Nr. 28ö ♦ ZH. �ahrgakg
Seilage Ses Vorwärts
Dienstag, den 20. �uni 1025
Erfinder in Nöten. Wie kann sich der Erfinder vor Ausbeutung schützen?
Wer hat eine Ahnung davon, wieviel Erfinder und Erfinde- rinnen links und rechts, vor und hinter uns herumspazieren? Ver« mutlich halten sie zunächst ihre Erfindung und manche danach ihren Reinfall gründlich gehem Davon ist noch zu sprechen. Zunächst sei erwähnt, daß nach den amtlichen Angaben des Reichspatentamts (Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen) angemeldet wurden: Im Jahre 1920: S3S27 Patent«, S6 721 Gebrauchsmuster; im Jahre 192 1: 52 4ö7 Patente, 58 840 Gebrauchsmuster. Das macht in zwei Iahren 221 555 Patente und Gebrauchsmuster, also faft eine Diertelmillion, und bedeutet, die Sonntage nicht mit- ge,»chnet, einen täglichen Einlauf von über 300 Patenten und G«> brüdi-Hsmustsrn. Wenn wir von unfern Erfindern etwa sonderliche Käuze ausscheiden, wie sie Roda Roda schildert; Leute, die einen Erfindcrsimmel haben oder ein perpctuum mobile konstruieren wollen, ferner alle größeren und mittleren Firmen, die sich in der Regel genau auskennen, dann verbleiben die kleineren Firmen und der Bürger und Arbeiter. „Wie"»erfunüen� rvirü. Es soll an dieser Stell«, sofern nicht Zuschriften verfasier und Redaktion darum ersuchen, davon abgesehen worden, die Frage: „Patent oder Gebrauchsmuster" zu besprechen, ob und wann es sich empfiehlt, das«ine oder das andere zu erwirken, oder beide zugleich; ferner sei unbesprochen, wie man«in Gebrauchsmuster selbst anmeldet, so daß also nur die potentamtliche Gebühr von jetzt 6V M. erwächst. Wir wollen annehmen, die Erfindungsidee sei dem 5iaupte plötzlich entsprossen wie Pallas Athene gepanzert und gegürtet dem Haupte des Zeus, und der glücklich-unglückliche Erfinder will nun. volkstümlich gesprochen, die Sache zu Geld machen, d. h. anmelden und verwerten. Es gibt Patentbureaus, die große Listen von Erfindungsausgabea herausgeben, um so zu Erfindungen anzureizen und Aufträge zu bekommen, ähnlich wie in der Groteske von der Firma, die allein deshalb eine explodierende Lampe konstruierte, um ihren Acucrlöschapparat abzusetzen. In einem solchen Elaborat las ich einmal folgenden tiefgründigen Satz: „Denke nach, und wenn du nachgedacht hast, denke weiter nach, und höre nicht auf, nachzudenken! So gedeihen Handel und In- dustrie, Ackerbau und Landwirtschaft."(Und der Beutel des Patent- bureaus.) Patentbureaus. Ein Patentbureau in einer kleinen rheinischen Stadt verspricht in gedruckter Zuschrift, daß es grundsätzlich nur an Erfinder heran- tritt, für deren Schutzrecht es„.eventuell" auch wirklich Interessenten hat, stellt seine Arbeit(?) einen Monat lang zur Verfügung und berechnet„nur" für direkte Spesen, Portis.und dergleichen" 98(!) Mark, die„mit gleicher Post" abzusenden sind. Warum es diese Hundert nicht voll verlangt, sondern den Warenhouspreis von 98 M., ist schleierhaft. Uebrigens verspricht das Bureau, diese Summe noch erzieltem Verkauf von einer 5prozentig«n Vcrwertungsprovi- sion wieder in Abzug zu bringen. Nach erfolgtem Verkauf! Zweiter Fall: Ein Berliner Bureau will die Schutzrechte verwerten, wie es mitteilt. Beglückt fragst du telephonisch an, und hörst mit langem Gesicht, daß du zu dem Zweck in seiner privaten Zeitung oder Liste ein Insaratenabonnement aufgeben sollst. Dritter Fall: Ein anderes Berliner Bureau garantiert auf pompösem Titelblatt für Erteilung von