Hr. 240»Z9. Jahrgang
Seilage öes vorWärts
Vlenstag, öen 25. Mai 1922
Jus öen Spuren Lilientha!s.
„Man kehrt immer zu semer ersten Liebe zurück!" Dieser Satz ist durchaus nicht nur im Hinblick auf das Einzelwesen anzuwenden, sein Geltungsbereich erstreckt sich oft genug auf Sachgebiete, die Gegenstand der Aufmerrsamkeit größerer Kreise von Menschen sind. So ist es auch bei der Fliegerei. Während die theoretisch un- genügend vorbereiteten Versuche eines Schneiders von Ulm und die wissenschaftlich hervorragend durchdachten und auch mit gutem Er- folge praktisch durchgeführten Gleitflugversuche Lilienthals, des Alt- meisters der modernen Fliegerei, bei vielen Neunmalweisen nur ein leichtes Lächeln des Mitleids erweckten, da sie diese Art der Fliegerei als längst überholt betrachteten, haben sich in aller Stille Segelflug- vereine gebildet, deren Mitglieder mit großer Hingabe an der Aus- bildung des motorlosen Segelfluges arbeiten. Sie sehen in den mit mehreren Hunderten von Pferdestärken die Luft durchellenden Flug- zeugen fliegende Motoren, sie sind für sie keine ideale Lösung des Flugproblems. Die Segelflugwettbewerbe, die nun alljährlich in der Rhön ausgetragen werden, haben nicht nur das Interesse der Fachkreise, sondern in hohem Maße auch das des Publikums erweckt; wurden doch im vorigen Jahr« Flüge mit motorlosen Fahrzeugen von fast halbstündiger Dauer erreicht, gelang es doch auch, sie zum Ausgangspunkt zurückzusteuern. Wie armselig erscheinen dagegen die ersten Versuche mit motorischen Flugzeugen. Die Berliner mögen sich nur der.Luftsprünge" Armand Zipfels auf dem Tempel- hofer Felde erinnern. Man darf auch auf den ersten„Flugrekord" verweisen, den Santo? Dumont am 12. November ISÜS in Bugatellc mit einer Flugstrecke von 220 Metern ausstellt«. MoSellflugzeuge. In vielen Orten Deutschlands ist man eifrig am Werke, den Cegelflug zu fördern Auch in Berlin besteht eine Arbeitsgemein- fchaft. die unter der Firma„Berliner Modell- und Segelflugverein" in jedem Jahre Zsiodellwettflüge auf dem Tempelhofer Felde ver- anstaltet, die aber auch in ihrer Werkstatt in der Annenstraße 1b große Segelflugzeuge lsrstellt, die ihren Mann tragen können und mit denen sie sich am Rhönwettbewerb erfolgreich beteiligt hat. Es werden aber auch Alokorflug�eugmodelle heraestellt, bei denen der „Motor" aus kräftigen aufgedrebten Gummischnüren besteht. Da gibt es Rumpfmodelle mir vornliegender Schraube und die so- cenanntc Enlcukonstruklion. bei der die Schraube hinten und die tiiaoilisationsflächen vorn liegen, io daß es beim Flug« den An- schein hat. als bewege sich das Modell rückwärts. Während mm die Rumpfmodelle sowohl in konstruktiver als auch in praktischer Bouarbeit eine wesentlich größere Geschicklichkeit erfordern, werden