lagegesetz dem Reiche genügend Machtmittel gibt, um den Landwirt an die Erfüllung der auferlegten Pflicht zu halten. Deswegen heißt es: Lavieren und Zeit gewinnen. Der jetzt befolgten Taktik innerster Kern ist, die Durchführung der Getreideumlage soweit als irgend möglich hinausziehen, denn dffmit werden die freien Marktpreise hoch getrieben, nicht nur der Umlagepreis wird in diese Entwicklung mit- gezogen, auch der Weizen der Deutschnationalen blüht dann wieder. Und das erscheint jenen Drahtziehern bitter nötig. Der Landesvorstand des Bundes der Landwirte in Bayern verkündet, in der gleichen Richtung arbeitend, jetzt nochmals, daß man an der Durchführung des Gesetzes nicht mitarbeiten wolle. Dann heißt es weiter:„Der Tatsache aber, daß das Getreideumlagegesetz nun gegen unseren Willen zur Durchführung kommt, können wir uns nicht ver- schließen. Wenn wir auch nicht mithelfen werden zur w i l- l i g e n Erfüllung der hieraus sich ergebenden Lasten, so muß es doch unsere Aufgabe sein, durch eine zweckdienliche Mithilfe unseren Mitgliedern diejenigen Möglichkeiten für ihre Wirtschaften zugängig zu machen, die das Gesetz zuläßt. Dazu gehört u. a. die Einflußnahme aufdiePreis- ge staltung über den ersten Ablieferungstermin hinaus. Dazu gehört die tätige organisatorische und j u r i- st i s ch e Mithilfe...." Für die Reichsregierung ist nunmehr das Kampffeld klar zu überschauen. Alle Erklärungen des Reichslandbundes und seiner Einzelorganisationen beweisen, daß die am Staats- und Reichswohl interessierten Bauern gegenüber der Demagogie der Landbundführung unterlegen sind. Die angekündigte Mitarbeit ist eine Konzession an sie, soll sich aber g e g e n ihren Willen auswirken. Das Umlagegesetz gibt der Regierung die Kraft, die sie braucht zur Durchführung des Ernährungsplanes. Letzt heißt es zupacken. Wir wiesen schon in unserer heutigen Morgenausgabe daraus hin, daß der Vorstand des oberrheinischen Landbundes es sich sogar leistet, im a m t- l i ch e n Kreisblatt für den Kreis Simmern offen zum Kampfe gegen die Getreideumlage aufzufordern. Hier muß die Entscheidung fallen. Die Drahtzieher des Reichslandbundes wissen, daß sie gegen das Gesetz, wenn es e r n st angewendet wird, nicht aufkommen. Sie wissen, daß sie dann auch von ihrei\ vernünftigen Mitgliedern und Anhängern nicht unterstützt werden, weil sich jene darüber klar sind, daß ein wilder Brot- preis einen Dolchstoß in den Rücken des deutschen Volkes bs- deutet. Es wird sich die Front der Freunde Deutschlands bilden, gegen die auch die wildeste deutschnationale Phrase nicht aufkommt. Erst gestern hat im Preußischen Staatsrat bei der Bera- tung der preußischen Getreideumlage der Zentrumsver- t r e t e r, der Gutsbesitzer Pauli-Rheinprovinz erklärt, daß die dem Zentrum nahestehende Landwirtschaft die Umlage loyal durchführen werde. Regierung, bleibe hart! Das deutsche Volk braucht das Brot, es kann mir einen erschwinglichen Preis dafür zahlen. Diese Einsicht wächst auch bei d e n städtischen Deutschnationalen, die aus ehrlicher Ueberzeugung der Vergangenheit noch nachhängen. Auch sie werden jede Bestrafung, sie werden das schärfste Zugreifen des Staates gegen die Störer der Getreideumlage begrüßen. Es darf nicht gewartet werden, bis sich die heimtückische und zugleich feige Politik, die jetzt in allen Organen des Reichslandbundes sich ankündigt, zur Aus- Wirkung kommt. Die ersten, die es wagen, gegen die Ge- treideumlage und ihre Durchführung unzukämpfen, sie muß die volle Schwere des Gesetzes tresfen, sie sind Anhänger einer wirtschofllichen Organisation Consul , sie müssen aus den Reihen der freien Staatsbürger ausgemerzt werden.
