von Krupp und Möller(Dortmund) am 11. April d. I. In-zwischen sind über elf und neun Monate vergangen, und nochimmer sind, wie die„Uebersicht" sagt,„die Erhebungen nochnicht abgeschlossen". Es handelt sich dabei nicht etwa umschwierige und langwierige Voruntersuchungen, sondern nur umZeugenvernehmungen, die doch weniger Zeit in Anspruch nehmen.Auch kommt dabei die konstitutionelle Erwägung in Betracht,daß ein Abgeordneter eigentlich nur dann Sitz und Stimme iniReichstage einnehmen sollte, nachdem sein Mandat geprüft undlegitim befunden worden ist. Die Abgg. Melbach und Kruppgehören der freikonservativen, der Abg. Möller(Dortmund) deruationalliberalen Fraktion des Reichstags an. Während dieWahlprüsungs-Kommission des Reichstags ihre schwere Arbeit indiesem Jahre mit anerkennenswerlhem Eiser erfüllt und dasPlenum des Reichstags ihre Beschlüsse apprvbirt hat, scheinendie re�llirirte» Behörden und Gerichte nicht ein gleiches Maßvon Elser entwickelt zu haben— was wir der Beachtung desHerrn Justizministers Schönstedt hiermit empfehlen."Die„Aossische Zeitung" fügt noch hinzu, daß diese Er-Hebungen um so eiliger sind, als in allen drei Fällen möglicher-«reise auf Ungiltigkeit der Mahl erkannt wird. Der AbgeordneteMöller wurde in Dortmund mit LI 889 gegen 21 828 sozialdemo-kratische Stimmen in der Stichwahl gewählt. Der AbgeordneteKrupp erhielt in Essen 28 087 gegen 22 287 ultramontaneStimmen in der Stichwahl; auch der Abg. Merbach wurde erstin der Stichwahl niit II 932 gegen 6917 sozialdemokratischeStimmen gewählt. Es ergiebt sich aus diesem Verhältnis zu-gleich, daß eine Verschiebung in der Vertretung dieser Wahl-kreise bei einer Neuwahl nicht ausgeschlossen ist. Um so mehrsollten deshalb die nöthigen Erhebungen beschleunigt werden, wenndie Behörden sich nicht dem Verdacht aussetzen wollen, daß sieabsichtlich die Entscheidung über die Wahl verzögern.Die Begünstigung der„Militüranwärter". Derneue Justizminister S ch ö n st e d t hat eine Verfügung er-lassen, aus der hervorgeht, daß bisher in den Kanzleiender Justizbehörden vielfach Militäranwärter behufsihrer Ausbildung zur Beschäftigung selbst auf längere Zeitzugelassen worden sind, ohne daß Bedürfniß zurVermehrung der Arbeitskräste vorlag. DieseAnwärter haben ihre Einkünfte ganz oder theilweise ausMilitärfonds weiter bezogen, weil seitens der zuständigenMilitärbehörden angenommen worden sei, daß es sich umeine Probedienstleistuug, welche zu einer definitiven Ucber-nähme in den Justizdienst führen werde, oder um eine noth-wendige informatorische Beschäftigung handle.Dies solle hinfort aufhören, da bei der Einfachheit desKauzleidicnstcs anzunehmen sei, daß die Anwärter sich dieerforderliche Befähigung durch seine Beschäftigung als Kanzlei-gehilfe aneignen werden.Für Z i v i l i st e n braucht eine solche Verfügung nichterlassen zu werden. Für die bezahlt rein Mensch, am aller-wenigsten die Militärbehörde, den Lebensunterhalt,während sie irgend eine Lehre durchmachen. Das kann inPreußen nur den„M i l i t ä r a n w ä r t e r n" passiren, dieaußer dieser Vergünstigung auch noch die andere haben,von allen Behörden vorgezogen zu werden, während mandie Zivilisten, mögen sie auch Frau und unversorgte,hungernde Kinder haben, stets zurücksetzt.