lebenskräftig werden, daß Vergewaltigung, Uebervortellung und Unterdrückung im sozialen Getriebe von selbst verschwinden. Um diese Kmft zu entfaltvn. soll das Christentum sich mehr als bisher um das D i e s s e i ts kümmern, denn:.eine Lebensauffassung, die l e d i g H ch auf ein jenseitiges Gottesreich ihre Hoffnung fetzen wollte, ohne zugleich auf einen irdischen Fortschritt im Sinne des christlichen Sittengesetzes bedacht zu fein, spräche dem Christentum geradezu Höh n." Schwellenbach kommt ans diesem Grunde auch zu starker Bejahung des pazifistischen Gedankens:„Wer sich einen Christen nennt, dabei aber den Weltfriedensge- danken verhöhnt oder verspottet, hat den Geist des Christentums auch im entferntesten noch nicht begriffen." Notwehr des einzelnen und des Volkes müsse zwar erlaubt sein, doch müßten sich auch ihre Voraussetzunigen schließlich restlos beseitigen lassen. Denn wie das Verbrechen durch soziale Fürsorge und sittliche Erziehung ausgerottet werden könne, so müsse auch durch die Einwendung des christlichen Sittengesetzes auf das Völkerleben die Idee der Völker- g e m e i n s ch a f l zum Siege gef ührt werden. Und noch ein anderes B-ekenntn is legt Schwellenbach ab: „Wenn dem Geiste des Christentums wahrhaft Genüge geschehen soll, dann ist es die Au f g a b e eines jeden V o l k e s, die V o l k sw i r t s ch a f t j o z u g e st a l t e n, daß jeder Volksangehörige, sofern er das Sittengesetz beobachtet, sich um des Lebensnotdurft nicht zu'kümmern brauch t." Diese Annäherung an die sozialistische Auffassung erfolgt allerdings noch zögernd, unter mancherlei Hemmungen. Der kleinbürgerliche Eigentumsbegriff versperrt Schwellenbach noch den Blick in die gemeinwirtschastlich organisierte Zukunft. Das„Eigentum" soll nach Möglichkeit unangetastet bleiben. Immerhin soll die Vernunft, d. h. die gesellschaftliche Erfahrung und Erkenntnis, darüber entscheiden,„ m i e w e i t im übrigen der Begriff des Eigentums zu ziehen ist." Und es ist„Sache der Wirtfchafts- und Rechtswissenschaften, zu ermitteln, unter welchen Bedingungen die Gutererzeugung am größten wird und der Umlauf und Austausch von Gütern sich am besten vollziehen." Auch sonst macht Schwellenbach dem Geiste der mit Prole- tarierfäusten ungestüm an die Pforten der Kultur pochenden Zeit das Zugeständnis, daß es gutes Menschenrecht sei, mehr zu erstreben, als nur die Befriedigung der Notdurft:„Und wenn dabei die Wünsche der Menschen immer kühner werden, wenn sie an Festtagen auch das genießen möchten, was ihnen Jahreszeit, ihr Land ihnen nicht bieten kann, brauchen sie sich solche Wünsche zu versagen? Setzen nicht Handel und Verkehr mit den Fortschritten der Technik die Erdenbewohner immer mehr in den Stand, jederzeit alle Erzeugnisie der einzelnen Länder gegeneinander auszutauschen und die Freiheit des Genießens immer weiter auszudehnen? Nicht minder auch den reinen Naturgenuß durch die fortschreitende Ueberchrückung der Schranken von Raum und Zeit bis zu ungeahnten, ja kaum zu begrenzenden Möglichkeiten? So setzt das Christen- tum nirgends der Freiheit des Genießens eine Schranke, verdammt aber um so heftiger die zügellose Genußsucht einer Minderheit, die zum Schaden, zum Verderben der Mehr- heit ihr eigenes Leben nicht genießen, sondern verprassen und vergeuden will." Leider zeigt Schwellenbach nicht auch die Wittel, die sein „Ehristentum der Tat" zur Wirklichkeit werden lassen könnten. Mit wohlmeinenden Ermahnungen wird auch heute nicht mehr erreicht, als vor hundert oder vor tausend Iahren..Die Ge- sellschaft mittels der Idee, von der gebildeten Klafft mis reformieren? Unmöglich! Unsere Zeit ist rein m a t e r i e l f." Einer der ftinnervigsten, sozialpsychologisch icharfhörigsten Dichter, Georg Büchner , schrieb das schon vor mehr als achtzig Jahren. Ein„Christentum der Tat" müßte also schon gleich dem Urchristentum wieder zum Sehn- suchtskünder und Willensvoklstrecker der proletarischen Massenselb st werden! Fuhr doch auch Georg Büchner an der zitierten Stelle fort:„Und die große Klasse selbst? Für sie gibt es nur zwei Hebel: materielles Elend und
religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen." Ob die katholische oder eine andere Kirche ft den Fanatis- mus für die soziale Gerechtigkeit ausbringen wird, der den materiellen und seelischen Bedürfnissen der Massen ent- spricht, wird die Zeit lehren. Inzwischen hat der S o z i a l i s- mus selbst seine Forderungen und seine Weltanschauung mit einem Glauben und einer Glut zu vertreten, die ihm die i Unwiderstehlichkeit des religiösen Fanatismus sichert und das Christentum der Tat zur Wahrheit macht!
