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Itr. 72? 39. Iahrgaag

2. Heilage öes Vorwärts

Sonntag, 72. März 7922

Irühlingserwachen im Tiergarten.

Moderne Wandalen. Der Sportplatz am Hippodrom. Der Kreislauf des Jahres ist nun wieder in des Frül)lings Nähe' fähr all« sechs Jahre, auf. Wir werden also in Mefem Jahr« von gerückt. Auch in die Riesenstadt, in das steinerne Meer, schickt der! ihr oerschont bleiben.

Frühling seine Sendboten. Wer jetzt durch den Tiergarten, Berlins größterßungc", wandert, wird bereits von allerlei lustigem Vogel» voll umjubelt: der Fink insbesondere wetteisert in edler Dreistigkeit mit den Spatzen. Noch vor wenigen Wochen waren derNeue See" und die Wasferläufe des Tiergartens mit einer starken Eisschicht bedeckt und munter tummelten sich Schlittschuhläufer und-läufe- rinnen auf ihnen, bis die Sonne hinter den Bäumen verschwand, und oft genug überraschte sie dann noch der leuchtende Mond. Heute deckt die Eisschicht nur noch hauchstark einzelne Flächen des Wassers, überall zeigt sich die Arbeit der Sonne. Die Sträucher sind mit einem zarten Schleier von hellem Grün überzogen, und auch die Bäum« bereiten ihren Frühlingsschmuck vor. Erneuerungsarbeiten. Gärtner sind an der Arbeit. Sie harken das welke Laub zu» fammen, ander« schneiden das tote Holz aus den Sträuchern heraus und erleichtern so den Frühlingsstürmen die Arbeit. Sorgfältig weroen die Rofeneinfasiungen, die an manchen Stellen aus Efeu ge- bildet sind, durchaefehen und geveitzigt. Dort, wo die Bäume sich fteqenleitig das Leben schwer machen, sich mit ihren Zweigen um- armen, arbeiten Axt und Säge. Schwere Aweige brechen mit lautem Krach herunter. Zuletzt fällt dann auch die der Zweiae beraubte Baumläul«. Große eiserne Keil« spalten ihr« zersägten Stücke unter dem Einfluß wuchtiger Hamerschläge. Mit großem Arbeitsaufwand werden'dieStubben" schließlich aus der Erde herausgegraben. Recht" auf den Rasen. Der Rasen hat in den letzten Iahren sehr gelitten. Oft genug ist er zum Tummelplatz für Kinder und Hunde geworden. Seine Wiederherstellung ist heute recht kostspielig. Die gleiche Menge Samen, die früher für 75 M. zu haben war. kostet heule etwa das Zehnfache. Es ist wirklich kein Wunder, wenn die Tiergartenhüter das Treiben de? Kinder mit argwöhnischen-Blicken verfolgen und daß sie auch für die Hund« nicht viel übrig baben. Es wäre durchaus wünschenswert, daß nicht all« Hundebesitzer den Standpunkt jener Dame" vertreten, die einem Wächter entrüstet sagte,'daß ihr Hund «in Recht auf den Rasen" habe und wenn sie hundertmal 50 M. bezahlen müßt«! Dann muß der Rasen natürlich völlig auf den Hund kommen. Der bestohlene Tiergarten. Der Blumenschmuck soll auch in diesem Jahr«, soweit es die Mittel zulassen, im Tiergarten prangen, trotz der zahlreichen Dieb­stähle solcher Milbüraer. die den Begriff des Allgemeinguts auf ihre Weife auslegen. Da fallen Blumen und Blütenzweige dem Egoismus einzelner Bandalen zum Opfer, ander? glauben sich an der aufge- fveicherlen Blumenerde bereichern zu dürfen und sind erstaunt wenn ihnen das verwehrt wirb. Bor kurzem wurde die Dronzebüste des im Iofme 1005 verstorbenen Tiergartendirektors

