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Nr. 314 34. Jahrgang
2. Seilage öes Vorwärts
vonnecstag, H. �ulk 1422
Die Umstellung in neue Lebensart.
J)!e freiere Lebensauffassung, die durch das Abdanken des alten Obrigkeiisstaates auf allen Gebieten sich zeigt, wird niemandem lästig sein, sofern sie sich in den Grenzen der Echicklichkeit hält. Das Liebespaar, das sich öffentlich knutscht, ist schon von jeher Gegen- stand des Gespöttes gewesen; gerade die Liebe soll vor neugierigen Augen geschützt sein. Aber dos junge Mädchen, das absichtslos (allerdings nur dann) mit übereinander geschlagenen Leinen sitzt, wirkt heute minder zum Spott anreizend. Man erinnert sich der «kämpfe, die namentlich von der Kanzel aus gegen dieOber.icht". Bluse geführt wurden, alz ob der Anblick eines bloßen Halses und des Lrustonsatzes Teufelswerk genug fei, um die Männer zu Fall zu bringen während doch gleichzeitig die Damen im Lallsaal wehr als zur Hälft« des Oberkörpers nackt waren. Der freie Hals ist jedenfalls ein Kulturgeschenk allerersten Grades gewesen: Die Abhärtung der Ltmungsorgane ist nur zu begrüßen. Widmann, der verstorbene Schweizer   Schriftsteller, der in seinem Land« gut Bescheid wußte, hat in einer Reisebeschreibung den Eindruck ge» schildert, den das Entblchttragen des Halses der Läuerinnen auf ihn, den von der Stadt her an di« hohen Stehkragen der Damen gewöhnten Kulturmenschen, ausgeübt hat.«Ich habe Hälse ge- sehen, Hälse.. rief er begeistert aus. Heut« huldigen die älte- sten Matronen der Mode die hoffentlich kein neues Modedekret aus der Welt schaffen wird. x, « Moüe und Slite. xonn man sich vorstellen, daß es eine Zeit gegeben hat, in de? di« eleganten Domen das Trottoir mit der Schlepp« fegten und ihre Samtkleider und Seidenrcben mit einer Schmutz, und Staub- kruste bedeckt, in die Salons trugen? Selbst her schleopenlose lange Rock dient« zuweilen als Wisch» und Staublappen, so oeim Verlassen der Straßenbahn, ein besonderes Vergnügen namentlich bei Regen- metter. Also sollte auch der kurze Rock seine dauernd« Existenz haben, namentlich in der Zeit der Stosfknappheit und»teuerung. Aber noch andere Sitten sind in der neuen Zeit revolutioniert wdr. den. Die rauchende Zrau ist in den Abteilen der Großstadtbahnen "d Fernzüge kein« Seltenheit mehr, selbst dann, wenn sie allein fahrt. Niemand wird daran Anstoß nehmen. Oft genug stehst du im Zigarrenloden neben einem Fräulein, das mit Kennerblick den Zigarettenvorrat mustert und seine Wahl trifft. Natürlich kann auch das Rauchen übertrieben werden, und«ineKettenraucherin" ist ebenso wenig sympathisch wie derKottenraucher". Das Bein- klcid in der Damengewandung hat sich dagegen nicht eingebürgert; man sieht wohl ab und zu behoste Rodlerinnen, di« dann Herrenrad oder Tandem fahren, oder Reiterinnen im Herrensitz, und der einzige Unterschied ist nur, daß sie früher bestaunt, heut« nicht weiter beachtet werden. Dabei wäre die Hose für viele Arbeiten der Frau, zu denen sie sich jetzt gemüßigt oder gezwungen fühlt, ungemein praktisch, so L. bei der Landarbeit, der Gärtnerei usw desgleichen im Sporlbctrieb, und das Leifpiel der Lahnbeamtinnen während der Kriegszeit har bewiesen, daß es doch geht und nicht schlecht aussieht., vas Seieknanöer