Nach der Sitzung erkannte man Mcklich, welchen Feh- l e r man begangen hatte, und so muß nun die Regierung zu dem soeben angenommenen Gesetz eine Novelle ein- bringen, die die Wohltat dieses wahrhaft nationalen Gesetzes der deutschen Jugend schon um ein Jahr früher zuteil werden läßt. Sehr rühmlich für die Abstimmungsdisziplin des Zen- trums und der Demokraten ist dieser Vorgang entschieden nicht!_ Reichshilfe für Sie presse. Das Reichskabinett hat am gestrigen Mittwochabend die Einbringung einer Gesetzvorlage beschlossen, nach der ein Unterstlltzungsfonds von öl)ü Millionen Mark durch besondere Abgaben aufgebracht werden und auf die Presse nach dem Papieroerbrauch verteilt werden soll.
Wie Kapp Republikaner wuröe.- Eine freundliche Erinnerung. Im Angesicht seines Todes würden wir über die Lei- stungen Wolfgang Kapps gern den Mantel des Schweigens decken. Da aber die Deutschnationalen aus ihm noch Nachtrag- lich eine cheldenfigurzu machen suchen, ist es sicher nicht uninteressant, sein Heldentum bei Licht zu besehen. In dem dreisten Brief an das Reichsgericht schrieb der„Königlich Preußische Wirtliche Geheime Oberregierungsrat" diese mar- kigen Worte: „In deutschen Landen scheint nochgerade ganz vergessen zu werden, w e r in Wahrheit die Hochverräter am beut- schen Volt sind... Di« Männer vom November 1318 werden in der Geschichte für immer als fluchbeladen« Hoch- Verräter dastehen." Ueberall, wo es in Deutschland Männer und Frauen gibt. die wenigstens mitdem Munde„für ihren König zu sterben bereit" sind, sind die mannhaften Worte des Herrn Kapp mit Jubel aufgenommen worden. Aber— Herr Kapp war nicht immer so. Auch er gehörte— wie so viele andere— zu denen, die im November 1918 ein weit- gehendes Verständnis für die Notwendigkeit einer politischen Umwälzung zeigten. Auch seine Tapferkeit war erst wieder erwacht, seitdem er sich davon überzeugen konnte, daß die beut- schen Republikanerzu gutmütige Leute sind, als daß die Vertretung überlebter Anschauungen für die Bekenner mit persönlichen Unannehmlichkeiten verbunden sein könnte. So wie Graf Westarp in jener Zeit in der Reichskanzlei erschien, um sich bei einem sozialdemokratischen Führer danach zu erkundigen, ob dieser ihm sein Leben sichern könne, und um— nach der verneinenden Antwort— von ihm einen Geleitbriefzuerbetteln, unter dessen Schutz der Herr Graf dann die Reise nach den Ge- filden Westpreußens antrat, so erschien eines Tages auch Herr Kapp bei einem der sozialdemokratischen Volkskommissare und versicherte ihm„freudig und rückhaltlos", daß e r und die ganze Provinz Ostpreußen hinter der republikanischen Regierung ständen. Ihm persönlich, erklärte er, werde seine Haltung dadurch besonders erleichtert, daß er niemals Royalist, sondern stetsVernunftsmonarchist gewesen sei., Kurzum, Herr Kapp unterschied sich in nichts von den vielen Männern, die vorher Stützen des Königtums gewesen waren und die sich nach der Revolution an die sozial- demokratischen V o l k s b ea u f tra g t en heran- drängten, um ihnen zu versichern, daß sie„stets im Herzen Demokraten " mit stark sozialistischem Einschlag ge- wesen seien. Doch Kapp ist tot. Da lassen wir seine Taten ruhen. Es gilt Obacht zu geben auf feine Freunde, die lebenden Kappisten.