dennoch mit der wesentlich einfacheren Entenkonstruktion die besten Erfolge erzielt. Bei diesen Modellen dient ein Stab, an dem die Flügel und Stabiiifationsflächen befcstiat sind, als Motorträqer. Mit diesen Modellen ist es auch der Berliner Arbeitsgemeinschaft gelungen, den den Skreckenrckorb mit 110 ZNctern und den Dauer- retard mit KS Sekunden für Deutschland zu halten. Als Bau- material für Modelle wird gespaltenes Bambusrohr benutzt. Zur Bespannung der Flächen dicMe früher Seide, die aber heute zu teuer ist. so daß man sich mit Gazcnpapier als Ersatz begnügen muß. Die Modelle hatten bisher eine Flügelspannweite von 60 Zenti- meter bis 2 Meter. Jetzt aber fallen diese überschritten werden. So ist ein mit zwei Schrauben ausgerüstetes Modell von mehr als zwei Meter Flüaellpannwsite im Bau. Am letzten Sonntag fand an der einsamen Pappel auf dem Tempelhofer Felde ein Modellsegelfluqwoltbewerb statt. Die Flug- zeuge wurden von einem Drachen 200 Meter emporgehoben und dann durch eine Auslösungsvorrichtunq freigelassen. T°.e Prüfung erstreckte sich auf Flugdauer und Entfernung. Die Bewertung der Flugdauer ergibt sich, wenn man Flugzeit durch Abslughöhe divi- diert. Bei der Wertung des Gesamtergebnisses muß natürlich auch die Flächenbelastung berücksichtigt werden. Sie muß bei den zur Konkurrenz zugelassenen Modellen mindestens 30 Gramm auf den Ouadratdezimeter betragen. Diese Bor'chrift erscheint notwendig, weil leichtere Modelle ohne weiteres eine längere Flugdauer er- Zeichen, die aber für die Nutzbarmachung in der Praxis völlig wert- los sind. Uebungsflugzeuge. Für Schul- und Uebuugszwrckc steht ein Uebungsglcitflugzeug, ein hZngedoppcldecker einfachster Bauart zur Verfügung In diese
Maschine hängt sich der Flieger hinein, wobei er sich, ganz wie es Lilienthal machte, mit den Armen festhält. Die Arbeitsgemeinschaft hatte einen Uebungsplah an der Müllerstraße gepachtet. Es stellte sich heraus, daß die zum Abflug geeigneten Anhöhen im Osten lagen. Da aber Ostwind in Berlin selten weht, konnte die Zahl der Gleit- flüge nur eine sehr beschränkte sein, so daß die Uebungsmöglichteiten außerordentlich vermindert wurden. Jetzt ist besser geeignetes Uebungsgelände in der Nähe von Königswusterhausen oder bei Ställen in der Nahe von Rathenow in Aussicht genommen. Für den diesjährigen Nhönfegelflugwettbewerb, der vom g. bis 20. Au- gust auf der'Wasserkuppe stattfindet, sind zwei Fahrzeuge im Bau, und zwar ein Segelcindscker mit Steuerung und srciragendem Flächenprofil und ein Hängegleiler ahne Sleüeerung. Der Zweck dieser Wettbewerbe ist, ein möglichst ökonomisches Fliegen zu er- reichen, so daß auch die Motorflugzeuge mit wesentlich geringeren Masäsinenkräften die gleichen Leistungen wie bisher erzielen können.