öer Sefchlechter. Einen großen Einfluß auf die natürlichere Gestaltung des Der» kehrs der Geschlechter hat einerseits die gemeiisam« Arbeit in den Bureau» und Werkstätten, andererseits der Spart und dos Freibad gehabt. Wo in einem Zimmer alt« und junge Herren mit jungen Manien zur gemeinsamen Arbeit vereinigt sind, herrscht ganz von selbst ein milderer und höflickierer Ton, als wenn das stark« Ge- schlecht allein ist. Das Bewußtsein, so entlohnt zu werden, daß das (Zich-Hängen an einen Mann mit finanziellen Rücksichten nichts zu tun hat, gibt dem Mädchen eine handhabe der Kritik, di« ihr« Wir- kung auf ausgeblasen«, eitle und herausfordernd auftretende Jüng- linge nicht verfehlt. So manche Maid ist dieSeele de» Geschäfts" geworden, auch wenn sie nur als Buchhalterin oder Korrespondentin in der Beamten, oder Angestellten-Rangltst« steht; ihre kluge Beurteilung der Verhältnisse wird gern angehört. Nicht jede der rtelen Tippfräulein trögt einen solchen Marschollsstab in ihrer Fstühstückotasche es sind dies natürlich Ausnahmen, aber sie fin. den sich öfter als man denkt und tragen sicher dazu bei, die Stellung i«r arbeitenden Frau zu festigen urni zu erhöhen. Im Sport führt die Teilnahme des weiblichen Geschleöhles an den Konkurrenzen«ine Kameradschaft herbei, di« auf den weiblichen Charakter nur wohl- tuenden Einfluß haben kann. Zm Freibad hat dos Leieinandersein
der Geschlechter wohl di« größten Erfolge gezeitigt. Hier fällt jeg- lich« Prüderei fort, genau so wie die Verschönerungsmittelchen un» barmherzig zu Loden geworfen werden, so daß Vorzüge und Schwächen des Körpers sich dem Auge darbieten. Der richtige In- stinkt der Besucher hat rohen Elementen, die das Freibad mit einem Rummelplatz verwechselten, sehr schnell das Handwerk gelegt. Die veränöerte Stellung öer Lrau. Daß mit der Erwerbstätigkeit der Frauen und Mädchen di« Familienbande sich gelockert baben, daß namentlich die Stellung der Tochter zu den Eltern sich geändert hat, mag beklagt werden. obgleich auch hier wohl beobachtete Einzelfälle leicht verallgemeinert werden. Sicher ist. daß das jetzige junge Mädchen gereifter durch das Leben geht als das frühere Hsustöchterchen, und wenn ihr Dasein etwas mehrzaus geue" sich abspielt, sie im Beurteilen von Politik, Theater, Kunst usw. sich völlig von den Ansichten der Alten emanzipiert, so hat dies an sich noch nichts zu besagen. Auf diesem Gebiet« ober taktvoll« Zärtlichkeit gegen die Eltern mit selbst- bewußtem Eigenleben zu verbinden, sei die Aufgab« aller höher- stehenden jungen Mädchen. 5n früheren Zeiten galt die jung« Amerikanerin als das Xern plus ultra weiblicher Selbständigkeit; sie empfing junge Männer, di« ihren Eltern absolut nicht bekannt waren, ging mit ihnen oder ihren Freundinnen aus, wie sie wollte usw. Heute ist dieses ei lst so gefeiert« Ideal längst Allgemeingut geworden und di« wirkliche Madernciselle sans gene* an die Spitz« der anderen Frauentypen getreten. Daß sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Ehe der dauernden Ehelosigkeit und dem Hinübergleiten in den Starb der alten Jungfer vorzieht, ist der beste Beweis dafür, daß die Stimm« der Natur all« Theorien mit Leichtigkeit aus dem Felde schlägt. Und so möge«s auch in Zukunft bleiben!