Serliner USP. unö Einigung. Ueber die Funktionärversammlung der Berliner USP. Funktionäre veröffentlicht die„Freiheit" einen ausführlichen Bericht, dem wir sagendes entnehmen: Ledebour als Korreferent trat Levi scharf entgegen. Als Unabhängige, jagte er, werden wir nie in die Regierung kommen, das geben die Bürgerlichen nicht zu. Wir müssen erst Rechtssozia listen werden, um Minister werden zu können. Einseitiges Ver handeln mit der SPD. führe nicht zur Einigung, sondern zu neuer Zersplitterung. Solle man sich m i t N o s k e vereinigen, da mache er nicht mit. Ledebour beantragte eine Resolution, wonach die volle Selbständigkeit der USP. unbedingt aufrechterhalten wer den muß. In der Debatte bezeichnete U l m e r unter großem Tumult, der ihn zum Abtreten veranlaßte, Ledebour? Rede als jämmerliche und kleinliche Demagogie.— M i n st e r sprach gegen Koalition und Eini- gung.— Breitscheid erklärte, es gebe kein Zurück, die Unab- hängigen müßten ihre Ideen aufrechterhalten, auch in der kommen- den ei nheitlichen Gesamtpartei.— H i l f er d i n g sagte unter lebhaftem Beifall:„Der Parteitag muß die Eini- gung zur Wirklichkeit machen!"— In gleichem Sinne sprachen Ella S e g e r und Rief st ah l. Dittmann erNärte, die ver- schiedentliche Behandlung, die die Bürgerlichen den Sozialisten beider Fraktionen zuteil werden lassen, zeige ihre Absicht, die Bewegung zu zersplittern und zu lähmen. Gerade deshalb sei die Zeit reif, um an die Einigung heranzutreten.(Stürmischer Beifall.) In seinem Schlußwort sagte Ledebour : Die SPD . sei zur Verschmelzung noch nicht reif. Es könne Parteipflicht sein, die Disziplin zu brechen— Levi wandte sich scharf gegen die Kam- munisten und schloß:„Wir wollen die Einigung. Ob sie kommt, da- zu hat jetzt das Wort die SPD ." Die Resolution Ledebour wurde mit lt00 gegen 100 Stimmen abgelehnt und mit der gleichen Mehrheit die schon bekannte Resolution angenommen. Danach ist anzunehmen, daß im Fall der Einigung eine kleine von Ledebour geführte Gruppe absplittern wird.
Die„Freiheit" macht eine amüsante Feststellung: Die Kam- munisten haben im Reichstag zwar gegen das Schutzgesetz ge- stimmt, dem ohne ihre Mitwirkung eine Zweidrittelmehrheit ge- sichert war, aber für das Beamtengesetz, das gefährdet war und erst durch ihre Zustimmung Zweidrittelmehrheit erhielt. Gegen dieses Gesetz stimmten 135 Abgeordnete, dafür 278, darunter 12 Kom- munisten. Diese haben sich also als„Jasager" betätigt und das Kabinett Wirth gerettet, also genau dasselbe getan, was sie den Unabhängigen vorwerfen. Auch sie sind ganz oberfaule Opportunisten. Das hat unlängst die„Komm. Arbeiterzeitung", das Organ der KAPD . Berliner Richtung� schon festgestellt, als sie über den„Block von Stinnes bis Koenen" schrieb.
Skeuersreiheit für Vlinden-Auhrhunde. Wie der amtliche preu- ßische Pressedienst mitteilt, soll für F ü h r h u n d e von Blinden und für Militärdien st Hunde nach einer gemeinsamen Ver- sügung des Ministers des Innern und des Finanzministers grund- sätzliche Steuerfreiheit gewährt werden. Entsprechend soll einem Wunsche des Iustizministers zufolge Wachhunden gegenüber, die in Gefangenenanstalten veridendet werden, verfahren werden.
öazille will Keil entlassen! In der letzten Sitzung des Reichstags hat Genosse Keil den deutschnationalen Herrn B a z i l l e gezeigt, wie er ist. Er hat damit ein Beispiel dafür geliefert, wie mitunter die Leute aussehen, die sich über die„Mißwirtschaft der Republik" betlagen. Run haben Bazille und seine Freunde im Württembcrgischen Landtag den An- trag auf„Entlassung des Ministers Keil" gestellt, weil dieser durch seine Enthüllung über die Praktiken Bazilles„sein Amt gröblich mißbraucht" habe. Ein Antrag, Bazille an Stelle Keils zum Minister zu machen, ist noch nicht gestellt. Aber das kommt wahr- scheinlich noch!
