Nr.��ZH.Iahrgakg
Beilage öes Vorwärts
Mittwoch,?5.§ebruar 1922
Steuerfragen-Krankenpflegefragen. Eine Stadtverordnetensiizung ohne Lärm.
Die Stadtverordneten beschäftigten sich gestern in einer un- gewöhnlich ruhigen Sitzung mit einigen Steuervorlagen. Gegen die aus dem Ausschuß zurückkommende neue L u st b a r k e i t s- steuerordnung äußerte die Wirtschaftspartei nochmals die„allerschwersten Bedenken", aber sie konnte die Annahme nicht hindern. Angenommen wurde auch die neue Grund- steuerordnung, nachdem ein Versuch rechtsstehender Parteien, sie durch Ausschußbcratung zu verschleppen, mißlungen war. Nur für die Vorlage auf Erhöhung der B e- Herbergungssteuer wurde noch Ausschußberatung be- schlössen Eine lange Erörterung knüpfte sich an die Vorlage über das Krankenpflegerausbildungswesen, die der rechten Seite nicht besonders erfreulich scheint. Auch hier wurde Ausschußberotung beschlossen. Sitzungsbericht. Eröffnung der heutigen außerordentlichen Sitzung durch Vor- steher Dr. Caspari um 5 Vi Uhr. Eine Anfrage der Deutschnationalen verlangt Auskunft, ob dem Magistrat bekannt ist, daß der Stadtrat C h r i st von Berlin-Mitte seit drei Jahren Erwerbslosenunterstützung bezieht und ob und welche Schritte unternommen worden sind, ihm Arbeit zu verschaffen.— Die Anfrage geht an den Magistrat. Ein dringlicher Antrag der Kommunisten hat die M a h r e g e- l u n g e n zum Gegenstande, die trotz der Erklärungen des Ober- bürgermeisters nach dem Streik in der Arbeiterschaft der städtischen Betriebe erfolgt sind. Die Rechte erhebt gegen die sofortige Vera- tung Widerspruch. Die Besprechung der Vortage betr. Erhöhung der Stun- denlöhne der städtischen Güter- und Forstarbeiter wird sortgesetzt. Stadtrat Wege erklärt die von Dörr(Komm.) früher gemachten Angaben über die Mißwirtschaft in der städtischen Güterverwaltumg für teils unwahr, teils stark übertrieben: ebenso entbehre die heutige Behauptung des Stadtv. Richard Kunze , daß die Stadt drei Rittergüter an das ausländische Kapital oerkauft habe, jedes Grundes. Bon allen Red- nern wird eine Prüfung der Berhältnis'e auf den Gütern für drin- gend notwendig erklärt. Ein bezüglicher Antrag findet fast ein- stimmige Annahme. Schließlich wird die Vorlage mit den Sätzen von 90 Pf. für die Deputantcn, 1,30 M. für die Freiarbeiter an- genommen, nachdem ein kommunistischer Antrag auf Verdoppelung der Sätze abgelehnt ist. hierauf werden, dem Wunsche des Magistrats entfprechend die Skeuervorlagen (die neue Vergnügungssteuerordnung, die neue Grundsteuerordnung, die Erhöhung der Beherbergungssteuer, die Abänderung der Steuer- ordnung auf das Hatten von Wagen und Pferden) in Beratung ge- nommen. Zur Dergnügungs steuerordnung beantragen die Kommunisten die Erhöhung der Steuer für Wettrennen auf 100 Pro- zcnt des Eintrittspreises. Die durch Dörr gegebene Begründung wird mit Beifallsrufen auch von der Zuhörerschaft auf der Tribüne begrüßt: der V o r st e h e r droht die Räumung der Tribüne im Wiederholungsfalle an. Der Antrag wird abgelehnt, die neue Ver- gnügungssteuerordnung mit der umgestalleten Hockersteuer ange- nommen. Bei her neuen Grund steuerordnung handelt es sich im wesentlichen um eine Neuauflage der schon vor dreiviertel Jahren von der Versammlung verabschiedeten Ordnung, die am 6. Dezem- der 1921 vom Oberverwattungsgericht aus dem Grunde für ungültig erklärt worden ist, weil sie das Verhältnis des Steuersatzes der bs- bauten Grundstücke zu den unbebauten nicht ein für allemal fest bestimmt hat. Von den Wirtschaftsparteilern, die sich über Pfändun-