Die Verpachtung öer stäötisthen Güter. Die Magistratsvorlage. In den letzten Iahren hat di« Verwaltung der städtischen Riesel- guter ständig beträchtliche Zuschüsse erfordert. Der Grund hierfür liegt darin, daß einzelne der städtischen Rieselgüter mit b e deutender Unterbilanz abgeschlossen und dadurch nicht nur die Ueberschüsse der anderen Güter aufbrauchten, sondern sogar noch Zuwendungen der Gesamtverwaltung notwendig machten. Zu den Gütern, welche höchst unwirtschaftlich arbeiten, gehören Osdorf mit den Nbengütern Heinersdorf  . Friederitenhof und Birkholz; Sputendorf mit den Nebengütern M a r g- graffshof, Dchentendorf und Gütergotz  ; Mühlen� deck mit dem Nebengut Schönwalde; Birkholz. Einschließ lich der Betröge für Verzinsung und TUgung der auf diese Güter entfallenden Anleihen und Darlehen stellen sich im letzten Wirtschafts- jähr die Fehlbeträge für a) Osdorf auf 1 180 620 M., b) Sputendorf auf 471 231 M., e) Mühlenbeck auf 1S9 819 M<j) Birkholz auf 404 680 M. Zwecks Verpachtung der vorgenannten Güter nebst Rebengütern, und zwar Osdorf, Sputendorf. Mühlenbeck und Birk holz find wir mit verschiedenen Bewerbern in Verbindung getreten. Als Pachtzins find geboten: für Osdorf. 11 7S0 Ztr. Roggen jähr- lich; für Sputendorf 7S00 Ztr. Roggen jährlich; für Mühlenbeck 37S0 Ztr. Roggen..jährlich; für Dirkholz 3200 Ztr. Roggen jährlich. Der Roggen ist nicht in natura zu liefern, sondern sein Wert in bar zu zahlen. Umgerechnet ergibt sich bei dem jetzigen Preisstand von 600 M. für den Zentner Roggen ein jährlicher Pachtzins für Osdorf von 7 050 000 M., für Sputendorf von 4500 000 M., für llstuhleu deck von 2 250 000 M., für Birkholz von 1920 000 M. Nach Abrech- ; nung der von uns zu leistenden Beträge für Verzinsung und Schul- - dentilgung sowie für die an Gutsarbeiter, Gutsangestellt« und De amte zu zahlenden Ruhegelder usw. und die Derwoltungs- und Bau Unterhaltungskosten für Osdorf mit 500000 M., Sputendorf mit 500 000 M.. Mühlenbeck mit 250 000 M.. Birkholz mit 270 000 M., bleibt immer noch ein sicherer Ueberfchuß von jährlich für Osdorf 6 550 000 M.. für Sputendorf 4 000 000 M. für Mühlenbeck 2000 000 Mark, für Birkholz 1 650 000 M. Mit Rücksicht darauf, daß die Ernte
bereits am 7. Juli beginnt und im Anschluß daran die neu« ve- ftellung vorbereitet werden muß, war der Magistrat gezwungen. die Güter den Pächtern bereits zu übergeben. Der Mogistrat. ersucht die Stadtverordnetenversammlung zu beschließen, daß die Güter vom 1. Juli 1922 ab auf 18Johre verpachtet werden, und daß die zur Zeit der Uell�rnahme bereits ruhegeldberech­tigten Arbeiter dieses Recht nicht verlieren, wogegen bei den Beamten die Pensionsberechtigung, solange sie bei den Pächtern beschäftigt sind, ruht. verschanüelung öes Tempelhofer   Zelöes. Her mit dem Sportplatz für Neukölln! Zu einem wuchtigen Protest für Schaffung eines Sportplatzes und gegen die Berjchandelung des Tempelhofer   Feldes gestaltete sich die gestern abend auf dem Tempelhofer   Felde abgehaltene Kundgebung der arbei- tenden Jugend und Bevölkerung, die vom Orts- ausfchuß für Jugendpflege einberufen war. Taufende hatten sich eingefunden, um in letzter Minute ihre Stimme zu erheben gegen eine Ungerechtigkeit, die sich gerade gegen die arbeitenden Klassen in Neukölln richtet. Stadtrat Schneider zeigte in eindringlicher Weise, wie di« städtischen Körperschaften