Ein neuer Sportplatz. Zwischen Bahnhof Zoo und Tiergarten, unweit der.Schleuse des Landwehrkanals, liegt das Hippodrom. Hin und wieder hörte man von einem Plan, diesen Platz für sportliche Zwecke herzurichten, um so der Jugend, einen Rasensporlplatz gar excllence zu schaffen. Di« nahen Sladtbahnbögen könnten dann zur Unterbringung von Geräten und dergleichen Verwendung finden. Der Platz wäre außerordentlich günstig gelegen. Eisenbahn, Untergrundbahn und Straßenbahn bieten vorzügliche Derbindungsmöglichkeitcn. Augenblicklich tummeln sich hier noch Reiter, und man kann sich vorstellen, daß sie de? Anlage eines Sportplatzes an dieser Stelle gerade nicht sehr freundlich gegen- überstehen. Aber das froh« Lachen der Jugend wiegt mehr als der Mißmut dieser Ueberflüssigen. « Die Verteuerung der Lebenshaltung und die hohen Eisenbahn- tarife werden vielen, die früher für einige Wochen die Großstadt oer- ließen, um sich für den Daseinskampf zu stärken, die Sommerreis« in diesem Jahre verleiden. Mancher von ihnen wird seinen Urlaub in der Riesenstadt verleben und zufrieden fein, in ihren Parks ein Ruhe- Plätzchen zu finden. Es ist nur em bescheidener Ersatz für die Flucht aus Berlin . Und doch, wer an einem warmen Sommerabend so von ungefähr an den Reuen See gelangt und aus einer Bank am User oder in dem kleinen, bescheidenen Gasthof im Angesicht des ruhigen Wassers, umtauscht von hohen Wipfeln,«ine stille Stund« verträumt, der vergißt die Großstadt, vergißt auch für kurz« Zeit vielleicht den harten Daseinskampf._

des Fremdenverkehrs steigert die Einnahmen der Eisenbahnen, bringt Städten und ganzen Landestcilen wirtschaftliche Belebung, nutzt nicht nur dem Hotelgewerbe, sondern kann auch Industrien be- fruchten. Im Jahre 1913 hatte z. B. Wiesbaden ISO 000 Fremde, darunter 40 000 Ausländer, und es zog damals aus dem Fremden- verkehr 8 Millionen Mark . Die Schweiz schätzte für 1013 ihren Reingewinn aus dem Fremdenverkehr auf 350 Millionen Frank. Die Propaganda für Reisen im deutschen Lande darf bei den jetzigen Valutaverhältnissen auf zweifachen Erfolg rechnen. Sie wird den Fremdenstrom, der sich in das für Fremde jetzt sobillige" Deutschland ergießt, noch verstärken. Aber auch der Deutsche , der früher das Ausland besuchte(in 1012 waren z. B. in der Schweiz unter den Besuchern über 28 Proz. Deutsche ), kann durch die Verkehrswerbung sein Deutsch­ land kennenlernen. In diesem Punkt wird er sich jetzt ge- lehrigcr als sonst zeigen: denn die Enstoertung der deutschen Mark macht heute eine Reise ins valutastarte Ausland zu einem fast nur noch MiMonären möglichen Vergnügen.

ihrem Marinorfockel in der Bellevueallee gestohlen. Die Sicherheit im Tiergarten läßt noch viel zu wünscken übrw. Früher waren am Großen Stern und an der Siegesallee Polizeiposten stationiert. Heute geben Patrouillen im Tiergarten,'die immer nicht da sind, wenn sie gebraucht werben unb die niemand zu finden weiß. Uns will srfvinen, daß fkitstatimiierte Poft-m den Patrouillen vorzuziehen sind. Der Begriff des Sfsenilichen Eigentums, das der Allgemeinheit gehört, an dem sich olle freuen können, und das all« hüten unb schonen sollen, ist leider noch nicht zum Gemeingut geworden. Der Ratkenkricg. Im Tiergarten wird ein erbitterter unb stetiger Krieg geführt. Man denk« nicht an die Indiancrfchlochien, die sich die Jugend spielen- derweiie liefert, oder an den Kampf gegen Wegelagerer, die es auf Handtaschen usw. abgesehen haben, man denke überhaupt nicht an «inen Krieg gegen Menschen; es bandelt sich um einen Ratten- und ZNäufekrieg. Berlin hat feineGroßkampftage", llm Tiergarten ist da» ganze Zahr ein einziger Großkompstag. Man geht hier den klugen und flinken Nagetieren mit /fallen zu Leibe und fügt ihnen harte Verluste zu. die sie aber Immer wieder auszugleichen verstehen.