Patenten, berechnet aber auf Seite 4 den Verlust bei der Zlicykerteilung auf nur 425 M. in seinem Hanse, genau auf Vi im Verhältnis zu den„Konkurrenz- anmeldepreisen*. Daneben ist es fast köstlich, den an unlauteren Wettbewerb grenzenden Kampf— falls die Angaben nicht zutreffen — gegen Patentanwalt und andere Patentbureaus zu beobachten, deren Burteilung es glatt als„wertlos" erklärt. Träfe diese Schil- derung zu, auch nur m otlichen Fällen, wäre es Pslicht der zustän- digen Behörden, hier mit eisernem Besen einzugreifen. Statt lan- ger Ausführungen möge ein weiteres der vorgelegten Zitate ge- nügen:„Gewisse Bureaus oersprechen, eine kostenlose Recherche der vorgelegten Erfindung zu machen.... Ich warne Sie vor solchen oberflächlichen Recherchen.... Die anderweitig drohenden Nach- forderungen bedeuten eine Schraub« ohne Ende usw. Dann folgt ein« Liste der Preise der Patenturkunden in den einzelnen Länoern mit und ohne Vorprüfung der Neuheit, die den heute unendlich wichtign Passus hat:„Berechnet wird der Kursunterschied gegen-
über dem Stande von Juli 1914 in jenen Staaten, in welchen ein« Erhöhung der Valuta eingetreten ist." Welche Staaten aber wären das nicht! O armer Eierbecher! O patentierter Klapprcaenschirm! Nach der sorgsamen Liste kostete das Patent für den Kongo bei 20jährigem Rechtsschutz vor dem Kriege 160 M. in Tunis für ein Jahr 200 M. Was mag das — der Valutavermerk ist ja so schamhaft— heute tosten! Lehren. Der wackere Durchschnittserfinder vergewissere sich erst einmal bei den führenden Firmen der Branche, in die seine Erfindung fällt, welche Aussichten eigentlich vorhanden sind. Fremde Staaten lasse er— ganz abgesehen von der Valuta— das Gehirn ihrer eigenen Bürger anstrengen. Wenn ein erstes Haus der Branche Interesse für die Erfindung zeigt, dürft« es nicht schwer fallen, ohne Hilse Dritter zu einem Verkauf oder Beteiligung zu kommen. Warnend sei hier noch auf die Ausführungen an dieser Stelle in der Nummer vom April verwiesen. Liegt aber ein wirklicher Geistesblitz vor— die Fälle dürften selten genug vorkommen— wird eine verständl- gung mit ersten Firmen durch Zuhilfenahme eines Patentanwalts als sachverständigen Berater erleichtert werden, wie«in solcher überhaupt dann zu empfehlen ist, wenn man nicht selbst verhandeln kann. Das sinn, und planlos« Anmelden von Schutzrechten in frem- den Ländern ist heutzutage ein doppelter Unsinn, der geradezu zum Ruin des kleinen Mannes führen kann. In den überaus meisten Fällen wird ein Gebrauchsmuster genügen, wenn die ganze Er- findung zum Schluß nicht in Grund und Boden hinein verwünscht werden soll. Bei Verwertungsangeboten aber beachte: Erst den Abschluß, dann die ProvisionI So wirst du keinen Schaden erleiden. » Nehmen wir an, Tante Aurelie hat einen n«uen Eierkocher erfunden, oder Onkel Hans einen Schirm, bei gutem Wetter bequem in der Westentasche zu tragen. Dann hängt ihnen meist nach der glücklichen Geburt des Gedankens der Himmel voller Geigen; sie träumen bereits von einem goldenen Bett und sehen ein Füllhorn voller Gaben auf sich ausgeschüttet. Aber ach, zwischen Lipp' und Kelchesrand.... Haben sie einen Prozeß, werden si«, auch in Fällen, in denen kein Anwaltszwang besteht, einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen, und keinen Winkelkonsulenten, weil sie dann sicher gehen; denn der Anwalt hat seine Prüfungen abgelegt, versteht cfkg sein Fach und nimmt die vorschriftsmäßigm Gebühren.