Dunkelheiten um Sie Awangsanleihe. Das Reichefinanzministerium hat die von uns festge- nagelten„Informationen", die die„D. A. Z." aus einer Un- terhaltung deutfchvolksparteilicher Führer mit dem Doppel- minister Hermes zum besten gab, in dankenswert bündiger Weise offiziell als Unwahrheiten bezeichnet. Aus der in der gestrigen Abendausgabe des„Vorwärts" veröftentlichten Erklärung geht auch hervor, daß das Reichsfinanzministerium das Kernproblem der Zwangsanleihe darin sieht, einen große- ren Betrag aus ihr n o ch i n d i e s c m I a h r e hcrauszu- holen. Die zu Herrn Hermes gebstenen Herren der Deutschen Bolkspartei sind besond'es gebeten worden, diesem Problem ihre Aufmerksamkeit zu schenken und Vorschläge in dieser Hin- ficht zur künftigen Beratung zu machen. Da die gestrige Abendausgabe der„Deutschen Allgemei- nen Zeitung" die ihr vom Reichsfinanzministerium verab- reichte saftig« Ohrfeige ihren Lesern kommentarlos meldet, auch nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß sie das tut, um befreundeten Stellen aus der ungeschicktsrweise bereiteten Verlegenheit zu helfen, so bleibt es wohl dabei, daß das mitführende deutfchvolksparteiliche Blatt auf seinem Standpunkt beharrt. Das heißt, 1920 selbstverständlich keine Zahlung auf die Zwangsanlcihe und, wenn irgend möglich, auch Verhinderung eine? Veranlagung. Es handelt sich bei dieser Stellungnahme nicht um einen Zufall oder um die Auffassung eines Außenseiter?: predigt doch gestern abend„Die �eit" eindringlich die Rolwendigkcit eines Feierjahres für die Finainämter. Sie versteckt sich dabei wieder ausgerechnet hinter Herrn Hvemes und— das ist eine neue Note— die beiden bürgerlichen Koalilions- Parteien. Insbesondere dies ist aber eine aus den Fingern gesogene Wissenschaft, denn die bürgerlichen Koalitionsparteien haben ja überhaupt noch keine Stellung genommen in der Richtung, wie es„Die Zeit" gern als schon geschehen an- genommen wissen möchte. Man arbeitet eben nach einem bestimmten Plan. Dem deutschoolksparteilichen- Organ wird dabei gestern abend durch eine Meldung der TU. sekundiert, die besagt: Wie die Telegraphen-llnion erfährt, nehmen die Vorarbeiten für die Schaffung und die Ausgabe einer Zwangsanleihe im Reichs- finonzministerium ihren Fortgang. Sie sind außerordentlich schwierig, doch hofft das Finanzministerium, sie so beschleunigen zu können, daß noch vor Ende des Jahres die Zwangsanleihe ausgeschrieben werden kann. Damit soll wohl die Meinung befestigt werden, daß vor Ende des Jahres die Zwangsanleihe überhaupt nicht ausge- schrieben werden kann. Es wird dqbei übersehen, daß auch das Reichsfinanzministerium eine ausführende und keine be- stimmende Behörde ist. Bestimmt wird von den Koa- litionsparteien und dem Kabinett, kurz, dem Parlament. Wir können deswegen auch heute wieder nur sagen, daß zu den sich jetzt an allen Enden regenden Bemühungen, die Zwangs- anleihe auf dem Umweg über sich schlau dünkende politische stille Teilhaber der Deutschen Volkspartei , über Finanzämter, Ausführungsbestimmungen und schwierige Vorarbeiten lang- sam„abzuwickeln", die Sozialdemokratie noch einiges zu sagen haben wird. Wenn wegen dieser unserer gestrigen Ankündi- gung„Die Zeit" gleich eine Spalte lang aus der Rolle fällt, so ist das allein schon Beweis genug dafür, daß wir damit auf dem richtigen Wege sind.
