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Nr. 77+39. Jahrgang Ausgabe A nr. 39

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Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands

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Mittwoch, den 15. Februar 1922

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Vor der Entscheidung.

Manöver der letzten Stunde.- Krise?-Auflösung?

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat gestern abend nach einer furzen Debatte, die eine völlig einmütige Auffaffung der gegenwärtigen Lage ergab, den Beschluß ge­faßt, der Regierung und den Koalitionsparteien folgende Er­flärung zu übermitteln:

1. Die fozialdemokratische Reichstagsfraktion wird bei der mor­gigen Abstimmung alle ihre Stimmen für die vom Reichskanzler angenommene Erklärung abgeben.

2. Sie ist nicht in der Lage, zu dem Zweck, das Ergebnis diefer Abstimmung zu beeinflussen, irgendwelche Zufagen bezüglich ihrer Beteiligung an einer fogenannten großen koalition zu machen. Durch diesen Beschluß der Sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion ist für die heutige große Entscheidung eine reine Atmosphäre geschaffen worden. An die Fraktion war, wie fchon aus einer Meldung unseres gestrigen Abendblattes her­vorgeht, das Anfinnen gestellt worden, durch eine Erklärung zugunsten der sogenannten großen Koalition eine geänderte Stellungnahme der Deutschen Volkspartei herbeiführen zu helfen. Die Fraktion hat das abgelehnt.

soviel Wenn und Aber, würde nicht hinter den Kulissen soviel| rungsparteien beim Reichskanzler waren außer den beiden foziala hin und her gezischelt und getuschelt, dann hätte man über das demokratischen Führern Hermann Müller und Wels, den Ber Ergebnis der heutigen Abstimmung feinen Augenblic in tretern des Zentrums mit dem Fraktionsvorsitzenden Marg und dem Sorge zu sein brauchen. Demokraten Dr. Petersen auch Dr. Stresemann als Vora figender der Deutschen Boltspartei vertreten. Es hat den Anschein, als ob felbft die Deutsche Volkspartei durch den demokratischen Vor­fchlag überrascht worden sei und daß auch sie nicht an eine Era weiterung des Kabinetts Wirth in diesem Augenblick der inner­politischen Lage und nach diesem scharfen Mißtrauensvotum glaubt, noch sie für möglich hält.

Was will die Volkspartei?

Ueber diese Frage verbreitete sich der volksparteifiche Ab­geordnete Dr. Gildemeister in einer Hamburger Ver­fammlung, in der er laut" Berliner Lokalanzeiger" folgendes ausführte:

Was wird das Ergebnis der heutigen Abstimmung sein? Wahrscheinlich wird die Regierung, troß der verschiedentlichen Bärendienste, die ihr geleistet worden sind, eine genügende Mehrheit erhalten, um bleiben zu fönnen. Es ist aber auch möglich, daß sie in der Minderheit bleibt, und dann stehen wir vor einem großen Fragezeichen. Es ist aber drittens auch Wir glauben an diese Ueberraschung nicht. Hätte Herr möglich, daß fie zwar eine Mehrheit erhält, diese aber doch nicht für groß genug erachtet, um die Geschäfte weiterzuführen. Roch seinen Borstoß ohne vorherige Fühlungnahme mit der Dann wird sie nicht zurücktreten, sondern sie wird voraussicht Boltspartei gemacht, so wäre er doch vollends unsinnig. Jeden­lich den Reichspräsidenten ersuchen, den Reichstag auffalls bleibt die Tatsache bestehen, daß sich Herr Stresemann zulösen, um eine flare Entscheidung des Boltes herbeizu- bereit gefunden hat, unter dem Borsiz Dr. Births über führen. Allerdings steht einer Auflösung im gegenwärtigen einen Eintritt der Boltspartei in das Kabinett Wirth zu ver Augenblick das schwere Bedenten entgegen, daß sich Deutsch - handeln, zwei Tage nach Einbringung eines Antrags, der dem land in einem Zustand der Unentschiedenheit und des lleber- Reichskanzler das schärfste Mißtrauen ausspricht. Igangs befinden würde, während die wichtigen Verhand­Die Herren von der Demokratischen Partei, die jenes An- Iungen von Genua vor der Türe stehen und daß die not­finnen an unsere Fraftion stellten, find wahrhaftig feine wendige Steuerarbeit wieder um viele Wochen verschoben wer­Meister der Politik. Es gab eine Beit, in der bei der Sozial- den würde. Aber eine nach ihrer Meinung nicht ausreichende demokratischen Partei bezüglich der großen Roalition eine ge- Mehrheit würde der Regierung nicht das Recht geben, einfach wisse milde Temperatur herrschte. Wenn diese Temperatur abzutreten und das Reich in unabsehbare Möglichkeiten hin­im gegenwärtigen Augenblick bis auf den Nullpunkt und dar- eingleiten zu lassen. Einem folchen Ausgang ist der offene unter gefunfen ist, so tragen an diesem Erfolg jene Tattifer Kampf bei weitem vorzuziehen. das Hauptverdienst, die sich mit einer nicht zu überbietenden Geschicklichkeit für die Berwirklichung ihres Lieblingstraumes immer die unmöglichsten Situationen aussuchten. Die Deutsche Boltspartei hat es gerade in der letzten Beit so getrieben, daß selbst ein Blatt wie das Berl. Tageblatt", bas der Großen" immer das Wort geredet hatte, in hellen Zorn gegen fie ausbrach. Die Ernennung Rathenaus zum Außenminister und die damit verbundene erneute Festlegung der Regierung auf die seit Mai v. J. betriebene Politik der ver fuchten Erfüllung hat der Volkspartei Anlaß zu einer Kriegs­erklärung gegen die Regierung gegeben. Die Bolkspartei zer­schlug wegen dieser Ernennung das mühsam zustandegebrachte Finanzkompromiß. In der Debatte über den Eisen­bahnerstreit vertrat sie einen unverhüllten Scharfmacherstand punkt, und weil der Reichskanzler diesen ablehnte und sich gegen jede Rachepolitit aussprach, beschloß sie, gegen ihn per­fönlich die Erklärung des scharfst en Mißtrauens zu beantragen.

Einbringung dieses Antrags, den Wunsch, in ein Kabi Hat die Deutsche Volkspartei wirklich, zwei Tage nach nett Birth einzutreten, zu erkennen gegeben, dann it fie reif für die Kaltwasserheilanstalt. Hat sie wirklich die Neigung gezeigt, fich ihren Mißtrauensantrag durch Ber­[ prechungen bezüglich ihrer fünftigen Berücksichtigung bei der Vergebung von Ministerposten abkaufen zu lassen, dann gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, sie ernst zu nehmen. Wenn die Bol spartei die Regierung und die Koalitionspar teien vor die Alternative stellt: ,, Liebe mich, oder ich zerhad dir die Kommode", dann soll sie nur einmal, soweit es in ihren Kräften steht, die deutsche Reichskommode zerhacken,

dafür aber auch vor dem deutschen Volk die Verantwortung

übernehmen.

Auch die Sozialdemokratische Partei war von dem, was während des Eisenbahnerstreits geschah, nicht immer restlos erbaut. Sie hat manches, was der Volkspartei mißfiel, ge­lobt, manches, was die Volkspartei lobte, getadelt. Aber sie hält es für die denkbargrößte Frivolität, in diesem Augenblic schon wieder einmal eine jener berühmten inneren Krisen mit ratlosem Ausgang" herbeizuführen, die nach innen und außen jedes. Bertrauen in die Stetigkeit der deut­ schen Bolitik erschüttern müssen.