Die Gpfer von Königsberg . Drei Hindenburg-Demonstranten getroffen. Königsberg , U. 3unl.(Eigener Drahtbericht.) wie jetzt festgestellt worden ist. sind dem Zusammenstoß Zwischen Relchswehrtruppen und kommunistischen Demonstranten am Hiudenburg-Tage auch mehrere Personen zum Opfer gefallen, die an den Demonstrationen s ü r hindenburg beteiligt waren. Der Gelötete und zwei der Schwerverletzten gehörten zu ihnen. Sie sind in dem allgemeinen Gedränge durch die rück- sichtslos abgefeuerten Reichswehrgeschosse getroffen worden.
Der nächste ist öer wirth! Einer, der aus der Schule plauderte. Im„Volksfreund", unserem Karlsruher Parteiblatt, lesen wir eine nette Geschichte, die wahr ist. Danach spielte sich am Pfingstmontag in Oppenau , also in dem Ort, wo der Erz- berger-Mörder wohnte, folgender Vorfall ab: Im Garten der Brauerei Bruder saßen an einem Tische zwei Herren, von denen jeder seine Gattin, der eine zwei Kinder, der andere ein Kind bei sich hatte. Die Herren kamen miteinander ins Gespräch, in dessen Verlauf der eine Herr, der dorddeut- schen Dialekt sprach, den anderen Herrn um seine Ansicht über wirtschaftliche und politische Fragen anging und schließlich die Frage stellte, wie der andere Herr über die heutige Regie- r u n g urteile. Die Antwort lautete:„Da ich Sie und Sie mich nicht kennen, hat schließlich eine solche Unterhaltung doch wenig Sinn. Aber wenn Sie es wissen wollen, so sei gesagt, daß die heuttgen Männer an der Spitz« der Reichsregierung leider die Kontur s- vermalter des alten Regimes spielen müsien, im übrigen ihr Bestes tun und dransetzen, um noch zu retten, was zu retten ist." Mit außerordentlicher Lebhaftigkeit antwortete hierauf der Herr mit dem norddeutschen Dialekt:„Diese Auffassung teil« ich gar nicht. Den Erz berger haben sie ermordet, jetzt kommt ein andrer dran!" Auf die Gegenfrage des andern Herrn, wer nun dieser.andere" sein soll, erhielt er die prompte Antwort: .Das ist der Mrth!" Und nach einer kleinen Pause:»Der Reichskanzler, der znrzeit in Baden weilt." Die Antwort wirkte auf den fragenden Herrn oußerordent lich tief. Nachdem er sich aber von seiner Ueberroschung erholt hatte, erhob er sich und stellte sich dem mordlustigen Tischnachbar als-- der Bruder des Reichskanzlers Wirth vor. Es war unser Parteigenosse, der badisch« Landtogsabgeordnete Wirth. Der mordlufttge deutschnationalistische Zeitgenosse verteidigte sich, als unser Genosse Wirth ihm in gebührender Weis« die Schänd. lichkeit seiner Auffassung und R«d«n vorgehalten hatte, damit, die Auffassung, daß auch Wirth ermordet werde und dran kommen müsse, sei die einmüttge Auffassung in seinen Kreisen. 3n Preußen und speziell in seiner Düsseldorfer Bekanntschaft herrsche diese Aus. sasfung allgemein vor. Genosse Wirth ließ dann am Bahnhof in Oppenau den mord- lustigen Deutschnationalen durch die Gendarmerie feststellen und er entpuppte sich als ein Rechnungsführer Wilhelm Hümmel, Düsseldorf , angestellt bei der D ü s s e l>d>or f e r Draht- industrie." Gegen den Mann ist selbstverständlich Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet worden. Aber bevor die Gerichtsbehör» den irgendeinen Beschluß fasten tonnten, wußte«m deutschnatto- nales Blatt in Karlsruhe schon zu melden, daß die Einleitung eines Strafverfahrens abgelehnt worden sei. Das kann natürlich nicht stimmen. Aber wie das auch sei— die Schwätzern des unvorsichtigen Düsteldorfers beleuchtet wieder einmal die Richtung, in welcher das deutschnationale Ideal liegt. Reichstagsbesuch in München . Zu dem Besuch des Reichstags in München haben sich bisher 2<1l1 Abgcordnite gemeldet. Es laufen noch fortgesetzt Anmeldungen ein. Der Reichstag wird zusammen mit dem bayerischen Landtag und der Stadtverwaltung die Gewerbeschau besichtigen und abends von der Stadt München zu einem Abendesten«ingeladen werden. Es soll auch das Oberammergauer Pafsionsspiel besucht werden.