�ugenö und /llkohs!. Den in Berlin stattfindenden 2. Deutschen Kongreß für alkoholfreie Jugenderziehung(vgl.„Vorwärts" 238) begrüßten gestern Vertreter von Behörden des Reiches, des Staates und der Stadt. Für die U n i v e r f i t ä t, deren Aula für die Tagung überlasten worden ist, nahm ihr Rektor Prof. R e r n st das Wort. Er stellte mit Befriedigung fest, daß auch in der Studenten- s ch a f t die Ansichten über das Trinken sich doch schon sehr erfreulich geändert haben. Im Namen der Reichsregierung sprach Reichsjustizministcr Prof. R a d b r u ch. Die Regierung nehme starken Anteil an der Alkoholbekämpfung. Dem Kabinett werde in wenigen Monaten der Entwurf eines Strafgesetzes zugehen, das auch die Alkoholgefahr berücksichtigt. Der straffällige Trinker habe ein Wirtshausverböt zu gewärtigen. Sinnlose Trunkenheit werde, wenn verschuldet, selber zur Straftat. In dem Entwurf eines Schankstättengesetzes sei die Notwendigkeit des Schutzes der Jugend leitender Gesichtspunkt. Radbruch grüßte die neue Jugend, die ohne Rauschgift aus sich heraus ihre Schwungkraft finde. Sie solle für die neue Organisation, in der wir leben, die neue Seele schaffen. Der preußische Wohlfahrtsminister Hirtsiefer , der zu- gleich im Namen des preußischen Minsterprüsidenten sprach, hob hervor, daß die Forderung, die Alkoholbekämpfung bei der Jugend zu beginnen, schon in weiten Kreisen der Jugend selber auf- genommen worden ist. Schulrat Prof. Helmke, der den Will- kommensgruh des Berliner Magistrats überbrachte, wies darauf hin, daß auch in der Alkoholfrage ein gutes Vorbild der Er- w a ch s e n e n für die Jugend' das beste Erziehungsmittel ist.(Leb- hafte Zustimmung.) Vertreten sind noch viele andere Reichs-, Staats-, Provinzial-, Kreis- und Gemeindebehörden, ferner Schul- und Kirchenbchörden, Dereine von Lehrern, Frauen, Mtoholgegnern und Jugendlichen. In drei Referaten wurde die Bedeutung der Alkohol- frage für Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes behandelt. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus sprach Universitätsprofessor T u c z e k- Marburg. Die Hoffnung auf Wiedercrltartung des deutschen Volkes werde dadurch beeinträchtigt, daß der Alknholverbrauch so stark zugenommen habe und die Jugend sehr daran beteiligt sei. Er erörterte die Schädigung der Nach- kommenschaft durch den Alkoholgenuß der Eltern und die unmittel- bare Schädigung der Kinder und Jugendlichen durch Alkoholdar- reichung. Nicht auf die Zahl unseres Nachwuchses kommt es an, sondern auf seine Tüchtigkeit. Das amerikanische Radikalmittel eines Alkoholverbots sei, wie schon jetzt sich zeige, nicht ohne Erfolg geblieben. Tuczek forderte für Deutsch- land die Einschränkung der Herstellung geistiger Getränke, die Ein- schränkung der Schankkonzessionen, Steuererleichterung für alkohol- freie Getränke. Aber solche Ge s e tz e müßten allerdings aus der Volksstimmung hervorgehen: vorher müsse mit den Trink- sitten aufgeräumt werden. Für Jugendliche bis zu 21 Jahren hält Tuczek vollständige Meidung des Alkohols für unbedingt nötig. Universitätsprofessor Fuchs- Breslau beleuchtete die wirtschaftliche Seite der Alkohol- und Wiederaufbaufrage. Durch die bedeutenden Ausgaben für Alkohol werde nicht nur der Einzelhaushalt, sondern auch der Haushall des
ganzen Volkes geschädigt. Verringert werde durch die Gesundheit?- schwächung auch die Arbeitsleistung, schließlich die Arbeitsfähigkeit überhaupt. Die Alkoholindustrie entziehe der Bevölkerung große Mengen Nahrungsmittel(Getreide, Kartosfcln, Zucker). Was sie dem Staat an Steuern bringt, werde durch Schädigung des Volksganzen mehr als aufgewogen. Bei Verzicht auf den Alkohol könne die Industrie sich leicht auf andere Erzeugnisse um- stellen. Umversitütsprofessor Barth- Leipzig sprach über die Störung des sittlichen Wiederaufbaus durch den Alkohol. Die arbeitende Jugend habe sich schon seit längerer Zeit an dem Kampf gegen den Alkohol beteiligt, die st u d i e r e n d e Jugend aber sei dem Trinken eigentlich doch noch keineswegs abhold. Redner forderte Rückkehr zur Einfachheit des Lebens, das durch g e i st i g e Freuden zu verschönen sei. Die Nachmittagssitzung brachte ein Referat von Dr. meck. Agnes B l u h m- Berlin über den schädlichen Einfluß geistiger Ge- tränke aus die hofsende und die stillende Mutter. Die alkoholsreie Jugenderziehung habe, schloß die Referentin ihre be- gründenden Darlegungen, schon im Mutterleib zu be- ginnen. Eine hoffende Mutter, die noch trinkt, begehe«in Vcr- brechen gegen ihr Mnd, ihre Familie, ihr Volk. Stadtschulrat H e n z e- Frankfurt a. M. schilderte die Gefahren des Alkohols für Kinder und Jugendliche und forderte volle Alkoholcnthalt- samkeit auch der Jugendlichen.
