r Aber ein Irrtum, nicht weniger schlimm und nicht weniger p h a n t a st i s ch als jener Eisners, wäre es, anzu- nehmen, die Welt würde durch eine Münchener schösfengericht- liche Entscheidung über Deutschlands Schuld am Kriege auf den rechten Weg gebracht werden und nun gelte es nur noch, mit einer kräftigen Propaganda nachzustoßen, um das Ziel der Friedensrevision zu erreichen. An gutgemeinter, aber unge- schickter, das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erreichender Propaganda haben wir schon soviel erlebt, daß d»e Spuren schrecken sollten. W Die Meinung, daß die Entstehung von Kriegen auf das Vorhandensein einiger schlechter Menschen zurückzuführen sei, widerspricht so sehr der sozialdemokratischen Welt- anschauung, daß gerade die Verbreitung dieser Welt- anschauung allein schon am besten geeignet ist, eine schief moralistifche Meinung über den Ursprung des Weltkrieges, wie sie Eisner nur in der Erregung des Krieges und der Revolution vertreten konnte, zu widerlegen. Spitzbuben haben überall hinter dem Busch gelegen, aber die eigentlichen Ursachen liegen viel tiefer. Der kindischen Legende, im Jahre 1914 sei der deutsche Wolf über die pazifistischen Ententeschafe hergefallen, ist die deutsche Sozialdemokratie stets entgegen- getreten und das wird sie auch weiter tun. Die beharrliche Arbeit, die sie leistet, um Aufklärung und besseres Verständnis in der Welt zu verbreiten, könnte durch eine deutsch « Un- schuldpropaganda, wie sie sich manche wohlmeinende Herren als nützlich vorstellen, nur gestört werden. Wir können uns bei dieser Arbeit— Herr Professor Delbrück gestatte diese Aufrichtigkeit— auch nicht in einer Reihe mit Männern stellen, die die deutsche Revolu- tion für nicht berechtigt halten. Es scheint wohl überhaupt nicht die Aufgabe des Historikers zu sein, g c s ch i ch t- liche Ereignisse in„berechtigte" und„unberechtigte" einzuteilen, sondern näher würde es ihm liegen, die Ursachen zu untersuchen, die mit Naturnotwendigkeit zu diesen Ereignissen geführt haben. Da bieten sich dem, der nur den Willen hat, zu suchen, die Erkenntnisse von selbst an. Ganz von un- gefähr kann es doch nicht gekommen sein, daß sich das deutsche Volk mit einem Ruck politischer Einrichtungen entledigte, die es mit größerer Geduld als jeder andere lange, zu lange ge- tragen hatte!> Noch weniger aber können wir uns in Reih und Glied stellen mit Leuten, die etwas ganz anderes wollen als wir, denen es nicht darauf ankommt, Gerechtigkeit für das deutsche Volk zu erwirken, sondern vielmehr darauf, das alte Regime zu verteidigen, dessen Stützen sie waren und dessen Wiederkehr sie vorbereiten möchten. Dieses aste Regime ist von der Geschichte verurteilt, nicht weil es „den Krieg gewallt", sondern weil es sich der großen Schick- salsprobe der Jahre 1914 bis 1918 in keiner Weise gewachsen zeigte. Die Stützen dieses Regimes werden von der Welt�als Kronzeugen für Deutschlands Unschuld abgelehnt werden, denn man wird in ihnen nicht die Vertreter des deutschen Volks er- . blicken, sondern die Verteidiger ihrer eigenen Sache, die für immer verloren ist. Mit diesen Leuten werden wir Sozial- demokraten nicht zu einer gemeinsamen Auffassung und noch weniger zu einem gemeinsamen Handeln gelangen. Herr Professor Delbrück ist ein Fall für sich, eine Nummer für sich, eine Persönlichkeit, die auf gewisse Kreise im Ausland, und nicht die schlechtesten, wirken kann. Aber wenn nun die Professoren in Herden gelaufen kämen und die Generale a. D. und die kaiserlichen Minister a. D. und die nationalliberalen Thronstützen a. D. und lange Manifeste erließen— ein Schrecken, der nicht auszudenken wäre! Es ist ein Unglück, daß die Menschen klug werden nur durch den Schaden, den sie selber erleiden, nicht aber durch den, den sie anrichten; wie klug müßten sonst jene Herren geworden sein! Da sie es leider nicht sind, bleibt uns nur übrig, beschwörend die Hände zu erheben und zu warnen.
