rcn ausgeschaltet zu werden". In Wirklichkeit hat die Entente- Politik durch das Londoner Ultimatum und die Drohung mit Besetzung des Ruhrgebietes die Sozialdemokratie im Mai 1921 wieder in die Reichsregierung gezwungen. Die Sozialdemokratie mußte damals in die Regierung gehen, da- mit die Politik der versuchten Vertragserfüllung getrieben werden konnte, von der die USPD. fälschlich behauptet, daß sie deren Erfinderin und einzig wahre Vertreterin sei. Wir smd aber mit Ströbel der Meinung, daß unser Ziel bleiben muß, an Stelle der jetzigen Koalitionsbildung eine zu setzen, in der wir gesteigerten Einfluß haben, solange eine rein sozialistische Regierung auf demokratischer Basis im Reiche nicht möglich ist. Aber dazu gehört eben, daß die USPD . ihre unfruchtbare Politik aufgibt und uns Hilst, den sozialistischen Einfluß in der Regierung zu stärken. So sehr wir also im ein- zelnen die Ströbelsche Kritik für einseitig halten, so ist sein Buch doch die fleißige Arbeit eines Ringenden, der sich mit ganzer Seele nach der Durchsetzung von mehr Sozialismus sehnt. Wir brauchen solche Männer in allen sozialistischen Parteien. Die Unabhängigen aber können aus dem Buch Ströbels ersehen, daß in unserer Partei Platz ist für solche Kritiker. Sie sollten daraus eine Lehre ziehen: sie sollten Ströbel nachfolgen und wieder wie er in unsere Reihen zurückkehren, um in der alten geschlossenen Partei mit ihm für den Sozialismus nicht nur kritisch, sondern auch positiv zu wirken. Eine solche Einigung würde über die zahlenmäßige Vermehrung hinaus die Kraft des Proletariats innerhalb und außerhalb der Re- gierung außerordentlich stärken.
Reichstag unü auswärtige Lage. Der Aeltestenausschuß des Reichstags beschloß in seiner Dienstagsitzung, die G e n u a- D e b a t t e, die oberschlesische Angelegenheit und nach Möglichkeit auch die Debatte über die Reparationsverhandlungen in Paris noch vor Pfingsten zu erledigen. Der Auswärtige Ausschuß soll am Freitag und Sonnabend tagen. Auf der Tagesord- nung steht als erster Punkt die Reparationsverhandlungen in Paris . Da die Vorbereitungen zur Besprechung des deutsch - polnischen Vertrages infolge der noch nicht abgeschlossenen Uebersetzung bisher nicht erledigt sind, ist geplant, auch am Sonntag eine Sitzung des Auswärtigen Ausschusses zur Er- örterung der oberschlesischen Angelegenheit abzuhalten. Am Montag und Dienstag soll die große politische Debatte im Plenum des Reichstages erfolgen. Als Frak- tionsredner ist Genosse Hermann Müller in Aussicht ge- nommen. In allen Parteien besteht die Absicht, spätestens bis zum Mittwoch, den 31. Mai, die dritte Lesung der Etats zu be- endigen, so daß der Reichstag sofort in Pfingstferien gehen kann. Sollten sich Schwierigkeiten ergeben, dann ist eine Weiterberatung über den Mittwoch hinaus nicht ausgeschlossen. Der Wiederzusammentritt nach den Pfingstferien ist für den 13. Juni geplant. Am 23. Juni sollen die großen Sommer- ferien beginnen._
Koalitionsministerium in öraunfchweig. Braunschweig , 83. Mai. (Eig. Drahtbericht.) In Braun- schweig ist die große Koalition Tatsache geworden? Am Dienstag nachmittag wählte der Landtag die Genossen Dr. Jpsper und Steinbrecher, den Demokraten Rönneburg und den Fuhrer der Deutschen Volkspartei Käfer zu Ministern. Diese neue Regierungskoalition wurde erzwungen durch das Ver- bleiben Oerters im Landtag, der die schwache sozialistische Stimmenmehrheit jederzeit in Stimmengleichheit umwandeln kann, wie er das beim Sturz der letzten Regierung bereits ge- tan hat. Der Antrag der Unabhängigen, den Landtag aufzu- lösen und Neuwahlen anzuberaumen, wurde abgelehnt. Inter- essant ist, daß sich die USP. in dieser Frage zusammenfand mit den Deutfchnationalen und der monarchistischen Nieder- sachsen-Partei.