Oer„LiebesSokto?*. Ganz wie im Mittelalter. In das Reich des blöde st en Aberglaubens leuchtete wieder einmal eine Verhandlung hinein, die die Straf. kammer des Landgerichts I beschäftigte. Wegen Betruges in zahlreichen Fällen war der Wahrsager und-Kartenleger August K o n k a aus Lichtenberg angeklagt. Der Angeklagte betreibt seit einer Reihe van Jahren das nahr- hastere Gewerbe eines Wahrsagers. Seine Tätigkeit war in drei Spezialgebiete eingeteilt: Fernsuggestion, Horoskop- stellen und Verjüngungskuren. Bezüglich der Fern. suggestion gestaltete sich der Betrieb folgendermaßen: Zumeist hau- delte es sich um Ehepaare, die auseinandergekommen waren und um Liebesleute, die gern zusammenkommen wollten. Der Ana» klagte nahm den weiblichen Besucherinnen, die derartige Wüissche hatten, die Photographien des weiblichen und des männlichen Teiis ab und sandte sie an die„Indische Loge zur Wahrheit", deren Leiter ein angeblicher Professor Siemens in Leipzig war. Dieser„behandelte" dann den nichtwilligen Teil durch Fern- suggestion, natürlich ohne Erfolg. In engem Zusammenbange hiermit stand die„Behandlung der alternden Ehe- män n er" einer Reihe von Frauen, denen durch die Fernsuggestion das jugendliche Liebesfeuer nicht beizubringen gewesen war. In diesen Fällen händigte der Angeklagte den liebebedürftigen Frauen eine Aphroditisiocum aus, welches den Namen„T e st o» gan trug. Diese Pillen, die Konka für 12 M. kauft«, mußten die Liebe heischenden Frauen mit S00 M. bezahlen. Dafür erhielten sie selbst ein ähnliches Mittel mll dem Namen„T h e l y g a n das sie selbst schlucken mußten. Die Wirkung war eine ebenso über- raschende wie unbeabsichttgle. Während sich der Liebeshunger der ältlichen Ehegattinnen erheblich steigerte, trat bei ihren Ehe- Männern, denen sie die„Kraftpillen" heimlich unter das Esten mischten, die Wirkung dergestalt ein, daß sie noch öfter wie bisher die halbe Nacht„Skat spielten bzw.„geschäftlich unter. w e g s" waren.— Schließlich stellte der geschüftsgewandet« Liebes- doktor auch das Horoskop, indem er aus den käuflichen Büchern einfach das„aus den Sternen zu lesende Schicksal" abschrieb.— Das Gericht hielt den Angeklagten des Betruges in mehreren Fällen für schuldig und erkannte mit Rücksicht auf die Gemeingefährlichkcit seines Treibens, durch das schon viel Unheil angerichtet worden sei, auf 9 Monate Gefängnis.
Um öke Verpachtung stäötischer Güter. Seit Wochen beschäftigt sich die städtische Deputation für Güter und Forsten mll der Frage, ob nach der vom Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Verpachtung des bisher unrentabel gewesenen Gutes Tasdorf auch noch bei mehreren anderen Gütern der Stadt oder gar bei der Gesamtheit ihrer Güter zu diesem Mittel gegriffen werden soll. Unangenehm ist aufgefallen, daß sogar Administratoren sich um Pachtung derselben Güter bewerben, die unter ihrer bisherigen Leitung noch Zuschuß erforderten und daß sie jetzt trotz der von ihnen angebotenen hohen Pachtbeträge ans Ueberschuß rechnen. Eine große Gesellschaft ist an die Stadt
Der Ruf durchs Fenster. Roman von Paul Frank.