Die ExekaNve der 2, linternationale ist, dem Antrag der beut- schen Sektion entsprechend, zum 20. Mai einberufen worden.
Hebels Lehrjahre in Wetzlar . August Debil bat seine Jugend- und Lehrsabr«<18411 bl» I8Z8) in den iDoelhrstatt Wetzlar zugebracht, wohin seine Mutter nach dem Tode des»weiten Mannes Uberstedelt«. Unsere Wetzlarer Ge- Nossen haben In Erinnerung daran ein- Gedenktafel mitten in der verkehrsreichsten Strosse der Stadt errichtet. Der Platz soll iUnstlg Augnst-Bebel-Platz heißen. Ein schöner Brun» nen— Acbel» Brunnen— soll den Platz außer der Dedcnitajcl schmücken. Nicht vielen Parteigenossen dürste bekannt sotn, bah Bebel selbst am allerwenigsten daran dachte, das Drechsierhand- werk zu erlernen. Es muß schon so gewesen fein, daß er seiner Schulentlassung nicht freudig entgegensah, vielmehr lieber in der Schul« geblieben wäre. Bebels Gedanke war, das Bergfach zu stu- dieren. Mit der Frage feines Dormunds, ob er denn Geld zum Studieren habe, schwand diese Illusion dahin. Der Gedanke, das Bergfach zu studieren, zeugt von der weitousschauendcn Erkenntnis des jungen Bebel. Nach dem Scheitern dieses Vorhabens bot man ihm an, Klempner zu werden. Das Unsympathische des Meisters, man khm an, Klepner zu werden. Das Unsympathische des Meisters, der zudem ein Trinker war, ließ ihn hiervon Abstand nehmen. Mit sehr wenig Liebe zum Beruf, doch mit um so größerer Zu- neigung zu dem Drechslermeister, der der Gatte einer Freundin von Bebels verstorbener Mutter war und den Ruf eines zwar strengen, doch tüchtigen Meisters genoß, folgte er dem Rat, das Drechslerhand- werk zu erlernen. Die Frau Meisterin war es, die ihren Gatten davon unterrichtete, daß Bebel fein„religiöses Examen" mit„sehr gut" bestanden habe. Das war Grund genug für den Meister, zu erkennen, daß sein Anwärter auf die Lehrstell««in„brauchbarer Kerl" sei. Es folgten den trüben Kindsrjahren die strengen Lehr- jähre. Das Wohlwollen der Meisterin lieh den elternlosen Lehrling diese Zeit nicht allzu bitter empfinden. Di« Lehrzeit Bebels fiel in jene Zeit der Zünfte, in der die Ar- bciterschutzgesetzgebung ein fast noch unbekannter Begriff war, die Ausbeutung— vor allem der Lehrlinge— jedoch in höchster Blüte stand. So berichtet uns Bebel selbst, daß die Arbeit von morgens Z Uhr big abends 7 Uhr ohne Pause währte und neben der eigent- lichcn Arbeit noch häuslich« Arbeiten verrichtet werden mußten, wofür pro Woche ganze 4 Kreuzer(14 Pf-nnige) vergütet wurden. Außer dem Kirchgang und einigen Abendstunden wurde auch der Sonntag mit Arbeiten für die Landbevölkerung, di« allsonntäglich ihre Einkäufe machte und kleinere, sofort zu erledigende Repara- luven in Arbeit gab, ausgefüllt. Kein Wunder, daß der so Ge- fesselte sich seinem natürlichen Drang nach größerer Freiheit hingab und dem streng auf regelmäßigen Kirchgang Bedacht nehmenden Meister durch Schwänzen der Kirch« ein Schnippchen zu schlagen versuchte. Allein der Meister kain dank der Unvorsichtigkeit seines Lehrlings sehr bald hinter dessen Schliche und schnitt ihm auch di« mit dem Kirchgang verbundene Freiheit mit der Weisung ab, künftig zu Hause zu dleibcn. Ein gar zu großes Unglück war dies für den