„Nicht einsteigen!" Eine Bahnhofsvision von Max Prel». Dumpf und schwer lastet die Bahnhofshalle über den Köpfen von Hunderten. Ein Riesenkerker, der die Stattgebundenen, Arbeit. verketteten, umspannt. Wagen an Wagen— und an der Spitze dampft ungeduldig, kraftbewuht, zum Sprung ins Weit« bereit, der Entfesselungskünstler— die Maschine. Ein schönes Zittern ist schon in ihrem Leib, der so blank glänzt und so straff wie die Haut edler Tiere ist. In wenigen Minuten wird sich dieser Lokomotiven- leib recken, wird mit einem beglückten Stöhnen in den Rhythmus einfallen, den die Musik feiner Kraft singt. Und mit den ersten Stößen der Zylinder werden die Ketten fallen, die hundert Men- schen der Zylinder werden die Ketten fallen, die hundert Men. der Befreiung, über der festlich die braune Fahne des Rauches schwebt. Die Wagen hängen an der Lokomotive, so wie sich Blinde an die Rockschöße des sehenden Führers klammern. Und in die Wagen klettern, hoffend, geborgen die Menschen. In weiße Schlafwagen- betten und aus harte Bänke dritter Klasse ergießt sich gleiche Freude, gleiche Spannung. Die Maschine dort vorne wird die Müdigkeit zerarbeiteter Menschen und die kühl beherrschte Gier satter Bummler in di« Freiheit einer Nacht hinausreißen, in das ver- dunkelte Panorama oorbeiflatternder Landschaften. Immer neue Menschenpünktchen sickern durch das Sieb der Bahnhofsperre. Wie Schatten umtanzr sie ihr Gepäck. Ob es seidene Pyjamas oder graue Röcke birgt— eines ist in die Koffer und Taschen immer ver- packt: der gleiche, sammtene Mantel des Glücks, der köstlichen Un- ruhe, ein unsichtbarer Reisemantel, bestickt mit den blauen Orna- menten des Abenteuers. Am Ende der Wagenreihe steht ein Waggon. Er klammert sich nicht mit den Puffern an seinen Vordermann. Aus seinen Fenstern tropft nicht das Licht der Erwartung. Dunkel und traurig, ver- gessen und lahm.steht dieser Wagen, tot, hoffnungslos, auf dem Gleis. Und damit ihn ja niemand mit den anderen Wagen ver- wechsele, trägt er, quer über den Zugang gespannt,«ine Tafel mit der Aufschrist: „Nicht e i n st c i g e n! Wagen bleibt hier." Wie ein Aussätziger steht der Wagen da, dem man zu Beispiel und Warnung seine Krankheit auf den Leib gemalt bat. Summen und Surren, nervöse Siqnale, hohle Rufe, gellend« Laute, anpreisende Stimmen. Wellenspiel flutender Menschen und Ichwirrender Geschäftigkeit. Fast sanft legt sich all diese Fülle auf Ohr und Sinne. Und entführt in einen willenlos ermattenden W a ch t r a u m. Durch das enge Maschennetz der Dahnhofsperre schlüpfen wie Schatten seltsame Gestalten. Schwere Ballen und Koffer lasten «uf ihren Schultern. Und auf den Koffern steht mit blasser Kreide hingeschrieben: Not— Elend— Krankheit— Wandersehnsucht— Echönheitswille— all die schleppenden, schleichenden Gestalten huschen in den letzten Wagen, der mit dem Warnungsruf„Nicht einsteigen! Wagen bleibt hier!" ohnmächtig gegen ihren Ansturm sich wehrt. Ich frage den einen der seltsamen Passagiere:„Wer sind Sie,
