tTc. 145 4 ZH.Iahrgaüg
2. Beilage ües Vorwärts
� Sonntag, 26. Marz 1622
ii.») 5m IZ.Groß-Berliner Dei'walwngsbezrrk, i>er d>en Namen Treptow fahrt, sind die früher selbständigen Gemeinden Treptow , O b ersch ö n e w e j de, Niederschöneweide , Johannis thal , Adlershof und Alt-Elienicke und der Gutsbezirk Wuhlheide vereinigt worden. Der Bezirk umfaßt 4049 Hektar und steht damit unter den 20 Bezirken an zehnter Stelle: er hat insgesamt rund 99 000 Einwohner(Treptow 30 000, Oberfchöne- weide 25 000, Adlershof 12 000). Di« Dezirkshauptverwaltung befindet sich in dem sehr schönen und geschmackvollen neuen Rathaus, dos sich die ehemalige Landgemeinde Treptow noch vor dem Kriege in der Neuen Krugallee zu Treptow erbaut hat. Doch hat die Ver- waltung durch die Einrichtung örtlicher Dienststellen dafür gesorgt, daß die Einwohner der früher selbständigen Gemeinden ihr« ort- lichen Angelegenheiten nach wie vor in den alten Ortsteilen vor- nehmen können. vom grünen Treptow zu üen Schornstelneu. Uebersieht man die äußer« Gestaltung der verschiedenen Orts- teil«, so läßt sich ein größerer Gegensatz, als wie er zwischen Treptow einerseits und den übrigen Teilen andererseits besteht, kaum denken. Der auch gortenarchitektonisch einzigartige Treptower Park und der prächtige schattenreiche mit Spielplätzen versehene Plänterwald mit seiner reizvollen Spreeuferpromenade sind einig« von den wenigen Erbstücken des alten Berlins , die wert in die Zukunft hinein ihren sozialen hygienischen und schönheitlichen Wert behalten werden. Verläßt man dann in der Höh« von Baumschulenweg den Plänter- wald, um nach einigen Minuten bei der Kuhnheimschen chemischen Fabrik in dos Nieder- und Oberschöneweider Jndustrierevier zu geraten, dann spürt man mit quälender Deutlichkeit die Gegensatz« unserer Zeit. Baumschu-enweg als Wohnort weist keine Besonder- heitcn aus, Niederschöneweide wird in seinem westlichen Teil von der Industrie vollkommen beherrscht. Erst weiter östlich beginnen die Wohnquartiere und spreeauswärts'die Heinistätten der Rudervereine und die bekannten Stätten sonntäglicher Tonzeslust und Lebensfreude an der Oberspree: Hasselwcrder, liysshäuler, Cafe Sedan. Neplunshain. Auch Oberschöneweide zeigt die übliche miet- kasernenmäßige Bebauung. Pfälzerkolonie und Kolonie Tuschkasten. Auf der anderen Seite der Bahn liegt Ivhannisthal, das in seinem alten Teil noch vielfach ganz ländliche Bebauung ausweist. Eine erst 1753 gegründete Psälzerkolonie, wurde der Ort früher von Berlinern gern« als Sommerfrische benutzt. Als 1909 zwischen Johannisthal und Adlershof der ganze riesige Wald deni nicht minder riesigen Flugplatz<800 Morgen) weichen mußte, veränderte sich auch das Ortsbild. Das Cedröhne der Motoren verscheuchte die Sommerfrischler. Heute erstrecken sich zwischen Bahnhof Johannisthal und Adlershof die weitgestrrcktcn niedrigen Anlagen der zahlreichen Flugzeugwerke, die sich jetzt notwendigerweis« haben umstellen müssen und sich vorzugsweise mit der Reparatur von Eisenbahnwagen beschäftigen. Unsreudig in seiner ganzen Anlage und Ausbau wirst Adlers hof , dessen Bewohner fast ausschließlich aus Arbeitern besteht, dessen bauliche Anlage aber ebenso ausschließlich durch die nur von Prosit- interessen geleiteten Wünschen der Haus- und Grundbesitzer erfolgt ist. Eine kleine Genugtuung genießt man, wenn man durch die zumeist häßlichen und gleichgültigen Straßen des Ortes geht: dos schönste und ausfallendste Geschäft mit blitzenden Spiegelscheiben ist die Filiale der Konsumgenossenschaft Groß-Perlin. Bon dem etwas hoch gelegenen Bahnhof Adlershof kann man sehr gut den letzten Teil des Bezirkes, das auf den Abhängen'des Teltowplateous gelegene All-Glienicke überblicken. Ganz am Süd- rond tauchen die roten Däcljer des städtebaulich bemerkenswertesten Gebildes des Bezirks, der Genossenschaft Garlenvorsiadl Falkenberg auf. der seinerzeit ob der satten Buntheiten der Farben, die ihr erbauender Architekt Bruno Taut den ein wenig gleichförmigen Fronten der Häuser verliehen hatte, von den spottlustigen Berlinern sehr bald der Name Kolonie Tuschkasten angehängt wurde. Ein
