufrechterhalten. De utichland hat nicht das Recht, die Revision des Friebensvertrages, den es unterzeichnet hat, zu verlangen. Es darf das nicht einmal auf Umwegen tun. Ein Zwischenspiel.
Briand ruft: In Genua fann es das nicht tun! Poincaré antwortet: 3wingen Sie mich nicht, auf Einzel. heiten einzugehen.
fam vorbereitet wurde, hat entschieden, daß diese Konferenz eine rein Briand erwidert: Die Tagesordnung der Konferenz, die forg. wirtschaftliche und finanzielle fein wird, daß in feinem Augenblick die unterzeichneten Verträge diskutiert werden fönnen und daß die Reparationsfrage nicht auf der Tagesordnung stehen wird.
Poincaré antwortet: Deutsch and wird indirekt versuchen, die Frage aufzuwerfen, und deshalb hat der Reichskangler fagen fönnen, daß Deutschland sein Ziel ereicht habe. Sagen Sie, daß Frankreich und die Allierten nicht gewollt haben daß der Friedens ertrag von Bersailles in Genua in Frage geftellt werde; aber fagen Sie nicht, daß Deutschland das nicht gewollt habe!
Briand erhebt sich und erflärt: Wir und unsere Allierten würden als ann nicht zögern, uns von der Konferenz zurückzuziehen. wenn Deutschland eine folde Haltung einnehmen wollte.( Beifall.) Der fozialistiche Abg. Blum: Es ist sicher, daß Deutschland die Frage stellen wird! Boincaré antwortet: Sie haben vollkommen recht, denn ohne dies würde ihm die Konferenz von Genua zu nichts dienen.
er
Der Abg. Blum präzifert das, was er vorher gefagt hat, indem hinzufügt: Wir find der Anfiht dah das Reparofionsproblem von dem allgemeinen Problem der Wiederaufrichtung Europas abhängt. Der Abg. Herriot ruft dazwischen und zahlreiche Abgeordnete ftimmen ihm zu: Nein! Nein! Der Abg. Blum erwidert: Aber das ist doch der Gedanke, der die Konferenz von Genua inspiriert hat.( Beifall links.) Poincaré fährt fort: Briand hat gesagt, daß alle Garantien in Cannes gegen Deutschland - getroffen feien, alle Borsichtsmaß. nahmen würden von Frankreich ergriffen werden.
so habe man ebenfalls in Cannes Garantien geschaffen, namentlich was die Anerkennung der Schulden betreffe. Es wäre aber logischer gewesen, wenn die Annahme dieser Bedingungen der Einladung vor. ausgegangen wäre, aber vor jeder Distuffion müßten fie unmißverständlich angenommen werden. Ueber diesen Bunft werde sich Frankreich im voraus mit seinen Alliierten ver
ständigen.
fchehen fei, fei nur provisorisch. Der vollkommene Friede müsse erste noch wiederhergestellt werden. In der Langer An. gelegenheit werde die französische Regierung versuchen, eine befriedigende Lösung zu finden, um jedes Mißverständnis zwischen Frankreich und England zu beseitigen. Wie Lloyd George jei auch der französisch- britische Paft die Krönung der Anstrengungen sein müsse, die von beiden Seiten unternommen würden. Ein derartiger Bertrag liege nicht nur im Interesse Frankreichs allein, ebensowenig wie er im Intereffe Groß britanniens allein liege. Wie Präsident Wilson erklärte, fei die Grenze Frankreichs und Belgiens die Grenze der Freiheit. Diese Grenze fichere die Freiheit Englands ebensosehr wie die Freiheit Frankreichs . In einem derartigen Bertrage gebe es weder Beschüßer noch Beschützte( allgemeiner Beifall!), sondern es gebe Freunde und Affoziierte; aber in diefer Gemeinschaft müsse soweit als möglich allen Anzeichen neuer Konflikte vorgebeugt werden.
Der Ministerpräsident spricht alsdann von den militärischen Vorbereitungen in Deutschland . Die Sozialisten hälfen erklärt, daß ihre französischen Freunde von den deutschen Arbeitern mit Beifall begrüßt wurden; dieselben Arbeiter hätten aber Haubihen verstedt.
Der Abg. Paul Boncourt ruft dazwischen:„ Ohne die deutfchen Gewerkschaften hätte General Nollet seine Aufgabe nicht durchführen können!"