Die SPD. hat mit ihren zwölf Mandaten, die 21 bürger- lichen Sitzen gegenüberstehen, ebensoviel Minister im neuen Kabinett wie die Bürgerlichen . Außerdem ist durch die Schaffung dieser Koalition der Bürgerblock, genannt Landes- wahlverband, in zwei Teile gespalten worden. Die Schlagkraft des Bürgertums wird dadurch keineswegs gestärkt. vraunschweig. 23. Mai.(MTB.) Zu Beginn der heutigen Landtagssitzung gab der Präsident bekannt, daß sich die Fraktion des Landcswahloerbandes in eine Fraktion der Deutschnationalen Bolkspartei mit 8 Abgeordneten und ejne Fraktion der Deutschen Volkspartei mit 15 Abgeordneten gespalten habe. Nach der Ab- lehnung des Antrages der Unabhängigen auf Auflösung des Land- tages und Neuwahlen, der nur die Unterstützung der K o m m u- n i st e n und der Deutschnationalen Volksportei ge- funden hatte, verlas der Abg. Junker eine Erklärung der U n a b- h ä n gi g e n, worin das Verhalten der SPD. bedauert und jede Koalition mit den Bürgerlichen abgelehnt wird. Nur keine Geschichtsfälschung. Aus Braunschweig schreibt man uns: Kaum daß die neue Regierung in Braunschweig gebildet ist, gehen die Geschichtsfälscher an die Arbeit. Die Sache wird jetzt schon so dargestellt, als habe die SPD. böslich die proletarische Einheitsfront oerlassen, um sich„mit Stinnes zu ver- bünden". Es wird so getan, als fei noch die Möglichkeit vorhanden gewesen, wieder eine rein sozialistische Regierung zu bilden. Diese Möglichkeit besteht zurzeit in Braunschweig nicht! Die Bildung eines rein sozialistischen Kabinefts wäre zur- zeit nur möglich mit Oerters Hilfe. Und das so zustande gekommene Kabinett bliebe auch ständig von Oerters Wohl- wollen abhängig. Daß unter diesen Umständen jeder Ge- danke an ein rein sozialistisches Ministerium fallen mußte, haben die Unabhängigen ursprünglich selbst gefühlt und in ihrer übereilten Entschließung-vom 6. Mai(die den einzigen Ausweg in der Auf- lösung des Landtags erblickte) auch deutlich ausgesprochen. Es hieß darin" u. a., durch den Uebertrift Oerters auf die Seite der Bürger- lichen sei„der sozialistischen Regierung die Basis entzog en". Das habe sich am 4. Mai„klar gezeigt" und werde sich„fortgesetzt aufs neue herausstellen". Es bleibe daher nur die Auflösung des Landtags. Dieser Beschluß, der, nebenbei bemerkt, von der USP. ohne Fühlungnahme mit ihrem bisherigen Verbündeten, der SPD. , gefaßt wurde(!), war natürlich ein arger Fehler. Die USP. hat durch ihr unbesonnenes Handeln sich selbst um allen Einfluß gebracht und ihren Bundesgenosien in schwierigster Lage allein gelassen. Ein plumper agitatorischer Trick ist es nun, wenn sie der SPD . Verrat vorwirft, weil diese nicht vor Eingehen der großen Koalition erst noch den Versuch gemacht habe, trotz Oerter eine rein sozialistische Regierung zu Hilden . Die USP. selbst hat ja diesen Weg als ungangbar bezeichnet.� Sie hat es nur leider versäumt, aus dieser Erkenntnis die rich- tige Folgerung zu ziehen. Politik ist die Kunst des Möglichen. Und ein guter Ausweg stand noch offen. Warum hat die USP. versagt, als die Fraktion der SPD . ihr die Bildung eines Links- b l o ck s(Unabhängige bis Demokraten) vorschlug, der eine sichere Mehrheit von 34 Sitzen(gegen 26) gehabt hätte? Ein Ministerium aus einem Demokraten und vier Sozialisten wäre doch am Ende eine annehmbare Lösung gewesen. Diesen Vorschlag haben die Unabhängigen mit Spott und Hohn abgelehnt. Die USP. also ist es, welche die SPD . Im Stich gelassen hat, und nicht umgekehrt.