d!e wilhelminische Diplomatie. „So dumm, daß es das Ausland nicht für möglich hält." Im Anschluß an den Münchener Dokumentenprozeß fällt die monarchistisch-volksparteiliche„Zeit" fol- gendes Vernichtungsurteil über die Diplomatie des kaiserlichen Deutschlands . Die Deutsche Volkspartei hat wieder und immer wieder allem Geschrei der„Borwärts"-Leute zum Trotz auf die Schuldfrage hingewiesen und ihre Klärung verlangt; denn wir können bei jeder öffentlichen Erörterung dieser Frage nur gewinnen. Es sind aus deutscher Seite im Juni 1914 außerordentlich schwere Fehler gemacht worden, so schwere Fehler, daß man es dem Auslande nicht oerdenken kann, wenn es sie nicht einsach als Fehler gelten lassen will, sondern nach oersleckken Absichten sucht. Ein italienischer Diplomat sagte jüngst:„Ihr Unglück ist es, daß Zhre Leute im Zunl 1914 so dumm waren, daß man es im Anstände nicht für möglich hält." Wir find in den Krieg nach Bülows und Tirpitz' Worten„hineingetorkelt" und haben dann, als die Annahme Bethmanns, daß der Krieg sich lokalisieren lasse, und daß England den Frieden halten werde, als irrig erwies, Fehler aus Fehler begangen, wie ein schlechter Schwimmer, der plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen fühlt, verzweifelnd mit den Armen um sich schlägt und das Verkehrteste tut. Aber wir haben den Krieg nicht nur nicht gewollt, sondern im letzten Augenblicke, als es freilich schon zu spät war, alles getan, um ihn zu verhindern. Es ist uns nicht recht klar, was in diesem Zusammenhang der Ausfall gegen den„Vorwärts" soll. Denn was hier steht, ist aufs 5) a a r genau der Standpunkt, den der„Vor- wärts" feit jeher in der Kriegsschuldfrage eingenommen hat. Weit eher kann man umgekehrt an die„Zeit" die Frage richten, wie denn zu diesem Vernichwngsurteil über die kaifer- liche Diplomatie ihre ständigen Lobpreisungen des alten Systems und ihre Schimpfereien über die Revolution vom 9. November passen? Wenn jetzt selbst die Deutsche Volkspartei anerkennt, daß die alte kaifer- liche Regierung mit einer Leichtfertigkeit und Borniertheit, die die Grenzen akles Glaubhaften ü'er steigt, das deutsche Volk in seine größte Katastrophe hat hineintorkeln lassen, dann muß sie auch dem deutschen Volk das moralische Recht zuerkennen, daß es ein derart unfähiges System davonjagte. Oder war nach der Ansicht der „Zeit" das deutsche Volk verpflichtet, ein kaiserliches Regiment mit Eselsgeduld weiter zu tragen, dessen Fehler nach dem«ige- nen Urteil der„Zeit" so riesengroß waren, daß man es dem Ausland nicht einmal verübeln kann, wenn es die Dummhest für Bosheit ansieht?!
Aektungsnot und Reichsregierung. Daß die Zeitungsnot sich nicht schon heute in einem ganz- lichen Versagen des öffentlichen Nachrichtendienstes geäußert hat, ist wirklich nicht Schuld der Reichsrcgicrung, die immer noch nicht ein Mittel der Abhilfe gefunden hat, obwohl die Notlage schon seit Jahr und Tag andauert. Immer noch steht man bei den gesetzgeberischen Vorarbeiten, während die Teue- rungswelle ungebrochen fortschreitet. Es verlautet, daß erst in der nächsten Woche das Kabinett zu den Vor- schlagen Stellung nehmen wird, spät ge.nug, um auch noch dem Reichstag Gelegenheit zur gesetzgeberischen Regelung zu geben. Die Organisation der Zeitimgsverleger, unter