verstandenen Selbsterhaltungstrieb heraus die furchtbarste Entvölkerungspolitik betrieb. In der heutigen Türkei sind Stimmen laut geworden, die' darüber Klage führen, daß man die moralische Unterstützung von deutscher Seite vermisse, die vor dem Kriege zu einem beiderseitigen guten Verhältnis soviel beigetragen habe. Der Vorwurf beruht auf einer Verkennung der Tatsachen, Unsere Gefühle für die Türkei haben sich nicht verändert, ipögen sich auch die politischen Voraussetzungen geändert haben. Wir wünschen dem schwer geprüften türkischen Volk Frieden und Freiheit. Nichts soll uns willkommener sein, als mit der Türkei , wenn sich unsere und die klein- asiatischen Verhältnisse gefestigt haben, in einen freundschaft- lichen und fruchtbringenden Verkehr zu treten. Aber wird man es drüben mißverstehen, wenn wir sagen, daß unsere Gefühle beeinflußt werden können durch Tatsachen, wie die von Ward geschilderten? Wir, die wir die Demokratie in schweren Kämpfen errungen haben, wissen heute, daß es besiere Mittel gibt als den Terror, um sich zu behaupten, und wir sprechen die Hoffnung aus, daß es nur eine tragische Berirrung war, die die kemalistische Regierung in ihrer außerordentlich schwierigen Lage auf derartige Methoden zurückgreifen ließ. Wir hoffen, daß die Nationalitätenfrage für Kleinasien bald aufhört, eine Streitsrage zu sein, die nur mit den Waffen in der Hand ausgefochten werderz kann. Wie den Türken wünschen wir auch den Armeniern und den anderen nationalen Minderheiten Kleinasiens : Friede und Freiheit. Aber seien wir gerecht. Ein Teil der Schuld an den Christenmetzeleien trifft auch das alte Europa , das trotz seiner Zerrissenheit und trotz des Zusammenbruchs, der den Mastakern des Weltkrieges folgte, nicht gelernt hat, seinen politischen Ehrgeiz in segensreichere Bahnen zu lenken. Eng- land und Italien sind auf diesem Wege. Die Grund- sätze, die sie nach Genua geführt haben, haben nicht nur für Europa Geltung. Es ist bedauerlich, daß die Vereinigten Staaten das Mandat über Armenien nicht angenommen haben. Sie Jzaben sich in Washington als gute Schiedsrichter erwiesen; in ihrer Macht hätte es vielleicht gestanden, den Friedenspakt für den Stillen Ozean auch auf Kleinasien zu übertragen. * London , 14. Juni. (DA.) Dr. Ward, der Vertreter der amerikanischen Hilfsorganisation für den nahen Osten, ist in London eingetroffen und hat dem Auswärtigen Amt über feine Beobachtungen und Erfahrungen in Kleinasien Bericht erstattet. Dr. Ward teilte mit. daß vom Mai 1821 bis! zum März d. I. Zd 000 Menschen, darunter 6000 Armenier, der Rest Griechen, in Sivas gesammelt und über Kharput in die Gebiet« von Bitlis und Wan d e po r t i e r t wurden. Von diesen 30 000 Personen sind 10 000 im vergangenen Winter umgekommen, weiteren 10 000 gelang es, zu entkommen oder sich unter amerikanischen Schutz zu stellen, das Schicksal der restlichen 10 000 ist u n b e k a n n t. Die Mastendeportationen dauern fort. Dr. Ward erklärte, dos Ziel der türkischen Politik sei die Ausrottung der christlichen Minderheiten. Griechenverfolgungen werden auch aus Albanien gemeldet und die grichische Regierung hat sich deshalb an den Völkerbund gewendet.
tzeute so, morgen so! Mangelnde Abstimmungsdisziplin im Reichstag. In der gestrigen Abstimmung des Reichstags über den Geltungsbeginn des Reichsgesetzes zur Iugendwohl- fahrtspflege ließen die männlichen Mitglieder des Zen- trums und der Demokratischen Partei im Gegensatz zu ihren weiblichen Fraktionsgenossen die Vereinbarung mit der Regie- rung und der dritten Regierungspartei, der Sozialdemokratie, im Stich. Sie stimmten für den Antrag der Bayerischen V o l k s p a r t e i, den Geltungsbeginn um ein Jahr, auf den 1. April 1924, hinauszuschieben. Der Leser findet diesen Vor- gang im Reichstagsbericht.