Das Schulükonto öes Zrauenmöröers. Die bevorstehende Verhandlung gegen Grostman«. In der Strafsache gegen den des mehrfachenMordes beschuldig- ten G r o ß m a n n ist nunmehr Termin zur Hauptvcrhandlung vor dem Schwurgericht des Landgerichts I auf den 1. Juli und folgende Tage angesetzt worden. Aus der Fülle der Verdachtsmomente sind drei Fälle übrig geblieben, die nun zur Mordanklage geführt haben. Der Angeklagte hat schon 28 schwere Vorstrafen, zum Teil wegen schwerer Gewalttaten auf sexuellem Gebiete, erlitten, darunter 15 Jahre Zuchthaus wegen Vergewaltigung eines kleinen Mädchens, in deren Folge das Mädchen gestorben ist. Zu der Verhandlung, die mehrere Tage dauern wird, sind außer 48 Zeugen mehrere medizinische Sachverständige geladen, die sich über die geistige Be- schaftenheit des Angeklagten zu äußern haben werden. Es wird behauptet, daß zwei Brüder des Angeklagten in Irrenanstalten gestorben, eine Schwester geistig nicht normal und der Vater ein Trinker gewesen sei. Die Gerichtsärzte Professor Dr. Strauch und Medizinalrat Dr. S t ö r m e r haben begutachtet, daß der An- geklagte nicht unter den Z 51 StGB, falle, die Verteidigung bean- tragt, noch den Sanitäterat Dr. Magnus H i r s ch f e l d und den Nervenarzt Dr. K r o n f e l d als Sachverständige zu hören. D«n Borsitz im Gerichtshofe wird Landgerichtsdirektor Jeep führen, die Anklage wird Staatsanwaltschaftsrot Dr. Hayner vertreten, die Verteidigung führen die Rechtsanwälte Dr. F r e y, Dr. Beer» w a l d und Dr. Mendel.— Da in der Verhandlung viel« geradezu haarsträubend schmutzige Sachen zur Erörterung gelangen müssen, wird die Oeffentlichkeit während der Dauer der Verhandlung ausgeschlossen werden.
Jabrikbetneb vnü— vermieterschutz. Mietern von Gewerberäumen wird von den Mieteiniaungc ämtern und von den Gerichten weniger Schutz gewährt als de Vermietern. Das kann für einen Gewerbetreibenden, den der Vermieter los werden will, zu einer schweren Existenzgefährdung führen. In solchen Fällen hört de- Mieterschutz tatsächlich aus, und man kann dann nur noch von einem Schutz des Vermieters sprechen. Mit dem Inhaber des r-uc der bisherigen Betriebsstätte hinausgedrängten Gewerbebetriebes sind die Leidtragenden auch die Arbeiter, die bei zeitweiliger Stillegung brotlos werden. In Sorge, von diesem Schicksal betroffen zu werden, machen Arbeiter der Firma„Adria, Gesellschaft für Apparate- und Maschinenbau "(Verlin, Prenzlauer Allee 36) uns Mit- teilung von einem Streit, bei dem der Eigentümer des Grund- stückes ein Räumungsurteil durchgesetzt hat. Dieser, der In- Haber der Firma Max Bernhardt u. Co., forderte anfangs die bis- her von der Firma Adria benutzten Räume zur Erweiterung seines auf demselben Grundstück untergebrachten eigenen Betriebes. Hin- terher machte er geltend, daß in dem Betrieb der Adria ein Motor arbeitete, durch den zu starke Erschütterungen hervorgerufen wür- den. Die Firma Bernhardt blieb vor Gericht Siegerin, und jetzt will sie das ihr gegen Adria zugebilligte Räumungsurteil voll- strecken lassen. Der Gerichtsvollzieher hat bereits seinen Besuch gemacht, doch ist die Vollstreckung noch für einige Tage ausgc- schoben worden. Die Arbeiter sagen uns, daß es dem Inhaber der Firma Adria nicht möglich gewesen sei, rechtzeitig andere Räume zu beschaffen. Muß er seinen Betrieb stillegen, so werden die bei ihm beschäftigten 40 Personen brotlos. Wahrscheinlich würde auch in einer von Adria belieferten Fabrik in Sachsen der Betrieb zeitweilig gehemmt, so daß es dort gleichfalls zu Entlassun- gen kommen könnte. Uns will allerdings scheinen, daß auch der Inhaber der Firma Adria nicht ganz unschuldig an diesen bedauerlichen Folgen wäre Der Streit geht ja schon eine reichlich lange Zeit, so daß man fragen muß, ob nicht doch Vorkehrungen zur rechtzeiti- gen Beschaffung anderer Räume hätten getroffen»w- den können.