Namentliche Abstimmung im Reichstag. Am kommenden Freitag findet im Reichstag die na, mentliche Abstimmung über das Reichs- Mietengesetz statt. Es ist dringend erforderlich, daß alle sozialdemokratischen Abgeordneten zu der Abstimmung an» � wesend sind. Im übrigen wird im Lauft des Freitags und Sonnabends der Etat des Rcichsschatzministeriums und des Ministeriums für Wiederaufbau zur Beratung stehen. »Eine geistige Potenz'". Vor einigen Tagen meldeten die Zeitungen, daß der deutsche Exkronprinz seine Wieringer Zeit dazu benützt hat, um Erinnerun- gen niederzuschreiben, die in Kürze der Oefsenllichkeit zugänglich ge- macht werden sollen. Diese Tatsache gibt Herrn Dr. S t r« s e- mann willkommene Gelegenheit, in seinen„Deutschen Stimmen unter dem Titel„Väter und Söhne" dem ehemaligen Kronprinzen ein Loblied zu singen. Herrn Dr. Stresemann ist der Kronprinz a. D. „ein Mann von©eist und von Lebenserfahrung, an dessen Buch man nicht achtlos vorübergehen darf.„In diesem Manne steckt," so sogt Herr Stresemann,„viel mehr Ernst als die Oesfentlichkeit annahm, viel mehr Geist als man ihm zutraute, viel !m«hr reales politisches Denken als etwa idealistisches Träumen und eine eigene Auffassung der Dinge". Er vergleicht sein Schicksal in Wieringen mit dem Küstrin Friedrichs des Großen und sagt:„Der Mann, der nicht nur in seinem Briefe an Prof. Zorn, sondern in vielen anderen Kundgebungen um seine Lebens- und Weltanschauung mit anderen kämpft, ist eine geistige Po- tenz, an der niemand vorübergehen kann." Wir sind nicht in der Lage, auf Grund eines noch nicht erschiene. nen Buches Vorschußlorbeeren zu erteilen. Wir kennen den ehe- maligen Kronprinzen auch nicht so genau, wie wir das von Herrn Dr. Stresemann annehmen. Bor seiner Lebenserfahrung haben wir allerdings nicht den Respekt wie der Führer der Deutschen Volks. pcrrtei. Elefantenjagden in Indien , Polo- und Tennisspiele daheim sind nach unserer Ansicht nicht die ge- eigneten Lehrgegenstände für einen Mann, der einmal das Ober» Haupt eines Siebzigmillionenvoltcs werden sollte. Ist etwa die berühmt«„I m m« r> f e st e- d r u f f"- Depesche der Ausfluß seines realen politischen Denkens?' Die Erfindung von Manschettenknöpfen gibt uns noch lange keine Beranlassung, den Konstrukteur„eine geistige Potenz" zu nennen. Aber wie dem auch sei, wir werden das Buch des Exkronprinzen abwarten und gern unser Urteil revidieren, vorläufig scheint uns mehr, als ob Stresemann den Exkronprinzen für die Deutsche Volts- parte! reklamieren möchte.
Um üie Freiheit'".
