Nr. 83» ZH. Jahrgang
Seilage öes Vorwärts
Sonnadenü,? 8. Februar 1922
?m Lager öer Die Zentrale der Landarbeiter am Enckeplah.
Ein Teil der„natleidenden" Großagrarier hat sich in dieser Woche wieder einmal„unpolitisch" und„patriotisch" im Zirkus Busch betätigt. Nach den Zeitungsberichten ist der„Brandenburgische Land� volktag" auch wirklich wie ein„Zirkus" verlausen, und nach Schluß des Spieles sollen sich viele dieser sittenstrengen Herren in einer dos Familionlebe» sehr wenig fördernden Weise belustigt haben. Schließ- llch mußten sie sich von ihrem Kamps gegen die verhaßten Roten doch erholen. Ja, sie hasten die„Roten " und von diesen wieder insbeson- dere den Deutschen Landarbeiterverband, besten Tätigkeit es zu ver- danken ist, daß das wirkliche deutsche Landvolk beginnt, sich aus den Banden jahrhundertelanger Knechtschaft zu lösen. Die größte LanSarbeiterorganisation. Mitten im industrioreichen Berlin , am Enckcplatz, liegt das Haupt- quartier der deutschen Landarbciterorganisation, die trotz aller ltln- feindungen, trotz des besonders schwierigen Bodens, den sie beackern muß, groß un) stark geworden ist und die mit berechtigten Hoff- uungen in dieZukunft blicken darf. Der Aufschwung des Landarbeiter- Verbandes setzte nach dem Zusammenbruch im November 1318 ein. Die Organisation war während des Krieges von 20 333 auf 8333 Mitglieder zurückgegangen. Heule hol sie etwa 733 333 Landarbeiter zu einer geschlosteucu Moste zusammengefaßt und läßt damit die 33 333 Gelben und die 33 333 Zentralverbändler weit hinter sich. So wurden denn die alten Bureauräume am Michaelkirchplatz zu eng, und infolge eines günstigen Umstandes wurde ein Haus am Encke- platz erworben, auf dessen Hofgrundstück sich eine Seifenfabrik be- fand, deren große leere Räume in kurzer Zeit von einer Arbeiter- bougenostenschaft in Bureauräume umgewandelt wu.den. Ein Nunügcmg. Zunächst statten wir der Expedilion einen Besuch ab. Hier herrscht rege Tätigkeit. Täglich laufen 1333— 1533 Briefe ein, die sofort geordnet und auf die einzelnen Abteilungen verteilt werden müssen. In den ersten Wochen eines Vierteljahrs laufen dazu noch etwa 333— 333 Geldsendungen täglich ein. � Dreimal in der Woche werden die von den Abteilungen angelieferten Briefe postfertig gemacht. Frankiermaschinen versehen sie mtt Briefmarken, in großen Körben oerlassen sie auf einem Handwagen das Haus. Die Der- bands'eiluvg wird zweimal im Monat versandt. Dazu werden je 3333 Adresten aus Streifbänder und Pakeizettsl von der elektrisch betriebenen Adressiermaschine unter Benutzung von kleinen Blech- tafeln, aus die die Adresten ausgeprägt sind, hergestellt. Nachdem wir noch die Buchhandlung besichtigt haben, die erst vor kurzem eintze- richtet wurde und sich bemüht, den Mitgliedern gute Literatur zu ver- Mitteln, wenden wir uns den übrigen Abteilungen zu, die das Bu- reauhaus bis zu seinem vierten Stockwerk füllen. In der Registratur werdeu die erledigten Eingänge alphabetisch geordnet und ausbe- wahrt. In einem weiten, vom Licht durchfluteten Raum werden die Arbeiten der Buchballung erledigt. Hier sowohl als auch in den übri- gen Abteilungen ist dafür gesorgt, daß stets dieselben Angestellten die von ihnen schon einmal bearbeiteten Eingänge wieder zugewiesen erhallen. Dadurch wird eine genaue Kenntnis der Einzelheiten und eine ausgezeichnete Kontrolle erzielt. ftus üem Arbeitsgebiet. 2» der Abteilung für Lohnbewegung und Statistik werden die Lohnbewegungen, die Anträge auf Streit- und Maßregelungsunier- stützung bearbeitet. Gern wird uns über die hier geleistete Arbeit Auskunft gegeben. Zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen wurden im Jahre 1323 nicht weniger als 4 4öZ 8Ö9 Mark ausgegeben. Gerade in der Landwirtschaft sind die Kämpfe um geregelte Lohn- und Ar- beiisbedinaungen besonders hart. Tarifabschlüsse waren noch vor wenigen Jahren völlig unbekannt. Die Arbeitszeit währte vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Recht- und schutzlos war der- Landarbeiter, der sich noch dazu'unter die Gesindeordnung zu beugen hatte, allen Launen und jeder Willkür des Guisherrn preis- gegeben. Nichts lasten die im Landbund organisierten Unternehmer unversucht, die Arbritcx vom Eintritt in den Landarbeitcrverband
