ftr. 11� ❖ 39. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Sonnabenö, 71. März 792�
Mit„Fsaggenmecr' und„Flaggengala" haben wir Heuer be-! gründeterweise nicht viel mehr im Sinn, vielleicht weil wir seinerzeit unbegründet genug davon zu losten gekriegt hatten. Es gibt aber eine Stadt in Deutschland , die cs auch jetzt noch zweimal im Jahre stolz mit der ganzen verramschten Saisonslaggerei aufnehmen kann. Unter Wimpeln und buntest getönten Lappen steht die Plcißestadt, allein sie sind nicht mit den Farben bemalt, die uns in der Welt in Miß- lredit gebracht haben. Sie sind ganz unpolitischen Charakters. Jede ist mit einem Firmennamen, einer Anpreisung versehen. Die Wimpel und Flaggen flattern so zahllos über dir, daß du ständig das Gefühl hast, du gehst in einer überdachten Straße. So stellst du als erstes fest: Leipzig hat geflaggt, das Geschäft schwört auf Fahnen. Die Muster und öer Meßonkel. Zweimal im Jahre ist in Leipzig Mesie: Frühjahrs- und Herbstmesse. Dann pulst dort deulsches Wirtschaftsleben. Fast der gesamte deutsche Handel in alle., seinen Branch.m ist auf der Mesie vertreten. Aus allen Teilen des Landes strömen d!« Verkäufer und Käufer zu- sarr.mui. Alle Dialekte hört man und auch fast alle Weltsprachen. Das Meßleben spielt sich in wenigen Tagen ab, in eigens diesem Zweck übcrgebenen Mcßpalästen und-hallen. In irgendeinem dieser Gebäude ist jede namhafte deutsch « Firma vertreten und hat ihren Stand, an dem sie ihre Waren offeriert. Die verwandten Bran- chcn findest du beieinander. Hier Textil-, hier Lederwaren, Koffer und dort Bücher, Kunstblätter und so fort. An den Ständen die Handelnden: Nachfragende und Anbietend«. Der Käufer kommt, um seine Bestände zu ergänzen, vor allem aber hofft er, Neues zu finden. Umgekehrt will der Anbietende Neues zeigen. Offiziell heißt die Messe Mustermesie. Das heißt: die ausgestellten Gegenstände sind lediglich wuster. Die Waren werden vom Heimatort in deinen Wohnort geschickt. .wcßankel" heißt im Scherz der Meßbesucher. Du erkennst ihn an einer Marke, die er auf den Rock heftet. Sie berechtigt zum Besuch aller Meßgebäude. Auf dem Meßamt mußt du sie erwerben. Wenn du aus dem Leipziger Hauptbahnhos eintriffst, spürst du gleich, daß die Stadt unter dem Eindruck der Messe steht: denn Frauen und Kinder bieten Zimmer an. Die Hotels sind unheimlich teuer und alle beseht. Unwillkürlich denkt man an den alten Witz, daß der Meßonkel unter Umständen in der Kommode schlafen müsse. Doch auch der Wohnungsnachweis des Meßamts hilft nach Kräften. Und viele, wohl der größte Teil der Meßbe- sucher, wohnen„privat" Der Meßonkel muß gepfefferte Preise hören, zahlt sie und verliert deshalb nicht den Mut. Er hofft— und findet es meist bestätigt—, daß das Geschäft es wieder ein- bringt. Reklame lst Trumpf! Ein wichtiger Faktor im Handelsleben ist die Reklame. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sie immer mehr an Bedeutung ge- wonnen. Heute muß jeder Kaufmann werben, Reklame machen, sonst ist er nicht zeitgemäß und leickt bedroht, erdrückt zu werden. wen findet keinen Winkel, der nicht für ReName ausgenutzt ist. Riesenjchilder sind von einem Haus zum anderen guer über die Straße himveggezogen. Jede sichtbare haussronl ist reklamebosät. Fortgesetzt werden dem Pasianten Zettel, Kataloge, farbenprächtige Anpreisungen, Preislisten in die Hand gedrückt. Die Straßen- pasianten werden ohne Unterbrechung durch Retlameumzüge ge- fesielt. Den Zug eröffnet ein richtiggehendes Kamel, das die Re- klame einer Schreibfederfabrik durch die Straßen führt. Es trägt ein Schild w't der Aufschrift: Jeder schreibt mit der X-Feder, nur ich nicht: denn ich bin ein Kamel! Zwei Riesenstiefclcremedosen (2 Meter im Durchmesier) werden durch die Straßen gezogen. Taschenuhren, Flaschen in gigantischen Maßen, aus Pappe herge- stellt, folgen. Jungen, als Mönche verkleidet, tragen Niesenschnaps- flaschen. Eine Weihnachtsbaumschmucksabrik läßt wieder geschmückte Tannenbäume zeigen. Mannshohe Löffel, riesengroße Rollen Kau- tabak preisen sich an: Kauft uns, kauft uns! Ein Jockei bläst und quakt auf einem sämmerlichcn Instrument, lenkt dadurch die Auf- merksamkeit aus sich und zeigt fortgesetzt ein Patentzigarettenetui. Einen jedoch wird mancher beneidet haben, er zeigt nämlich eine praktische Vorrichtung, die einem im Eisenbahnkupee sitzend ein bequeme? Schlafen ermöglicht. Er„schläft" den Meßbesuchern etwas
vor, und mancher dachte: das ist einer der wenigen Glücklichen, die schlafend ihr Brot verdienen. Auf Schritt und Tritt springt die Reklame in die Augen. Und olles schreit dich an: Kaufe mich, ich bin unüberkrosfen! Schließlich bist du ganz verwirrt und weißt weder was das Beste ist, noch was du kaufen sollst. Dem anderen Kauf- mann aber kommt es darauf an, seine Ware immer wieder zu zeigen. Immer wieder soll sie dir vor die Augen kommen. Das Kennwort prägt sich schließlich doch ein. fluf üer Straße. Man wird sich lebhaft vorstellen können, daß hier, wo die Meß- besucher nach Hunderttausenden zählen, ein reges Leben und Trei- den das Straßenbild beherrscht. Es ist eine schwarze Masse, die sich langsam schiebt. Jeder hat das Bedürfnis, etwas zu sagen, und so entsteht ein ewiges Gemurmel und Gebrumme. Würde aus den alten Märchen irgendein Riese auserstehen, sich mit beiden Ellen- bogen auf einen Meßpalast stützen und gemächlich in das Treiben schauen, er würde das Gefühl haben, das sich unserer bemächtigt, wenn wir in ein frisch zerstörtes Ameisennest blicken.— Ein tolles Leben und Treiben. Durch die schiebende Menschenmenge quetschen sich unter ununterbrochenen Hupensignalen die Autos. Langsam, langsam! Nur ein Amerikaner fährt in einem durchaus normalen, hier unverschämt wirkenden Tempo. Gleich brüllt ihn ein Schutz- mann an, wie öhm'n Sachse drillen gann:„Hier wärd langsam gfahrn, verstähn Se!" Hornsiznale, ewiges Rhabarbergemurmel, dazwischen wieder schreien Ausrufer, preisen. an. Die Zeitungs- Händler glauben dadurch nicht verstanden zu werden und brüllen noch lauter. Wieder ertönt eine auffallend schnarrende Sirene. Du drehst dich um und siehst einen gelben Riesenwalfisch, der das Maul sperrweit aufreißt, sich durch die Menge zwängen. Ungc - wöhnlich erscheint dir an dem Walfisch, daß er hinten Benzin aus- stinkt. Der Wal preist cin Zahnputzmittel an. So wogt es ewig durch die Straßen. Das Leben in den Meßpalästen ist nicht anders. Du stehst vor den Fahrstühlen und liest nun. daß dieser durchfährt bis zum fünften Obergeschoß, jener in jedem Stockwerk hält, der andere wieder nur vom 1. oder 2. Unter geschoß abfährt. Offiziell beginnt die Messe um L Uhr früh, doch findest du um diese