seit zirka drei Iahren bemüht sind, für dos an Sport- und Spielplätzen außerordentlich stief- mütterlich behandelte Neukölln etwas Großes zu schaffen. Die Pläne für einen großen Sportplatz und eine Sporlbadeanstalt sind längst eingereicht aber bisher ohne Erfolg. Die Akten liegen immer noch bei den zuständigen Behörden und scheinen dort schon so v e r- staubt zu sein, daß man sich ihrer nicht mehr erinnert. Doch geht es auch anders. So hat man dem Sportklub Preußen sehr schnell einen schönen Platz zügewiesen. Unter solchen Umständen töne man nicht anders, als von einer Fekndseligteit ein- zelner Regierungsstellen gegen Neukölln sprechen. Di« Fragt des Sportplages ist aber insofern jetzt dringend ge- worden, weil der bisherig«, wenn auch viel zu kleine Platz an der Grenzallee im nächsten Jahre verschwinden muß, um als In- dustriegelände benutzt zu werden. Wenn jetzt nicht rasch ge- handelt wird, dann wird Neukölln im nächsten Jahre ohne jeden Sportplatz lein. Wenden müssen wir uns aber auch gegen di« immer noch bestehend« Gefahr, das Tempelhofer Feld zu einem Eisenbahnverschiebebahnhos auszubauen, wobei man sogar so rücksichtslos vorgehen will, daß der seit einigen Iahren mit vieler Mühe angelegte grüne Streifen, der einzige Schutz gegen die Staubplage, verschwinden soll. Wir können es nicht laut genug hinausschreien, daß endlich Schnellarbeit geleistet wird. Im gleichen Sinne sprachen noch Vertreter verschiedener Organisationen. Nachstehende Resolution wurde begeistert und einstimmig an- genommen:Die am 5. Juli 1922 auf dem Tempelhofer Feld ver- sammelte Jugend fordert im Verein mit der erwachsenen Bevölke- rung Neuköllns umgehend die Ueebrgabe des beantragten Streifens zur Anlage eines Sport- und Bolksparkes. Sie erblickt in der An- lag« desselben eine dringend« Notwendigkeit, um die durch die be- sonders schlechten Wohnverhältnisse der Neuköllner Bevölkerung stark gefährdete Gesundheit zu fördern. Sie verurteilt aufs entschiedenste die bisherige Verschleppung dieser Angelegenheit durch die Reichs. und Landesbehörden und fordert das Siädtebauamt Berlin   aui> sofort alle Schritte bei den zuständigen Stellen zu unternehmen."
Weitere FatzrpreiSermästigung für Kriegsbeschädigte.- Die Fahrpreisermäßigung für Kriegsbeschädigte, die auf den Fernbahnstrecken gegen di« Vorweisung eines besonderen Ausweises Fahrkarten 3. und 4. Klaffe zum halben Fährvretse erhalten können, hat nach einer Bekanntmachung der EiMoähnoirektion Brelin, eine Erweiterung erfahren. Bisher waren von den Zeitkarten nur die Monats- und Wochenkarten unter die Ermäßigung gefallen, olle übrigen Fahrkarten mit Ausnahme der Einzelkarten mußten zum vollen Fahrpreis entnommen werden. Nunmehr hat die Eisenbahn- Verwaltung auch zugelassen, daß die Schülermonatskarten, Schüler- rückfahrkarten, Schülerferienkarten und die Sonntagsrückfahrkarten 4. Klaffe in Verbindung mit dem Kriegsbeschädigtenausweise zur ? fahrt in der 3. Klasse berechtigen. Für den Berliner   Ber  - ehr kommen die erstgenannten Arten der Fahrtausweise weniger in Betracht. Wichtig ist jedoch die Benutzung von Sonntagskanen 4 Klasse für Kriegsbeschädigte, die nunmehr mit diesen Karten in die weniger stark besetzte 3. Klaffe übergehen können, ohne nach- zahlen zu müssen, die gleichzeitig neben der weniger starkon De- Nutzung auch etn erheblich größeres Platzangebot bringt.