s weiterer Rundblick vom Bahnhof Adlershof belehrt darüber, daß es leider mit der Waldherrlichkeit in diesem Teil Groß-Berlins wohl bald endgültig vorbei sein wird. Die einst riesengroß« Sölluische Heide ist so gut wie ganz verschwunden und das Bezirksamt hat hier die wichtige Aufgabe, mit zäher Kraft für die Erhaltung der noch vorhandenen geringen Waldbestände einzutreten. Das große Prosekt eines Spiel- und Sportplatzes in der Wuhlheide ist bereits vor kurzem an dieser Stelle behandelt worden. Die soziale 5ürforge. Für den inneren Aufbau und Ausbau des Bezirkes ist in diesem vorzugsweise von Arbeitern bewohnten Viertel das Schul- wesen und die soziale Fürsorge von besonderer Bedeutung. Nach der letzten Erhebung sind im Bezirk insgesamt 12 026 Dolksschul-
») Siehe auch Nr. 133 des„Vorwärts' vom vorigen Sonntag. I
stnder. im# zwar 6140 Mädchen und 5886 Knaden vorfanden, die in 23 Schulen unterrichtet werden. An höheren gibt es zwei Real- gymnasien(Treptow und Oberschöneweide ), zwei Lyzeen(Baum- schulenweg und Oberschöneweide ), eine Realschule und«in« höhere Mädchenschule(Adlcrshos). Diese Schulen werden von insgesamt 2460 Schülern und Schülerinnen besucht. Daneben bestehen Pflicht- sortbistmngsschulen in Oberschöneweide , Treptow und Adlershof . Außerdem bestehen in sämtlichen Gliedgeineinden des Bezirks Hilss- schulen für schwachbesähigte und zurückgebliebene Kinder. Di« SSuglingsfürsorge wird durch 5 Beratungsstelle», in Treptow , Niederschöneweide , Oberschöneweide , Adlershof und Mt-Glienicke ge« fördert, während 3 Lungensürsorgestellen mit ärztlichen Beratern und Schwestern bedürftigen Lungenkranken unentgeltliche Zuschüsse an Stärkungsmitteln gewähren und ihnen Leibwäsche, Bettwäsche, Bettstellen und Zuschüsse zu Heilkuren zur Dersügung stellen. Der Bezirk verfügt auch über ein Sinder erholungsheim in Sarlshage» mi der Oberspree. An Bädern sind vorhanden«in privates Lust- bad In Treptow , ein siädiisches Wannenbad in Iohanniskhal, zwei städtische Freibäder an der Spree (Adlershof und Oberschöneweide ) und drei privaie Flußbäder(zwei in Treptow , eins in Niederschöne- weide). Ueber ein eigenes Krankenhaus kann der Bezirk—«ine schwere Unterlassungssünde der alten landgemeindlichen Kirchturms- Politiker— leider noch nicht verfügen. Jugendheime befinden sich in Treptow , Baumschulemneg, Nicderschöneweide und Zldlershof, eine Jugendbücherei mit Lesehalle in Treptow und eine Sinderlese- Halle in Baumschulenweg. In Trptow sind außerdem besonders bemerkenswert der Spree- tunnel der Straßenbahn, der bis vor kurzem einzige seiner Art in Berlin (die Nordsüdbahn Hot den zweiten fertiggestellt), die Stern- warte mit dem Kiesensernrohr, das ein Objektiv von 110 Zentimeter Durchmesser hat, die Urnenhalle des Berliner Vereins für Feuer- bestattung mit der Asche des Dichters Otto Erich Hartleben . Als Kuriosität sei die aus einer Spreeinsel liegende, einer schottischen Ruine oerblüssend geschickt nachgebildete künstliche Ruine erwähnt. Am End« der Kiesholzstraße in Niederschöneweide (die übrigens die in Groß-Berlin noch nicht vorhandene Merkwürdigkeit von 430 Hausnummern ausweist) liegt der Friedhos der ehemaligen Gemeinde Treptow mit einem stark benutzten Krematorium. In Oberschönc-