Zeit nur wenige Verkäufer. Das Leben beginnt«rst allmählich, und etwa um 10 Uhr kann man von einem„Vollbetrieb" sprechen. Draußen das tolle Treiben ist nur ein Drum und Dran. Draußen siehst du nur den großen Re- klameapparat, der die Käufer an die Stände locken soll. » Um 7 Uhr ist Schluß. Das ganze Mesieleben zieht nun auf die Straße. Von jejjt ab sind alle Restaurants und Cafes, die schon am Tage Vollbetrieb hatten, im wahrsten Sinne des Wortes über- füllt. Der Hochbetrieb der Freuden, woran das Pleiße-Klein-Paris wahrlich nicht arm ist, beginnt sich zu entwickeln. Es gibt genug Meß- onkel, die keine Kostverächter sind. Auch sitzen ihnen die Scheine lose und darauf kommt es ja an. So wogt das Leben bis spät in die Nacht hinein. Der yerr tzunü. Heran saust die Straßenbahn und hält, denn es ist eine Holte- stelle da. Kein Mensch steht an der Haltestelle, wohl aber ein gut gewachsener Polizeihund, der schlaue Ohren macht. Wie gesagt, der Straßenbahnwagen hält, und der Posizeihund steht ganz allein da. Er steigt auch in der Tat ganz allein in den Straßenbahnwagen. Mit einem eleganten, sehr selbstbewußten Hüpfer ist er oben, windet sich durch die stehenden Fahrgäste hindurch und geht, wieder sehr sicher und selbstbewußt, als ob er das alle Tage täte, den Mittelgang entlang, dreht sich, an der Vordertür ange- kommen, um und fetzt sich nieder. Man ist versucht zu sagen: Der Herr Hund! so selbstsicher sitzt er da. Und er spitzt auch wieder die Ohren, und da ist ihm natürlich sofort ein jeder in dem Wagen gut, denn wenn ein Hund die Ohren spitzt, sieht er bekanntlich so„furcht- bar schlau" aus, und dann kann kein Mensch einem Hund böse sein. Die Mensche» im Wagen wundern sich ein wenig, daß der Hund so ganz allein an der Vordcrtllr sitzt und seelenruhig die Ohren spitzt.
Die Menschen im Wagen denken: Herrchen wird draußen stehen und mit nicht wenig Stolz auf seinen Hund blicken. Herrchen ist aber, wie gesagt, gar nicht dabei. Der Hund fährt ganz allein. Nach einer Weile erhebt sich der Herr Hund und spaziert durch den Wagen zur Ausgangstür. Der Schaffner zieht die Leine. Der Wagen hält Der Herr Hund bellt und springt gelassen herab, geht über den Fahrdamm und verschwindet in dem nächstgelegenen Haus. Die Leute auf dem Straßenbahnwagen haben Unterhalwngs- stoff für drei Tage. Auf welcher Linie und wo das passiert ist, möchte man wissen. In Berlin nicht. In Berlin kann so etwas nicht passieren. Der Schaffner würde es nicht dulden, laut Instruktion. Man stelle sich vor, der Schaffner ruft: Wer hat noch keinen Fahrschein? und der Hund meldet sich nicht. Dann müßte er, abgefaßt, Strafe zahlen. Und kann doch nicht. Der Wagen müßte halten, und ein Schupo müßte kommen. Und schließlich würde es ein langes polizeiliches Ermittlungsverfahren und einen fürchterlichen Rechtsstreit geben. Gräßlich. Die Geschichte mit dem Herrn Hund hat sich vor kurzem in Nürnberg zugetragen, und ein Freund unseres Blattes hat sie uns im Anschluß an unseren Beitrag über bayerische Gemütlichkeit mitgeteilt, einmal um zu zeigen, wie„Gemütlichkeit" in Bayern selbst aussieht, und dann allen fjundefreunden und solchen, die es werden' wollen, zur Freude, den Hundegegnern aber zur Belehrung darüber, wie klug doch so ein Herr Hund sein kann. Und vor allen Dingen wie selbständig und selbstbewußt.