Zur das schöne üeutsche Land. Eine Organisation zur Hebung des Fremdenverkehrs Nicht jedem sind die Fremden erwünscht, die jetzt schon wiKier in ansehnllcher Zahl nach Deutschland kommen. Daß sie hier ihre überlegene Kaufkraft geltend machen, empfindet der unter Waren» knappheit und Preissteigerungen leidende deutsche Derbraucher als keineswegs erfreulich. Anders denkt die im Jahre 1020 durch den Reichsverkehrsminister gegründete Reichszentrale für deutsche Verkehrswerbung, die planvoll auf weilere Hebung des Fremdenverkehrs hinarbeitet. Fördern will sie auch den innerdeutschen Reiseverkehr, aber in erster Linie erstrebt sie eine Mehrung des Verkehrs vom Ausland nach Deutsch » land, weil sie hiervon für das Voltsganze schließlich doch einen Gewinn erwartete. Deutschland hat bisher, im Gegensatz zu manchen anderen « i t n« r von! Ländern, sehr wenig zur Hebung seines Fremdenverkehr» getan.

Anfänge, die vor dem Kriege sich zeigten, waren der Bund deut» scher Derkehrsvereine und die Reisebureaus von Hapag und Lloyd. Mitten im Kriege entstand 1017 das Mitteleuropäische Reisebureau, das ein staatliches Unternehmen in Form einer G. m. b. H. ist. Nach Kriegsschluß folgte dann 1920 als neue Organisation die Reichszentrale für deutsche Nerkehrswerbung. Sie fetzt sich zu» scmmen aus Vertretern des Reichsoerkehrsministeriums, der Reichseifcnbahnverwaltung unter angemessener Be» rücksichtigung der einzelnen Staaten, auch aus Berttetern der Verkehrs» übernehmen, des Handels und der In» dustrie. Ihrer Werbetätigkeit dienen Auskunftsstellen im In» und Ausland, Verkehrszeitschriften, Plakate, Filme, auch Vortrags» reisen, Unterstützung von verkehrfördernden Ausstellungen, Fest» spielen und Sportveranstaltungen. Gestern hielt im Gebäude der Eisenbahndirettion Berlin der Regierungsrat Dr. K n u t h, Mit» glied des Vorstandes der Reichszenttale für deutsche Verkehrs» Werbung, einen die Presse informierenden Dortrag über die Ar» ------.,....,...., b eit der Zentrale. Gedacht wird hauptsächlich an«ine Oer Kampf J"? J""! jjl IL Tiwo�'Ln Kulturpropaganda, die zeigen soll, was Deutschland ui?!) ftörtbitt. 23or brci rtxrn b�r».tEnplQß'C trn Xi6T$Qc»cn» t Ä a* i»%* nr» noch die Bctäffiauna durch Raupen, die den Bäumen und Sträuchern bietetan(Ichatzen der Kultur, an Statten der Gelstesbildung, an äußerst aefährlich wurden. Die Raupenplaqe tritt periodisch, unge»! Schönheit der Landscha,t, auch an Neiz der Kurorte. Die Hebung