—Tie sogenannten„Heimstätten'. Ter Bundesrathhat beschlossen, dem Reichstagantrag auf Vorlegung desEntwurfs eines Heimstätlcn-Gesetzes zur Zeitkeine Folge zu geben. Ter Reichstag hat sich jahrelangmit dieser von konservativer Seite ausgegangenen, aber auchvon anderen Parteien unterstützten Anregung beschäftigt.In der letzten Sitzung der vorigen Session wurde derGesetzentwurf in seinen grundlegenden Paragraphendurch«ine große Mehrheit der konservativen Parteien,des Zentrums und der Nationalliberalen angenommenund eine Resolution beschlossen, die Regierung zu er-suchen, in der nächsten Session einen Gesetzentwurf in derRichtung dieses Antrages einzubringen. Auch jetzt liegt derGesetzentwurf als Antrag Lutz, unterstützt von denKonservativen, dem Zentrum und den National-liberalen, dem Reichstag wieder vor.Warum sich die rechtsstehenden Parteien, insbesonderedie Konservativen, und von diesen wieder in ersterLinie die Großgrundbesitzer der östlichen preußischenProvinzen für das Zustandekomnien dieses Gesetzes so sehrintercssiren, ist ja allgemein bekannt.Die Herren Junker brauchen Arbeiter zur Bewirth-schaftung ihrer Latifundien, und zwar neben ihrenständigen Leibeigenen, den auf den Gütern angesiedeltenJnstl euten, für die Jahreszeiten, in denen sich dieArbeiten besonders drängen, die Erntezeit:c., noch anderenach Belieben anzustellende und wieder zu entlassendeTagelöhner. Tiefe Tagelöhnerrolle können aber, dada wurde der kleine Händler auf den Straßendamm gefegt wieeine Schneeflocke vom Sturmwind. Ader er ließ sich nickt mehrentmulhigen und einschüchlern. Im nächsten Augenblick stand erschon wieder aus dem Gehweg und sah mir seinen rundenbraunen Angen den Daherkommenden keck in's Antlitz. Und dieselachenden großen Kinderaugen sah eine blasse, verhärmte Frauund trat beran. Gleich tönle die Stimme deS kleinen Händler'«!:„O, Madamken. koofen Se mir wat ab. Scheene SchäftenHab ick. Hier uf een Brett det olle große Multerschaaf un detKleene, wat det Kindchen von is; nur zehn Fennig."Die Frau zahlte und nahm das Spielzeug an sich. Jetztkannte die Freud« des Kleinen keine Grenzen»»ehr. Das ersteGeld! Er spuckte auf das Groschenstück und umschloß es krampf-hast mir den Fingern. Na, jetzt würde das Geschäsl schongehen, der Anfang war ja geinncht. Aber der kleine Handels-mann tSusckte sich. Hatte die Mode gewechselt, oder»rar etivasanderes die Ursache, er verkaufte lein Schäfchen mehr, und mochte ersich auch noch so eifrig anstellen. Tie Hampelmänner gingen wegwie frisch« Semmeln, der Marienkäser-Mann konnte kauni genugWaare herbeisckaflen, und selbst die Frauen, welche Birkenzweigeverkauften, machten ein ganz erlrägliches Geschäft, nur„Schäsken"waren flau und blieben flau.In den Strähnen des Rieselregens begannen sich großeSchneeflocken j»» zeigen. Plötzlich schrie der kleine Schäjken-Mann auf. Seine Schäfchen hatten Farbe und Gestalt ge-»vechselt; schmutzig grau waren sie geworden,»ind die Wallelöste sich in langen Fetzen. Schon wollte der Kleine wieder inlautes Weinen ausbrechen, aber er besann sich eines besseren.Er riß die Mütze vom Kopfe und hielt sie über seine Schäfchen,um diese vor Regen und Schnee zu schützen. Wohl wußte er,daß diese jetzt um so schwerer verkäuslick sein würden, unddarum verdoppelte er seine Bemühungen. Er sprang umher wieein losgegangener Kreisel, und seine Zunge kam gar nicht mehr zurRuhe. Da, auf einmal ein markerschütternder Schrei, leises Prasselnund Knistern. Bon allen Seiten strömten die Leute herbei undbald bildeten sie einen breiten Ring um den Gefallenen. Derkleine