halten keinerlei politische Bestimmung oder Abmachung, aus der irgendeine dritte Macht eine Gefahr oder eine SchmSlerung seiner Rechte herleiten kann. Vielfach wird besonders der Zeilpunkt des Vertragsabschlusses als eine Drohung aufgefaßt. Das ist vollkommen unzutreffend, da der Vertrag in seinen Grundzügen längst vor Genua festgestellt war: Deutschland wollte kurz vor Genua jede Sonderaktion vermeiden. In Genua fand es sich von den Verhandlungen mit Rußland ausge- schloffen, wir sind bloß einmal zu einer Sitzung einer Subkommission zugelassen worden, wo das Londoner Memorandum als VerHand- lungsbasts vorgelegt wurde. Vom Dienstag bis Sonnabend in der Osierwoche waren die wiederholten Vorstellungen Deutschlands oer- geblich. Lloyd George hat in femer großen Unterhaus-Rede den Rapallo-Vertrag einen schweren Fehler genannt. Es wird davon abhängen, von welchem europäischen Gesichtspunkt aus man den Verrrag als Fehler bezeichnet. Lloyd George hat im einzelnen aus- gesührt, daß gerade die Stimmung, in die das deutsche und russische Volk versetzt worden sind, zu solch einem Schritt habe führen müssen. 5>at die Stimmung zu dem Vertrag führen müssen, dann liegt der lkrtum nicht aus unserer Seite(lebhafter Beifall), dann liegt er in dem taktischen Vorgehen der Alliierten selbst. Ich kann nur wieder- holen, was ich in Genua gesagt habe, daß der Rapallo-Vertrag keinerlei Rebenabsichten enthält, sondern nur den Willen zweier großer Nachbarreiche regelt, die im Frieden und Arbeit des gegenseitigen Wiederaufbaus zu- srnnmenleben wollen und zu diesem Zweck einen Strich unter die Vergangenheit machen wollen. Es handelt sich um einen Friedens- vertrag zwischen zwei Völkern, denen es immer gut gegangen ist, solange sie sich verstanden haben.(Lebhafte Zustimmung.) Das be- deutet aber auch eine Brücke zwischen Ost und West in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung zum Wohle beider Staaten, und es ist interessant, daß der Rapallo-Vertrag bei den Arbeitern der ganzen Welt als erstes wahres Friedensmerk nach der großen k-ataslrophe anerkannt und gewürdigt worden ist. Der Vertrag be- deutet aber auch eine Nichteinmischung in die inneren parteipolitischen und sozialen Verhältnisse eines anderen Landes. Lloyd George hat die Nachrichten, die über ein gemeinsames Militärabkommen, das neben dem Rapallo-Vertrag bestehen soll, in Ilmlauf sind, in das Neich der Fabel verwiesen, und ich erkläre nochmals feierlich, daß der Vertrag gar keinen geheimen Zusah enthüllt und damit auch kein militärisches Abkommen. Jede anderslautende Behauptung ist eine böswillige Verleumdung, Lic dem ersten Friedenswerk, das in Europa überhaupt abgeschlossen ist, Schwierigkeiten bereitet.