Fahrkah rtcnv erkauf für die �erien-Sonderznge. Auf den meisten Berliner Fernbahnhöfen, von denen im Juli Ferienfernzüge zu ermäßigten Fahrpreisen abgelassen werden, be-. ginnt heute(Dienstag), den 20. Juni, vormittags 10 Uhr, der Fahr kartcnverkauf. Das Publikum tut gut, sich sogleich zu den betreffenden Bahnhöfen zu begeben und Karten zu entnehmen. Nach der 0 st- s e e fahren vom Bahnhof C h a r l o t t e n b u r g am 6., 8. und 9. Juli Züge nach Kolberg und Greifenberg in Pommern mit An- schluß nach Horst, Rewahl, Deep, Henkenhagen und Timmenhagen, am 7. Juli nach Saßnitz und am 7. unt 8. Juli nach Trassenheide . — Nach dem Riesengebirge fahren am 7., 8. und 15. Juli Züge vom Görlitzer Bahnhof, nach dem Sauerland am 8. Juli vom Potsdamer Bahnhof, nach dem Harz am 7., 8. und 15. Juli vom Potsdamer Bahnhof, nach Thüringen am 7. und 8. Juli vom Potsdamer Bahnhof und nach der Nordsee am 6./7. und 7./8. Juli vom Lehrter Bahnhof . Für die am 1., 2., 6., 7., 8., 9.. 10., 16. und 17. Juli vom Anhalter Bahnhof nalt> München fahrenden Züge ist der Vorverkauf bereits eröffnet, wahrend für die am 7./8. und 16. /17. Juli vom Anhalter Bahnhöf nach Stuttgart und Karlsruhe fahrenden Züge der Vorverkauf gleichfalls heute am 20. Juni im Anhalter Bahnhof beginnt.
Prüfungsstelle im Konkurs Köh». Am gestrigen Montag vormittag fand im Amtsgericht Schöne« bcrg der bereits wiederholt vertagte PrüfungSlermin im Konkurs Köhn statt. Geprüft wurden 30 Forderungen. Konkursverwalter Schubert erhob dagegen den Svielereinwand und bestritt sämtliche Forderungen. Der aus der Haft vorgeführte Schuldner Köhn schloß sich den Ausführungen des Konkursverwalters an und erklärte, daß er feine Mandarnen voll hätte befriedigen können und daß sie sämtlich zn ihrem Gelde ge- kommen wäre», wenn nicht Konkurs angemeldet worden wäre. Der Konkursverwalter Schubert stellte bei dem jetzigen Stand des Kon- kurseS 2,6 Proz. für die 60000 Gläubiger iu Aussicht. Die Aktiva betragen 7>/z Millionen Mark, wovon 5 Millionen zur Verteilung an vorberechtigie Gläubiger fallen. Der nächste Prüfungstermin findet am 16. Ottober d. I. statt. Die Voruntersuchung gegen Köhn ist in diesen Tagen abgeschlossen worden, so daß noch vor den Gerichts« ferien die Hauptverhandlung vor Gericht stattfinden wird.