Ernste Lage in Hapern. Tie Stellung der Parteien. München , 21. Zuli.(TU.) Zur politischen Lage berichlck heute abend die bayerische Stcatsregierung: Die Entscheidung über das verhalten Bayerns den neuen Ausnahmegesetzen gegenüber ist heute noch nicht zu erwarten. Die Lage wird aber allgemein als sehr ernst angesehen. Die beiden sozialistischen Land- tagsfraktionen sowie die Landes zentrale der soial- demokratischen Parteien Bayerns treten am Montag zu Lcsprechun- gen der politischen Lag? in München zusammen. Das Organ der deutschen demokratischen Partei in Baern, die„Süd- deutsche demokratische Korrespondenz", spricht die Forderung aus, daß die Republik - Schuhgesehe nun auch von Bayern ordnungs- gemäß und loyal durchgeführt werden. In der offiziellen Entschlisßung der Demokratischen Partei heißt es: Der Landcsaus- schuß der Deutschdemckratischen Partei in Bayern hat in seiner heutigen, aus allen Teilen Bayerns überaus stark besuchten Sitzung c i n- stimmig die bisherige Haltung der Demokralijchcn Landtags- fraktio« gebilligt. Ebenso hat er einstimmig die von der Fraktion in der„Süddeutschen demokralischen Korrespondenz" er- lassene Kundgebung der gegenwärtigen politischen Lage gutgeheißen. Damit sind die Richtlinien auch für das weiters Verhalten der Frak- lion und der Partei gegeben. Zum Verständnis dieser demokratischen Entschließung ist anzufügen, daß in der erwähnten Kundgebung demokratischen Landtagssraktion gegen jede Politik Stellung g« nommen war, Bayern verfassungs- und wortbrüchig zu machen, daß aber andererseits eine völlig unparteiische Durchführung$sr neuen Gesetze gefordert wurde, so daß niemand in die Lage komme, über einseitige ausnahmcrcchtliche Benachteiligung zu klagen, und daß nicht in dem Gesehe ein Mittel zur Knebelung politischer Ueberzeugung und Gesinnung gesehen werde. Heute abend wird nun auch die Bayerische Mittelparlei(Deutschnalionale Partei) noch zur Loge Stellung nehmen.
Wahlsieg eines englischen Arbciterkandidaten. Bei der Roch- Mahl für das Unterhaus im Wahlkreise Gowcs wurde einer ,.Est-Europe"- Meldung zufolge der Arbeiterkandidat Grenfell mit 13 296 gegen den Koalitionsliberalen William. der 9841 Stimmen erhielt, gewählt. Im Wahlkreise Northdown wurde zum Nachfolger dcS ermordeten FeldmarschallS Henry Wilson der frühere Gcneraikaplan der englischen Truppen in Frankreich SimS ohne Gegenkandidat gewählt.
Lanötagsauflöfung unü Regierungskrise! München , 22. Juli. (Eig. Drahtbericht.) Die Rechts- Parteien des bayerischen Landtages mühen sich vergebens, eine Form zu finden, in der sie, ohne Loslösung Bayerns vom Reich, die landesgesetzliche Sabotage der Reichsschutzgesetze durchführen können. Die Bayerische Volkspartei stellt sich auf den Standpunkt, mit allen gesetzlichen Mitteln die Rechte Bayerns zu wahren, und die sogenannte Mittelpartei(Deutscynationale) verlangt von der Regierung, daß sie die Reichsregierung zwingen, ihre Gesetze unter allen Umständen einer Revision zu unterziehen. Eine Land- tagsauflösung.die auch die Sozialdemokratie fordert, wie eine Umbildung der Regierungskoalition unter Ausscheiden der Demokraten und des Baucrnbundcs unter Einbeziehung"der Deutschnationalen liegt im Bereich der Möglichkeit. Trotz aller Preßhetzc bleibt die Bevölkerung in Stadt und Land vollkommen gleichgültig. Rote Plakate fordern in München zur Volksabstimmung auf. Ein Rundschreiben an die bayerische Geistlichkeit verlangt von den Landgemeinden, ungesäumt Protest nach München zu schicken.mit etwa folgenden Inhalts:„Nieder mit den Schandgesetzen, wir fordern von der Regierung unbedingte Ab- lehnung." Die Kulturschanöe von NisKerschönenfeiö. München , 22. Juli. (Eig. Drahkhcnchl.) Ueber den Strafvollzug in Rieders chönenseld werden folgende Einzelheiten bekannt: Seit der Ermordung Rathenaus werden keine Zeitungen, auch