Die„Rote Fahne" brachte in ihrer gestrigen Morgenausgabe einen Bericht über«ine Betriebsversammlung der„Freiheit". Druckerei und Verlagsgenossenschaft, wonach der Betriebsrat eine ! gerichtliche Untersuchung gegen die Geschäfteleitung beantragt habe wegen des Berkaufs des Gebäudes und der Druckerei. � Der ent- 1 lassene Test des Personals verlange Entschädigung. Geschäftsleitung und Bezirksverband hätten die Arbeiterschaft auf das gemeinste über- � gangen usw. Die„Rote Fahne" drohte mit der Beröffentlichung ! weiteren Materials, wenn nicht die„Freiheit" restlos« Aufklärung � der Tatsachen gäbe. In ihrer Abendausgabe gebt die„Freiheit auf die.Lügen ! d e r„Roten Fahne" ein. Es habe sich lediglich um eine Ber- sammlung der Arbeiter und Angestellten der Druckerei gehan- delt, an der der Betriebsrat der Verlagsgenossenschaft nur zur In- formation teilgenommen habe. Es fei unwahr, daß in dieser Ber- sammlung über die allgemeinen geschäftlichen Dinge, Hausverkous usw. gesprochen wurde. Bcrhandlungsgegenftand bildete lediglich die sich aus dem Verkauf der Druckerei für die An» gestellten und Arbeiter ergebende Lage. Die Ber - sammelten stellten sich aus den Standpunkt, daß die Verordnungen des Demobilmachungskommissars und die gesetzlichen Bestimmungen über die Stillegung von Betrieben beachtet werden müßten und beauftrLjjten den Betriebsrat, dementfprechende Schritte einzuleiten Von einer Drohung mit gerichtlicher Klage war ebensowenig die Rede wie von Borwürfen gegen den Bezirksverband der USPD ." Daraus geht hervor, daß die„Rote Fahne" wie gewöhnlich stark übertrieben hat.
Der päöagoge. Von Peter Scher . Der Pädagoge hatte um sein Kinn einen jener Bärte geknöpft, die auf die Brust herniederwallen und der Vergangenheit anzugehören scheinen. Doch sind sie in Wirklichkeit noch vorhanden und dienen dem Zwecke, ihren Inhabern Männlichkeit zu suggerieren— oder Weisheit oder was weiß ich. Jedenfalls ttug der Mann, um den es sich hier handelt, ihn gern zur Schau, und es wäre nichts dagegen zu sagen gewesen— denn in diesen glattrasierten Tagen könnte«in Vollbart ebenso gut männlich ausbegehrenden Sinn für Selbständig- keit, ja revoluiionören©eist ausdrücken—, wenn die folgenden Er- eignijse leider nicht doch beweisen würden, daß Vollbart in der Regel Vollbart bleibt... womit nichts gegen den bärtigen Lefer gesagt sein sott, der schon wissen wird, aus welchem ttefercn Grunde er' ihn trägt. Zur Suche. Unser Vollbart führte ein kleines Geschöpf an der Hand, das, obwohl dazu bestimmt, als Kind dieses Vaters ein Knabe zu sein. sich dennoch aus-der-Art-schlagender-Weise als ein Bube erweisen sollte. Kurzum: dieses vorläufig noch(mit Rücksicht auf den Vater) als Knabe zu bezeichnende Geschöpf wandelt im Schmucke sichtlich neuer Fausthandschuhe— wie die steif ausgestreckten Arme und häufige verzückte Blicke auf deren wollen« Ausläufer beweisen— und im köstlichen Besitze fröhlicher Unbefangenheit neben dem ob und-ii Briebning erteilenden Vater durch die Sttaßen der Stadt. Was geschieht? An einem Platze, über den Menschen rasen, steht auf einer Insel ,ener Mann, der einen für künftig Pfennig durch sein Fernrohr immer wieder einmal nach einem anderen Stern blicken läßt auf dem sich möglicherweise gerade keine sozialen Umwälzungen'voll- ziehen. Der Pädagoge wogt einher, den— venneintllchm— Knaben an der Hand, und ein Gedanke schießt im Angesicht diese» Apparates durch seine Denkvorrichtung. „Willibald," spricht er, sich zum Knaben niederlassend,„nun paß einmal auf. Ich laß dich jetzt durch diesen Apparat in den Himmel .chouen! Ei, was wirst du da für Engel und himmlische Gestalten erblicken! Gib Obacht, Kind, und laß dir nichts entgehen!" Der Knabe blickt ins Rohr, daß ihm vor Anstrengimg die Augen heraustreten und feine steif vom Körper abgehaltenen Arme mit den "!?»" Fausthandschuhen wie die Hebel einer kleinen Maschine mecha- niph aus- und Niedersohren. Und stößt endlich, mit blaurotem Gesicht, frech hervor: . Gar nix seh ich, Vater!" „.'jWie?" der Vollbart auf.„Hab ich dir nicht gesagt...k Auf der Stelle stehst du noch einmal hinein!" Aber da fällt der Besitzer des Apparates ein, es müsse nachgezahlt „Gut denn!" erwidert der von seiner Idee besessene Vater,„so sei es. Willibald, bemerke bitte, daß ich nochmals fünfzig Pfennige b-zakste, um dir die mrhrerwähnte Freude zu ermöglichen! Vor. wärt»!. Sieh, hinein!."