Die neuen Tariferhöhungen. Straßenbahn, Gas, Wasser, Elektrizität. Der Berliner Magistrat befaßte sich gestern in außerordentlicher Sitzung mit der Deckungsvorlage anläßlich der letzten Lohn- steigerungen. Es wurde beschlossen, bei den Elektrizitätswerken den Preis für Leuchtstrom von K auf 6,30 W., für Srafistrom von 2.60 auf 3.20 Kl. zu erhöhen. Der Gaspreis soll um 20 Pf., von 3,30 aus 3,50 M., der Wasserpreis um 10 Pf., von 1,90 auf 2 BT. ge­steigert werden. Bei der Straßenbahn zwingen die großen Stei- gerungen der Material- und Kohlenkosten und die Not- wendigkeit außerordentlicher Erneuerung dazu, den Preis für die einfache Fahrt von 2 auf 3 W. zu erhöhen. Der Fehl- betrag in den übrigen Verwaltungen soll wenigstens teilweise durch einen abermaligen Zuschlag zur Gewerbesteuer gedeckt werden, der in den Klassen 1. 2 und 3 gleichmäßig 300 Proz. des staattichen Satzes betragen soll. Für den dann noch verbleibenden Fehlbetrag steht der Magistrat keine andere Deckungsmöglichkeit als durch Erhöhung des Gemeindeanteils an den R e> ch sst e u ern. Di« entsprechenden Vorlagen werden der Stadwerordnetenversammlung schon zur nächsten Sitzung mit der Vorlag« über die Lohnerhöhungen zugehen. Die städtische Gewerbesteuer. Die Gemeindegewerbesteuer, die an die Stelle der bisherigen staatlichen Veranlagung treten soll, ist gestern von dem zu ihrer Vor- beratung eingesetzten Stadtverordnetenausschuß, der sie in 12 Sitzungen eingehend behandelt hat, in zweiter Lesung verabschiedet worden, so daß sich die Vollversammlung mit der Angelegenheit beschäftigen kann, was aber voraussichtlich erst in der übernächsten Woche der Fall sein wird. Mit 8 gegen 6 Stimmen wird die in der ersten Lesung eingefügte Bestimmung gestrichen, wo­nach bei solchen Bettieben, die von Einzelpersonen oder offenen Lzandelsaescllschaften betrieben werden, ein Betrag von insgesamt 24 000 M. als persönlicher Arbeitsverdienst des Unternehmers vom Ertrage abgezogen werden darf. Um hierfür einen gewissen Ausgleich zu schaffen, wurde ein demokratischer Anttag angenommen, daß der Grundsteuersatz der Ertrogssteuer 5Proz. nichtüberschreitcn darf. Die Staffelung der Ertragssteuer für höhere Erträge als 5000 M. blieb nach den Beschlüssen der ersten Lesung unverändert. Dagegen beschloß der Ausschuß, daß bei der Feststellung des steuer- Pflichtigen Ertrages die Miete oder bei eigenen Räumen deren geschätzter Mietwert abgesetzt werden darf. Für die Veranlagung der Gewerbesteuer sollen ein oder mehrere Steuer- ausschüsse gebildet werden. Zur Entscheidung über Beschwerden gegen deren Veranlagung wurde«in Berusungsausschuß geschaffen,

Kultivierung von Oedland um Berlin . Kultivierungspläne waren Gegenstand einer Besprechung, die aus Anregung des Ministeriums für Volkswohlfahrt zwischen Vertretern der Stadt Berlin und den an dieser Frage interessierten Reichs- und Staatsbehörden stattfand. Da es für Berlin , das durch eine ungewöhnlich große Zahl von Arbeits- losen besonders stark belostet wird, notwendig ist, in großzügiger Weise Arbeit zu beschaffen, hat der Berliner Mogisttat das Landesarbeitsamt Berlin beaufttagt, außer den in der Provinz bereits im Gange befindlichen Meliorationsarbeiten, für deren För- derung ein besonderer Meliorationsausschuß besteht, alle zur Schaffung eines Kulturengürtels um Groß-Berlin

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Die Macht der Lüge.