Schäsken-Mann war mit den abgetretenen Absätzen seinerallen Schuhe auf dem schlüpfrigen Pflaster ausgeglitten und ansfeine Schäfchen gestürzt. Bon allen Seiten streckten sich dieHände nach ihm aus. um ihm aufzuhelfen. Aber derwollte im Ansang gar nicht. Zu schwer hatte ihn derSchickfaltschlag getroffen. Da logen sie, all feine Hoffnung.die Leute von der Arbeit aus dem Herrenhof alleinnicht leben können, nur Leute spielen, die selber eine Hütteund eine Parzelle Landes haben,— und daherder H e i m st ä t t e n- G e f e tz e n t w u r f, der die An-siedelung solcher kleiner Bauern ermöglichen soll,die von ihrer eigenen Wirthschast nicht leben können, sondernnoch auf Lohnarbeit angewiesen sind.Daß die Sozialdemokratie einem solchen Gesetz imReichstag ihre Hilfe verweigern mußte, ist selbstverständlich.Zumal bei den landwirthschaftlichen Verhältnissen unsererZeit, wo der kleinbäuerliche Besitz, und nun garder P a r z e l l e n b e s i tz, in dünn bevölkerten, weit vomgroßen Verkehr gelegenen Gegenden, wie es dir östlichenProvinzen sind, immer lebfensunfähiger wird.—Unverständlich ist allerdings auch unS, warum unter diesenUmständen der Bundesrath, der doch sonst den Agrarierngern jede Unterstützung leiht, den Gesetzentwurf vorläufignicht gemehmigt hat.—Der Personalkredit der kleinen Bauern. Der Vereinfür Sozialpolitik veranstaltet eine Erhebung über denPersonnlkredit der ländlichen Kleingrundbesitzer in Deutschland.Die Enquete, deren Fragebogen schon nach ganz Deutschlandverschickt sind, soll zur Entscheidung der Frage dienen, inwieiveitdie bestehende Organisation des Personal- und Mdbiliarkreditsdem«virthschafllichen Bedürfnisse genügt, welche Kassen-organisationen sich unter den jeweils gegebenen Verhältnissen ambesten beivährt haben, nach«velchen Richtungen und mit«velchenMittel» ihre Vervollständigung anzustreben»st.Der Verein für Sozialpolitik wird auf diesem Wege jasicherlich viel interessantes Material bekommen; aber die Rothdes kleinen Bauernstandes wird auch er nicht beseitigen, dasständige Zusammenschmelzen des Besitzes der Kleinbauerngegenüber dein Anivachsen der Latifundien der Großgrund«b e s i tz e r wird a«lch er nicht aufhalten können.—Schlägst Tu meinen Inden, schlagt ich DeinenJuden, denkt die„Kreuz-Zeitung" und erinnerte die„Kölnische Zeitung" und andere nationalliberale Blätter,die aus dem„Fall Leuß" politisches Kapital gegen dieKonservativen zu schlagen suchen, an die vielen„skandalösenVorgänge" im liberalen„Dunstkreise", an„die schier end-lose Reihe der meistcntheils liberalen„Bank- und Kassen-diebe und sonstigen Spitzbuben. Nun— beide Theilekönnten recht lange Listen vorlegen.—Taufzwang. Dem Vater eines kleinen Kindes istfolgende von einem Amtsrichter Dr. S p i n d l e r inLangenselbold(Kurhessen) unterzeichnete Verfügung zu-gegangen:„Nachdem der Herr Kultusminister das königliche Konsistoriumin Kassel ermächtigt hat, dem Herrn Pfarrer Battenberg in Frank-urt a. M. das Dimissoriale zur Vornahme der Taus« in Frank-urt a. M. zu ertheilen, sehen wir binnen spätestens 14 Tagen IhrerMittheilung entgegen, daß das ain 9. Januar geborene Kindgetauft oder einer anderen vom Staate anerkannten Religions»gemeinschast überwiesen ist. Sollten Sie diese Frist unbenutztverstreichen lassen, so würde Ihnen die Erziehung desKindes abgenommen und demselben«in V o r in u n dbestellt werden.Es handelte sich hier um einen Vater, der das Kindohnedies taufen lassen wollte, deswegen konnte die Sachein diesem Falle zu keiner prinzipiellen Entscheidung ge-trieben werden.