Die Stare. Don P a n. Es war einmal ein schöner, wunderprächtiger Garten. Blumen blühten in schimmernden Farben auf runden Beeten; Gräser, schlanke Halme und herrlich? Blattpflanzen säumten die Wege, und aus grünen Büschen schimmerte rot und weiß und blau die leckere Frucht der Beeren. In den Bäumen hing's übervoll an ollen Stengeln, ein paradiesischer Ueberfluß. Das Schönste aber waren die Kirschen: dicke, pralle, rote Kirschen, die aus dem Laubwerk hervorleuchteten. Eines Tages promeniert« der Herr dieses Gartens wohlgefällig auf den gelben, künstlich geformten Kieswegen umher und freute sich seines Reichtums, der so herrlich gedieh. Er rüttelte prüfend an dem hohen, festen Elsengitter, das den Garten umfriedete, und lachte in sich hinein: dies« Herrlichkeit hier war geschützt vor frevlem Einbruch: sein war es, nur sein, was in blühender Fülle Mutter Natur auf diesem Fleckchen Erde hervorzauberte. Mochten die andern hinter dem Gitter stehen und ihn beneiden— ihn, den Herrn dieser kleinen Welt! Und wi« Rührung kam's über ihn bei diesem Gedanken. Seine Augen schimmerten feucht vor tiefer Dankbar- keit, und er hob sie auf zum sonnigen Frühlingszelt und sagte:„Wie danke ich dir, gütiger Himmel, daß du mich so gesegnet hast! Ich werde dir nach der Ernte einige Kerzen im Dome stiften. Ja, ein paar große, meterlange Kerzen!" Und weiter schritt er, erfüllt von zufriedenen, heiteren Ge- danken an die Mahlzeiten, welche sich hier für seinen Tisch vor- bereiteten. Da aber stutzt« er, und sein Gesicht verfinsterte sich: an dem Zweige eines fruchtbehangenen Stachelbeerbusches kroch eine lange behaarie Raupe. Der Herr des Gartens schleuderte sie herab und trat mit dem Fuße darauf. Und mit hastigem Eifer durchspürte er Zweig und Blatt, Ast und Blüte. Da wimmelt« es von Insekten überall! Raupen, Schmetterlinge, Käfer, Bienen— olles zehrte vergnügt von dem Reichtum, der doch ihm allein ge- hörte. Und zornig hob der Herr des Gartens seine Augen zum Himmel und sagte grollend:„Hab' ich für Parasiten das alles gesät? Warum vernichtest du nicht, was mich bestiehlt und mein Eigentum schmälert? Der Garten ist mein, nur mein; warum schützest du mich nicht? Ich kann dir keine Kerzen stiften." Und er sank aus einen Rasensitz und sah freudlos vor sich nieder. Plötzlich schwirrte, rief und pfiff es rings um ihn herum in flatterndem Geräusch. Ein großer Flug von Staren hatte sich im Garten ni«dcrgelasten und hüpfte auf Beet und Busch, Zweig und Wipfel. Mit scharfen Schnäbeln hackten sie aus Raupe und Käfer ein, und tausendfach verschwanden die Insekten auf den spitzen Zungen. Da wurde der Herr des Gartens wieder fröhlich, und mit freundlicher Miene wandte er sich zu den Vögeln:„Fleißig, fleißig, mein« lieben Stare! Ich neide euch euren guten Appetit. Nehmt nur, nehmt! Ich gönn's euch von ganzem Herzen. Arbeitet, ihr lieben Bogel , arbeitet! Ihr seid ein Wertzeug der hohen Kultur. Oh, was ist es für eine Wonne, euch bei so nützlichem Werke zu sehen! Ihr vermehrt den Reichtum der ganzen Nation, ivenn ihr den meinen sichert und von allen Schädlingen befreit. Singt und seid fröhlich! Mein Garten steht euch jederzeit offen. Eure Musik