keine bürgerlichen Zeitungen mehr an die Gefangenen abgegeben, so daß sie sich über dos Reichs- amne stiegeseh nicht informieren können. Die Zci- tungskritiken über Tollers„Maschinenstürmer" wurden dem Verfasser nicht ausgehändigt. Auch die Bitte, die Kritiken in ausgeschnittener Form ihm zuzuweisen, wurde a b ge l e h n t. Das Uebersetzungsexeinplar eines andern Dramas von Toller wurde b e- fchlaguahmt. Ebenso die Glückwunschkarten der Aus- sührung von Tollers„Maschinenstürmer". Eine Beschwerde M ü h s a m s an den Reichsjusiizminister wurde beschlagnahmt, da das Reichsjustizministerium keine vorgesetzte Behörde sei. Die Gesänge- nen werden wegen geringfügiger Disziplinarstrafen neuerdings in Zellen eingesperrt, die l.SO Meter breit und 3,60 Meter lang sind.
Die kühle Slonöe.
Wenn früher in der heißen Jahreszeit die Sonne den echten oder gut imitierten Berliner versengte, so dacht? er in erster Linie an seine„kühle Blonde". Die kühle Blonde war die Geliebte des Spreeatheners. Bisweil-n nannte er sie zärtlich„kleene" oder stolz „stoße Weiße". Es gab aber auch Leute, welche die Blonde nicht liebten und einer rötlichen Färbung den Vorzug gaben. Der echte Weißbiertrinker blickt aber auf diese Himbecr-Leute, die ganz aus der Art geschlagen sind, mit Verachtung herab. Während des Krieges ist die kühle Blonde aus der Mode ge- kommen. So noch und nach kommt sie wieder auf, aber ihre Popu- larität wie vor dem Kriege wird die Berliner Weiße wohl nie wieder erringen. Es ist ja auch jene breite Behaglichkeit aus der Welt cnt- fchwunden, die sich so schön mit der„großen Weißen" verturg. Wenn der Vater dieses umfangreiche Ding mit dem über den Rand quellenden Schaum aus den Händen des Eonymeds empfing, um es am Tische herumwandern zu lassen, und die sechs oder acht Familien- Mitglieder sich daran erquickten, so war das ein Anblick für„Iötter". Heut— ach du meine Güte! Heut wird ja die Weihe schon sauer, wenn sie an ihren eigenen Preis denkt.
Das Drolligste an der echten Berliner Weißen ist aber, daß sie gar keine Berlinerin ist. Ein Witzwort sagt, der echte Berliner stamme aus Posen oder aus Breslau . So steht es auch mit der echten Berliner Weißen, diesem obergörigen Weizenbier, das vor etwa dreieinhalb Jahrhunderten von einem Hamburger er- funden wurde. Es ist, wie Emil Dominik festgestellt hat, identisch mit dem„Halbcrstädtrr Broihan", der um das Jahr 1574 von dem Bürger Westpha! an der Ecke der Gerberstraße in Halberstadt aus- geschenkt wurde und bald eine große Beliebtheit erlangte. In den Berliner Taxen aus dem Jahre 1740 heißt das Bier„Brühan". Da- mals kostete das Quart 1 Groschen und 7 Pf-nniqe, also 21 Pfennige. Heute kostet die„große Weiße" 10 M. Den Namen Broihan ver- dankte es seinem Erfinder, dem hamburgischen Bierbrauer Conrad Broihan, der das Rezept— eine Mischung von Weizen- und Gersten- malz ohne Zusatz von Hopfen— zu dem Sud gab. Später ging man dazu über, das Bier aus reinem Weizenmalz berzustellen. was auch aus einer kurfürstlichen Verordnung aus dem Jahre 1680 her- vorgeht. Der echte Berliner braucht sich aber durch diese Enthüllung nicht aekränkt zu fühlen Nicht darauf kommt es an, wo zufällig ein Menschenkind oder eine Erfindung das Licht der Welt erblickt hat, sondern wo sie heimisch geworden und zur Berühmtheit gelangt sind/ Es ist eben der Berliner , der die Bedeutung dieser genialen Halber- städte? Erfindung entdeckt und sich mit der kühlen Blonden so innig vermählt hat. Di« Halberstädter werden uns das nicht weiter übel nehmen— sie haben ja dafür andere Zelebntäten— z. B. die Halberstädter Würstchen, die vielleicht in Berlin erfunden und in Halberstadt zur Berühmtheit gelangt sind. Weshalb das so ist, wissen wir nicht, und die Julihitze verbietet es uns, darüber nachzudenken. »--»Ober, ne kühle Monde!*— trotz alledem.