— Aehnliche Dinge mit bezug auf dasErzieh nngsrecht sind ja schon früher sozialdemo-kratischen Vätern passirt. Und derartige Verfügungenscheinen jetzt, trotzdem unsere Gesetzgebung von einemTaufzwang nichts weiß, im Deutschen Reich zur Regelwerden zu sollen.—Der Kampf ums Wahlrecht in Ungarn. Dieösterreichische Wahlrechtsbewegung hatnun auch nach Ungarn hinübergegriffen. Die Parteileitungder ungarischen Sozialdemokratie hat beschlossen, nachbelgischem Muster eine allgemeine Volksabstimmungzu veranlassen. Auf Sonntag ist eine große Volsversamm-lung zu dem Zweck einberufen. Sie soll über die Frageabstimmen: Wollt ihr das allgemeine Wahlrecht? An derAbstimmung sollen theilnehmen Männer und Frauen, wennsie das zwanzigste Jahr überschritten haben.—Wieder eine Ohrfeige für Casimir Perier. Beider gestrigen Ersatzwahl im 13. Arrondissement erhielt derwegen Casimir-Beleidigung verurtheilte Sozialist G e r a u l tRichard die meisten Stimmen, jedoch noch nicht dieabsolute Majorität. Diese ist ihm bei der Stichwahl sicher.Und nach französischem Recht muß der Erwählte des all-gemeinen Stimmrechts dann aus dem Gefängniß entlassenwerden.—zerbrochen und besudelt in dem Schmutz des Weges. Immergrößer»vurde die Menschenansammlung. Plötzlich tauchte dieHelmspitze eines Schutzmanns aus dem Knäuel auf. Mit einemRuck staub der Kleine auf den Beinen, erhaschte seine Mütze,drängte, husckte und sprang davon, der Landsberger Straße zu.An der Ecke machte er Halt und blickte nach der Stättehinüber, an der er hatte sein Glück machen wollen. Und jetztfiel ihn, sein Mißgeschick doppelt schwer anss Herz. Lautauf schrie und heulte er vor Zorn, Scham und Angst,dann wandte er sich wieder und trollte die lange, langeStraße hinauf, über den Landsberger Platz, am Friedrichshainvorbei, weiter und weiter. Was sollte er sagen, wenn er nachHause kommen»vürde'■} Wie es wirklich geschehe»? Die Zieh-mutter würde ihm nicht glauben. O, der harte Strick mit denvielen Knoten! Und nichts zu essen würde er auch bekommen.Und die Höslein waren ja auch zerrissen, das mürbeZeug war bei dem Falle auseinander gegangen wie Zunder.Ack ja, essen! Er hatte ja so großen Hunger.Plötzlich erinnerte er sich des Zehnpfennigstückcs, das ereingenommen. Er durchsuchte seine einzige ganze Tasche, drehtedas Innere nach Außen, aber er fand nichts. Nun faßte ihnvöllige Verzweiflung.An der Petersburger Straße blieb er stehen und überlegte.Sein Herz schlug ihn bis zum Halse heraus, und deutlich hörteer es ,n der Brust rasseln. Regen und Schnee fielen jetzt dichter.Jeder Tropfen der jh» im Gesichte rras, brannte wie Feuer.Sollte er„ach Hause gehen, jetzt, gleich? Er zögerte. Bis zuden Boggenhagen'schen Häusern war noch so weit. Aberdann setzte er sich doch wieder in Trab und keuchte weiter.Wenn er erst später nach Hause gehen würde? Wenn die Mutterschon schliefe? Oder gar erst morgen? Aber der Hunger?!...Hinler den letzten Häufen' bog er plötzlich von der Straßenach links ab und lief einige Hundert Schritte den schmalenFußweg hinauf, wie ein gescheuchterfHund. An einem hohen Bretter-zäun duckte er sich nieder, zwischen alle blecherne Töpfe ohne Böden,zwischen abgedorrtes Gras und Unkraut, zog die Beine unter sichund weinte still vor sich hiü. Und der Retzen rieselte