Der Kampf um Drot unü ffcbeit. Auch im Mittelpunkt der gestrigen Reichstagssitzung stand derKampfzwischenArbeitundKapital. Es war ein interessanter Moment, als der Vertreter des Zentrums Abg. K o r-t h a u s sich als Ankläger des Kapitals auf die Tribüne begab. Sehr richtig bemerkte er:„Bei den Kartellen des Großhandels scheint man den Boden der Wirklichkeit völlig verlassen zu hoben. Die Syndikate haben vielfach die Zwangs- Wirtschaft abgelöst." Sehr richtig folgerte er:„Der Terroris-
mein Herr?" Und höre aus unwirklichem Munde die hohle Ant- wort:„Ich bin krank und kann nur in reiner Luft Genesung fin- den." Und frage weiter:„Wohin reisen Sie, Nebe Frau?" Und höre:„Zu meinem Sohn, er ist krank und braucht meine Hilfe." Ein Dritter sagt:„Weit fahre ich, ich will noch einmal meine Mutter sehen." Ein Vierter:„In die Welt fahre ich, pflücke mir von der Weite und dem Duft der Ferne die Anregung für ein neues Werk. Schaffen will ich! Schaffen! Nicht im einerlei verkommen!" Ganz blasse Kinder lächeln weihnachtsfroh einem Märchen entgegen. Unendlich schwillt der Strom, spült die Bahnhofsperre fort, ergießt sich in den letzten Wagen. „Meine Herrschaften", warnt die Untertanenstimme in mir, „Ihre Billette sind ja gar nicht geknipst." Da ruft der Chorus der Passagiere des letzten Wagens:„Wir haben keine Billette, wir haben den Freifahrtschein der Not, des Müssens, des Triebes !" Und plötzlich ist mir in dem Dämmer meines Halbtraumes, als führe der Zug nicht der Hunderte wegen, die in den erleuchteten Wagen sitzen, in die Nacht hinaus, als wäre feine dampfende und stampfende Lokomotive nur wegen dieses einen mit Taufenden und Tausenden gefüllten letzten Wagens da. Ich schmiege mich an den letzten Waqen, als könnte ich ihn: die Schwungkraft geben, den anderen, die gleich entrollen werden, zu folgen. Und fühle nur: Kein Wagen kann so schwer sein wie dieser. Plötzlich löst sich Rotes von meinen Augen. Höhnisch rotes Licht gleitet äffisch lachend von mir fort. Der Zug wälzt sich in die Nacht. Mein Traum fällt klirrend zu Boten wie eine Blumen- vase, und im Ruß verenden seine Blüten. Ich knete erwachend die Stirne. Sehe befangen in den letzten Wagen. Der steht tot und hoffnungslos auf dem Gleis. Und eine Tafel erzählt:„Nicht einsteigen! Wagen bleibt hier." Hinter dunk- len Fenstern' ist alles leer. Eine Stimme sagt:„Die Bahnsteigkarte...!" Ach so, die Bahnsteigkarte,... und es gibt plötzlich wieder eine Bahnsperre, und ich gehe durch sie, und um mich ist dos Scharren von tausend müden, unsichtbaren Füßen, und hinter mir steht sinnlos und zwecklos ein leerer, finsterer Wagen mit der Auf- schrift:„Nicht einsteigen!"
Die Höfe als Vflcgesläften des Aberglaubens. Man schreibt uns: Bon Wunderdoktoren und Wunderkuren weiß Dr. Hans Rohden in Nr. 235 zu berichten. Ich möchte daran die Be- mcrkung knüpfen, daß solche Erscheinungen auch an Fürstenhöfen nichts Seltenes sind. Für Preußen kommt dabei besonders der Hof Friedrich Wilhelms II. in Betracht. Als dieser von Günst- lingen und Mätressen beherrschte, dem Wunder- und Geisterglauben zugetane Mann 1737 infolge seines ausschweifenden Lebenswandels auf dem Sterbebette lag, strömten aus allen Gegenden Wunder- doktoren herbei, um an ihm ihre Künste zu versuchen. Unter ihnen befand sich der vielberufene Magnetiseur de Beaunnoir aus Paris , dessen Rezepte noch erhalten sind. Er verordnete dem König beständiges Anhören von Musik von Blechinstrumenten(Streich- instrumente wurden streng verbannt), Schlafen zwischen zwei ge- sunden und heiteren Kindern im Alter von acht bis zehn Jahren,