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Der Ruf durchs Fenster.
Roman von Paul Frank. ,.Di« Rigaer Polizei..." Das ist ein besonderes Kapitel!" Sie tun ihr vielleicht unrecht.. Das ist doch lächerlich... Vis zum heutigen Tag ist noch nicht die leiseste Spur gefunden... Nicht einmal einen falschen verdacht besitzt man, viel weniger einen begründeten!" Dabei geben die Leute sich Mühe..." Mag sein.. dann ist der Spüreifer noch nicht stark genug..." .Lch will heute abend dem Präsekten nochmals energisch Vorstellungen machen..." Wo sehen Sie ihn denn?" Ich bin in sein Haus geladen!" Donnerwetter! Jetzt ist mir übrigens verschiedenes klar Wenn Sie sich vom Polizeichef traktieren lassen, kann Reug freilich nicht gefunden und fein Mörder nicht gefaßt werden!" Scherz beiseite. Glauben Sie denn überhaupt an einen Mord. Doktor?" Das ist doch ausschließlich Kombination oder Gefühls- fache, was man annehmen will, da einem sozusagen jeder An» haltspuntt fehlt. Ich hoff« natürlich in meinem Herzen m- ständigst, daß die Frage eine annehmbare, befriedigende Lösung finden möge. Allerdings schwinden meine Hoffnun- gen von Tag zu Tag." Die meinen nicht." Sie sind in der glücklichen Lage, daß Sie sich Ihren guten Glauben ohne Begründung zu erhalten vermögen" Es gibt eben gewisse Darstellungen, von denen ich nicht abzubringen bin. So besteht für mich, ebenfalls ohne jede denkbar« Motivation, noch immer«in Zusammenhang zwischen jener Krankheit, die Sie bei Reuß konstatiert haben, und dem gegenwärtigen rätselhaften Ereignis." Welcher Zusammenhang?" Ich weiß es nicht; einer, den ich nicht zu erklären, den ich bloß zu fühlen vermag." Die Phantasie des Dichters, dl« dl« Flügel regt und«in Märchen ersinnen möchte." Ist bas wirklich Ihre Meinung, und halten Sie die Möq- lichkc-t e'nu- ainil�.tozhör'igksit der beiden Kow'ffere für 0U5Z<):c'
Diese Frage tft natürlich sehr schwer, beinah« nicht zu beantworten. Es handelt sich doch vor allem darum, ob Albert Reuß überhaupt einem Anschlag zum Opfer gefallen ist oder nicht. Welches fein« Disposition zur Zeit des ange« nommenen Ueberfalls gewesen ist, läßt sich ja derzeit ebenso- wenig feststellen wie dieser selbst. Ich gebe zu, daß der frank» fiofte Zustand, in dem unser Freund in der kritischen Stunde ich möglicherweise befunden haben mag, dem Verbrecher die Arbeit erleichtert haben kann, da der Ueberrascht« keinen Widerstand geleistet hat, sondern vollständig wehrlos geblieben ist. Auf jeden Fall wird die allzu kühne Kombination, die Sie sich am Ende ebenfalls leisten wollen, von der Hand zu weisen sein, daß di« Krankheit des Künstlers vom Attentäter ins Kalkül gezogen worden ist." Es fällt mir natürlich nicht«in, derartiges annehmen zu wollen." Der Fall läge anders, wenn es sich beispielsweise um eine Person unantastbaren Charakters handelt«, di« an De- wußtfeinsstörungen leidet und die eine minder kühne Phan- tasi« der aktiven Teilnahme an einem Derbrechen beschuldigt." Inwiefern läge der Fall anders?" Das charakteristischeste Merkmal der anfallsweis« auf» tretenden Bewusitseinsstörungeit ist die..achfolgende vollkom» mene Amnestie für die Erlebnisse während des Anfalls: einer, der lammfromm und gütig ist, kann während des