vermischtmit großen nassen Schneeflocken regelmäßig und unterbrochen,und von der großen Stadl herüber drang ei» dumpfes Brausen undRollen.»»Der Jall Miruian hat zu einer nachträglichenInterpellation geführt. Eine Depesche aus Paris berichtethierüber:In der letzten Sitzung der Deputirtenkammer interpellirteder Sozialist Millerand die Regierung betreffs der Strafe, welcheüber den Deputirten Mirman als Soldaten verhängt wurde, dadessen Unterschrift unter einem von sozialistischen Deputirtenunterzeichneten Manifest.stand. Millerand behauptet, Mirman'sName sei ohne Wissen unter das Manifest gesetzt. Der Kriegs-minister General Mercier erwidert, er habe das Recht, zu wissen,was ein Soldat thue; Mirman habe sich geweigert, zu erklären,daß sein Name irrthümlich unter dem Manifest stünde. Mit389 gegen 49 Stimmen wird darauf eine Tagesordnung an-genommen, in welcher die Erklärung der Regierung gebilligtund die Absicht betont wird, die Disziplin in der Armee zuwahren.—Im Pariser Spionenprozeh ist der AngeklagteDreyfus zu lebenslänglicher Deportation verurtheiltworden.—Ein neues französisches Spionengesetz. Aus Pariswird gemeldet:Der Ministerrath beschloß, heute in der Deputirtenkammereinen Gesetzentwurf über den Verrath und die Spionage einzubringen, nach welchem jede Militärperson, die sich des Verrathsschuldig gemacht hat, sei es im Frieden oder während eines Krieges,mit dem Tode bestraft wird.Nachwahl zum belgischen Parlamente. AnS Lüttichwird telegraphirt:Bei der Kammerwahl, welche dadurch nöthig gewordenwar, daß G e n o ss e D e f ui s s e au x, der zweimal gewähltwurde, die Wahl in Möns angenommen hat, erhielten Francotte(Katholik) 38 284, S m e e t s(Sozialist) 88 863 und Hansens(liberal) 27 288 Stimmen. Somit ist Stichwahl zwischenFrancolte und Smeets erforderlich.—Die Mohrenwäsche ist allzeit eine undankbare Arbeit,und doppelt undankbar, wenn sie an einem so pechschwarzen,hundertmal ausgepichten und bis unter die Haut gefärbtenund gegerbten Neger versucht wird, wie C r i s p i einer ist.Das Zeugniß von Kammermitgliedern, die seine Unschuldbetheuern, wird jetzt triumphirend angeführt. Schade nur, daßdie betreffenden Kammermitglieder Spießgesellen und Mit-schuldige des Herrn Crispi sind, die, indem sie für ihnzeugen, in Wirklichkeit für s i ch selbst zeugen. Die Giolitti'schenAktenstücke sollen unecht, Crispi's und seiner würdige«Gattin Unterschristen sollen gefälscht sein, und die würdigeGattin hat sogar Giolitti auf„Erpressung, Verleumdungund Diebstahl" verklagt. Aber die brave Crispin» vergißtdrei Dinge: 1. daß ihr biederer Gemahl scho« in demranzösischen Panama schmutzigster Praktiken über-ü h r t worden ist und daß, wer sich von CorneliusHerz bestechen läßt, mich fähig ist, Banka Romana- Geldzu nehmen; 2. daß Giolitti in Geldsachen einen weitbesseren Ruf genießt als ihr Herr Gemahl; und 3. endlich,daß die Richter, bei denen sie Giolitti verklagt hat, gleich denKammermitgliedern, die ihrem Mann ein gutes Leumunds-zeugniß ausgestellt haben, zum größten Theil Mitschuldige undSpießgesellen sind. Der Vorsitzende der Fünferkommission:Damiani, auch ein Mitschuldiger und Spießgeselle, behauptetevor drei Tagen: in den Giolitti'schen Aktenstücken sei nichts,was Crispi belaste. Das geachtetste Mitglied der Kom-Mission: C a v a l l o t t i, hat dem entgegen aber ausdrücklicherklärt, das sei Schwindel, Crispi sei schwer belastet.Und was