weide imponieren die gewaltigen Baumasscn der AEG.-Kabelwerke und der Transsormakorenfabrik. Eigentümlich ist es auch, daß sich hier mttunter in den Arbeiterquartieren eine große Anzahl religiöser Sellen wie Baptisten, Adocntisten, Methodisten,„Christen, die sich im Namen Jesu versammeln", usw. befinden. Ein Bund der Ueberkonfessio» nellen will hier ein Haus der lleberkonsessiouellen errichten. Dar Waldfriedhof von Adlershof weist ein schlichtes aber eindrucksvolles Gemeinschaflsgrabmal für 15 in dem Kapp-Putsch erschossene Arbeiter aus. • Das äußere und innere Bild dieses Bezirks ist also vollkommen anders als im 14. Bezirk Neukölln . In Neukölln ein« ursprünglich gewaltige Eigenstadt, die alles Hinterland magnetisch an sich heran» holt. Hier«ine Anzahl kleiner ehemals selbständiger Gemeinden, die in kommunaler Hinsicht ein eigenes Gesicht nicht aufweisen. Wirtschafilich und kulturell hing und hängt alles von Berlin ab. Der Anschluß bzw. Zusammenschluß mit Berlin , jetzt endlich vollzogen, war schon längst notwendig, in Treptow um so eher, als der weit» aus größte Teil des Gemeindeareals der Stadt Berlin gehörte. Eigensinn und Kurzsichtigkeit der bürgerlichen Gemeindeverwaltungen hat hier viel hintangehalten. Möge es nun dem starken Einschlag der Arbeiterschaft m der Verwaltung gelingen, bessere Zustände zu schassen,.■_
Die preise klettern!
Eine Woche liegt wieder hinter uns. Eine Woche unheimlicher Dollarsteigungen. Die Preise am Lebensmittelmarkt haben einen Grund, u mlustig weiter in die Höhe zu klettern. Die Hausfrau oerlernt das„Staunen" in der Markthalle und wenn sie wirtlich „staunt", meint der Händler: Was wollen Sie, der Dollar... Die Frage der Ausnutzungsmöglichkeit des Dollarsteigens wird von den Produzenten jeden Tag untersucht und die Lebensmittelpreis« bekommen so die„richtige Richtung". Die Naturbutter ist längst eine Luxussache für uns geworden. In der Woche vom 12. bis 18. März kostete Naturbutter zirka 48 bis 52 M. Am Montag und Dienstag behielt sie ziemlich den alten Preis, während sie am Mittwoch ansing zu„klettern". Der Donnerstag und Freitag brachten weitere Dollarsteigungen und so tonnt« man am End« der Woche feststellen, daß die Butter um 15 M. das Pfund gestiegen war. Aehnlich sieht es bei der Mar- garine aus.Hier zog das Pfund um etwa 6 M. an. Die Fleisch» preise gingen natürlich auch mit. Das Rindfleisch stieg um etwa 3 M., Kalbfleisch um 4— 5 M. Wie mitunter die Fleischpreise„reguliert" werden, zeigt auch ein Beispiel aus der letzten Zeit. An einem Tage waren auf dem Zentraloiehhos 10000 Schweine aufgetrieben. Wären diese Tiere in Berlin geblieben, hier abgeschlachtet und den Verbraucher» zugeführt worden, so hätte ohne Zweifel der Fleischpreis im Klein-i Handel fallen müssen. Die 10 000 Schweine sind nicht in Berlin geblieben, sondern zur Hälfte angeblich nach Oberschlesien verkaust worden, während die Produzenten glaubten, daß si« mit ihre» Lieferungen gerade der Bevölkerung Berlins zu Hilfe kämen. Gee wisse Aufkäufer zahlten, wie uns von kundiger Seite mitgeteilt wird, auf einen Preis von 30 M. für das Pfund Lcbensgewicht noch 2 bis 3 M. drauf, aber nicht um die Tiere nach dem sleischbedürf« tigen Oberschlesien zu schaffen, sondern um sie nach Polen zu oerschieben. Ferner wird gemeldet, daß nach Mitteilung des Oberpräsidiums der„A n g e m e s s e n h e i t s p r e i s" für Kartoffeln aus 150 M. der Zentner vereinbart worden ist. Jede Ueberschreitung dieses Preises ist Wucher. Die Hausfrau weiß nicht, was sie damit anfangen soll. Denn in der Wirklichkeit des täglichen Lebens kümmert sich um diese Festsetzungen kein Mensch. Die Kleinhändler fordern und erhalten ohne weiteres 225 bis 250 M. und noch mehr für den Zentner. Würde jeder, der über den Angemessenheitspreis fordert, angezeigt, so hätten sämtliche Strafgerichte Berlins nur noch mit Kartoffelwucherprozessen z» tun. Aber es gäbe dafür auch nicht eine einzige Kartoffel zu kaufen. Balula und Ausverkauf. Um dem Ausverkauf an das Ausland in Zeiten des Dalutar rückgonges zu steuern, wurde die Außenhandelskonttolle eingeführt�
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Die Macht der Lüge. Roman von Johann Bosen.