Aus der Bilanzaufstellung eines Hauswirtes. Wenn man Hauswirte reden hört, könnte man glauben, daß die meisten bei der. Bewirtschaftung ihrer 5)äuser jetzt bares Geld zulegen. Manche bemühen sich, das auch dem Miet- cinigunasamt glaubhaft zu machen, wenn sie mit ihren Mietern wegen Mietserhöhung oder Rcparaturkosten in Streit liegen. Daß zuweilen die aufgestellten Bilanzen tatsächlich mit einem als„Zu- büße" bezeichneten Betrag abschließen, wirkt„überzeugend" auf Mieter, die nicht genau hinsehen. Als„Ausgaben" sind nämlich auch in Rechnung gestellt, die 5 Proz. Zinsen des in dem Hause steckenden eigenen Kapitals und Vj Proz. vom gemeinen Wert des Grundstückes als Entschädigung für die oft vom Hauswirt mit- besorgte Verwaltung. Diese Beträge zieht der Wirt von den Ein- nahmen ab. Wenn er selber Verwalter spielt, beansprucht er auch dessen Entschädigung für sich. Da kann dann leicht im Abschluß eine „Zubuße" herauskommen, die wie eine vom Wirt ge- leistete Barzahlung aussieht, obwohl er tatsächlich noch eine Bareinnahme hatte. Es versteht sich von selber, daß in der Bilanz alle sonstigen Aufwendungen für das Haus nicht fehlen, hinter den Hypotheken- Zinsen die Grundsteuern, Kanalisationsgebühren, Müllabfuhrgeld, Schornsteinsegergeld, Wasserkosten, Beleuchtungskosten, Portierlohn, Feuerversicherung usw, usw. und schließlich die K o st e n aller «notwendigen" Reparaturen. Unter dieser letzten Ru- brik finden wir in einer uns vorgelegten Bilanz nicht nur die Zah» -lungen an Tischler, Maler, Schlosser, Töpfer, Klempner, Glaser usw., sondern auch die Ausgaben für Scheuertücher, Spiritus und Docht. Grassamen, Rattengift, Mietver- träge und sogar 30 M.„Mitgliedsbeitrag". Hier hau- delt es sich offenbar um den Beitrag zum G r u n d b« s ktz e vv e r» ein, der die unbedingt„notwendige" Reparatur des Geld- beutels der Hauswirte, d. h. die Steigerung ihrer Haus- Überschüsse, zu besorgen hat. Das fehlt noch, daß selbst dafür die Mieter büßen sollen. Sitllichkeiksverbrechen eines türkischen Offiziers. Wegen Sitt- lichkeitsverbrechens, begangen an der 12jährigen Margarete C., die in Lichtenberg bei den Eltern wohnt, wurde der in demselben Hause wohnende 22 Jahre alte türkische Leutnant z. S. Ismail Remsi in der vergangenen Nacht von der Kriminalpolizei festgenommen. 23 Gräber geschändet. Die Mctalldiebe, deren Treiben erschreckend zunimmt, haben in der Stacht zu gestern auf dem Kirchhof der St.-Michael-Gemeinde an der Hermannstraße zu Neukölln wieder besonders arg gehaust. Von nicht weniger qls 23 Grabmälern haben sie die bronzenen Christus- und Engelsgestalten abgeschlagen und geraubt.
2]
Die Machk der Lüge. Roman von Johann Bojer.