Boincaré erwidert:„ Aber in einem Berichte des Generals Mollet finde ich diefe Tatsache verzeichnet. Die Alliierten seien ver. pflichtet gewesen, sich Bürgschaften gegen Deutschland zu verschaffen. Er melle gern annehmen, daß Deutschland sich demokratisiere und pozififtisch werde. Aber inzwischen müsse er, wie Briand das in Washington gesagt habe, feststellen, daß Deutschland weder moralisch noch materiell abgerüstet habe."(!)
Heere gestattet, feine Waffen zu behalten, anstatt es auf dem Schlacht. Der Abg. Chauffat ruft: Warum haben Sie dem deutschen felbe zu entwaffnen?"
Poincaré erwidert: Der Präsident der Republik unterzeichnet teinen Waffenstillstand. Sie werden nirgends feine Unterfchrift fchen."
Abg. Barthou ruft: Bontius Pilatus!" Der Kammerpräsident erflärt, eine derartige Haltung set einer Boltsvertretung unmürdig. Poincaré fährt fort, er wolle nur für Dinge verantwortlich sein, die er unternommen habe.
Als ein Mitglied der äußersten Linten Staatsgerichts. ho fl" ruft, entsteht großer Lärm.
Die Linke und die Rechte bombardieren einander mit Zwischenrufen. Schließlich erklärt Boincaré, Frankreich müsse diese Ber handlungen mit seinen Alliierten fortfeßen, gestüßt auf feinen eigenen Wert, und mit allen feinen Freunden auf dem Fuße der Gleichheit sprechen. Der Vertrag von Versailles verknüpfe alle, er binde alle untereinander, wie er Deutschland den Alliierten gegenüber binde. ( Lebhafter Beifall.)
Die Haltung der Radikalen.
Hierauf ergreift Abg. Herriot das Wort. Ueber verschiedene Fragen der inneren Politit seien die Radikalen mit dem Ministerium nicht einverstanden. Was die äußere Politit betreffe, so feien fie der Ansicht, daß die Konferenzen der Geheimdiplomatie vorzuziehen feien. Die Ronferenz von Benua sei zu begrüßen, auch daß Ruß land dort vertreten lei. Her sei das einzige Mittel gegeben, um Rußland dem deutschen Einfluß zu entziehen. Wenn ein Mann wie Lloyd George eine so folgenschwere Entscheidung treffe, könne Frankreich sich nicht desinteressieren, aber es dürfe bie Frage der Reparationen nicht mit der Frage des wirtschaftlichen Wiederaufbaus von Europa verbinden lassen. Deutschland , unter Mitschuld der englischen Finanz, fuche nach einem Mittel, diese beiden Fragen miteinander zu verquiden. Das sei dieser Tage tlar aus den Worten hervorgegangen, die Reichstanzler Wirth vor einer großen Reichstagskommission gesprochen habe. Wenn man die Schwäche befizen würde, Deutschland zu gestatten, die Reparationsfrage wieder aufzurelen, so würde man ein Unrecht be gehen. Dieses Manöver müsse die französische Regierung zunichte. machen. In Hamburg habe er geschen, daß Deutschland seine Han delsflotte wieder aufbaue, die in fünf Jahren das sein werde, was sie vor dem Kriege gewesen sei.(!) Die Reparationen tönne Deutsch land nur zahlen, wenn Handel und Industrie die unerläßlichen Opfer brächten. Herriot erklärte zum Schluß, in der äußeren Bolitit fönne man ftets auf die Unterstübung der
radikalen Parte zählen.
Darauf wurde, mie bereits gemeldet, die Bertrauenstagesord nung Arago angenommen.
Condon, 20. Januar .( WTB.) zu der Behauptung Poincarés, daß man befugt fein werde, zu erklären, der Termin für die Räumung des linten Rheinufers habe noch gar nicht begonnen, wird im Leitartikel des Daily Chro Der Ministerpräfibent fpricht alsdann von der Angora.nicle" betont, bies sei eine Ansicht, die Großbritannien Angelegenheit. Dieses Abkommen habe die Ruhe im Orient auch nicht für einen Augenblid gelten lassen fönne. Am allerzwischen den Türten und den Frangofen hergestellt, aber nach der menigsten angesichts der loyalen haltung, die die Ber Schneeschmelze Bönnten die Feindseligkeiten zwischen Griechenland liner Regierung gegenüber dem Friedensvertrage gezeigt und den Remalisten wieder aufgenommen werden, was also ge. babe, seitdem Dr. Wirth an ihre Spize getreten fet.