abzuhalten, bzw. ihren Austrttt zu erreichen. So hat der Landbund sich eine„Arbeiinehmcrgruppe" zugelegt, die ihm erhebliche Ausgaben verursacht. Die Landbündler oer'vrechen den Arbeitern höhere Löhne, als sie der Landarbesterverband erreicht hat. Im stillen ober denken sie wohl an die allen Zeiten ihres Herrentums, wo ihnen der fleißige Mann der Hacke und der Sense, mit jeder Brotrinde zu- frieden, die Scheuer füllte. Im Gegensatz zu diesen Landbündlern gibt es auch eine Unti>rn.ehm--rorl'ppe, die Londarbeiieroerband anerkennt und in sachlicher Weise mst ihm verhandelt. Im Hinblick auf die früheren Zustände hat der Landarbeiteroerband große Er- folge erreicht, die ihn aber nicht abhallen werden, das Begonnene fortzusetzen. v:e soziale Fürsorge. Wir durchschreiten noch manche anderen Räume, so die kranken- ! unkcrslühungsabteilung. die 1323 mehr als VA Millionen Mark au Unterstülzuugen auszahlte: wir sehen den tadellos geregellen Marken- 1 verfand, die Redaklion der verbandszeitung. und vor allem den ge- , jchmackvoll Heraerichteten Sitzungssaal. Hier»erden Konserenzen mit den Gauleitern usw. abgehallen. Zur fachkechnischen Durchbil- : dung der Kreislester, die in den mehr als 33 Gauen tätig sind, wer- ; den hier auch Kurse abgehalle», an denen stets 25 dieser Funktionäre reilnehmen. Zum Scbluß steigen wir noch hinab in den Keller, in | dem zwar keine Weinfäster, wohl ober Textilwaren aller Art lagern, j die zum Selbstkostenpreis an die Berbandsmitglieder abgegeben werden. » Wer dieses Haus durchwandert hat, wer gesehen hat. wie pro- zife und genau hier alles geregelt, durchdacht und geordnet ist, der muß Achtung bekommen vor dieser Organisation, und er wird das schlichte Haus am Enckeplatz in dem sicheren Bewußtsein verlosten, daß die freie Organisation der Landarbeiter den Kampf mst dem Großagrarierwm des Landbundes siegreich bestehen wird.
Das Recht auf öen Gimmel. wie die Stadl Berlin einen Prozeß verlor. Die Berliner Stadtverordneten haben in einer ihrer letzten Sitzungen dem Ankauf des Grundstücks Großbeeren st raße 13 auf Anregung des Bezirksamts Kreuzberg zugestimmt. Der Bezirk Kreuzberg will später das Grundstück zur Vergrößerung des auf dem Nachbargrundstück gelegenen Luther -Lyzeums ver- wende«. Mit diesem Grundstücksankaus hat ein merkwürdiger Pro- zeß sein Ende gefunden. Ms die Stadt Berlin , kurz vor Beginn des Krieges, auf ihrem Grundstück Tcmpclhoser Ufer 13 mit dem Bau des Luther-Lyzeums begann und die Pläne öffentlich ausgelegt wurden, erhoben die An- lieger gegen den Bau in de? oorgeschriebenen Frist keinerlei Ein- spruch. Erst als der Bau schon im Gange war, legten die Besitzer des Nachbargrundstücks Großbcerenftraße 13, die G o l l m i ck f cy e n Erben auf Grund des Z 142 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten gegen Weitersührung des Baues Einspruch ein. Dieser Paragraph des an sich für unjer öffentliches Recht gruud- legenden Gesetzes bestimmt, daß ein Neubau von den Fenstern des Nachbarn f o weit zurücktreten müsse, daß der Nach bor aus den ungeöffneten Fenstern des unteren Stockwerks den Himmel erblicken könne. Die städtische Bauverwaltung