(Leb- hafte Zustimmung.) Wir beabsichtigen, den ganzen Vertrag dem Hause -ur Diskussion im Rahmen der verfassungsmäßigen Notwendigkeit oemnächst mit der Bitte um Genehmigung vorzulegen. In Genua ist ein Problem, das auch im Rapallo-Vertrag berührt i<t, das gesamte Verhältnis zum Osten zu regeln, nicht zum Abschluß gekommen, nicht durch unsere Schuld, sondern wir mußten nach dem Willen der Alliierten abseits stehen, nachdem wir mit Rußland in ein geordnetes Verhältnis gekommen waren. Wir haben wiederholt konstatieren können, daß sowohl Rußland wie die Westmächte i n s e r e Vermittlung, in der wir sozusagen hineingewachsen sind, dankbar anerkannt haben. Wir haben versucht, eine Drücke zu schlagen zwischen der westlichen und der östlichen Auffassung. Das Werk ist nicht zum Abschluß gekommen, es wird fortgesetzt durch eine Tagung der Sachoer st ändigen im Haag. Wenn es gewünscht wird, aber nur wenn es gewünscht wird, sind wir bereit, unsere Vermittlerrolle weiter ehrlich und aufrichtig zu spielen. Alle, die es sehen wollten, konnten schon in Genua feststellen, d a ß e s uns ernst ist, uns mit den anderen Nationen zu verständigen, und auch einer Verständigung anderer Staaten untereinander zu dienen, wenn wir dazu ausgerufen werden sollten. Neben der Nussenfrage sind, wenn auch nur andeutungsweise, auch andere Fragen zur Diskussion gestellt worden. Der Gedanke des Gottesfriedcns hat leider keine Gestalt angenommen. In dem Sinne, wie sie vor» geschlagen war, würde die Treug» Dei eine sehr schmerzliche Sache für das deutsche Volk gewesen sein. Kann tnan ganz Europa und allen Völkern den Frieden geben, das deutsche Volk aber einer Sanktionspolilik aussetzen?(Lebhafte Zustimmung.) Ist dies der Gottcsfriede, der diesem unglücklichen Erdteil wieder neue Wohlfahrt und neues Leben zuführen soll? Der Gedanke ist wieder in den Hintergrund getreten, die Welt war noch nicht reis für den Gedanken, daß ein wirtschaftlicher Wiederauf. bau Europas mit Gewalt nicht möglich ist. Die zustandegekommenc Treuxa Oer in kleiner Form ist wenigstens ein kleiner Schritt
vorwärts auf dem Weg« zur Befriedigung Europas . Wir wollen dazu helfen, diesem Gedanken festere Gestaltung zu geben, aber dann muß in der Reparationsfrage, die mit der Sank- tionssrage eng zusammenhängt, von der unglückseligen Politik aus Termine Abstand genommen werden.(Lebhafte Zustimmung bei der Mehrheit.) Eine Politik aus Termin und dahinter die Drohung mit brutaler Gewalt ist der Tod jeder Treu�o Dei.(Neue lebhaste Zustimmung.) Die Erregung, die angesichts des 31. Mai das deutsche Volk ergriff und die vielleicht eine künstlich gewollte Mache gewesen ist(Sesü richtig!), kann als überwunden angesehen werden. Jetzt handelt es sich darum, nicht allein über den 31. Mai hin- wegzuschreiten, sondern die großen Ziele der europäischen Politik mit den Verhandlungen zu verbinden, die in Paris zurzeit geführt werden. Wie es gelang, die Schwierigkeiten der Genua -Konferenz zu überwinden, so müssen auch die nächsten Wochen überwunden werden, und am Ende muß eine Regelung stehen, die für das Volk überhaut das Leben ermöglicht. Die Sanktionspolilik fortführen heißt den Geist von Genua verneinen und den Geist der Zerstörung bejahen. Die Ergebnisse der Konferenz sind nicht allzu zahlreich und in den Lösungen klein und bescheiden. Aber.n der großen Katastrophe ist auch ein kleiner Schritt vorwärts bedeutsam. So bitten wir Sie nun, den Vertrag von R a p a l l o als«inen Friedensoer. trag zu würdigen und unsere Fühlungnahme mit den leitenden Staatsmännern der Welt, mit Publizisten und Politikern aller Na- tionen, ebenfalls als einen Fortschritt zu würdigen. So bitten wir Sie ferner, in das Reich des Fortschritts auch den kleinen Schritt einverleiben zu wollen, den wir durch unsere Arbeit getan haben, die darauf gerichtet war, den Osten und Westen einander näherzu- bringen, und schließlich bitten wir, unser« Politik zu unterstützen, damit die Hoffnung auf Befriedigung Europas sich erfüllen kann und damit auch die Hoffnung auf einen wirklichen Frieden des deutschen Volkes.