»>..Ist________ tes nachgewiesen hat. daß die eingezogenen Steuerbeträge einfach zu> rückoerlangt werden könnten, lehnt die Versammlung den Antrag auf Slusschußberatung ab und nimmt die vom Magistrat dem Verlangen des Oberrerwaltungsgerichts gemäß modifizierte Voriage an.— Ein Antrag der Deutschnationalen, die städtische_
] Unterstützung für 1921 auch den Privatlyzeen . von Boretius, Fleck und Kirstein zuteil werden zu lassen, da sie sich bereit erklärt haben, die städtischerseits gestellten Bedingungen zu er- füllen, wird angenommen. Die Vorlage wegen Erhöhung der Beherbergungssteuer geht an einen Ausschuß. Von dem inzwischen erfolgten Verkauf der 4 Teklenborgdampfer der Gemeinnützigen Hochseefischerei-Groß-Berlin m. b wird Kenntnis genommen. Der Erhöhung der Entschädigung der Beisitzer des Gewerbe- und Kausmannsgerichts von 20 auf 40 M. für die Sitzung wird zugestimmt. Der Magistrat hat der Versammlung den Plan einer Neuord- nung des Krankenpflegeausbildungswesens und die Umbildung der städtischen Schwesternschaft in eine «krankenpflegeorganisakion der Stadt Verlin" vorgeschlagen, wodurch die für weibliches Krankenpflegepersonal be- rcits bestehenden Pflegeschulen auch auf das männliche Personal ausgedehnt werden sollen.— In der Besprechung empfehlen D i t t- mer(Soz.) und Rintorf(Komm.) die sofortige Annahme, während Dr. F a l k e n b e r g(D. Vp.) und Dr. Kirchner(Dnat.) prinzipielle Bedenken gegen eine derartige Konzentration äußern und Prüfung im Ausschuß fordern. Kirchner leitet seine Bedenken insbesondere daraus her, daß man die Pflegerinnen unter die Be- triebsräte bringen und auch für sie den Achtstundentag maßgebend machen wolle. Die Schwesternschaft übe ihre Tätigkeit im Dienste der Menschenliebe, nicht als Erwerbszweig.— Stadtmedizinalrat Dr. R a b n o w weist aufs entschiedenste die Insinuation zurück, daß in die Rechte der Schwestern oder der Bezirke rücksichtslos einge- griffen werden solle. Die Wiedereinführung rein charitativer Kran- kenpflege fei unter den heutigen Verhältnissen eine Utopie.— Dr. W e y l(U. Soz.): Soweit die Furcht vor männlicher Kon- kurrenz die Opposition hervorruft, gehen die Opponenten fehl: die Frau wird sich als Krankenpflegerin immer behaupten, aber Männer und Frauen gehören an die Krankenbetten. Die Befürchtung, daß der gemeinsame Schulbesuch die Pflegeschülerinnen politisch beein- flussen und nach links ablenken könnte, mag begründet fein oder nicht: jedenfalls sorgt dafür schon der Gang der wirtschaftlichen Ent- wicklung. Nachdem noch Bamberg (Dem.) sich für Ausschußberotung erklärt, wird die Vorlage mit 88 gegen 83 Stimmen einem Aus- schuß überwiesen.