kam nachträglich den Wünschen der Gollmickschen Erben entgegen, indem sie den Giebel des Schulbaues verkleinerte und mit einem hellen Putz oersah— vergebens! Die streitbaren Erben Nagten, die Sache ging bis ans Reichsgericht und dieses hat in letzter Instanz den Prozeß um den Blick auf den blauen Himmel dahin entschieden, daß von den ungeöffneten Fenstern des Nachbarhauses tatsächlich der Hümmel erblickt wer- den könne. Das Reichsgericht war jedoch der Meinung, daß die „Körperhaltung", nämlich ein? gewisse Neigung des Kopfes nach hinten, in der dies geschehen könnt«, nicht derjenigen„auf- rechten und ungezwungenen Haltung" entspräche, die der Gesetzgeber des Allgemeine» Landrechts (nämlich die. Juristen
Cramcr und Suarez) bei der Ausstellung des Z 142 im Auge gehabt hätten. Der Berliner Magistrat wurde daher endgülltg ver» urteilt. d�n betreffenden Bauflügel einzu» schränken. Während des Krieges ruhte der Schulhausbau und damit auch die Durchführung des Rechts auf den blauen 5)immeZ. Jetzt nach 8 Jahren ist, wie erwähnt, der„h'.mmlifche Prozeß" da- durch aus dem irdischen Diesseits geschafft worden, daß die Stadt aus Grund länocrer Verhandlungen mit den Gollmickschen Erben das Grundstück für den Preis von 235 333 M. erworben hat, wozu die Kosten des Rechtsstreites in Höhe von 6533 Goldmark hin- zuzurechnen sind._ irreführende Serichterstattunq/ Mi dieser Ueberschrift bringt die„Freiheit" eine Betrach» iung des Abstimmungswirrwarrs der Stadtverordneten- f i tz u n g, in der die Tariferhöhungen als unbefristete ab« gelehnt und mit Befristung bis 33 Juni anaenommen wurden. Sie nennt eine Reihe Blätter, die mitgeteilt hätten, daß„durch An» nähme des deutschnationalcn Antrages auf Befristung der Tarif» erhöhungen bis 33. Juni die eben vorher in der Gesamtabstimmung mit 135 gegen 84 Stimmen abgelehnte Vorlage trotzdem ange- nomMen sei, und nennt darunter auch den„Vorwärts". Die„Frei. heit" gefällt sich von Zeit zu Zeit darin, den Zensor der Rathaus-' berichierstallung zu spielen, wobei sie ihre eigenen Leistungen in ein mitunter unverdient vorteilhaftes Licht zu rücken sich bemüht. Der„Vorwärts" hat in sach'icher Berichterstattung über die Stadt» verordnetensitzung lediglich festgestellt, daß die Tariferhöhungen schließlich mit der Befristung angenommen wurden. Dabei hoben wir ausdrücklich hervor, daß der Vo r st e h e r sie für angenommen „erklärt" habe. Erwähnt haben wir auch, daß sich daran ein Streit um die Frage der Rechisgülliokeit der Abstimmung knüpfte(über dessen Entscheidung auf der Pressetribüne nichts zu hören war). Wieso die nackteMitteilung dieser Tatsache eine„irreführende Berichterstattung" sein soll, möchten wir wissen. Für die Äbstim- mungen der Stadtverordnelenversammlunq und ihre Ergebnisse kann i doch der„Borwärts" nicht verantwortlich gemacht werden! Wir ! fühlen uns versucht, auf die Berilbterstattung der„Freiheit" über die Berichterstattung des„Vorwärts" das Wort„irreführende > Berichierstatiung" anzuwenden. Die-„Freiheit" klagt noch darüber, daß die drei Parteien der Linken nicht vollzählig vertreten wären. Dabei behauptet sie. gerade die rechtssozialistische Fraktion habe in letzter Zeit sehr große Lücken gezeigt. Wie anders doch die Dinge aus» sehen, wenn man sie von der anderen Seite belrachiet! Genau denselben Eindruck, den d.ie„Freiheit" von den Rechtssozialisten gehabt hat, haben wir von den Unabhängigen gehabt. Eine raffinierte Fälschung. Ein groß angelegter Bonkbetrug führte den Karre» spondenten Johannes P sch e i d l und dessen Bruder, den Hand» lunqsgehilfen Otto P sch e i d l, vor die 8. Strafkammer des Land« gerichts I. Auf eine Zeitungsannonce hin schrieb der erste Ange» klagte unter dem