(Lebhafte Zustimmung bei der Mehrheit.) fibg. Hermann Müller-Franken(603.): Im englischen Parlament hat der Sprecher d«r engli- schen Arbeiterpartei die Wurzel des Uebels, das einen besseren Erfolg in Genua verhinderte, bloßgelegt, indem«r darauf hinwies, daß das mangelhaste Ergebnis daher rühre, daß di« R e- p a r a t i 0 n s f r a g e von der Behandlung ausge- schlössen wurde. Er hat auch mit erfreulicher Deutlichkeit aus- gesprochen, daß die Wurzel unseres Uebels im Versailler Vertrag zu suchen ist, den er vor wenigen Wochen als Kriegs- oertrag charakterisierte. Unsere Hoffnungen auf Genua waren von vornherein sehr niedrig gestimmt, weil das Thema außerordentlich beschränkt worden ist. Nur der Beharrlichkeit von Lloyd Georg« ist es zu danken, daß die Konferenz überhaupt durch- geführt werden konnte. Die Konferenz hat ebenso wie die von Washington gezeigt, daß die französische Regierung, g«- stützt auf die Kammer des nationalen Blocks, das H a u p t h i n d e r« nis zur Befriedigung europäischer Verhältnisse ist.(Sehr richtig! bei den Soz.) Wir Sozialisten haben die Pflicht, das offen aus- zusprechen, um so mehr, weil wir immer dafür eingetreten sind, daß ein Akkord zwischen dem französischen und deutschen Volke zustande gebracht wird, der Europa vor neuen Katastrophen ver- schont. Vorläufig aber hat der Geist des Militarismus in Frankreich noch die Vorherrschaft.(Hört! hört! bei den Soz. und rechts.) Wir bedauern das, wie es sich in Genua auch wieder gezeigt hat, absichtliche Verletzen der Deutschen , diese Provokation eines wehr- losen Volkes, die im Grunde genommen den Nationalismus in Deutschland stärkt.(Lebhafte Zustimmung links.) Ich habe aber die Ueberyeugung. daß die neutrale Welt den Unterschied zu werten weiß, der zwischen einer Politik, die den Haß aus der Kriegszeit in die Friedenszeit übernimmt und iener Politik, di« bestrebt ist, am materiellen und moralischen Wieder- aufbau Europas zu arbeiten, besteht. Die Beschränkung der Tagesordnung der Genuese? Konferenz machte es unmöglich, praktische Resultate nach Hause zu bringen. Aber die Fühlungnahme mit den Staatsmännern anderer Länder ist doch für uns außerordentlich wichtig gewesen. Auch in den K o m- Missionen ist brauchbare Arbeit geleistet worden, die uns Deut- schen allerdings keine neue Erkenntnis gebracht hat, weil wir die dort zutage getretenen Auffassungen seit dem Versailler Friedens- vertrag schon unzählig« Male den verschiedensten politischen und Finanzkonferenzen der Welt vorgelegt haben. Es wird die Haupt- fache fein, daß diese Beschlüsse der Kommissionen sich praktisch aus- wirken, besonders in den Verhandlungen, die augenblicklich in Paris gesührt werden. Es wird wirklich Zeit, daß bei diesen Berhandlun.