mus der Kartelle muß mit harten Maßnahmen gebrochen werden, wenn es im Guten nicht geht." Daß es im Gutenl nicht g e h t, hat die Praxis zur Genüge erwiesen. Warum zieht also das Zentrum nicht die Konsequenzen aus seiner Er- kenntnis? Warum entschließt es sich nicht ernstlich zu einer klaren, geraden Konsumentenpolitik? Hier stehen Erkenntnis und Wille im Gegensatz zueinander. Wenn man dem Terrorismus der Kartelle wirklich zu Leibe gehen will, darf man die Hände nicht in die Hosentaschen stecken. Wie sich so ein rechter Vollblutvertreter des Kapitalismus die Wirtschaftspolitik vorstellt, zeigte der Volksparteilex G i l d e m e i st e r, der aus Erfüllungspolitik, Betriebsrats- Wirtschaft, Achtstundentag und— unter dem Vergrößerungsglas der Weltwirtschaft betrachtet!— zu geringe Verdienste schimpfte. Ja freilich, wenn sie könnten, wie sie wollten! Es ist gut, daß sie nicht allein Herren im Hause sind und daß Bremser auf oem Sperrbock sitzen. Was die Abgg. Simon- Franken(USP.) und H ö l- lein(Komm.) im Verlauf der Sitzung in die Debatte warfen, war zum Teil Material, das unter durchaus richtigen Gesichts- punkten gesehen war, aber was nützt das, wenn man sich zeit- weilig in die Rolle des rasenden Roland vertieft und im übrigen den Nörgler spielt, der zwar elegant in die Suppe zu spucken versteht, aber sie in keiner Weise schmackhafter machen kann. An die Auseinandersetzung über die Wirtschaftspolitik schloß sich eine Debatte über das L e h r l i n g s w e s e n, im Verlauf deren Genosse Krüger noch einmal energisch gegen die Lehrlingszüchterei auftrat und den nützlichen Vor- schlag machte, die Lehrlinge unter den Schutz der Ge- werkschaften zu stellen. Staatssekretär Hirsch sagte im Namen der Regierung zu, im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftsförderung der Ausbildungsfrage der Lehrlinge näherzutreten. Er verbreitete sich dann des näheren über den Gesetzentwurf über das Lehrlingswesen.(Vgl. weiter unten.) Genosse Hoch ersuchte, bei der Einzelberawng die S t a- t i st i k über die G e w i n n e der A k t i e n g e s e l l s ch a f t e n wieder einzuführen. Der Präsident des Statistischen Reichs- omtss erwiderte, die Statistik müsse auf andere Grundlagen ge- stellt werden, da man nicht mehr mit dem Goldwert rechnen könne. Die Erwägungen über den neuen Modus schweben noch. Darauf vertagte sich das Haus auf Mittwoch, 11 Uhr: Weiterberatung, Reichswirtschaftsrat, Finanzministerium und weitere Etats. Schluß gegen 7 Uhr. Ein Gesetz über üas Lehrlingswesen. Das Gesetz über das Lehrlingswesen ist, wie Staatssekretär Hirsch im Reichstag ausführte, ein Rahmengesetz und versucht, das gesamte Lehrlingswesen in Handwerk, Industrie und Landwirtschaft. wenn möglich auch in der Hauswirtschaft zu regeln. Der Entwurf will den Jugendlichen in weitem Umfange berufliche Ausbildung zuteil werden lassen und gibt die Grundsätze für ihre Beschäftigung. Die Regelung des Lehrverhältnisses bleibt den beteiligten Berufs- ständen, den Handwerks-, Handels- und Landwirtschaftskammern vorbehallen. Bei Erfüllung dieser Aufgaben sollen Arbeit- geber und Arbeitnehmer völlig gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Lehrlingszüchterei soll sich nicht weiter ausbilden können, und nur solche Betriebe sollen Lehrlinge anleiten dürfen,'die zur Ausbildung wirklich geeignet sind. Die Entscheidung sollen die berufs ständischen Vertretungen fällen. Auch das Lehrlingsprüfungswefen soll ausgebildet und die Landwirtschaft ermächttgt werden, für gewisse Berufszweige die Lehrlingsprüsung einzuführen. Schließlich enthält das Gesetz Vor- schriften über die Beschäftigung von Lehrlingen und Jugendlichen in solchen Bureaus, die der Gewerbeordnung nicht unterstehen. Weil das Lehrverhältnis kein reines Arbeitsverhältnis sein kann, soll die Ausbildung auch die Erziehung umfassen, die aller- dings den heutigen Anschauungen entsprechen muß. Diesen An- schauungen entspricht nicht das Recht zur Züchtigung, das beseitigt werden muß. Zur Qualitätsarbeit, die wir gebrauchen und erstreben müssen, gehört eine gründliche gewerbliche Durch- bildung des Nachwuchses.