Namen„Theodor von Seydlitz" mehrere Bewerbungsschreiben an eine hiesige Bank und wurde als Karre- spondent angestellt. Um ihm seine Anstellung zu ermöglichen, hatte ihm der zweite Angeklagte eine Urkunde und �in Empfehlungsschreiben einer Firma in Dresden gefälscht, bei der ein anderer Bruder tatsächlich angestellt war. Nach zwei Monaten teilte der erste Angeklagte der Bank mtt, daß er erkrankt sei und blieb vom Dienst fern. Er wurde dann entlassen. Der zweite Angeklagte hatte sick, inzwischen unter dem Namen „W alter Häßler" bei einer Depvsitenkasse der Bank ein Kont? eröffnen lassen und zahlte 1453 M. bar und 175 M. auf einen Scheck ein, der auf die Zentraldeposttenkaffe der Bank lautete. In letzterer war der erste Angeklagte beschäftigt. Den beiden Ange- klagten ist es dann in überaus raffinierter Weise mit Hilfe g e- sälschter Urkunden, Briefe, eines gefälschten Uebertrags- formulars gelungen, eine angeblich von der Bankfiliale in Lehe be- antragte Gutschrift in Höhe von 215333 Mark aus Konto Walter Häßler zu erwirken. Die Gutschrist wurde auch ausgeführt und der Angeklagte Otto Pscheidl hat dann mittels Schecks im ganzen 214 333 Mark abgehoben. Die beiden Angeklagten haben dann in Saus und Braus gelebt; von der erbeuteten Summe hat Johannes Pscheidl 12 333 Mark erhalten. Für letzteren suchte Rechteanwalt Dr. Siegfried Eisenstaedt das Moment der Beihilfe auszuscheiden und bezüglich der Hehlerei mildernde Um- stände zu erreichen. Das Gericht glaubte aber beide Angeklagte gleichmäßig bestrafen zu müssen und verurHlte sie z u 3 Jahren Gefängnis, unter Anrechnung von 8 Monaten Untersuchungs. hast.
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Eine seltsame Nacht.
Roman in vier Stunden von Lau rids Brunn „Weshalb?"'' Er blickte mit seinen matten, braunen Augen flehend von einem zum anderen und sagte in demselben wimmern- den Ton: „Ich Hab immer gehört, wenn Verbrecher ihr Herz öffnen und bekennen, dann kriegen sie Branntwein und Bier und Festtagscsfen für ihre Willigkeit." Der Doktor legte ihm die Hand auf die Schulter und ver- sucht: seinen matten Blick mit seinen kleinen, scharfen Augen festzuhalten. „Es wäre Sünde, dich darum zu betrügen, Kasper!" sagte er.„Denn als du aus dem Abhang saßest und nachsannest, da dachtest du wohl, daß du Branntwein zur Belohnung be- kämst, wenn du dich selbst melden würdest?" Kasper sah zu ihm auf und nickte treuherzig.„Das ist wahr, Herr Doktor! Das wird man dir nicht abschlagen, dachte ich, wenn du wahrheitsgemäß bekennst." „Du sollst so viel Sckjnäpse bekommen, wie du haben willst!— Dafür stehe ich ein. Kasper!" „Aber bester Doktor!" Hjarmer sah erschreckt mit seinen hellen Augen zu ihm auf. ..Können Sie nicht sehen," der Doktor zog irritiert seine Holen in die Höbe,„daß der Mann m i r überlassen werden muß?— Er ist kein Verbrecher. Er ist krank— krank, weil er sein ganzes Leben hindurch gegen gesunde, natürliche In- stinkte hat ankämpfen müssen, die die öffentliche Moral ver- urteilt. Die Natur aber läßt sich nicht kneckten. Was keine Daseinsberechtigung haben darf, was beständig niedergedrückt wird— das gräbt sich tiefer ein, versumpft und vergiftet die ganz? Konstitution— Trunksticht. Eeisteekrankheit, Monomanie!— Und eines schönen Tages geht das Cefchwür auf. Nur ein Nadelstich— Eelegenbeit gibt's genug!— Glauben Sie mir. hätte er heute abend wviel Schnövi» bekommen, wie er nötig hatte— dann wäre der alte Hilsöe nicht ermordet word°n. Und darum ist kein Platz im Krankenbaus!" Doktor Salt richtete sich auf und sah zur Koniortür. „Der Schutzmann ist draußen— nicht wahr?" fragte er. „Er sitzt im Entree!" antwortete HZarmer. „Gut!— Dann können wir uns zusammen seiner ,an- «ehmen!"