„Prinz Don Juan." Im Thalia-Theater spielt sich die Operette eines neuen Mannes ab, unter vielem Beifall und Dacapos. Die Premieren draußen sind nicht anders als die in Berlin W., und die Operetten leider auch nicht. Dieses Genre ist uns verloren- gegangen. Was heute bekannt, morgen gespielt, übermorgen Gasten- Hauer wird, gleicht sich in hundert Fällen wie ein Ei dem anderen. Der Komponist C o r z i l i u s sagt noch, was andere schon gesagt haben. Er tut es mit Ernst, Geschick und ohne Borurteil, weiß in den rhythmischen Kniffen der schon nicht mehr ganz neuen Tänze Bescheid, singt auch eine freie lyrische Melodie, klappert alles in be- rühmten Klischees der Instrumente ab. Ein Schlager? Dos„rot- gelockte Mägdelein" mag dafür gelten. Vielleicht hätte der Musiker mehr hergegeben, mehr eigenes aus den Fingerspitzen hingesetzt, wenn der Text(von T h i e m a n n und Pflanzer) weniger nach Schauspiel und Tragödie als nach Lustspiel und Posse hinzielte. Die alte Wiener Operette sparte den Rühreffekt und das große pathetische Moment für den zweiten Aktschluß. Es passiert in Minuten so viel, wie leibhaftiglich in Monaten geschehen könnte, und wir sind doch auf dieser Welt der begrenzten Möglichkeiten. Mehr Striche, mehr Tempo— und die lustigen Inseln träten wirkungsvoller aus dem Meer des Theatralischen heraus. Auch dürfte es nicht stilvoll sein, wenn die 5)errschasten auf der Bühne teils in Morgen-, teils in Abend- und Tagestoilctten erscheinen, nur um zu zeigen, wieviel gute Schneider es in Berlin gibt. Gespielt wurde gut und flott und fcsch. Der Prinz Don Juan, Erich P o r e n s k i(der sich schließlich als gesuchter Sohn eines Milliardärs entpuppt, dessen Tochter er zum Glück hochzeitlich verschont hatte), wetteiferte mit dem Detektiv Viktor D a n g e r in der Rolle des unwiderstehlichen Liebhabers. Beide sangen gut, ober mit engem Kehlkopf. Fräulein S e l l i n g zeigte gute Gesangs- und Bewegungsallüren, die kleine Else Bottich er Keckheit und Witz. Humorisch war der Bater Karl P l a t e n s, und allen voran trug trotz oder wegen der vielen Zwei- deutigkeiten der treffliche Stomikcr Siegfried 21 r n o zur Lachlust bei. Das Derbe schlug ein, und es ist zu erwarten, daß dieser Don Juan Glück bei allen Frauen und Männern hat. Kapellmeister Oswald-Fäuslein wirkte verdienstvoll am Pult und fing manche kleine Entgleisung geschickt auf. K. S.