„Nicht so väterlich.. widersprach sie. In der nächsten Sekunde bog sie seinen Kopf energisch zu sich herab und küßte hin stürmisch auf den Mund. Er wich leise aus. Endlich gab sie ihn frei. Er sah in ihre schönen großen, grauen Augen, trennte sich ungerührt von ihrem Blick und ging. 5. Im Direktionsbureau des Deutschen Theaters in Riga herrschte reges Treiben. Ein älterer Mann mit weißem Wuschelkopf, der in einer Logenschließerlioree steckte und hier Faktotum zu sein schien, war ohne Rücksicht auf die um ihn sie? fließenden Gesprächs bemüht, ohne vor allem auf die Unterredung acht zu haben, die der Direktor hes Unternehmens, Herr Adrian Weißmasser, mit einem jüngeren Mann führte, die sehr erregt verlief, da es sich anscheinend um eine ent- scheidend wichtige Frage handelte, eine telephonische Berbin- dung herzustellen, die jedocb trotz unausgesetzten Klingelns und Bimmelns nicht zustande kommen wollte. Während das Faktotum inmitten des Höllenlärms, den es entfesselte, stumpf zu bleiben vermochte, schien dem Direktor, der ohnehin nicht in rosigster Laune sich bekand, das Geläute zu arg zu werden, so daß er eine Grimasse schnitt, die Ohren sich zu- hielt, in der nächsten Sekunde mit der flachen, rechten Hand auf den Tisch klatschte, worauf die Papiere nach allen Rich- trmqen hin aufflatterten und durcheinanderwirbelten, und schrie: „Werden Sie endlich mit dem verdammten Telephonieren zu Ende kommen, Fritz?" „Wenn ich aber doch keine Verbindung erhalte." er- widerte sanft das Faktotum, erneut die Kurbel drehend. „Ich habe aber hier dringende Angelegenheiten zu be- sprechen I" „Mit der Druckerei wollen der Herr Direktor aber auch reden!" „Seit einer Hasben Stunde schon!" „Wenn ich nun aber ebensolange schon keine Verbindung kriege... und am Abend sollen doch die richtigen Plakate kleben!" „Das müssen siel Sonst verklage ich den Schurken aus
Schadenersatz! Man muß doch auf die Empfindlichkeit der Künstler Rücksicht nehmen! Ich habe da schon die tollsten Dinge erlebt und könnte Ihnen gleich ein Stückchen von der Bernhardt erzählen, wie sie im Jahre Vier hier war..." „Fünf, Herr Direktor," ließ eine Stimme sich vernehmen. „Meinetwegen Fünf! Sie können recht haben, Diest !" rief der Theaterdirektor.„Ich bin auf alle Fälle gewitzigt. Wer weiß, was dieser Reuß für Geschichten macht, wenn er herkommt und sein Name auf allen Litfaßsäulen fehlerhaft ge- druckt ist! Möglich, daß er sich weigert, aufzutreten! Eitel sind die Herrschaften ja alle über die Maßen, und einen Sparren besitzen sie ja auch!" Hier geschab es, daß dem Faktotum heftig ins Ohr ge- klingelt wurde, so daß er für einen Augenblick die Ruhe ver- lcren zu haben schien: gleich darauf fragte er jedoch höflich, um was es sich eigentlich handle.