RetchZ-Nerficherungsamt. Berlin , den 50. Oktober 1894. Wie dem Vorstände und den Sckiionsvorständen bekannt ist, sind in letzter Zeit wiederholt in öffentlichen Blättern innere Angelegenheiten der Fnhriverks-Beruisgenossenschaft in einer Weise erörtert worden, welche nicht nur diese Bcrnssgenossenschnf t zu kompromittiren. sonder» auch die berufsgenossenschast- liche Organisation überhaupt zu schädigen geeignet ist. Gleich. viel nun, ob die betreffende» Artikel von Ge»offenschaftS-Mit- gliedern, welche sich in ehrenamtlicher Stellung befinden oder von Geiiossenschaftsbeamtcn herrühren oder beeinflußt sind: in jedem Falle muß den Verfassern, sosern sie in solcher amtlichen Stellung sich befinden, die Berechtigung zu derartigen Veröffentlichungen abgesprochen werden. Denn weder Genossenschafts. Vorstandsmitglieder und Delegirte, noch Genossenschaftsbeamte sind befugt, Angelegenheiten, welche sie in amtlicher Eigenschaft erfahren haben, in die Oeffentlichkeit zu bringen. Besteht dieserhalb»och ei» Zweifel, so verlangt es der Takt und die Loyalität gegen die öffentlich rechtliche Organi- sation, der man die betreffende Stellung verdankt, daß innere Vorgänge der Berussgenossenschaft nicht von den Belheiligten in einen persönlichen Preßkamps herabgezerrt werden. Der Vorstand wird daher ergebenst ersucht, mit allen ihm zu geböte stehenden Mitteln bei den Belheiligten darauf hinzuwirken, daß in Zukunft solche Veröffentlichungen unterbleiben. Schon viel zu viel hat man die Oeffentlichkeit mit persönlichen Angelegenheiten aus der Fuhrwerks-Berussgenossenschast, die dadurch ihren Ruf wahrlich nicht gebessert, behelligt, und niemand möchte glauben, er erweise sich noch einen Dienst, wenn er weiter seine persönlichen Ding« vor der Oeffentlichkeit ausbreitet. Das Interesse der Berufs- genossenschast erfordert jedenfalls gebieterisch die Einstellung des öffentlichen Zanks. DaS Reichs-Versicheruugsamt. Dr. Bödicker. lieber Ansichten läßt sich nicht streiten, und so wollen wir auch mit Herrn Dr. Bödicker über die merkwürdigen An- schauungen nicht rechten, die er da über das Verhallen von Ge- noffenschaftsbeamten in Fällen zum besten giebt, wo ihnen Miß- stände in der Verwaltung zur Kenntniß gelangen. So also wirlhschastet mau in den Berufsgenossenschasten. ivo die Unternehmer ohne die Kontrolle der Arbeitnehmer allein die Lasten der Verwaltung auf sich nehmen. Wir müssen gestehen, daß uns dann das oft recht schneidige Vorgehen des Magistrats gegen die Krankenkassen schließlich denn doch noch lieber ist, als die zarte Rücksichtnahme des R.-V.-A. der benannten Berufs- genossenschast gegenüber. VolikiMie AeberN»,». Berlin , den 9. Januar. Ter Reichstag begann heute mit einer kleinen Lektion an die rcaktionsivüthigen Konservativen, die unseren Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens gegen Stadthagen zu Fall bringen wollten; und setzte dann die Berathung des Umsturzgesetzes fort. Als erster Redner kani zum Wort der Freiherr v. S t u m m. Warum gerade diesem Mann die Aufgabe übertragen wurde, auf die an wuchtigem Material so reiche Rede Auer's zu antworten— denn die Redner- liste wird ja durch Uebereinkommen festgesetzt— das läßt sich blos aus der äußeren Stellung und detm machtvollen Einfluß dieses Mannes erklären. Es war der »König " Stumm und der Kaiser-Bcrather