Eine solche Krife ist eine Lotterie, bei der die Rechtspar teien vielleicht gewinnen tönnen, bei der aber das deutsche Bolt unter allen Umständen Berlierer sein wird. Darum hat unsere Frattion beschlossen, das Ihre zu tun, um diese Krise zu vermeiden, und dem Reichskanzler das geforderte Ver­frauen zu votieren. Sie hat, indem sie diesen Beschluß be= fannt gab, allen Parteien, die sich ihrer Verantwortung be­wußt find, den Weg gezeigt, den sie heute zu gehen haben. Uebrigens wird von den Demokraten versichert, daß auch sie in dieser Frage fein Schwanken kennen, und beim 3 en trum wird es wohl nicht anders sein. Wir zweifeln nicht daran, daß auch Herr Dr. Hermes heute der Regierung, der er selber angehört, sein Bertrauen votieren wird, und daß die um Stegerwald ebenso handeln werden. Freilich, stünde es bei den bürgerlichen Koalitionsparteien so, daß sie fich des rechten Weges bewußt und bereit wären, andere mit fräftigem Entschluß und Beispiel auf ihm fortzureißen, gäbe es nicht

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Ganz falsch hat man es so dargestellt, als ob wir durch unsere Mitwirkung beim Steuerfompromiß in das Kabinett hinein wollten. Nein, neben persönlichen und fachlichen Ga. rantien müffen wir darauf bestehen, daß eine grundlegende Uman­derung in dem Kurse unserer Außenpolitik einfritt. Aus diesem Grunde ist auch unser Mißtrauensvotum erwachsen. Die Deutsche Boltspartei dürfe sich nicht einlaffen in fleine Kompromisse, sondern bewegung schaffen, die bereit ist, die uns angetane Schmach von uns wir müssen vorangehen und aus einer Partei eine nationale Belks­bewegung schaffen, die bereit ist, die uns angetane Schmach von uns

Das gilt um fo mehr, als im Reichstag und im Bolte eine starke Mehrheit für die Fortführung der bisherigen aus­wärtigen Politik unstreitig vorhanden ist. Wenn diese große Mehrheit im Reichstag in diesem Augenblic nicht in Erschei­nung treten fann, so liegt das daran, daß ein einzelner Bor gang der inneren Politik für die Regierung unversehens zu einer Frage um Sein oder Nichtsein geworden ist, und weil die Unabhängigen unter diesen Umständen nicht den Mut finden, offen für eine Bolitik einzutreten, die nach den neuerlichen redete, rüstete sich in Berlin sein Herr und Meister Dr. Strese Während Herr Gildemeister in Hamburg so große Töne Bersicherungen Dittmanns in der Freiheit" nichts an­deres ist als die von ihnen gewollte, von ihnen zuerst befür- so gesprochen hat, wie sein tapferer Kollege in Hamburg , ist befür- mann zum Gang in die Reichskanzlei. Daß dieser dort eben­wortete Politif.

abzuwälzen.

Reichstagsauflösung?

Der unmögliche Versuch der letzten Stunde, die große Bum mindesten stark unwahrscheinlich. Koalition als Kind eines großen Kuddelmuddels plötz­lich in Erscheinung treten zu laffen, ist offenbar aus dem Wunsch entstanden, jene Stärfung des fozialdemokratischen Einflusses zu verhindern, die sich daraus ergeben müßte, daß das Reichskabinett den unabhängigen seine Erhaltung Unabhängigen felber Angst zu haben scheinen eben vor dem verdankte. Es ist eine Merkwürdigkeit dieses Spiels, daß die Gedanken, der jenen bürgerlichen Politikern Grauen einflößt. Sie haben Angst davor, ols Retter der Regierung zu er­scheinen, sie haben freilich auch Angst davor, daß die Regie: rung stürzt...

Die Sozialdemokratische Partei hat durch ihren gestrigen Beschluß gezeigt, daß sie den Weg der Offenheit und larheit zu gehen gewillt ist. Und so fann sie guten Muts in den Kampf des heutigen Tages gehen und in die weiteren Kämpfe, die sich aus ihm ergeben können.

Beschluß der Unabhängigen Fichstagsfraktion. In später Abendstunde faßte die Fraktion der USPD . den folgenden Beschluß:

Bochum , 14. Februar.( MTB.) Der hier abgehaltene Be* irtsparteitag der 3entrumspartei für die Kreise Bo hum, Witten , Hattingen und Wattenscheid hat der Erfüllungspolitik des Reichskanzlers Dr. Wirth sein Vertrauen ausgesprochen. Im Reiche unter Hinzuziehung der Deutschen Bolkspartei. Für den Fall, des Reichskanzlers Dr. Wirth sein Vertrauen ausgesprochen. Im übrigen vertrat man den Gedanken der großen Koalition im Reiche unter Hinzuziehung der Deutschen Volkspartei . Für den Fall, daß die Deutsche Volkspartei sich von der Koalitionsbildung zurück­ziehen sollte, rechnet man mit einer Auflösung des Reichstages.