ist Balsam meinen Ohren, ist die frohgemute Weise des nützlichen Schaffens. Zwar sind eure Stimmen nicht geschult, und eine Nachtigall ist mir— offen gestanden— lieber, aber ich will euch nicht stören und schelten— beileibe nicht! Ferne sei's von mir, euch den Mund zu verbieten. Nein, nein! Rührt euch und schwatzt und pfeift, aber vergebt mir nur das Arbeiten nicht. Fleißig, fleißig, meine lieben Stare! O du prächtiges, nützliches Volk!" Und er rieb sich lachend die Hände und sah den munteren Schnäbeln zu. Zum Himmel wandte er sich dankbaren Blickes:„Ich werde dir doch die Kerzen stiften!" Und er rechnete, wieviel Körbe sich wohl noch zum Verkauf füllen lassen würden, nachdem der eigene Tisch be- friedigt wäre. Ein großes, allgemeines Geschrei ließ ihn auffahren aus seinen Sinnen. Ein Freudengeschrei. Es schwirrt« von unzähligen Flügeln und hob sich bcgeisterungstrunken in dichten Schwärmen auf die fruchtbeladenen Kirschbäume. Der Herr des Gartens erstarrte vor Schreck.„O du Halunken- volk! Nun fressen sie meine Kirschen, meine schönen saftigen Kirschen! O du unverschämtes Gesindel!" Er weinte fast vor Schmerz.„Meine herrlichen Früchte! Mein Eigentum! O du Raubzeug, du Diebsgelichter! Sie bestehlen mich! Sie ruinieren mich! Sie untergraben meine Existenz! Wovon soll ich nun die Körbe füllen? Oh, ihr.Leckermäuler! Ist's nicht genug, daß ich euch in meinem Garten alle Insekten überließ? Gab ich euch nicht Futter genug? Müßt ihr auch noch Kompott haben? Ach, meine Kirschen, meine prächtigen Kirschen! Verflucht bist du Räuber- bände! Verflucht, du begehrliches Volk!" In den Zweigen pfiff, sang und jubilierte es nur noch lauter. Denn die Stare kümmerten sich nicht um die Sorgen des Herrn. Der aber sah mit zorngerötetem Antlitz zum blauen Himmel auf und sagte:„Du bist nicht gerecht. Und einem Ungerechten stifte ich kein« Kerzen."_
Soziale Joröerungen auf dem Philologentage. Es gab eine Zeit— zu einem guten Teile leben wir noch darin—, da die Kopfarbeit von vornherein für etwas„Vor- nehmeres",„Feineres" galt. Schon wer im Bureaustuhl mit Schreiben Zeit und Hofen zerschliß, glaubte, er dürfe auf den Hand- arbeiter von oben herabsehen. Diese enge und beschränkte Auffassung, die nicht wenig dazu beigetragen hat, Haß und Verbitterung zu säen, ist in« Schwinden. Das zeigte sich auch auf den Verhandlungen des Preußischen Philologentages in Hildesheim . Prof. Mosche, der die Einführung de, Werkunterrichts forderte, stellte seine Ausführungen gerade auf diesen Punkt ein: es fehlt den jungen Menschen, besonders der höheren Schulen, an Der» ständni» und darum an Achtung vor der körperlichen Arbeit. Daher sollen sie selbst körperlich arbeiten lernen. So werden sie Gefühl und Achtung vor dem Können bekommen, das in der Handarbeit steckt. Sie werden sich bewußt werden, daß Kopf, und Handarbeiter beide gleich notwendige und gleich wertvolle Arbeit leisten. Sie find auf- einander angewiesen und können sich nicht entbehren. Warme Liebe zur Jugend sprach aus der zweiten Forderung, die erhoben wurde: Mehr Turnen, mehr Sport und Spiel und Sonne! Mehr Wandern für unsere Jugend! Andernfalls muß die Jugend, besonders der großen