Roman von Johann Rojer. (Aus dem Norwegischen übersetzt von Reinhard Earriere.) Oop�rigbt 1922 by Georg Müller Verlag, München . So, nun geh ich aber und hol« mir was chutes vom Groß- vaterl" sagte die Mutter. Da war der Knirps nicht saul. In einem Nu war er auf des Alten Knie geklettert, und dann wurden alle Taschen untersucht, bis sich endlich eine Tüte mit Zuckerzeug gefunden hatte. Der Kleine hieß natürlich Knut. Noch vor seiner Geburt hatte sein Vater. Norbys ältester Sohn, auf dem Heimweg vom Markt in Lillehammer sich zustanden gefahren, und seit der Zeit hatte der Alte seinen Abscheu vor Branntwein. So ein heimlicher Aerger wächst sich schnell zu einem reinen Unglück aus. Gerade, weil der alt« Bauer müde war und gerne Frieden im Hause gehabt hätte, war ihm die bevor- stehend« Auseinandersetzung mit seiner Frau doppelt peinlich. Hier drinnen bei dem Kinde wurde er sonist immer selber kind- lich vergnügt, aber heute abend sah er stets den Wangen vor sich, und das regte ihn nur noch mehr auf. Während er so dasaß und dem Knaben zulachte, blickte er plötzlich zur Seite. als wollte er sag«n:Kannst du mich denn auch hier nicht in Frieden lassen." Wangen drängte sich sozusagen in des alten Mannes Merheiligsres, und er bekam Lust, den Kaufmann zur Tür hinauszuwerfen. Diesen Mann empfand er mehr und mehr als seinen persönlichen Feind, denn er brachte ihm Zwie- tracht ins Haus, und er war daran schuld, daß Norby gegen seine Frau einen kleinen Betrug begangen hatte, der letzt semer Aufklärung entgegenging. Nun geht's in die Bütte," sagte die Schwiegertochter und griff den sich wehrenden Knaben. Und während der Kleine unter der Mutter� Hand im Wasser zapalt« und schrie, stand der Alter wie gewöhnlich und lochte, daß ihm die Tränen kamen. Aber zugleich sah er im Geiste Wongens Ziegekwerk. G» stel ihm ein, daß dieser Mensch im letzten Herbst den Achtstunden-Arbeitstag einge» führt hatte. Das sah dem törichten Kerl ähnlich! Es�wurde ja eine Lust, Bauer zu sein, wenn solch irrsinnige Einfälle sich verbreiteten und die Arbeitsverhältnisse noch weiter ver-

schlechterten. He, hal Kein Wunder, daß so einer bankrott wurde! Aber von so etwas, da wußte er nichts zu erzählen, als es galt, jemanden als Bürgen zu finden. Und auf ein­mal fing der Alt« an, in der Stube auf und ab zu gehen. Will Großvater uns denn heute gar nicht gute Nacht sagen?" fragt« seine Schwiegertochter, als er zur Tür schritt, um voller Zorn hinauszueilen. Da erwachte er. Der Kleine war schon im Nachtkittelchen und streckte ihm die Aermchen entgegen. Beim Abendessen saß die Familie in dem kleinen Raum zwischen der Küche und den großen Stuben. Seit die neuen Wohnstuben ausgebaut waren, fühlten sie sich in ihnen unbe- haglich. In den großen Stuben mit den vielen Möbeln war für den Alltag keinem recht wohl, und in diesem kleinen Raum war es wieder zu eng. Die Hängelampe mit ihrem bunten Glas warf ihren Schein auf das Teegeschirr und das weiße Tischtuch. Auf dem alten Büfett glänzte ein großer kupferner Wasserkessel. Zu fünft saßen sie bei Tisch. Die beiden Töchter, Ingeborg und Laura, saßen jede auf einer Seite vom Vater, ihm gerade gegenüber saß Marli, die Silberkette um den Hals, mit ihrem verschlösse- nen Gesicht und ihr zur Seite die Schwiegertochter. Ein Sohn Norbys lebte noch, aber der studierte in der Hauptstodt Philologie. Leg' mir heut« abend noch meine Joppe zurecht," sagte der Vater zu Ingeborg.Ich fahre morgen zum Holzschlag." Ingeborg war das Heimchen des Hauses. Seit man ihren Verlobten, einen jungen Arzt, drei Tage vor der Hochzeit tot im Bette aufgesunden hatte, war sie nicht mehr die alte. Sie war noch nicht viel über fünfundzwanzig, aber ihr Haar war schon grau vermischt, ihr Gesicht eingefallen und ihre Augen hatten einen fernen, ängstlichen Ausdruck. Immer gina sie mit der heimlichen Angst umher, was aus ihr werden solle, wenn die Eltern einmal nicht mehr lebten. Und um für diesen Fall mit reinem Gewissen dazustehen, war sie immer um sie beschäftigt, war morgens die erste, stets eifrig in Küche und Keller, brach vor Verzweiflung in Tränen aus. wenn sie etwas vergessen hatte, und fühlte sich trotz allem ganz überflüssig im Hause. JIßt du auch so unmanierlich, wenn du in der Stadt bist?" fragt- die Mutter die junge Laura und sah sie von der Seite an. Iung-Laura wurde etwas verlegen und versuchte eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht zu bekommen.