gen die notwendige Rücksicht auf die Länder mit passiver Handels- bilanz genommen wird, wenn nicht Verhältnisse wie in Oester» reich und Rußland in Deutschland Platz greifen sollen. Wir wissen, daß es außerordentlich schwer halten wird, unsere schwebende Schuld von 2S0 Papiermilliarden zu stoppen, aber wir mssen auf diesem Gebiete leisten, was wir überhaupt leisten können. Nur dann werden wir das Vertrauen der großen internationalen Finanzwelt erwerben.(Sehr richtig! bei den Soz.) Wenn aber einem Volke Lasten auferlegt werden, die seine Kraft übersteigen, dann wird seine Leistungsfähigkeit gehemmt, sie wird aber gesteigert, wenn sich diesem Volke ein Ausweg der Rettung zeigt.(Allseitige lebhafte Zustimmung.) Diese Binsenwahrheiten möchten endlich bei den internationalen Finanzvcrhandlungen in Paris ihre Berücksichtigung finden. Man sollte einsehen, daß aus einem Volke, das keinen Kredit mehr findrt, auch mit dem Säbel kein Gold herauszuschlagen ist.(Erneute lebhafte Zustimmung.) Der Vertrag von R a p a l l o hat in der Welt das größte Aufsehen erregt, aber er hatte seine Ursache nicht zuletzt darin, daß zeitweilig in Genua selbst gegen den Geist von Genua verstoßen worden ist.(Sehr richtig! bei den Soz.) Die Verhandlungs- Methode der Entente mußte die Tendenz in sich tragen, zwei Länder zusammenzuführen, die sich von einer gemeinsamen Gefahr bedroht glaubten.(Sehr richtig!) Die breiten Massen in Deutsch - land haben diesen Vertrag so freudig aufgenommen, weil sie ganz instinktiv fühlten: Hier ist ein wirklicher Friedens- vertrag abgeschlossen worden.(Sehr richtig! bei den Soz.) In diesem Vertrag steckt nichts von den Verträgen von Brest-Litowsk , von Versailles und Saint Germain, und das ist es gewesen, das ihm die Sympathien der breiten Massen der beiden Völker eintrug. Wenn Staatsmänner anderer Länder einen Vertrag im selben Geist abschließen, so werden die Völker der ganzen Welt ihn mit derselben Sympathie begrüßen, wie das deutsche und das russische Volk den Vertrag von Rapallo.(Sehr richtig! bei den Soz.) Die Enlenke- Staatsmänner brauchen nur hinzugehen und dos gleiche zu tun. Wir haben das größte Interesse daran, daß Rußland.auch mit anderen Staaten zu ähnlichen Verträgen kommt, denn der russische Wiederaufbau kann nicht allein mit deutscher Arbeit bewerkstelligt werden. Lloyd George hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Gesundung Europas so lange nicht kommen wird, solange das Hundertmillionenvolk der Russen nichr wieder als Produzent erscheint. Hätten die Ententestaaten in den letzten beiden Jahren gegenüber Rußland die Politik getrieben, die wir im November ISIS begannen, indem wir es ablehnten, uns an der Blockierung Rußlands zu beteiligen, so hätte der Wiederausbau der Welt schon größere Fortschritte gemacht. Hassent- lich kommt man im Haag zu der von uns empfohlenen Kurs- änderung. Gegen den Vertrag von Rapallo haben wir nichts einzuwenden. Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem sagen, daß wir an einem etwaigen Auflösungsprozeß auch an einem Sturz der Sowjets kein Interesse haben, weil das nur den Heilungs- prozeß außerordentlich erschweren und auf weitere Jahre hinaus dem europäischen Wiederaufbau schweren Schaden zufügen würde. (Zustimmung bei den Soz.) Wir hatten allerdings Bedenken über Zeitpunkt und Art des Abschlusses des Rapallo - Vertrages. Und auch in England, Frankreich und Italien waren Politiker, die auf eine Völkerversöhnung hinarbeiteten, sehr über- rascht. Leider ist auch mehrfach zu erkennen gegeben worden, daß das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der deutschen Politik durch den Vertrag beeinträchtigt worden ist. An dieser Auffassung sind nicht zuletzt die körichteu Auslasiungeu eines Teils der deutschen Prcsie schuld, der den Rapallo-Vertrag als das unwiderrufliche Ende der Erfüllungspolitik verkündet«. Der Vertrag öffnet den Weg nach Osten, aber er kann sich im Grunde genommen nur auswirken im Rahmen einer versuchten Politik der Vertragserfüllung nach dem Westen.(Sehr wayr! bei den Soz.) Im übrigen möchte ich drin- gend davor warnen, schon in der nächsten Zeit eine wirtschaftliche Auswirkung des Vertrages zu erwarten. Nur ganz all- m ä h li ch können die Handelsbeziehungen größeren Nutzen für beide Teile bringen. Die Aufsassung, daß gleichzeitig mit dem Vertrag von Rapallo Geheimverträge abgeschlossen wurden, ist durchaus irrig. Der Vertrag gibt nicht den geringsten Grund zu dieser Annahme, und im übrigen hat die deutsche Arbeiterschaft in ihren breiten Massen für den Gedanken des Nationalbolschewismus nie etwas übrig gehabt. So wie die Dinge seit der Revolution in Deutschland gelagert sind, wäre der Abschluß eines solchen m i l i t ä r i s ch e n Geheimabkommens überhaupt unmöglich.(Sehr richtig.