Und das nunmehr wohl schon als Bube anzusprechende Geschöpf stiert abermals ins Rohr, um gleich darauf, blau vor Anstrengung, zu melden, daß es schon wirklich gar nichts sehen könne. Da ergrimmt der Pädagoge'und, das undankbare Geschöpf mit einem heftigen Ruck abseits ziehend, verabreicht er ihm eine Maul- schelle. „Weil du keine Phantasie hast, dn Lümmel!" donnert er. Und indem er mit dem weinenden Willibald entschreitet, daß sein Vollbart im Sturmwind knattert, sagt er tiesschmerzlich bei sich: „Und dieses dem Materialismus ausgelieferte Geschöpf ist mein Kind!" Zusttzulk. Ein treffendes Beispiel, wofür man den Beamten de« hohen Gerichts ihre noch höheren Gehälter zahlt, bot tiefer Tage eine kostenlose Bcranstaltung in der Schumannstraße. Vor einem Jahre wurde dort ein Einbrecher erschossen. Als der Schuß krachte, flog aus dem dritten Stock eines.fjaufe, ein Wasserglas auf die Straße. Natürlich muhte die Besitzerin des Glases vor Gericht. Der Staatsanwalt versäumte seine kostbare Zeit mit der Untersuchung der„Angelegenheit", der Gerichtsapparat wurde in Bewegung gesetzt, Dutzende von Menschen wurden auf- geboten, um Akle zu schreiben, sie zu lesen, um vernommen zu wer- den. Die Angeklagte sagte aus, sie hätte las Glas aus Schreck fallen lassen. Dagegen fanden sich wieder Zeugen, die diesen Schreck de- stritten. Jetzt entstand eine Anklage wegen des Meineids. Ein Schwurgericht tritt zu stimmen, es begibt sich nach der Schumann- straße, um zu beobachten, wie der Herr Staatsanwalt und die Angeklagle Gläser aus die Sttaße werfen— zum Gaudium des versammelten Publikums, das mit Recht an eine Kinoaufführung denkt— der Herr Staatsanwalt mit Absicht, die Angeklagte mit der Gebärde des Schreckens. Dann begeben sich die Herren Ge- schorenen, das hohe Gericht, der Herr Staatsanwalt, der Rechtsan- walt und wer sonst noch zurück in den Gerichtssaal, und die Ange- klagte wird selbstverständlich freigesprochen, da man doch nicht fest- stellen kann, ob ein Schreck oder eine vorgefaßte Absicht die 5)and- bcwegung verursachle. Damit ist die Angelegenheit erledigt: Die Angeklagte ist zu- frieden, weil sie rehabilitiert ist: der Rechtsanwalt ist zufrieden, er heimst da» Honorar ein: der Staatsanwalr ist zufrieden, er hat bewiesen, daß das Auge des Gesetzes über ollem gleichmäßig wacht, daß ihm hoch und niedrig, ein Doppclmord und ein Wasserglos gleichmäßig untersuchungswert erscheint: die Geschworenen sind zu- frieden, die Richter sind zufrieden, sie haben chrc Pflicht getan; und auch da» Publikum, das eine kostenlose Vorstellung zu sehen kriegte, ist zufrieden. Aber die Oesfentlichkeit dürfte sich damit nicht zufrieden geben. Sie müßte ein für allemal zu erfahren verlangen, erstens ob sie dafür Steuern zahlt, daß die Beamten derartig wichtige Ar- betten ausführen, und zweitens ob tie Herren Beamten, die solche Angelegenheiten in der heutigen Zeit für wichtig halten, um den ganzen großen Gerichtsaoparat in Bewegung zu setzen, als unent- behrlich zu betrachten sind. Die Frage, ob nicht auch das Gerichts- wesen etwas„wirtschaftlicher" zu gestalten sei, beginnt angesichts der sich häufenden Prozesse um ein Nichts— man denke an die tost- spieligen Reigen- und Nackttänzerinnenassäre»— dringlich zu ««den,...■