(Aus dem Norwegischen übersetzt von Reinhard Earriere.) Copyright 1622 by Georg Müller Verlag, München . „Ich hätte uns doch zum Abendmahl anmelden sollen," bedachte«r jetzt, als er sah, daß es noch ein langes Stück bis zum Lande war.„All diese Ideen sind ja schön und gut, aber es ist doch nicht gesogt, daß damit genug getan ist, wenn einer vor seinem Herrgott treten soll." Aber es war ja noch �eit genug, zum Küster zu schicken,— wenn er nur erst mit heiler Haut an Land war. Endlich, ist er auf der sicheren, hartgefrorenen Chaussee. Befreit atmete er tief auf und ließ das ganz naß geschwitzte Pferd Schritt gehen. Aber der Rappe wollte in den Stall und fing bald wieder an zu traben. Laut und voll klang das Schellengeläut Im Walde. Die Tannen hingen ihre fchneebeladenen Zweige über fein Haupt, und ab und zu konnte er den sternbesäten Himmel erblicken. Nun kam er an Höfen vorbei, deren Fenster erleuchtet waren- » Und deren größter, dort oben am Hang, das war Rud, und fein« Feinde behaupteten, der wäre größer als Norby. Da wohnte fein großer Widerpart, der mächtige Mads Herluffen. Zu Hauie, von seiner Wohnstube aus, kannte Bauer Norby diesen Hof liegen sehen. Und mit der Zeit konnte er gar nicht mehr an Herluksen denken, ohne gleichzeitig im Geiste diese Gebäude, den Wald, der sie umgab, die Höhe dahinter, zu seben— das Ganze war ein Dergteufel, der seinen Kopf zum Himmel streckte, und das Ganze war Mads Herluffen, der dort faß und Norby nicht aus den Augen ließ.. „Und wenn der das hört? Der wird sich schön ins Fäust- chen lachen." Als da draußen auf dem Eise Lebensgefahr drohte, war die Erbitterung fortgewesen, nun tauchte sie wieder auf, und so fiel ihm ein, wie er mehrmals in der Stadt den Kaufmann Wangen hatte betrunken gesehen.„Und dem Kerl hast du geholfen!" Endlich biegt er in eine Allee ein, an deren Ende sich die dunkle Häusergruppe von Norby über den Wald erhebt. Im großen Wohngebäude waren nur einige wenige Fenster erhellt. Mit Freudegeheul springt ihm ein großer, schwarzer Hund ent- gegen und stellt sich deki Pferde in bert Weg, das nach ihm beißt. Der Stallknecht kam mit einer Laterne und nahm das
Pferd am Zaum, während Norby, steif vom langen Stillsitzen, sich aus dem Schlitten arbeitete. Auf den großen Hofraum, der auf drei Seiten von Ställen und Scheunen eingeschlossen war, fielen flackernde Lichter über den Schnee, wie so die Leute mit Laternen au� und ein gingen. Aber links vor der Scheune lag ein kleines' Haus ganz für sich. Da wohnten die alten, abgedankten Dienstleute, die das Gnadenbrot bekamen, denn Norby wollte sie nicht der Ge- meinde zur Last fallen laffen. „Deck' dem Rappen die warme Decke über und gib ihm gleich zu saufen!" sagte der Bauer zum Stallknecht, dann ging er mit der Peitsche in der Hand schwerfällig die Treppe hinauf, der Hund hinter ihm her. 2. Marit Norby hatte ein stolzes Wesen.— Gegen die Baue-! rinnen, denn auf die sah sie herab. Gegen die Frauen der Honoratioren, denn da hatte sie Angst, die könnten auf sie- herabsehen. „Wir hier auf dem Lande." pflegte sie zu sagen,„wir können natürlich nicht so mit." Und dabei hatte sie ein eigenes Lächeln. „Du kommst spät," meinte sie, als Knut in die Stube trat. Sie faß mit ihrem Strickzeug in dem kleinen Zimmer zwischen der Küche und den großen Stuben. Auf dem silbergrauen Haar saß ihr— gerade wie der Pfarrersfrau— ein kleines Häubchen über dem immer noch feinen und hübschen Gesicht mit dem energischen Mund und vorstehendem Kinn. „Die Schulsitzung hat