— Mit der Gewährung eines weiteren Ausgleichszuschlages von 20 Proz. der ersten 10 009 M. des Diensteinkommens an die Beamten, Fest- angestellten, Diätare und Lehrpersonen mit Wirkung ob 1. Januar 1922 erklärt sich die Versammlung einverstanden. Die Vorlage des Magistrats, welche die Erhöhung der Eintritts- gelder für die städtischen Bedürfnisanstalten auf 1 M. in der ersten, 50 bzw. 30 Pf. für die zweite Klasse und Nachtzuschlag von durchweg 20 Pf. fordert, gibt dem Stadtv. R. Kunze Ge- legenheit zu Bemerkungen, die mehrfach stürmische Heiterkeit hervorrufen. Er ist befremdet, eine so unsoziale Vorlage von einem sozialistischen Magistrat eingebracht zu sehen und beantragt die Auf-. Hebung des Klassenunterschiedes und die Freigabe der Anstalten zur unentgeltlichen Benutzung.— Zu den gleichen Forderungen kommt Frau R o t i t t a(Komm.).— Stadtrat P ö tz s ch rechtfertigt die Vorschläge des Magistrats, der sonst eine Anzahl dieser Anstalten zu schließen gezwungen sei.— Die Vorlage wird mit dem Zusatz an- genommen, daß der Magistrat für eine erhebliche Vermehrung der Bedürfnisanstalten Sorge tragen soll. Zur llnicrstühung der Volkshochschule Groß-Verlia für 1921 sollen 600 000 M. definilio bewilligt werden, da die Not- wendigkeit dieses Zuschusses nunmehr nachgewiesen sei.— Hüttchen<D. Vp.) beantragt AusschußbcratungX D o v e(Dem.) des- gleichen, da die Höhe der Subvention in zu starkem Mißverhältnis zu den eigenen Einnahmen und Leistungen des Instituts stehe.— Gabel(Komm.) tritt dem Vorredner entgegen. Nach einer Ab- lehnung des Antrages Hüttchen wird die Summe bewilligt. Hierauf erledigt die Versammlung noch eine Reihe kleinerer Borlagen ohne Debatte, darunter diejenige betreffend die Umtaufe der„Stadtgemeinde Berlin " in„Stadt Berlin ". Schluß 9 Uhr.__
Eine Notgelö-Raritat. Wie wir bereits mitteilten, hat das Handelsministerium die Iveitere Ausgabe der neuen städtischen 50-Pfennig-Scheine umersagt. Die Neichsbank hat„festgestellt", daß in Berlin kein Bedürf». nis für solches Notgeld vorhanden sei, obgleich der Magistrat nur die von ihm selbst eingezogenen Lumpensünfziger durch neue Scheine ersetzen wollte. Buxtehude und Köljchenbroda dürfen also neues Notgeld drucken, dort ist Bedürfnis vorhanden, nur in Berlin nicht. Glücklicherweise war die größte Zahl der neuen Scheine bereits ausgegeben, als das Verbot eintraf: der Rest darf nun nicht in„Verkehr gebracht", sondern nur zu Sammel» zwecken, als„Raniät", ausgegeben werden. Das wird naiürlich die Sammlerwut, die sich ja zum Vorteil des leeren Slodt- säckels schon jetzt mit Kraft auf die Zwanzigerkerie gestürzt hat, noch weiter anfachen— wieder zum Nutzen der Stadt. Inmitten dieser„Raritäten" gibt es aber»un noch eine ganz besondere Extra-Narität. Der Schein Nr. 2 stellt nämlich das erste Dompfschiss auf der Fahrt zwischen den Zelten und Charlotlenburg dar und trug die Jahreszahl 1830 als Einführungsdaium dieser Dampfschiffsverbindung. Während des Druckes der Scheine stellte sich nun heraus, daß dieses Datum irrig war, und unsere findige Finanzverwallung faßte die Situation beim Schöpfe und ließ den kleinen noch ungedrucklen Rest mit der richtigen Jahreszahl 1816 versehen. Die Spekulation aus die Sammlerwut erwies sich als richtig: Die Scheine mit der 181S werden schon jetzt, tvie der Stadtkämmerer in der Finanzdepution mitteilte, mit 10 Mark pro Stück abgenommen. Man sieht also, daß die Stadt, wenn sie„auf der Höhe"«st, sich noch Einnahmequellen erichließen kann, die sie bisher noch nicht gekannt hat, so daß Ben A l i b a kapitulieren muß.