Wirtschaftsbeihilfen für Beamte.

Berlin , 14. Februar. ( WTB.) Im Reichsfinanzminifterium wurde heute unter dem Vorfiß des Ministerialdirektors v. Schlieben die Besprechung mit den Spikenorganisationen der Beamten über die Einführung von Wirtschaftsbeihilfen für die Beamten in Anlehnung an die den Arbeitern zu gewährenden

ueberteuerungszuschüsse fortgefeßt. Uebereinstimmung herrichte unter den Spitzenorganisationen darin, daß in den Orten, in denen die Arbeiter Ueberteuerungszuschüffe erhalten werden, Die Fraktion der USPD . hat beschlossen, gegen den An- den Beamten in engster Anlehnung an diese Zuschüsse Wirt­schaftsbeihilfen unter Umrechnung von je 10 Pf. Ueberteue trag Marg, Petersen, Müller- Franken zu stimmen:" Der Reichs- rungszuschnß für die Stunde in einen jährlichen tag billigt die Erklärungen der Reichsregierung." Beihilfenbefrag von 250 m. gewährt werden sollen. Sollte dem Reichstag von den Regierungsparteien ein nachdem eine Reihe weiterer technischer Einzelfragen befprochen anderer Antrag vorgelegt werden, dann wird die Fraktion der war, gab der Borfihende namens des Reichsminifters der Finanzen USPD . erneut Stellung nehmen, und es wird dabei für die Entscheidung der Fraktion von Bedeutung sein, ob Garantien und Sicherungen gegen Maßregelungen der Beamten und Arbeiter aus Anlaß des Eisenbahnerstreits gegeben werden.

Die Besprechung in der Reichskanzlei.

Bon den Vorgängen des gestrigen Tages geben die PPN. folgende Darstellung:

die Versicherung ab, daß die Regierung Wert auf möglichst rasche Durchführung der Auszahlung der Wirtschaftsbeihilfen lege und ihrersetts alles dazu Erforderliche tun werde. Für die An­gestellten wird eine entsprechende Regelung getroffen werden. Verärgerung als politische Richtung. Wie die Reichsgewerfchaft ihre Mitglieder erzieht. Die jüngste Nummer der Reichsgewerkschaft" bringt an auffäle liger Stelle die feierliche Mahnung:

Kollegen!

Bestellt alle Zeitungen ab, die Euch durch thre feindliche allung während unserer Streitbewegung geärgert heen!

Wider Erwarten tauchte im Laufe des Dienstags die Frage der unverzüglichen Schaffung der großen Koalition auf, um bei der Ab­Stimmung am Mittwoch nachmittag den Wuft von Mißtrauensan trägen gegen den Kanzler Wirth und seine Regierung abzutun und eine sichere und breite Mehrheit für den Vertrauensantrag der bisherigen Regierungsparteien zu erhalten. Nach dem scharf formulierten Mißtrauensvotum, das am letzten Sonnabend Da während des Streifs nur zwei Zeitungen die Eisenbahn die Deutfche Boltspartei eingebracht hat, konnte man auf diese Wen- beamten nicht geärgert" haben der schwerindustrielle Tag", dung nicht gefaßt sein. Es war die Demokratische Partei , Ableger des Lofalanzeigers", und die Rate Fahne" so werden die bei den interfraktionellen Besprechungen am Dienstag vormittag wir erleben, daß diese beiden sicher bedeutenden Beamtenblätter in in der Reichskanzlei wide Erwarten das Problem der großen Zukunft die politische Bildungsarbeit für die Reichsgewerkschaftler Roalition aufgerollt hat. Bei dieser Besprechung der drei Regie zu leisten haben. Das wird ein schöner Salat werden.

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