denen sich auch die sozialdemokratische Presse Deutschlands befindet, hat vom Reichstag Schritte gefordert zur S i ch e r st e l l u n g einer Mindest menge von Zeitungsdruck- papier, ferner den Schutz vor Monopolpreisen für Holzstoff, Zellstoff und Druckpapier, die von Erzeugerver- bänden diktiert werden, und schließlich Maßnahmen zur V e r- b i l l i g u n g des Druckpapiers durch Tarifbegünstigung, Er- Mäßigung der Preise für Papierholz und für die zur Erzen- gung des Papiers notwendigen Kohlen, schließlich durch Er-
junsen Lehrling nicht. Denn der persönlich Gebundene suchte von jenem Tage an mehr denn j« seine gcrsttge Vertiefung. Von den Juyenderzähiungen„Robinson Cnusoe" und„Onkel Toms Hütte", di« er von gleichalterigen Knaben für geleistete Dienste während dir Schulzeit erhielt, wandt« er sich ernsteren Schriststellern zu. Wir finden, daß Bebel sich als Lieblinsschriststeller Hackländer erkor. Dessen Schilderungen des Soldatenlebens dämpften die Begeisterung Bebels für das Militär. Befriedigung feiner weitergehenden geistigen Bedürfnisse spendeten ihm Geschichtsbücher, historisch« Romane und dergleichen, di« er mit den wenigen Pfennigen, die er fein eigen nennen durfte, ans der Bibliothek entlieh. Man darf getrost sagen, daß gerade die strenge Lehrzeit eine für die wettere Ent- Wicklung Bebels nicht unwesentliche Entwicklung sep och« war. In immer stärkerem Maße drgngt sich das Vergangen nach Freiheit auf, er möchte die ganze Welt durchstürmen. Die zu jener Zeit in Wetzlar grassierende Schwindsucht raffte auch den Meister hin und legte den Sehnfuchtsgedanken Bebels erneut« Fesseln an. Am Tag« der beendeten Lehrzeit starb der Meister. In Ermangelung eines älteren Gefchästsleiters entschloß sich. Bebel, der Meisterin so lange die Geschüste zu führen, bis deren Entschluß, das Geschäft aufzugeben, durchgeführt werden konnte. Während dieser Zeit bezeugt« Bebel der Meisterin seine besondere Dankbarkeit durch seine unermüdliche Schaffenskraft. Bon Sonnen- aufgang bis abends 9 Uhr und länger währte während jener Zeit feine angestrengte Tätigkeit. Wahrlich, ein edler Charakterzug! Im Jahre 18SS konnte die Liquidation des Geschäfts durchgeführt werden. Bebel stand am Ziel seines Jugendtroums, die Welt zu durch. stürmen. Der Abschied von der ihm lieb gewordenen Stätte scheint kein schmerzloser gewesen zu sein. Am 1. Februar des Jahres 1858 trat er, von seinem Bruder begleitet, bei heftigem Schneogestöber zu Fuß über Langgöns feine Reil« nach Frankfurt an. Die Welt nahm ihn auf. Aber so sehr Tatendrang und die polttischen Vorgänge ihn fesselten, nie vergaß er die ihm lieb gewordene zweite Heimat, di« Stadt Wetzlar . Die Ereignisse in der Stadt Wetzlar machte er zu den seinigen. Die Jugendgenossen sahen ihn bis kurz vor seinem Tode alljährlich in ihrem Kreis. Durch seine testamen- tarisch« Schenkung gedachte er auch jener, die wie er durch das finstere Tal der bitteren Armut zu wandeln haben. An dem Tage, an dem die Wetzlarer Parteigenossen das An- denken unseres großen Vorkämpfers durch die Enthüllung«incr Gedenktafel ehren, mag uns der Rückblick auf Bebels Leben erneut zeigen, daß nur dem unermüdlichen Kämpfer für eine ideale Sache sich der Sinn des Lebens erschließt.