Der Ruf durchs Fenster. 35Z Roman von Paul Frank. Der Schriftsteller nahm, als er endlich das Polizeigebäude erreicht hatte, über die Treppen eilend, mehrere Swsen auf einmal und machte dann erst halt, als ihn im ersten Stock ein Posten anhielt und fragte, wohin er wolle und in welcher Angelegenheit er vorzusprechen gedenke. Da er die vierte Ab« teilung als fein Ziel bezeichnet« und zur besseren Erklärung hinzufügte, daß sein Hierfein im Zusammenhang mit dem Fall Reuß anzusehen sei, wußte der Mann nicht sogleich Bescheid, worüber Garbislander, der es beim besten Willen nicht be- greifen konnte, daß in diesem Haus nicht jedermann sich dar- über klar war, wer Reuß gewesen, und daß er vor allem sea vier Tagen vermißt werde, in ärgerliche Bestürzung geriet. Die Tatsache allein, daß man den Namen Albert Reuß ohne innere Anteilnahme auszusprechen imstande sei, erschien ihm absurd und auf alle Fälle oerletzend. Er fand es daher an« gemessen, sich eines zurechtweisenden Tons zu bedienen, als er sagte:„Ich komme in Angelegenheit des verschwundenen be- rühmten Schaufpielers..." Worauf der Mann ihn kurzer» Hand an Kommissär Drosdow, Zimmer 39, wies, nachdem er ihm vorher bedeutet hatte, den Gang links zu benutzen und an der dritten Tür zu klopfen. Ohne den jungen Schriftsteller eines weiteren Blicks zu würdigen, wendete er sich hierauf einer Frauensperson zu, die einer Zeugenvernehmung wegen gekommen war und die nicht gewillt schien, hier länger, als unbedingt erforderlich, sich aus- zuhalten. Vor der Tür Nr. 39 stand ein Amtsdiener, der nur der nissischen Sprache mächtig war und der nach langem ver- geblichen Parlamentieren, das zu keinem befriedigenden Er- gsbnis führen konnte» sich endlich dazu verstand, einen Kollegen zu 5)ilfe zu rufen, der Garbislander in dessen Muttersprache auseinanderzusetzen wußte, daß Dr. Drosdow augenblicklich nicht zu sprechen sei, da er mit Vernehmungen in der Ange- legenbeit Diest beschäftigt war, jenes ebenfalls unaufgsklär« ten Falles des plötzlich aus dem Elternhaus abhanden ge- kommenen jungen Mädchens. Garbislander hatte das Schicksal der unglücklichen Erika Diest, von der man annahm, daß sie ruchloser Mörder- Hand zum Opfer gefallen sei, aus den verfchiedenen Zeitungs-.
berichten erfahren, zur Zeit, da er über den Stand der An- geftgenheit Reuß sich unterrichten wollte. Nun kam ihm jenes unbekannte, gleichwohl beklagenswerte Fräulein Diest aber- mals in die Quere, so daß es schon beinahe wie eine beab- sichtigte tückische Schicksalsfügung aussah; darum besann er sich nicht lange, überreichte der vor ihm stehenden Amtsperson seine Visitenkarte und fragte:„Wo befindet sich das Bureau des Polizeipräfekten?" Nachdem er ein weiteres Stockwerk hinter sich gebrocht, übergab er dem ihn dort empfangenden Organ ebenfalls feine Kart«, mit der Bitte, zugleich zu bestellen, daß es sich um eine wichtige Mitteilung zur Sache Reuß handle, und daß er, ein Freund des Vermißten, aus Wien an diesem Morgen in Riga angekommen sei. Statt einer Antwort öffnet« der Mann, der nach einer kleinen Weile wieder sichtbar geworden war, die hohe, barock verzierte Tür, auf der kurz und bündig zu lesen war:„Der Polizeipräfekt." Dieser saß, wie Klaus Garbislander eintretend festzustellen Gelegenheit hatte, inmitten eines mehr als geräumigen Zim- mers, dessen Wandschmuck allerlei deutlich in die Augen springende Beziehungen zur Gerechtigkeit und ihren Helfern aufwies. So standen in den Ecken hohe Regale, die mit Fo- lianten angefüllt waren, in denen die Gesetze der ziollisierten