Er legte die Hand auf Kaspers Schulter: „Komm nur mit, Kasper!— Du sollst so viel Schnäpse bekommen, wie du verdienst!" Die matten, braunen Augen flammten in plötzlicher, gieriger Freude auf. Er machte einen mißglückten Versuch, den Rücken zum Honneur zu strammen, während die Aussicht auf die Schnäpse ihn über den ganzen Körper zittern machte. Der Doktor schob ihn vor sich her durchs Kontor hinaus. 4. Hiarmer griff sich an die Stirn und lächelte mit seinen müden, nervösen Augen. „O, Liebste!" sagte er.„Wie ist doch alles sonderbar! Es ist wie ein Märchen! Vorhin war alles düster, und jetzt ist wieder alles hell und lächelnd!" Frau Helwig stand am Flügel und sah in tiefen Gedanken vor sich hin. „lind Fräuleist Sindal?" fragte sie. „Ach, erinnere mich nicht an sie!" Ein plötzlicher Schmerz > jagte über sein müdes Gesicht.—„Ich will sie zu vergessen ' suchen!" Helwigs große, graue Augen ruhten forschend auf den feinen. Dan strich er sich über die Stirn und sagte:„Ich will , nur daran denken, daß Ellen gerettet und der Mörder ge- ■ sunden ist. Ist es nicht wie eine Vorsehung? Erst diese Angst — und das Kind wird gerettet! Dann die Enttäuschung nach �der Hoffnung! Und trotzdem kommt der Mörder im Mond, 'schein anspaziert und gibt sich selbst in meine Hand! Ist das nicht wie eine Prüfung?" Frau Helwig richtete sich auf und ging auf ihn zu.'Jetzt endlich hatte sie einen Entschluß gefaßt. „Eine Prüfung, die bestanden sein will!" sagte sie. Hjarmer beachtete nicht ihren feierlichen Ton. ..Ja." sagte er.„und wir haben sie bestanden! Und jetzt ist alles wieder gut." „Nein, die Prüfung sängt jetzt erst an!" Diesmal merkt? er, wie ihre Stimme zitterte. „Was meinst du damit? fragte er und sah ihr in die Augen, die so seltsam tief in ihrem weißen Antlitz leuchteten. „Das Schwerste kommt noch!"' „Ich verstebe dich nicht!" legte er und wurde unruhig bei dem feierlichen Ernst ihrer Stimme. „Hast du in dieser Nacht nicht etwas gelernt?"
„Was willst du damit sagen?" Wieder sah er sie erstaunt, und ängstlich an; so hatte, er sie noch nie gesehen. „Ich wünschte, du hättest nur halb so viel gelernt, wie ich in dieser Nacht gelernt habe!" Es ging plötzlich wie ein Schimmer der Freude über ihr Gesicht, während, die großen Augen sich mit klaren Tränen füllten. Er staunte sie mit offenem Mund an: „Liebste— weshalb bist du so bewegt?" Ihre Augen strahlten durch Tränen, und die Oberlippe hob sich zu einem schmerzlichen Lächeln. „Oh— ich bin so unsagbar glücklich in diesem Augenblick obgleich ich dir einen großen Kummer bereiten muß!" „Helwig!" bat er angstvoll und streckte die Hand ab� wehrend gegen sie aus. Sie ging auf ihn zu und nahm seine Hand in ihre beiden. „Ach. mein Freund!" sagte sie leidenschaftlich.„Wenn du mit meinem Herzen fühlen, wenn du mit meinen Augen, die jetzt geöffnet sind, sehen könntest— dann würdest du dich mit mir freuen, daß ich endlich, endlich Mut gefunden habe—" „Wozu?" sagte er atemlos. „Ein ehrlicher und natürlicher Mensch zu sein! Oh, nimm dich zusammen. Knud! Vergiß einen Augenblick deine Stellung, dein Amt, Geld, Ansehen, Gesellschaft und das alles!" Hjarmer zog seine Hand aus der ihren. „Zieh dich nicht zurück!" bat sie exaltiert.„Es steht so viel für dich und für mich und für uns alle auf dem Spiel!" „Ich versteh dich nicht! Weshalb soll ich vergessen?" Sie bemölbtigte sich wieder seiner Hand und hielt sie fest zwischen ihren beiden. „Lebe einen Augenblick mit deinem Herzen allein! Sei einen Augenblick der gute, gerechte Mensch, der du in deinem Innern bist!" Hjarmer starrte sie in angstvoller Ahnung an. „Helwig— was soll das bedeuten? Ihr großer, exaltierter Blick umfaßte seine schinächtig« Gestalt mit einer Macht, der er sich nicht zu entziehen ver» mochte. „Versprich, daß du es versuchen willst. Knud!" „Ja, ja!" stammelte er. Wenn sie es doch erst sagen würde!- (Fortsetzung folgt.)