Gberammergau. ' Oberammcrgau, 12. Mai 1922. Oberammergau ist eine„Volksbühne" von Weltruf geworden. So hat das Spieljahr 1922 beveils fest Monaten seine Schatten vor» ausgeworfen, die Lebensmittelpreij« in Erwartung des Massen-
fassung der Ausfuhrgewinne. Welchen Niederschlag diese Forderungen in den geplanten Gesetzesmaßnahmen gefunden haben, ist nicht bekannt. Daß sie berechtigt sind, daran besteht kein Zweifel, da schon jetzt das Papier rund den 80fachen Friedenspreis kostet, was auf die Abonnementspreise auf die Dauer nicht ohne Einfluß bleiben kann. Der 80sache Bezugs- preis bedeutet aber den Tod der selbständigen P r-e s s e, den Sieg des politischen Anal' abeteutums oder den Triumph der mit politischen Zielen von Unternehmerver- Händen bezahlten, ihnen willenlos dienstfertigen Blätter. Höchste Eile und durchgreifende Maßnahmen sind von- nöten, wenn nicht die freie Meinung in der Republik zur Phrase werden soll._ Neuöeutsche Justiz. Aus Münster wird uns berichtet: Unser Parteiblatt in Münster , der„Volkswille", war auf Veranlassung des Polizeihauptmanns S a s o w s k! aus dem Lesesaal der Schupokaserne in Münster ent- fernt worden, da es einige Tage vorher die Teilnahme von Schupo- Offizieren an einer Kaiser-Geburtstagsfeier und die Entfernung einer Reichsfahne von der Schupokaserne gerügt hatte. Der„Volkswille" brachte nun eine neue Notiz, in der der Polizeihauptmann wegen des Verbots angegriffen wurde. Die Folge war ein Strafantrag gegen den verantwortlichen Redakteur, der sich dieser Tage vor dem Schöffengericht zu verantworten hatte. Das Urteil lautete wegen Beleidigung des Polizeihauptmann aus 10 000 M. Geldstrafe oder 200 Tage Gefängnis. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen wurde verneint. Der Ämtsgerichlsrat erklärte sogar noch, daß die „Vorstrafen", die der Angeklagte wegen Pressevergchens als verant- wortlicher Redakteur erhalten hat und deren letzte fast ein Jahrzehnt zurückliegt, strafverschärfend wirkten. Bon besonderem In- teresse ist, daß der als Zeuge vernommene Polizeihauptmann unter seinem Eide bekundete, er habe die Entfernung des„Volkswillen" angeordnet, weil es sich um ein Blatt politischer Richtung handle, das laut Verfügung des Ministers des Innern für die Beamten- Lesesälen in den Schupokasernen verboten sei! Wenn der Poli- zeihauptmann unter seinem E i d diese Aussage gemacht hat, dann wird die Frage zu prüfen sein, ob hier nicht eine zum mindesten fahrlässige Verletzung der Eidespflicht vorliegt. Es sei daran erinnert, daß Genosse Severing vor einiger Zeit einen Polizei- Hauptmann vom Dienst suspendierte, weil er den„Vorwärts" in seiner Kaserne verbot. Daraus geht schon allein hervor, daß es in der preußischen Schutzpolizei keine Verfügung gibt, die besagt, politische Zeitungen dürsten nicht in den Kasernen der Schupo verbreitet werden. Genosse Severing hat sofort, was in seiner Macht steht, ver- anlaßt, um diese unerhörte Geschichte zu sühnen. Der Polizeihaupt- mann Sasowski wurde durch eine am Freitag erlassene Verfügung' von Münster versetzt, und die republikanischen Schupo- beamien, die dieser Hüter der Monarchie wegen ihr�r Gesinnung aus Münster versetzt hat, wurden auf Anordnung des Genossen Severing wieder an ihren Dien ft ort zurückgebracht. Das Urteil des Schöffengerichts in Münster bleibt aber charakte- risttsch für den Geist der Justiz. Wegen Beleidigung eines reaktiv- nören Offiziers, der die Verfassung mißachtet, die Reichsflogge her- abholen läßt, gegen die Verfügungen seines höchsten Vorgesetzten verstößt, wird ein. Redakteur zu 10 000 M. Geldstrafe verurteilt. Wenn aber irgendein xbeliebiger Monarchist den preußischen Minister des Innern oder andere republikanische Staatsmänner in der nieder- trächtigsten Weise beleidigt, dann wird er zu 200 M. Geldstrafe ver- urteilt oder gar freigesprochen. Das Ganze nennt man neudeutsche Justiz!