Aber schnell fand sie ihre Unbefangenheit wieder. Sie ging in die Stadt auf die Mädchenschule und erzählte unablässig Ge- schichten von der alten Lehrerin mit den trippelnden Schritten, der Schnupftabaksdose und den Tintenfingern.Liebe Kinder- chen sitzt nun fein stille und macht mir keinen Kummer!" machte sie ihr nach, schnitt eine sehr drollige Grimasse und tat, als nähme sie eine Prise. Die Schwiegertochter lachte, daß man ihre Zahnlücke sah, Marit mußte lächeln, und selbst der alt« Norby zwinkerte dem munteren Mädel lustig zu. Morgen will ich an ihn schreiben," dachte er und trank seinen Tee.Sicher waren es nicht mehr als zweitausend, und wenn doch mehr dasteht..." Als er endlich oben im ersten Stockwerk im Schlafzimmer und in seinem Bett war, machte er das Licht auf dem Nacht- tisch aus und gähnte lange müde.Wenn sie kommt, stellst du dich schlafend," überlegte er sichdann kommst du heute abend um das Abendmahl und die Bürgschaft." So lag er und schaute zum Ofen, wo die halb zusammen­gefallenen Holzscheite glühten. Da ging die Tür auf und Jung- Laura kam leise hereingeschlichen. Sie setzte sich auf den Rand von Vaters Bett, strich ihm mehrmals durch seinen Bart und vertraute ihm dann flüsternd, daß ihre Monatsabrechnung in einer verzweifelten Unordnung fei. Noch hatte Mutter sie nicht durchgesehen, aber morgen früh konnte sie schon nach dem Buch fragen. Du meinst wohl, du kannst mir abluchsen, was du willst," brummte der Alte in seine Kissen. Und da das Mädel etwas verdutzt die Hand aus seinem Bart nahm, griff er nach ihr und fühlte, wie klein und warm sie war.Komm morgen in mein Kontor." sagte er schläfrig,wollen sehen..." Das Mädel strich ihm noch einmal durch den Bart und legte die Wang« an sein«. Denn jetzt war sie sicher, daß ihr Fehlbetrag gedeckt würde. Kaum war sie draußen, da ging die Tür wieder auf, und der Alte machte schnell die Augen zu. Aber es war Ingeborg mit seinen Sachen für den Wald über dem Arm. Geht da nicht jemand mit einer Laterne über den Hof?" sagte der Bauer, der an der Gardine den Lichtschein sehen konnte. Ja, die Kuhmagd. Sie erwartet heute nacht ein Kalb." Aber nun kam Ingeborg auch heran und setzte sich auf sein Bett. (Fortsetzung folgt.)