Städte, die schon durch den Krieg und seine Folgen so schwer gelitten hat, rettungslos verkümmern. Schafft Spielplätze, schafft Anreiz durch Veranstaltung von Wettkämpfen für alle Jugendlichen, ob werktätig oder noch auf der Schule. Für alle Kinder des Volkes! Die Entwicklung scheint höhnend den umgekehrten Weg zu gehen, Statt Schulgeldfreiheit— dauernde Erhöhung des Schulgeldes, das bald nur noch für Kriegsgewinnler erschwinglich sein wird: statt Freiheit der Lehr- und Lernmittel schwindelnde Höhe der Bücherpreise.— Das bedeutet für die größte Schicht des Volkes Versperrnng der Wege zu den Kulturgütern. So darf es nicht weitergehen. Der Staat hat die Pflicht, Einrichtungen zu treffen, die es j e d e m Kinde des Volkes, ohne Rücksicht auf Stand und Geldbeutel des Vaters, ermöglichen, seine Fähigkeiten zu ent- wickeln, zum Wohle seiner selbst und des Dolksganzen. Dazu dienen auch die von allen Seiten geforderten Aufbauschulen, Förderklassen und ähnliche Einrichtungen. Dos sind einige wenige der Probleme und Forderungen. Wenn ein so großer Verband seine Stimme erhebt in so wichtigen Fragen. darf man wohl erwarten, daß seine Stimme nicht ungehört verhallt. ■ st«
Die Phonetik in der Heilkunde. Die Phonetik, die sich mit den körperlichen Vorgängen beim Sprechen beschäftigt, ist ursprünglich als ein Gebiet der Philologie geschaffen worden. Aber auch die Aerzte bringen ihr in neuester Zeit ein großes Interesse entgegen. und bei dem ersten Internationalen Kongreß für experimentell« Phonetik waren die Mediziner in großer Zahl vertreten. Die Be- deutung der Phonetik für die Heilkunde behandelt M. Nodolevzny in einem Aufsatz der„Münchener Medizinischen Wochenschrift". Da sich die Phonetik mit der gesamten Lautgebung beschäftigt, so mußte sie mit der Heilkunde in Berührung kommen, wo e» sich um krank- hafte Störungen der Ausdrucksbewegungen handelt. So steht.sie in engster Beziehung zur Nasen- und Kehlkopfheilkund«, und man hat auf phonetischer Grundlage die verschiedenen Stimmkrankheiten er- folgreich behandelt. Auf dem Gebiet der Nervenheilkunde und Psychiattie wird die Diagnose gefördert durch die von der Phonetik ausgebildete feinere Analyse der Sprachstörungen bei Nerven, und Geisteskranken. Phonetische Ucbungen haben auch bei diesen schweren Erkrankungen recht Ersprießliches geleistet. Vor ollem spielen die phonetischen Uebungen bei der Ausbildung schwachsinniger Kinder eine große Rolle. Ueberhaupt hat die Kinderheilkunde, soweit es sich um die Entwicklung der Sprache und Stimme handelt, viel von dieser Wissenschaft gelernt. Sogar die Arzneimittellehre geht bei den Phonetikern in die Schule. So interessiert die Einwirkung von Medikamenten auf die Stimme, z. B. die Heiserkeit bei Atropin - Vergiftung. Praktisch am wichtigsten kstt sich die Wirkung verschie» dener Mittel, namentlich des Kokains, auf die Singstimme erwiesen. Man hat festgestellt, daß durch die Beeinflussung von Nase und Kehl - köpf mittels höher prozentigcr Kokainlösungen die Atmung zuerst beschleunigt und später vertteft wird, wobei die Stimme sonorer klingt. Die Versuchspersonen können leichter singen und bilden kräftigere, vollere und rundere Töne. In der Schulhygiene, die das rasche Zunehmen des Stottern? und der Heiserkeit in t m ersten 4 bis 5 Schuljahren erwiesen hat. wird«in phonetischer Schreib. Lese-Unterricht mit guter Wirkung angewendet. Auch die psycho-