deren Ausdünstung besonders heilsam sein sollte, und den Anblick junger Katzen, die mit jungen Hunden spielten. Andere ließen den König dauernd auf Kissen und Polstern aus Haut neugeborener Kälber ruhen. Freilich geschah dies noch im achtzehnten Jahrhundert, wo neben der seichtesten Aufklärung Wunderglaube und Mystizismus auf der Höhe standen und Alchymisten, Rosenkreuzer und Illumi- naten ihr Spiel trieben. Doch haben auch später Wunderdoktoren sich viel an Höfen betätigt. Besonders von sich reden machte der S ch u h- macher Lampe in Hannover . Dieser schlichte Mann aus dem Volke hatte auf der Wanderschaft im Gebirge die Heilkraft ge- wisser Kräuter, namentlich bei Magenverstimmungen kennen gelernt, braute aus ihnen Elixiere, trat als Wohltäter der Menschheit auf, der alle möglichen Leiden beseitigen wollte, und fand auch bald großen Zuspruch. Auch der blinde König Georg V. , Hannovers letzter Beherrscher, wurde auf ihn aufmerksam, berief ihn an seinen Hof und schenkte ihm sein Vertrauen. Lampe nützte dies gründlich aus und tyrannisierte mit seinen Wunderkuren den König, seine Familie und seine sonstige Umgebung. Beim Zusammenbruch des Welfen-Thrones im Jahre 1866 war es auch mit seiner Herrlichkeit vorbei. Doch hatte seine Praxis ihm genug eingebracht, um ihm ein sorgenfreies Dasein zu sichern. Wir besitzen zahlreiche zeitgenössische Karikaturen von ihm, die ihn zuweilen mit Anspielung auf seinen Namen in Hasengestalt darstellen. Zu den neuesten Erscheinungen auf diesem Gebiete gehört das Wirken des Wundermannes Rasputin in Rußland , der auf den letzten Zaren gewaltigen Einfluß besaß, aber am Ende des Jahres 1316 von einer Gegen- partei aus der Petersburger Aristokratie ermordet wurde, m. sab. Geistige Hygiene. Zwischen dem 1. und dem 4. Juni wird in Paris ein Kongreß tagen, der die Fragen der seelischen Hygiene erörtern soll. Der Gedanke ist von einem Dx. Toulouse ausgcgan- gen. Die französische Regierung hatte schon vorher eine Kommission mit ähnlichen Zwecken eingesetzt. Da aber Toulouse den Eindruck gewann, daß diese die in sie gesetzten Hofsnungen nicht erfülle, rief er eine Privatgesellschaft ins Lebens, die größere Bewegungsfteiheit besitzt. Sie vereinigt nicht nur Psychiater und andere Aerztc, son- dern auch interessierte Laien aller Art, besonders Pädagogen und Schriftsteller, und arbeitet in nicht weniger als 9 Abteilungen. Unter anderem will man Kliniken für psychisch Kranke ins Leben rufen, wie sie bereits anderwärts geschaffen worden sind. Eine andere Abteilung hat es sich zum Ziel gesetzt, Personen mit kriminellem Einschlag beizustehen. Der Psychotechnik schenkt man ebenfalls besondere Aufmerksamkeit.— Toulouse weist darauf hin, wie viele körperlich Kranke oder Gebrechliche dennoch ihre bürger- lichen Verpflichtungen zufriedenstellend erfüllten, während die Arbeit eines Menschen, der an psychischer Depression leide, fast immer dadurch stark beeinträchtigt werde. Die Anforderungen der körper- lichen Hygiene seien eben bekannter und fänden mehr Berücksichti- gung als die der seelischen. Für eine körperliche Krankheit Heilung zu finden, sei auch in vielen Fällen leichter. Es niüsse Pflicht jedes Landes fein, der seelischen Hygiene ebensoviel Fürsorge angedeihen zu lassen wie der körperlichen, um so mehr, als die Verhältnisse in allen Ländern größtmögliche Arbeitsergebnisse und geistige Gesund- heit der Völker dringend forderten. Von dem Kongreß verspricht man sich erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ländern, in denen ähnliche Bestrebungen bereits im Gange sind, so besonders mit Amerika .