Das Sektgelage bei öer Irieöensöelegatioo. Drei Jahre Gefängnis wegen Unterschlagung. Eigenartige Vorgänge bei der deutschen Friedensdelegation in Paris beschäftigten gestern die 3. Strafkammer des Landgerichts III. Wegen schweren Diebstuhls war der ehemalige Dal» metscher der deutschen Friedensdelegation, der Bankbeamte Fedor L e o p e r angeklagt. Der Angeklagte, der der Sohn eines Generals ist, soll während einer wüsten Kneiperei im Kassenzimmer der Friedensdelegation dem damaligen Zahlmeisser Oberüber die,Kasscnschlüssel entwendet haben, um sich danach einen Nachschlüssel anfertigen zu lassen. Mit diesem Nachschlüssssel soll Lepper dann 750000 Frank aus dem Geldschrank entwendet haben. In �dem Vorverfahren hatte L. durch Rechtsanwatt Dr. Johann«) den Einwand erheben lassen, daß der Zeuge O. dem Angeklagten selbst das Geld gegeben habe, um auf den Rennplätzen Tremblay und Deauoille zu wetten. — Die Verhandlung erbrachte jedoch für diese Beschuldigung keiner» lei positive Beweise.— Das Gericht verurteilte Lepper zu 3 Iah- ren Gefängnis. Der Staatsanwalt hatte 5 Jahre Gefängnis beantragt. Deginn des Essener Mudra-Prozesses. Vor der 4. Strafkammer am Landgericht Essen begann gestern der Riefenprozeß gegen den ehemaligen Kommissar vom Roten' Kreuz, Ernst Mudra, dem zur Last gelegt wird, V e r un- treuungen und Schiebungen im Betrage von mehreren Miillonen Mark zum Nachteil des Roten Kreuzes verübt zu haben. Als im Frühjahr 1920 die Unregelmäbißgkeiten aufgedeckt wurden, war Mudra Leiter des Flüchtlingslagers in Essen . Auf Grund der schweren Beschuldigungen, die gegen ihn erhoben wurden, erfolgte am 10. Mai 1920 seine Verhaftung. Die Angeklagten, 33 an der Zahl, gehören den verschiedensten Berufsklassen an. Es sind ehe� malige Offiziere und Beamte und vorwiegend Kauf- leutc. Für die Durchführung des umfangreichen Prozesses sind drei bis vier Wochen in Aussicht genommen.
Enteignung eine» Grundstücke». Auf Antrag der Stadtgemeinde Berlin ist ein der D a i», t e r- M o t o r e n g e s e l l i cd a f t ge- höriges t0,58 Ar großes Grundstück zum Ausbau der Großbeeren « straße enteignet worden. Im Prozeß Slngh hat Rechtsanwalt Dr. Walter Jaffö Revision angemeldet.
"i Eine selksame Nacht. Roman in vier Stunden von Lanrids Bruun ' Frau Hjarmer konnte es nicht mehr ertragen.„So schweig doch!" rief sie und warf den'Kopf in den Nacken.� „Ja, Liebste!" Hjarmer blieb stehen und sah sie mit seinen bleichen, nervösen Augen streng an.„Wenn man ein junges Mädchen im Haufe hat, hat man eine Verantwortung!" Er sah wieder fort und fügte hinzu: „Ich begreife nur nicht, wo sie seine Bekanntschaft ge- macht hat!" Frau Helwig hob die Oberlippe zu einem höhnischen Lächeln: „Mich dünkte, du kamst ihm selbst sehr liebenswürdig ent- gegen!" � Hjarmer wurde eitrig: „Er war mir persönlich sehr unsympathisch— sein unbehagliches, kurzes Wesen war mir gleich zuwider! Es kostete mich grvße Ueberwindung, freundlich gegen ihn zu sein, kann ich dir sagen. Aber er ist der reichste Mann des ganzen Amtsbezirkes!— Und was tut man nicht alles für seine Zukunft und für seine Familie!— Hätte ich geahnt, daß er ein un- schuldiges, junges Mädchen verführt hat— daß er ein schlechter Menich durch und durch sei, dann..." Er hielt in plötzlichem Nachdenken inne: „Vielleicht war es verkehrt, daß ich ihn laufen ließ!— Die Sache ist ja noch lange nicht aufgeklärt.— Wie hat er das Geld von dem Alten bekommen, der ihn doch nicht wieder vor Augen sehen wollte?"„ „Ja, nicht wahr?— Das war eine große Enttäuschung! sagte Frau Helwig mit bitterer Ironie. Hjarmer war zu sehr von sich selbst in Anspruch ge- nommen, als daß er das Spottende im Ton bemerkte. „Kaum glaubt man. daß man den Kerl bat— noch in der Mordnacht!— Und plötzlich hat man das'' Nachsehen!— Die Zigarette — die Scheine— beide Snuren wertlos!" „Und dos Avancement, du Aermstcr!" Wieder überhörte er den verborgenen Spott. „Ja. das Avancement!" Er griff sich nervös an den Kopf: dann fand er Trost in der Liebe zu seinem Kind. „Ach, es sst ja alles gleichgültig, wenn nur Ellen..