„Jemand wünscht eine Loge für morgen abend, Herr Direktor.. „Ausverkauft! Soll ins Kartenbureau gehen. Hier im Hause gibts für die nächsten drei Tage keinen Sitz mehr! Und wenn Sie mir jetzt nicht bald den Drucker an den Apparat schleifen, setze ich Sie auf die Straße, und Sie können sich auf Ihre alten Tage um einen anderen Posten umsehen!" Fritz klingelte weiter, ohne daß eine solche Drohung auf ihn einen besonderen. Eindruck zu machen schien. Unterdessen setzte der Theaterdirektor die vorhin abgebrochene Unterredung fort:„Das ist natürlich ganz und gar ausgeschlossen, lieber Freund, daß ich für ein« einfache Zimmerdekoration diesen horrenden Preis bezahle. Wenn Sie mir hundertmal erklären: plastische Türen und Fenster! Wissen Sie, daß ich vor zehn Iahren noch ein ganzes Märchen mit diesem Betrag ausge- stattet habe? Ich weiß— natürlich— das waren damals andere Zeiten! Aber alles hat schließlich seine Grenzen, und ich kann meine Sitzpreise nicht weiter erhöhen! Die Einnahmen bleiben die gleichen, aber die Ausgaben steigen ins Unge- messene! Wer soll da eriltieren können? Haben Sie eine Ahnung von meinem Etat?" „Der Drucker ist am Avvarat!" meldete Fritz. Herr Adrian Weißwasser riß das Hörrohr mit raschem Griff an sich und eröffnete das Gespräch, das er mit auf- geregten, weit ausfahrenden Armbewegnngen begleitete. Während er gestikulierte und schrie, hatte sich die Tür geöffnet und ein iunger Mann war eingetreten, der zwei Schriftstücke auf den Schreibtisch des Direktors legte. Dieser überflog, was vor ihm lag, kritzelte seine Unterschrift auf die Papiere, worauf
der junge Mann mit den beiden Dokumenten wieder das Zimmer verließ, während Herr Adrian Weißwasser, den der Drucker endlich verstanden zu haben schien, durck) ein Glocken- signal das Gespräch beendet». Herr Karl Schlott, der Kassier, trat, eine schwarze Mapps unter den Arm g-klemmt, ins Zimmer.„Was fällt Ihnen ein?..." schrie der Direktor ihn an.„Unglücksmensch! Sie lassen die Kasse allein? Und wenn die Leute Karten kaufen wollen?" „Dann kriegen sie keine mehr." „Was fall das heißen?" „Zweitens sitzt meine Tochter unten." „Wollen Sie sich gefälligst deutlicher erklären?" „Wir sind bis Sonntag ausverkauft, Herr Direktor. Ein paar Kalerieplätze sind übrig: das ist alles.". „Schlott— lassen Sie sich umarmen!" „Wie käme ich dazu? Ich bin doch ganz unschuldig an dem Geschäft. Dem Reuß müssen Sie einen Kuß geben. Die Leute sind rein verrückt mit den, Gastspiel." „Daß der Mensch so eine Zugkraft ist, hätte ich nicht für möglich gehalten!" „Sie irren, Herr Direktor," ließ sick die Stimme Heinrich Heltens vernehmen, der in Riga das Fach der jugendlichen Helden besetzt und bisher schweigend sich verhalten hatte. „Albert Reuß ist ein ganz großer Künstler." „Ich danke für die Belehrung," rief der Direktor;„daß er talentierter ist als Sie, weiß ich ebenfalls!" „Der Rummel kommt einfach daher," setzte der Kassier erklärend hinzu,„weil das Gastspiel zweimal abgesagt worden ist. Bor allem aber darum, weil er noch nie dagewesen ist... Das nächste Mal wird das schon ganz anders fein!" Ein Diener öffnete die Tür und meldete:„Herr Albert Reuß." Der Direktor warf die Zigarre in die bereitstehende Schale, knöpfte eilig seinen Rock auf und dann wieder zu, während sämtliche im Zimmer anwesenden Herren von ihren Stühlen sich erhoben und den Blick erwartungsvoll zur Tür gerichtet hatten. Albert Reuß trat ein. Sein Pelzmantel war geöffnet. den Zylinder hielt er in der Hand. Er schien müde und sah blaß und übernächtig aus. Man merkte ihm die vielstündigs Eisenbahnfahrt an. Der Schauspieler ließ den Blick die Runde machen und zwang sich sodann zu einem Lächeln. (Fortsetzung folgt.)