so lange gedauert," sagte Kreut, blieb am Ofen stehen und rieb'sich die Hände. „Wie ging's denn?" fragte sie und meinte den Antrag, für den sich Kreut hatte einsetzen wollen. „Für die Katz' war's natürlich," sagte Knut und drehte sich mit dem Rücken zum Ofen. Er glaubte bei seiner Frau ein spöttische? Blinzeln zu entdecken,— da stieg eine dumpfe Wut in ihm auf. Es war doch genug, daß fremde Menschen ihn heute schon geplagt hatten, sollte es zu Haufe jetzt auch noch damit anfangen? Natürlich, da faß sie und hielt ihn für einen Schlappstiefel. Und wenn sie nun noch die Geschichte mit Wangen erfuhr? „Ja, Knut, ich glaube, du ziehst immer den Kürzeren,"> sagte sie und steckte eine Stricknadel ins Haar. „Immer? Ich denke ja gar nicht daran!" Den Ton kannte sie und wich geschickt aus:„Doch," sagte sie und nahm die Stricknadel wieder aus dem Haar,—„du bist immer viel zu gutmütig. Aber die Leute, die keinen Schilling ihr eigen nennen und keinen Pfennig Steuern zahlen, die
regieren und kommandieren uns, und wir— wir dürfen danke schön sagen und bezahlen." Das war ein hübsches Pflaster, denn damit sagte sie gerade den Wahlspruch, den er selber immer im Munde führte. „Du hast wohl auch schon gehört, wies. mit Wangen ge» gangen ist," sagte sie und lächelte in ihr Strickzeug. „Teufel, weiß sie das auch schon," dachte er. Da stand er am Ofen, die Hände auf dem Rücken/— mit seinem schwarzen Bart und seinem Kahlkopf, mit der blauen Cheviotjacke, die ihm stramm über der breiten Brust und seinem stattlichen Bäuchlein saß. Der große Kopf sank ihm müde auf die Brust. Er schielte zu ihr hin. Er fühlte sich nämlich außerstande zu irgendeiner Auseinandersetzung heute abend. Er war viele Stunden draußen in der Kälte gewesen, und hier drinnen war es so warm, er fühlte, wie er immer müder und unfähiger wurde. „Natürlich," gähnte er,„wer hätte gedacht, daß es so mit ihm kommen würde!" Sie lächelte so ein bißchen spöttisch:„Mir ist, als hättest du das in letzter Zeit recht häufig prophezeit,— aber du kannst wahrhaftig von Glück sagen, du hast ja keinerlei Beziehungen zu ihm." „Sie weiß nichts," dachte Norby etwas erleichtert:„Tja," brummte er unbestimmt, und die Augen fielen ihm wieder zu. Heut abend war er weder wegen des Abendmahles, noch wegen dieses Wangen irgendwie noch zu etwas fähig. Da hörte er im Nebenzimmer eine bekannte Stimme los- krähen, und das war eine willkommene Gelegenheit, aus der Stube zu schlüpfen. Da drinnen saß feine Schwiegertochter, die dampfende Waschbütte mitten auf dem Boden, und war dabei, ihr zwei- jähriges Bübchen fürs Bad auszuziehen. Der alte Bauer blieb an der Türe stehen, und fein müdes Gesicht wurde auf einmal lebendig, wie die junge, blonde Mutter zu dem Kleinen geheimnisvoll jagte:„Wer kommt da?" Das Kind sah mit seinen großen, runden Augen auf den Großvater und lachte etwas verlegen. Und kaum war das Hemdckzen über feinen Kopf gezogen, da ließ es sich auch schon auf den Boden gleiten, um zu Norbn hinzulaufen. Aber erst einmal freigekommen, entdeckte der Bub, daß er splitterfaser- nackt war, und das war ihm dock noch interessanter, als der Großvater. Das kleine, magere Körpercken fing an, auf dem Boden hin und her zu laufen, er klatschte sich auf seinen kleinen Bauch und jubelte. Dann bemerkte er seine kleinen Brust» warzen und setzte den Zeigefinger darauf, lief wieder der Mutter weg, die nach ihm griff, und krähte siegesstol� als er ihr entwischte. Der alle Bauer mußte sich vor Lachen hinsetzen. (Fortsetzung folgt.)