Dämmer- zustand« in einen Wüterich sich verwandeln und seinem besten Freund ein Messer zwischen die Rippen stechen, ohne nachher, wenn er erwacht und wieder gütig und lammfromm geworden ist, auch nur einen Schatten der Erinnerung dessen zu be- sitzen, was er angerichtet hat." Sehr interessant." Nun werden Sie aber doch selbst einsehen, daß dieser Fall mit dem unsrigen nicht das geringst« zu tun hat, da wst doch befürchten, daß der arme Reuß selber da» Opfer eines Verbrechers geworden ist. dessen Geisteszustand uns doch voll- kommen gleichgültig fein kann." Wir müssen noch einmal ausführlicher über dieses Tehma sprechen, lieber Doktor; gegenwärtig muß ich die interessante Unterhaltung leider unterbrechen, da ich sonst zu spät zu Herrn und Frau Tudolin kommen würde. Ich habe bis da hinaus noch eine tüchtige Streck« Weges zurückzulegen und möchte gern pünktlich fein, um nicht unhöflich zu erscheinen. Im stbrin�n will ich Gel"nh b-rn oirä'eft-n cnr'i'*'; f.: j:n, iiii«Ucc.: R. L cstUich cstves i
geschehen muß. und wenn man«in Wunder erzwingen müßte! Auf morgen denn, lieber Doktor!"
Sie werden mich gewiß nicht vom Gegenteil überzeu- gen," sagte Klaus Garbislander.Ich katin nun einmal in Stanislaus Dmochowski keinen Verbrecher sehen, verehrter Herr Präfekt vor allem darum nicht, weil jede erdenkliche logische Verbindung zwischen der noch nicht erwiesenen Tat und der von Ihnen gegebenen Voraussetzung fehlt..." Du solltest Herrn Garbislander während des Essens nicht so sehr in Anspruch nehmen," wendete Frau Tudolin sich vorwurfsvoll an ihren Gatten.Sehen Sie mehr auf Ihren Teller und weniger in die Augen meines Mannes," ermahnte sie den Gast.Sie haben das Kompott noch gar nicht ver- sucht. Es ist auf russische Art zubereitet. Sie werden von dem vorzüglichen Geschmack überrascht sein!" Ich bin überzeugt, gnädige Frau," beeilte sich der junge Schriftsteller zu bemerken. Er einen Lössel voll kandierter Früchte, verneigte sich leicht und sagte, die Lippen langsam lösend:Wundervoll, in der Tat..." Dazu einen Schluck Wein," ermunterte ihn Tudolin. Das ist dann erst das Richtige." Um wieder zu unserem Fall zurückzukehren," beharrte eigensinnig der Präfekt.Sie nehmen mir es wohl nicht übel, wenn ich Ihnen sage, daß Sie zum Kriminalisten nicht das geringste Talent besitzen..." Sie werden mir hoffentlich ebensowenig gram darüber sein, wenn ich behaupte, daß di« zünstige. kriminalistische Schablone, di« leider in neun von zehn Fällen in Anwen- dung gebracht wird, ganz fehl am Ort ist..." v Wollen Sie mir nicht definieren, was Sie unter dieser kriminalistischen Schablone verstehen, Herr Garbislander?" Gern; nichts anderes, als die Annahm« a. priori, daß seder Mensch ein Verbrecher sei.. Ich versteh« Sie ganz gut... Sie meinen natürlich den Menschen, der mir beruflich begegnet, der der Polizei als verdächtig eingeliefert wird... Entschuldigen Sie, lieber Freund, erschiene es Ihnen denn natürlicher, daß ich jemand, der unter Diebstahlsverdacht eingebracht wird, für einen Erz- engel halte?" Das eine so wenig wie das andere oder beides zu­gleich. Ich will dnmit nichts ovberes sosen. als daß« dem Kriminalisten au der so nvin«udi£tii Och'iffivUät gebricht." (voriietz niL   iolc-i.)