Die deutsche Werksielle für Farbkunde. Nach manchen Schwierigkeiten ist es Wilhelm Dstwald, dem Begründer der neuen Farbenlehre, gelungen, in Dresden eine neue deutsche Werkstelle für Farbkunde ins Leben zu rufen, als deren Leiter Prof. F. A. O. Krüger wirkt Ueber die Organisation dieses neuen wichtigen In- stituts wird in der„Umschau" berichtet.„Die Anstalt übte alsbald eine vielseitige beratende, unterrichtende und forschende Tätigkeit aus: sie ist jetzt in ein eigenes Haus auf großem Gelände übergeführt worden, so daß sie auf Jahrzehnte hinaus Unterkunft und Aus- dehnungsmöglichteit finden wird. Bon den verschiedenen Gewerben, die einer Ordnung und Normung der Farben bedürfen, hat fich in erster Linie da» Buchgewerbe zu organisatorischem Vorgehen ent- schlössen und die neue Farbenlehre zur Grundlage für alle weiteren Arbeiten gemocht. Zur Untersuchung der Deckfähigkeit und Licht» echtheit der Buchdrucktünchen wird dos neue Farbenmeßverfahren angewendet, bei dem die Mitarbeit der Werkstelle unentbehrlich ist. Um den allgemeinen Charakter des Instituts zu erreichen und zu erhalten, sollen an allen Orten des Deutschen Reichs, wo farbtätige Industrien angesiedelt sind»nd sich die erforderlichen Mittel finden. Zweigstellen errichtet werden. Der Band zwischen Kirche and Bühne. Kirche und Bühne, die durch Jahrhunderte in einem so erbitterten Kamps lagen, sind in Amerika jetzt zu einem friedlichen Bund und gemeinsamer Arbeit zu- sammengeschlossen worden. Wenigstens sind eine solche enge Gemein- schast ein New Porker Prediger und ein New P o r k« r Theaterdirektor eingegangen. Der Reverend John Roach Slraton griff die Theater heftig an und rief dadurch einen erregten Kampf der Meinungen hervor, der zuerst in den Zeitungen aüsge- fochten wurde und darn zu einer öffentlichen Aussprache führte, die in der Pfarrkirche Stratons, der Calvary Baptist Church, abgehalten wurde. Als Gegenrcdner gegen Straton trat der Theaterdirektor Brady auf und erklärte auf die Frage des Geistlichen, warum das Christentum dem Theaterpublikum nicht näher gebracht würde, dem Pastor stehe sein Theater zur Verfügung. Straton fragte, ob er eine Anzahl von Predigten in Bradys Theater halten dürfe, und da der Theoterdircktar sich dazu bereit erklärte, bot er nun seinerseits dem Theatermaune seine Kirche an, damit er von dieser Stelle aus ein» Serie von Ansprachen hallen könne. Der Pastor predigt nun auf der Bühne, der Theaterdirektor trägt seine Anschauungen auf der Kanzel vor, und man ist in größter Eintracht.„Kirche und Bühne," erklärte der Geistliche,„müssen mit vereinten Kräften auf da» Volk einwirken. Die Kirchen haben sich bisher zu sehr innerhalb ihrer vier Mauern gehalten; sie müssen mehr in die Welt hinaus, um auf die Welt zu wirken." Der Vesuv als Fliegersalle. Der Vesuv hat sich in den letzten Tagen als eine schwere Gefahr für Flieger herausgestellt. Vor etwa einer Woche versuchte der Operareur einer Filmgesellschaft, ein. kinematographische Aufnahme oes Vesuv zu machen und näherte sich so dem Krater, daß die Maschine plötzlich heruntergezogen wurde. Dem Operateur gelang es noch, herauszuspringen und sich mit leichten Verletzungen zu retten. Aber der ihn begleitende Flleger und das Flugzeug wurden von dem Vulkan„aufgesogen" und ver- schwanden. Nicht lange danach flog der Leiter einer.Luftdroschke", oer sich mit einem amerikanischen Kaufmann auf einer„Geschäfts- reise" durch Europa befindet, über dm Krater und wurde dabei