Henueser Metöoten. Von Victor Schiff . Die verräterische Gießkanne. „Ueber olles führt man hier Statistik", sagte mir eines Tages in der Casa della Stampa ein französischer Kollege, als er feit zwei Stunden auf«ine Verbindung mit Paris und ich feit sechseinhalb Stunden auf das Gespräch mit Moritzplatz wartete.„Ueber die Zahl der Delegierten, der Berichterstatter, der tclegraphisch übermittelten Worte, der zustandegekommenen— allerdings nur der zustandege- kommenen— Telephonverbindungen, der nach anderen Rivieraorten abgeschobenen russischen Flüchtlinge und internationalen Kokotten. Mich würde aber auch die Zahl der Geheimpolizisten interessieren, die hierher zusammengczogen wurden. Die muß in die Hunderte gehen." „Geheimpolizisten gibt es hier überhaupt nicht," erwidert« ich,„dafür allerdings unglaublich viel Polizisten in Zivil. Das ist nicht ganz dasselbe. Denn was Sie„Geheimpolizisten" nennen, erkennt man auf fünfzig Schritt. Wohin sie auch gehen, nach dem Eden, nach dem Savoy, nach dem Palazzo Reale oder zu den Emp- sängen, Sie werden unter hundert Leuten den Polizisten mit der- selben Sicherheit erkennen, mit der Ihre neu« Nationalheilige, die Jungfrau von Orleans, den König Karl VII. inmitten seines Ge- folges erkannte."„Sie Mögen schon recht haben," meint« der Pariser Kollege," aber das gilt nur für die einheimischen Sicherheitsagenten, nicht für die von einzelnen Delegationen mitgebrachten. So war ich vorgestern nach Santa Margherita zu den Russen gefahren, um Tschitscherin zu interviewen. Nach langem Parlamenticren am Gitter wurde ich in den Garten Hereingelasien. Der Garten war leer. Nur ein Gärtner stand da und begoß eine Plume. Als ich an ihm vorbeiging, schaute er scheinbar gleichgültig nach mir herauf. Ich mußte eine kleine halbe Stunde antichambrieren und plauderte wäh- rend dieser Zeit mit einem Sekretär der Sowjetdelegation. Wir kamen auf die Sicherheitsmaßregeln für die Herren Volschewiki zu sprechen. Er äußerte sich über die Maßnahmen der italienischen Re- gierung außerordentlich lobend. Worauf ich meinte:„Eigentlich war es also überflüssig, soviel eigene Detektivs mitzubringen." Der Russe machte eine erstaunt-abwehrende Geste. Ich fuhr fort:„Wie- viel Millionen Sowjetrubel mag Ihrem Staat zum Beispiel die Reise und der Aufenthalt des Detektivs kosten, der da unten den Gärtner mimt?" Der Sekretär lächelt« erstaunt:„Woher wissen Sie?..."„Nun," erwiderte ich,„ich weiß nicht, wie man im kom. munistischen Staat die Gärtnerei betreibt, bei uns in Frankreich aber werden Sie keinen Gärtner finden, der stundenlang dieselbe Blume begießt und dazu noch mit einer längst leergewordenen Gieß. kanne... Vielleicht wird der französische Kollege noch einst in Sowjet- Rußland heilig gesprochen, wie die selige Jungfrau von Orleans . Der einzige Ausweg. Bis zum Tage meiner Abreise war ich, trotz mehrfachen Vor- Habens, nicht dazu gekommen, eine der berühmtesten Sehenswürdig- leiten Genuas zu besichtigen, nämlich den Eampa Santo, den künstlerisch und landschaftlich einzig dastehenden Friedhof. Ein französischer Aeuojje War genau in derselben Lage wie ich und wir fuhren ge-