Aber jetzt hatte er keine Ruh« mehr, weder Tag noch Nacht. Sowie er nur den Bauern traf, fragte der gleich:„Hast du dir's noch nicht überlegt?" Sicher hatte er fünf Jahre bel Haarstad gedient, und sicher hatten Haarstad und er oft unter vier Augen gesprochen, aber.,. aber... kratzte er sich oft- mals am Tage hinterm Ohr. Er besprach die Sache mit seiner Frau, und die sagte auch, er müßte stch's überlcgem Und Sören Kvikne überlegte es sich Tag und Nacht, weil doch die ganze Angelegenheit jetzt von ihm abhing. War es vielleicht damals, als Haarstad und«r... nein, nein, damals war's nicht. Nein, wenn überhaupt, dann mußte es damals gewesen sein, als sie zusammen den Wagen an- malten. Haarftad strich die Deichseln und er Räder und Wagenkasten . Sie standen im Sonnenschein hinter der Scheune. Und diese Szene, wie sie den Wagen anstrichen, trat ihm immer lebhafter ins Bewußtsem. Und so wurde es ,hm allmählich ganz klar, werrn ihm Haarftad schon absolut einmal die Geschichte anvertraut haben sollte, dann mußte«s damals gewesen sein, und wenn er sich's richtig überlegte, war es gcmg bestimmt bei dieser Gelegenheit. Als er dann eines Tages Herluffen erzahlte, er habe es sich jetzt richtig überlegt, konnte er nicht begretfen. warum der Bauer so überaus freundlich wurde. Denn Herluffen sagte, er wäre für heute frei, er könne zu Wangen gehen und sich als Zeugen anbieten. � Der Eerichtstermw rückte näher. Und fe näher er kam. um so unruhiger wurde Norby. Er hatte immer noch keinen Ausweg gefunden, und er begann zu fürchten, daß er über- Haupt keinen finden würde. Denn wie er sich auch wandte und drehte, er rannte immer mit der Stirn gegen seine eigenen Behauptungen. Und dieft Behoupwnqen. die sich die Leute zu eigen gemacht hatten, und die mit Post und Eisenbahn in der Welt umherfuhren, waren zu einem Wesen geworden, mächtiger al» Norby selbst. Sie waren wie ein Kind, da» dem Vater über den Kopf gewachsen ist— sie trieben ihn immer weiter und zwangen und drohten ihm. daß er dabei bleibe. Aber zur Verhandlung wollte er nicht. Denn da muyte er unter Eid aussagen. Und so weit war es nun doch nicht mit chm gekommen, daß er fein« Seele verfchworeo wollte..