Das Residenz-Theater brachte S a r d o u s früher oft gespielte „F e d o r a" mit T i l l a D u r i e u x in der Titelrolle. Einst, in den 60er und 70er Jahren und noch ein gut Stück in die 80er, hinein, galten die Sardou, Dumas, Augier, die Beherrscher der französischen Bühne, bei uns als kecke Neuerer, als Vorposten entschiedener Modernität, die jenseits muffiger Theaterkonoention auf den Bret- tern Konflikte der lebendigen Gegenwart behandeln wollten. Man übersah die Enge der Probleme, die Fadenscheinigkeit der Charak- teristik, das Theatralische im Aufbau der Handlung, bis dann der junge Naturalismus, durch Zola im Roman und Ibsen im Drama repräsentiert, revolutionierend unvergleichlich weitere Perspektiven öffnete. Das Publikum selber lernte im Theater anders sehen und hören, und was man früher bewundernd angestaunt, erschien nun als geschminkte Unnatur, hinter der sich kalt berechnender Kalkül verbarg. Einen stärkeren Gegensatz als der zwischen Ibsens überall in dunkle seelische Tiefen hineinleuchtender Dialog, Hauptmanns in-
dividualisicrend farbensatier Sprache und dem salonmäßiqen Kon- versationsstil jener auf der anderen Seite ließ sich in der Tat kaum denken. Urteil und Empfinden schlug völlig um. Man gewöhnte sich, mit Achselzucken von der Theatermoche der Franzosen zu sprechen, und vergaß dabei, oft ungerecht, wie viel Talent trotz allem darin steckte. In der„Fedora" jongliert Sardous bewegliche Erfindungskraft mit der Figur einer russischen Fürstin, die den Geliebten durch ein 2lUentat verloren hat und rachsüchtig sich zugcschworen, den nach Paris geflüchteten unbekannten Mörder den"heimischen Gerichten zuzuführen. Sie entdeckt den Täter, denunziert ihn und bestellt die Häscher. Indes der Mörder ist kein Nihilist, wie sie gemeint hat: er tötete den Schänder seiner häuslichen Ehre. Daraufhin verliebt sie sich in ihn und nimmt, als er am Ende doch erfährt, daß sie ihn denunziert hat, Gift! Man kann von der Geschichte kein Sterbens- wörtchen glauben, doch die Behendigkeit, mit der der Autor die Karten mischt und für olle Utensilien einer weiblichen Birtuosen- rolle vorsorgt, hat etwas Unterhaltsames.— T i l l a D u r i e ux füllte den leeren Rahmen glänzend aus. Bewegung, Sprache, Mimik spiegelten das Auf und Ab der Leidenschast so ausdrucksvoll bedent- sam wieder, daß man stellenweise das Erklügelte der Konstruition darüber fast vergessen konnte. Selbst über den Thcatercoup des Sterbens breitete sie einen Schimmer ernsthafter Natur. In der auch sonst wohlausgeglichenen Darstellung find insbesondere Else W a s a als Fürstin Soukareff und Waldemar Staegemann als der Verfolgte zu nennen. Wieder und wieder mußte die D u r i e u x, von stürmischem 2lpplaus gerufen, erscheinen. dt. Ein verschwindender Berggipfel. Das Observatorium auf dem Gipsel des P i o d u Mi di, das in einer Höhe von 8500 Fuß liegt, ist einer Katastrophe zum Opfer gefallen. Eine Terrasse von Por- phyrgestein, die die Spitze des Berges bildet, ist zusammengestürzt. Die Ursache für diesen Zusammenbruch des Mrggipfels liegt in der Bildung von Höhlen, die während des Winters wahrscheinlich ent- standen sind, aber bisher mit Schnee gefüllt waren, der nun ab- schmilzt. Ein großer Teil des Observatoriumsgebäudes ist in die Höhlen gestürzt. Die 2lstronomen, die den SZau bewohnten, haben sich glücklicherweise retten können, und es sind bereits Ingenieure unterwegs, die untersuchen sollen, ob die noch stehenden Teile des Gebäudes gestützt werden können oder ob der ganze Gipfel so unter- höhlt ist, daß das �Laboratorium aufgegeben werden muh. „Thuzbe". In unserer gestrigen Abcndnummer war von treu- deutscher„C h u z b e" die Rede. Einige Leser fragen an. was das Wort bedeutet.„Chuzbe" entstammt einer uralten, ehrwürdigen Sprache, die zahlreiche Ahnfrauen deutfchvöikischcr Adelsfamilien redeten, und bedeutet das Gegenteil von Bescheidenheit.
Urania -Vorträge. Sonnlag:.Die Insel Rügen": Montag: „Unser schönes R iel engebirg e": Dienstag:„Die Schönheit der deutschen Landschaft": Mittwoch u. Freitag:„Der Ei n bei n film": Donnerstag:„DaS schöne Schwabenland"; Sonnabend: Die ma- lerische Marl". Die Gutenberg-Buchhandlung, Tauentzienftr. b,»eigt«!n» Ausstellung russisch er Künstler: Robm Gemen, KandinSk� Jszelenoss, Lagorio, Maerson-Pringsheim.