meinschaftlich am letzten Nachmittag hin. Wir trafen dort S Minuten nach vier ein und stießen auf ein geschlossenes Gitter, an dem die Tafel hing: CKiuso. Geschlossen! Der Wächter belehrt« uns. daß der Eintritt nur bis vier Uhr gestattet sei. Alles Bitten um eine Aus- nähme, ja selbst das Vorzeigen unseres Presseausweises, der sonst in Genua fast sämtlich« Türen öffnete, vermochte nicht, ihn umzu- stimmen. Schon kehrten wir traurig und mißlaunisch gestimmt um, als mein Begleiter ausrief:„Und wir werden doch hineinkommen!" „Wollen Sie deshalb einen Tag länger bleiben?" „Ist nicht nötig! Sehen Sie denn nicht, was da kommt?" Es kam nämlich ein Begräbnis und hinter dem Leichenwagen schritten die Hinterbliebenen und Bekannten. „Wenn überhaupt noch etwas hineingelassen wird, so dieser Leichenwagen nebst Trauerzug. Wir werden unserem alten Be- kannten das letzte Geleit geben." Und so geschah's. Niemand achtete auf uns. So haben wir den„Campo Santo" noch der vorschriftsmäßigen Zeit doch besichtigen können. Der engherzige Gastgeber. Noch dem Bekanntwerden des Rapallo -Vertrages ging bekannt- lich eine Welle der Entrüstung durch sämtliche Delegationen. Die Russen waren damals noch die Lieblinge des Publikums und blieben daher von Vorwürfen verschont. Umso stärker war di« Empörung über die Deutschen , die diese armen Russen verführt hatten. In den italienischen Deleqationskveisen tat man nicht weniger erbittert, obwohl die meisten Italiener den Zorn der Franzosen mit einer gewissen Schadenfreude betrachteten. Als man nun einen italienischen Diplomaten fragte, warum er eigentlich sich an dem Chor der Empörten beteiligte, bekam man die Antwort:„Sehen Sie, als Gastgeber müssen wir schon Einspruch erheben: Wenn ich Gäste zu mir lade, dann habe ich natürlich nichts dagegen, wenn Herren und Damen miteinander poussieren. Aber es geht doch zu weit, wenn sie sich in mein eigenes Bett legen..."
Musiker-Opferkag im Deutschen Opernhaus . Das auf 120 Künst- ler verstärkte Orchester des Deutschen Opernhauses, Prof. Rudolf K r a s s e l t als Dirigent, Prof. Gustav Have. mann als Solist(Violine), dazu ein Programm: Beethoven : „Leonore III" und Violinkonzert v-Dur, Brahms : II. Sinfonie D-Dur ausgezeichnet! Dazu ein etwas kühler, unzuverlässiger Him. mel, so daß es kein Opfer war, den Sonntagnachmittag im ge- schlossenen Raum zuzubringen, zudem man es in der Pose eines schönen Mäzenatentums und bei niedrigem Kostenunkt(10— 50 M.) tun konnte. Unter solchen Umständen sollte man meinen, war's nicht verwegen, viele Gäste zu erwarten. Verrechnet: nur wenige sind gekommen. Schade um jeden leeren Platz, wo draußen Hun- derte' musikhungrig vorübergingen. Das Herz ging einem auf und man konnte sich wundern, was für Schätz« drin ruhten. Das Konzert bedeutet für Berlin den Anfang einer Reihe von Unternehmungen des„Deutschen Musikerverbandes", deren Erträge einem Fonds zufließen, aus dem vom Verbände bei öffentlichen Musikhochschulen(in Berlin bei der Staatlichen Akade. mischen Hochschule sür Musik) eingerichtete Orchestertlassen unter- halten und begabten unbemittelten Musikern Wirtschastsbeihilsen für