endlich die Gunst des Königs Humbert be-trifft, welche als letzter Trumpf für die Unschuld des Crispiausgespielt wird, so fällt auch dieses Moment m sich zu-sanimen, angesichts der Thatsache, daß Crispi die Persondes Königs vollständig mit Kreaturen umgeben hat, die esdieseni ganz unmöglich machen, mit anderen Augen zu sehenals denen seines treuen Vasallen— Verzeihung: seinestreuen Tieners und Hansmeiers Crispi, der niemals sodumm war, wie sein berühmter Ahne Crispinus fürAndere zu stehlen.Uni den König ganz in seine Gewalt zu bekommen, hatCrispi dessen finanzielle Verhältnisse, die trostlosesterArt sind, rafssuirt auszunutzen gewußt. Der Vater Hum-bert's, der lüverliche„König Edelmann", hinterließ seinemSohn bekanntlich eine erdrückende Schuldenlast. Und HerrCrispi hat dafür gesorgt, daß Gelder der Banka Romänaund anderer dem findigen Hausmeier zu Gebot stehenderFinanzinstitute zur Regelung der Finanzen seines Königsund Herrn verwandt wurden. So ist der Banka Romanagegenüber eine gewisse Solidarität des Königs und seinesMinisters entstanden— eine Solidarität, die für denMiliister ebenso vortheilhaft ist, wie für den König nach-An demselben Abend schritt vom Steuerhaus her ein ältlicherMann der Stadt zu. Aus der linken Schulter trug er eine breiteLatte und daran einen schiveren"Sack. Es war der MaurerSlackow. Auf den Bauten bekam er keine Arbeit mehr, er warden Polieren zu alt; so ging er ans den Dörfern herum undmachte Flickarbeiten. Auch heute war er über Land ge-wesen, jetzt kehrte er heim, uin den Weihnachtsabend beiseiner Frau z» verbringen. Knapp vor der Stadt boger nach rechts ab, um schneller nach der Elbingerstraßezu gelangen. Als er so mit den langsamen müde» Schritten derAbgearbeiteten dahinging, stieß sein Fuß mit einem Biale an etwasWeiches, das sich bewegte, und ein Wimmern drang zu ihm empor.Schon wollte er einen Fluch ausstoßen, weil er einen Betrunkenenvor sich zu haben wähnte. Aber dann kam ihm die Stimme dochzu jung vor, und er beugte sich hinab. Er fand einen<(ligdurchnäßten Knaben, den es schüttelte, als hätte er das Fieber.„Armes Wurm!" sagte der' Mann, und das Mitleid ergoßsich über sein ganzes Gesicht.„Hast Du keine Bleibe?"Der Knabe schwieg.„Willst Du mit mir kommen?"Allsogleich streckte der Kleine die Hände aus und ließ sichauf den'Arm nehmen. Und keuchend unter der verdoppeltenLast schritt der alle Maurer weiter, seiner Wohnung zu.....Als er den von Schmutz und Wasser triefenden Knaben ansdie Diele der Küche stellte, machte sein Frau erst ein ganz ernstesGesicht.„Ich habe ihn auf dem Felde gefunden," sagte der Mann inseiner schlichten Weise mit elwaS eintöniger Stimme.„Und erwäre erfroren, wenn ich mich nicht seiner erbarmt. Ich schenkeihn Dir und mir zur Weihnacht."Mit weiten aufglimmenden Augen blickte die Frau nach demharten, faltenzerrissenen Antlitz ihres Mannes.„Werden wir das auch schaffen können, Karl?"„Wir werden es versuchen!"----Drüben über den Friedrichshain erklangen jetzt die Glockenzur Weihnachtsmelte. Viele Hundert schöngekleidete Menschenhaben sich dort versammelt. Und sie singen und beten, und be-plückwünschen sich innerlich selbst, Christen zu sein und zu heißen.Wenn sie aber»vieder in ihre Wohnungen zurückgekehrt seinwerden und sich selbst belohnt haben mir Fisch und Backiverk,Wein und Zigarren, dann ist auch dieser Tag gewesen, liebeleerund öde wie die andern.— N i k o l a u s K r a» ß.