„Ich bekomme wieder meine alle Gicht," sagte er zu seiner Frau, als er sich eines Nachts unruhig hm und her wälzte. Ueber der Gemeinde schien ihm eine verdächtig« Ruh« zu liegen, trotz seiner Anstrengungen. Eine Ruhe, als lägen sie auf der Lauer. Er selbst wollte von nichts anderem mehr reden, als von dieser Geschichte, denn er dachte an nichts anderes mehr und er wurde erst ruhig, wenn andere ihm zu hörten und so nicht zum eigenen Nachdenken kamen. Aber eine neue Lüge verlangt immer wieder eine neue als Beweis, und diese wieder eine neue. Er mußte stets auf der Hut sein, sich nicht zu versprechen, er hatte Angst, er könne sich im Schlaf verraten,— und wagte bald kaum mehr zu schlafen Aber Tag für Tag kam das Verhör heran. Und unwill- kllrlich suchte er nach Mitteln, sich doch zu behaupten, wenn er trotz allem dorthin mußte. Aber was er sich jetzt ausdachte, vor Gericht auszusagen, wurden ja nur wieder Lügen. Und Norby scheute wie ein Pferd, das nicht über eine unsichere Brücke will. Er wollte zurück. Er bekam Angst. Und das war er nicht gewohnt. Nie philosophiert man so gern, als wenn man einen heimlichen Kummer Hai Weil er nicht von dem sprechen kann, was ihm am nächsten liegt, wählt er etwas Aehnlichss. Und als er eines Tages hörte, daß ein Bekannter m der Gemeinde plötzlich gestorben war, lies es ihm kalt über den Rücken. Denn eine Stimme in ihm sagte:„Der nächste bist du, Norby I" Am selben Abend, als sie schon im Bell lagen und das Licht ausgelöscht hatten, gähnte er tief und sagte schläfrig:„Ist es nicht sonderbar, daß wir Menschen, die doch jeden Augenblick sterben können, nichts anderes zu tun haben, als einander Böses zuzufügen?" Marit seufzte und strich ihre Docke glatt:„Ach ja." sagte sie.„so ist's schon." „Und wenn man ehrüch sein will, muß man sagen, daß Verbrecher auch nicht schlechter zu sein brauchen, als man selber." Marit antwortet« noch einer kleinen Pause:„Nein, wer bereut, wird auch Gnade finden." Es war so still zwischen den kurzen Sätzen. Die Winter- nacht war still und dunkel, und ab und zu sauste der Wind um das Haus, daß es wie ein ersterbendes Heulen klang. Und in dieser Todesstimmung und der dunklen Nacht sah Norby wieder die Gemeinde— seine Gemeinde. Aber diesmal waren alle Menschen gleich, all« waren bereit, zu sterben, alle waren sie frierende, blasse, leidende Wesen, gegen die man gut sein mußte. „Weißt du, worüber ich nachdenke, Marit?"' ».Nein," kam es schläfrig.
„Nämlich— wenn wir etwas richtig Schlechtes tun, so ist es nicht gesagt, daß mit unserem Tode auch die Folgen unserer Tat aufhören. Es ist gut möglich, daß sie leben bleiben und noch lange Zeit Schaden anrichten." .Hm." „Aber kannst du mir sagen, wie ein solcher Maim dann Ruhe im Grabe finden kann?" Marit meinte, dazu reiche unsere Vernunft nicht aus, und drehte sich auf die andere Seite. Aber der Alte lag weiter schlaflos und sah eine lange Reihe von Nachkommen Wangens vor sich, die alle von dieser Ge- chichte noch Schaden hatten... Konnte er dann im Himmel itzen und selig sein? Da lag er und sah-.. und sah... bis hm der Angstschweiß kam, daß er überhaupt diese Nacht kein Auge zutun könne. Er oerstand, daß er irgendwie krank sein müsse. Vielleicht ein Herzfehler. Und dann— gerade, wenn er vor Gericht stand und die Hand zum Schwur erhob— dann geschah's. Dann stürzte er zusammen. „Herr Gott, sei meiner Seele gnädig!" Endlich richtete er sich im Bette auf und zündete vorsichtig ein Streichholz an. Gott dewahre— schon zwei Uhr, und er hatte noch nicht geschlafen. Aber als er wieder versucht, ein. zuschlasen, geht ihm auf, wie schwer es ist, ganz ehrlich und redlich ein Unrecht wieder gutzumachen. Er lag mit geschlossenen Augen da und sah das Ganze vor sich. „Wenn du es auch wieder ganz gutmachen willst, aller Norby, dann nützt keine Vergebung des Herrgotts und Ge» fängnisstrafe. Die falsche Beschuldigung würde doch irgendwo wetterleben. Und wenn du auch dafür aufkommen könntest? Wäre es damit getan? Nein. Du müßtest jeden Schaden wieder gut machen. Der eine hat die falsche Nachrede vielleicht vergessen, der andere darüber gelacht, aber der dritte erinnert sich daran und läßt es eines schönen Tages Wangen spüren. Aber wenn du auch dafür aufkommen könntest? Wäre es damit abgetan? Nein. Dann war noch immer zu bezahlen. was Wangen all die Zeit gelitten hatte, in der die Leute ihn für schuldig hielten. Konnte das bezahlt werden?— Nein. alter Norby, nein!" Und unwillkürlich schüttelte er den Kopf. wie er so mit geschlossenen Augen dalag. Wi« konnte er da Schlaf finden? Aber am nächsten Tag« nahm er sich zusammen und fuhr hinauf ins Gutbrandstal, wo er große Wälder besaß und wo seine Leute beim Holzjchlag waren. Er mußte fort. Er "e verö-sse»...(K°Äl«ßung folgte