die Zeit des Studiums gewährt werden sollen. Ein Weg, den be- rüchtigten„Lehrlingshöllen" in den Stadtpseifereien das Wasser abzugraben, den deutschen Zioilberussmusikerstand sozial, die deutsche Orchestermusik und damit das öffentliche Musikleben überhaupt kunst. lerijch zu heben. Die dem Konzertprogramm beigefügte Nummer 1 der„Werbe- und Aufklärungsschriften des Deusschen Musikerver- bandes" unterrichtet«ingehend über die Lage der Berufsmunker und über die Ziele der Mtssiker-Opfertage. Für diese Ziele mußten sich nicht nur die Gewerkschaften, die verschiedenen Volksbildungsvereine wie Volkshochschule , Volksbühne, sondern auch die zahlungsfähigen Kreise interessieren. Deutsche Musik, deutsche Orchester erfreuen sich im Auslande vieler Freundschaften: aber unter den Besuchern des gestrigen Konzerts war kaum ein Ausländer zu entdecken. Offenbar hat die Oesfentlichkeit nicht begrisfen, worum es sich bei den „Musiker-Opsertagen" handelt. Jeder Dolksfreund und jeder Musik. sreund muß wünschen, daß die weiteren„Musiker-Opfertage" auch Kassenerfolge werden. v. n. Eine Otto-Ernst -Uraufführung fand in Leipzig statt. Er- freulicherweise nicht in einem ernsten Theater, sondern im Rahmen einer vom deutschvölkischen Schutz- und Trutz-Vund« veranstalteten Sondervorführung. Im Vorwort zu der Buchausgabe des Stückes behauptet Otto Ernst , nichts geringeres denn Feigheit sei die Ur- fache der Körbe gewesen die er sich bei den Theatern geholt hat. Die Aufführung wies ober mit eindringlicher Deutlichkeit nach, daß einfach der gute Geschmack unsere Direktoren beriet, als sie mit dem neuesten Otto Ernst nichs zu tun haben wollten. Was da Otto Ernst „die hohe Menagerie" nennt und was eine po- litische Satire auf die Ententediplomatie während der Kriogsjabre sein soll, ist ein aus den ödesten Kriegswitzen zusammengestöppeltes Sammelsurium von Plattheiten und Geschmacklosigkeiten. Rußland wird durch einen versoffenen Idioten verkörpert. Frankreich durch einen hysterischen Lassen, Englands Diplomat ist ein scheinheiliger Lump und die deutsche Sozialdemokratie heißt gleich aar Dr. Asinus (Esel) und trägt eine Eselsmaske. Es ist ein« starke Zumutung, das fade Gewäsch eines Spießers, der allmählich von einem passablen Schriftsteller zu einem Schundstück-Derfasser herabgesunken ist. auch nur als politische Einstellung ansehen zu sollen. H. B. Zum Beste« der Anstalten für tuberkulöse Kinder Berlins der. anslallet Joseph Schwär, lein erste« Konzert nach der Amerika - Tournee am 17. Juni, abend«« Uhr. in der Philharmonie. Zur Erforschung der Terualeiitwicklung deS Kiude« nach feiner körperlichen und seelischen Seite bin hat flib das Institut iur Seyialwissen. schalt in verlin und daS Institut sür experimentelle Vadaaogik unb Psycho. logie,„bleilung de» Leipziger Lehrer" eremS zu einer Arbeits» gemeinschast vereiniat. Eltern, Erzieher, Aerzte u. a. werden von beiden Instituten gebeten, ibncn Material an eigenen Beobachtungen, an Er- bebungen. Beiraaungen. Bekenntnissen. Eigenberichten Dokumenten. Nieder- i-hriften. Tagebüchern, kindlichen Dichtungen. Briesen , Zelchnuiigcn. plastischen Darstellungen u. dgl. zuzusenden. Aus Wunsch weiden Auslagen vergütet. Einlendungen erbeten an da» Institut für« x p e rt m- n t e l l- Pädagogik und Psychologie tu Leipzig , Kramer» st r a b e 4. U. Kurt SchwitterS , der Dichter der„Anna Bltltne", wird am 31., abends?>/, Mr. in der Kunstausstellung Der Sturm, Potsdamer Sl raste 134». leine eigenen Dichtungen vorlejew Dort ftnd auch zurzeit die Mcrzbiidcr und Merzpiastikeii pon Kurt SchwMerS ausgestellt.