Menschheit verzeichnet standen. Auf dem Tisch lagen Akten- bündel, deren jedes mit einem grotesk geformten Schwerstein geschmückt war, dahinter, die Mitte bezeichnend, standen zwei Kerzen und zwischen ihnen befand sich das Kreuz, eine Anord- nung, die dem Raum gebührenden Ernst und eine Feierlichkeit verlieh, die hervorzurufen wohl in der Absicht des Herrschers in diesem Reich gelegen war. Der Präfekt erhob sich aus seinem Lehnsessel nur um ein geringes, nachdem er den jungen Mann höflich aufgefordert hatte, Platz zu nehmen; Tudolin sah den ihm fremden Herrn mit jenem Mißtrauen an, das ihm bei allen Begegnungen mit Unbekannten leitete, da es feine Auffassung war, der Mensch- heit außerhalb der Polizeibureaus und Iustizpaläste kurzweg erst recht jedes Verbrechen zuzutrauen, so daß er die dem- entsprechende Vorsicht übte. Garbislander, zu tatkräftigem Auftreten entschlossen, fabndete nach einleitenden Worten, wurde indessen solcher Mühe enthoben, da der Präfekt die Unterhaltung begann:„Sie haben uns, wie ich höre, eine wichtige Mitteilung in der Ange- legenheit Reuß zukommen zu lassen? sagte er. »Ich glaube allerdings, daß ich Persönliches über meinen
Freund zu berichten imstande wäre, das zur Klärung ent- schieden beitragen könnte. Ich bin mit seiner Frau aus Wien heute morgen hier angekommen." „Sie müssen nämlich wissen...," sagte der Präfekt bedeu- tungsvoll,„daß der Fall in der Tat nicht ganz einfach ist." „Bor allem jedoch," fügte der junge Schriftsteller hinzu, „vor allem läge mir daran,"— und er wußte, daß er nun dazu kam, seinen Trumpf auszuspielen—,„die verehrliche Behörde auf einen Irrtum aufmerksam zu machen, der ihr bedauerlicher- weise unterlaufen ist." Tudolin, der die Sucht de? Leute kannte, klüger sein zu wollen als die Behörden, und irgendein Unmögliches zu ver- langen, das mit dem in Frage stehenden Fall gewöhnlich nur entfernt oder gar nichts zu schaffen hätte, lächelte überlegen und zugleich erwartungsvoll. „Ich will nichts anderes sagen, als daß man sich hier, jene Personalbeschreibung betreffend, die ich an den Säulen soeben gelesen habe, im Irrtum befindet, da dieses Signalement voll- kommen unrichtig ich..." Garbislander betonte das Wort„unrichtig" derart, daß sich der Präfekt irgendwie getroffen fühlen mußte, der jedoch noch immer seine Ruhe behielt und bloß seine Zeigefingerspitze auf den Klingelknopf sinken ließ, worauf er dem alsbald er- scheinenden Beamten zurief:«Den Fall Reuß!" Das Aktenbllndel, in dem das bisher erhobene Material gesammelt lag, hatte bereits beträchtlichen Umfang. Tudolin öffnete es und entnahm ihm einen gedruckten Zettel, den Gar- bislander auf den ersten Blick als ein Exemplar der Prokla- mation erkannte, die er gelesen hatte. „Meinen Sie diese Beschreibung?" fragte der Präfekt, der Garbislander das bedruckte Blatt vor die Augen hielt. „Das und kein anderes," entgegnete der Schriftsteller. „Das Signalement wurde auf Grund der Angaben des Direktors Weißwasser vom hiesigen Deutschen Theater ausge- geben, die mit denen anderer Schauspieler, �die den Vermißten genau zu kennen vorgegeben haben, übereinstimmen. Außer- dem haben wir doch der Veröffentlichung eine Photographie beigegeben, die die Behauptung der Personalbeschreibung, im wesentlichen wenigstens bestätigt.. „Und doch sind die bezeichneten Angaben unrichtig und unzutreffend, da Reuß. wie Ihnen doch ebenfalls bekannt sein dürfte, nicht in seinen Ziviltleidern, sondern in der Maske und Uniform seiner Rolle sozusagen verschwunden ist..." (Fortsetzung folgt.)