„Ja. jal" Frau Hjarmer erhob sich und sah zur Eß- zimmertür. „Wie lange es dauert!" Dann fügte sie hinzu, halb zu sich selbst: „Wenn ich nur wußte!..- „Was, Liebste?" „Ach, nichts!" Sie trat zu ihm und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Nicht wahr," sagte sie mit großen, ernsten Augen,„alles könntest du entbehren, nur nicht sie!" Es zuckte um seine Lippen, und in seine Augen traten Tränen: „Ja, wenn nur Ellen—' „Ihr beide könntet glücklich miteinander sein!" sagt« sie mit einem schmerzlichen Lächeln.„Du und sie!" „Ach. Liebste!" Hjarmer wendete den Kopf ab und trocknete sich die Augen. 2. Die kurzen, schweren Schritte des Aerztes klangen aus ■ em Eßzimmer. Er riß die Tür auf. Die kleinen, scharfen Augen strahlten Helwig und Hjarmer entgegen, die beide auf ihn zustürzten: „Die Heiserkeit ist im Abnehmen— die Atemnot ist vor- über. Es ist nicht Diphtherie!" Hjakmer preßte seine Hände, während ihm Tränen über die blassen Wangen liefen: „Gott segne Sie!— Gott segne Sie!" Frau Helwig wagte es kaum zu glauben. „Sie ist gerettet, Doktor?" fragte sie bebend. „Sie ist außer Gefahr!" sagte er.„Es ist nur ein bös- artiger Halskatarrh!" „Gott sei Lob und Dank!" Sie schlug die Hände zusammen, und ihre großen, grauen Augen strahlten. „Dann kann noch alles gut werden!" fügte sie zu sich selbst hinzu. Doktor Snlt setzte seinen eigenen Gedankengang fort. „Krank ist sie, versteht sich. Aber bei solcher Pflege wie Fräulein Sindals wird sie in einer Woche alles überwunden haben!" Hjarmers Gesicht nahm wieder den leidenden Ausdruck an. „Fräulein Sindal—" sagte er
„Ja— wo ist sie?" Doktor Sylt richtete seine kleinen, scharfen Augen auf ihn.„Sie war nicht bei Ellen!" Hjarmer nahm sich zusammen. Er rieb seine weißen Hände gegeneinander und sagte kurz: „Fräulein Sindal packt ihre Sachen!" „Was soll das heißen?" kam es rauh.„Reist sie fort?" Hjarmer sah ein, daß es numöglich fei, das Geschehene zu verbergen. Darum machte er kurzen Prozeß und sagte hart: „Sie ist bei einem unzüchtigen Verhältnis ertappt worden!" „Fräulein Sindal?" Der Doktor'starrte ihn mit offenem Mund an. „Oh, das ist nicht wahr!" sagte Frau Helwig zitternd vor Unwillen. „Nenn es, wie du willst!— Sie hat einen Geliebten, der sie heimlich in der Nacht besucht!" Doktor Sylt schlug die dicken, behaarten Hände zusammen und beugte sich zu ihm. „Und das nennen Sie ein unzüchtiges Verhältnis?" fragte er ärgerlich. „Hier." sagte er,„in unserem Hause!— Zur Nachtzeit?" „Na und?— Die Nacht gehört doch wohl nicht Ihnen!" „Während sie Ellen pflegte?" „Glauben Sie vielleicht, daß das Kind daran Schaden genommen hat?" Die kleinen scharfen Augen ruhten höhnisch auf dem blassen, leidenden Gesicht. „Wie meinen Sie das?'' fragte Hjarmer unsicher. „Ich meine, daß Sie Ihrem Kinde keine bessere Pflege angedeihen lassen können als Fräulein Sindals!" „Ja, nicht wahr!" sagte Frau Helwig warm. „Das habe ich auch stets geglaubt!" sagte Hjarmer und seufzte. Jetzt wurde Doktor Sylt heftig. Er warf den runden Kopf in den Nacken, so daß das dicke Haar sich bewegte: und seine kleinen, scharfen Augen blickten Hjarmer an.„Und wenn sie auch jede eihzige Nackt im Jahr ein unzücktiges Verhältnis, wie Sie es nennen, gehabt hätte, so ist sie dock der einzige Mensch mit gesunden, unverdorbenen Instinkten hier im Hause!— Dafür stehe ich ein der ich euch allesamt in- und auswendig kenne!— Gute Recht!" Doktor Sylt ging zum Flügel und nahm seinen Hut. (Fortsetzung folgt.)