Ein neuer Krtegsbeschuldtglenprozeß. Wie das„Leipziger Tage- blott" an zuständiger Stelle erfahrt, wird am 28. Juni und den folgenden Tagen auf Grund der französischen Krlegsbeschuldigten- liste vor dem Reichsgericht ein neuer Kriegsbeschuldigtenprozeß statt- finden. Zu verantworten hat sich der Arzt Dr. M i ch e l s o h n aus Berlin wegen Gefangenenmißhandlung. Michelsohn war in den Iahren 1917/13 Leiter des Lazaretts in Essry und Trclon. Zu den Verhandlungen sind 14 französische und 80 deutsche Zeugen geladen.
besuchs in ganz Bayern auf eine noch nicht erreicht« Höhe getrieben und dadurch scharfe Kämpf« um das täglich« Brot hervorgerufen. Die Forderung nach Absage des Spiels wurde vor allem von den gewertschaftlichen Organisationen bei der Zusammensetzung des baye- rischen Landtags— natürlich vergebens— erhoben. Nun ist das Spieljohr mit der Vorführung am 9. d. M. vor den Vertretern des Reichsverbandes der deutschen Presse, dem bayerischen Landtag und der Staatsregierung eingeleitet worden. Fast die ge- samte Presse Bayerns ist in einen Ruf des Entzückens über di« wohlgelungen« Ausführung ausgebrochen. Da dürste«ine Vetrach- tung über den kulturellen Wert des Stückes wohl am Platze fein. Das Oberammergauer Dassionsspiel ist mit gewissen Einschrän- kungen ein„Volksspicl" zu nennen. Es besteht seit dem Iah?« 1633, in dem die 12 Aoltesten von Oberammergau mit ihrer Gemeinde das feierliche Gelöbnis ablegten, alle.zehn Jahr« die Leidensgeschichte des Wctthetlands darzustellen. Ursprung und Charakter des Spiels stempelt es also.zu einein„Volksspiel". Nur die Dorsbewohn,:? dürfen in ihm austreten; keine Schminke oder Perücke darf in ihm verwendet werden; jedes Bauernhaus hat sozusagen„ererbte" Recht« auf diesen oder jenen Darstellerposten. Die Sozialdsmokratie hat kein« Veranlassung, seit langem über- kommen« Voiksbräuche mit visernem Besen wegzukehren. Das Ober. ammergauer Passionsspiel schließt aber soviel mmfchiiches Beiwerk in dem großen Gebäude der„Paffion" mit«in. daß berechtigt« Zweifel über die kulturelle Bedeutung des Spiels angebracht er- scheinen. Vor allem ist zu bedenken, daß die hohen Protettoren des Spiels gerade Herr v. Kohr und der[charsmacherifche München er Erzbischof sind. Zunächst di« Technik der Ausführung: Zweifellas sind die Masscndarstellungen von großer Wirkung, auch di« Chöre der unge- schulten Bauernstimmen klingen nicht schlecht. Wenn man nur wenige ergreifende, aus der Christuslegende genommen« Worte dazwischenschüb«, könnte man dadurch eine ganz gute Wirkung er- zielen. So aber wird in einer achtstündigen Vorfübruna ein Dilettanten-Sologesang an den anderen gereiht und ein Manuskript durchgespielt, das weder originell noch packend wirkt. Verzückte Eng- länder und Zlmerikaner mögen sich daran berauschen, dem einiger- maßen geschulten Großstadtpublikum des 20. Jahrhunderts, das gerade m dm letzten Iahren durch die„Volksbühnen"-B«megung einen verfeinerten Geschmack erhielt, werden diese 8 Stunden eine schlimme„Passion" bedniten. Wenn man nun aber abends beim„Dämmerschoppen" in den Oberammergauer Bierstuben mit den Leutchen zwang'os plaudert und dadurch einen Blick hinter die Kulissen der„Passion" tut, dann erschrickt man über soviel Neid, Haß. chochmut und Intrigen, die dieses Schauspielerdörlchen schon viele Monate vor dem„großen Jahr" zerreißen. Wieviel ausgekratzte Augen, zerschlagene Stuhlbeine und zersprungene Maßkrüa« sind Zeugen dieses stillen, aber er- biiterten Kampfes um die Rollen des' Festspiels. Ein Abgrund von religiösem Wahn und persönlichem Dünkel umgibt dieses„Gott g«. weihte Dorf" gegen die profanen Nachbardörfer und ihre Alltags- banausen. Das Ueberniaß des inneren Streites wird nur gebändigt durch die bigotte Unterwerkuna des einzelnen wie der Gesamtheit unter den Machspruch der Geistlichkeit. Rein, trotz aller Achtung vor den Volksbräuchen: Der Weg über das Bühnendorf im Ammergau mit der dumpfen Atmosphäre bi-