Stumm, dem als Ober-Sozialistentödter das Wort in dieser Reihenfolge gegeben ward. Und fürwahr, die kundigen Thebaner, die den Zufall so gut„korrigirt" haben, daß gerade Herr v. Stumm bei Bekämpfung des„Umsturzes" an die vorderste Stelle gesetzt wurde, sie haben, ivenn auch schwerlich mit Plan, dem„öffentlichen Interesse" einen außerordentlichen Dienst geleistet. Sie waren die Veranlassung, daß dem Volke Gelegenheit ward, zu sehen, aus welchem Stoffe die Menschen geniacht sind, die in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft den höchsten Rang einnehmen und eine maßgebende Rolle spielen. Herr Stumm zeichnet sich durch eine Tugend aus— die einzige wohl, die ihm nicht bestritten wird— er ist offen bis zum Zynismus. Sei es nun, daß diese Tugend mehr der Achtung vor der Wahrheit, oder mehr der Verachtung seiner, nicht mit Millionen gesegneten Mitmenschen entspringt— genug, die Eigenschaft ist da. »Langweilig" wollte Herr v. Stumm nicht sein, und in der That„langweilig" war Herr v. Stumm nicht. Im Gegentheil, sehr kurzweilig. Nicht, daß er geistreich gewesen wäre— gegen diesen Verdacht ist der Pascha von Ncunkirchen gefeit — auch Witze hat er nicht gemacht, weder gute noch schlechte. Und trotzdem eine komische Kraft(vis oornico) bewiesen, die auf jeder Bühne Erfolg sichern würde. Das Geheimniß Sie Unschuld! erwiderte ein anderer. Wenn„der Patron" jetzt nichts mehr von sich hören läßt, so geschieht das nicht etwa, weil er darüber aufgeklärt ist. Es ist doch ganz angenehm, fügte eine Stimme hinzu, an einem der Pariser Blätter zu arbeiten, die sich am besten verkaufen. Und in dem Rauch der Zigaretten, dem Klappern der Gabeln und der Teller flogen Scherze, Wortspiele, Paradoxe, zynische Eingeständnisse auf. Das alles bildete eine schwüle Atmosphäre, in der sich unter Scherz und Witz die Gleich- giltigkeit der idealen Seite des Berufes gegenüber verbarg. Kayrolaz fühlte sich hier so wohl, wie der Fisch im Wasser. Er verstand mit stets gleicher Geschwindigkeit vor dem Publikum die glänzendsten Variationen über das Thema der Volksrechte und hinter verschlossenen Thüren die extravagantesten Kapriolen auf dem weichen Teppich das „ich pfeife darauf" auszuführen. Es war dies sein Lieb- lingswort und es wurde ihm sehr nützlich. Schreiben was man denkt, wiederholte er oft, ist ein Luxus für reiche Leute. Wenn man arm ist, schreibt man, was etwas einbringt. Und wenn Rens protestirte, erwiderte er: Nun? Ob wir schwarz oder weiß sagen, bildest Du Dir etwa ein, daß das die geringste Bedeutung hat? Girardin, der ein anderer Kerl war als wir, sagte er nicht, daß die Presse weder Gutes noch Böses wirken könne? Ren« studirte traurigen Herzens den sonderbaren Geisteszustand derer, die ihn umgaben. Gewiß, mehr als einer galt für das, was man in der Gesellschaft einen seinen Mann nennt, die meisten hielten sich für ehrliche Leute und waren es auf ihre Art auch. Sie setzten einen gewissen Stolz darein, ihr Geld zu verdienen, ihre Obliegen- heiten pünktlich zu erfüllen. Sie waren im Punkte der Ehre sogar sehr empfindlich. Wer es gewagt hätte, öffentlich an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln, hätte sich ein kräftiges Dementi zugezogen, und der am wenigsten Tapfere unter ihnen hätte nicht gezaudert, sein Leben in einem Duell auf das Spiel zu setzen, um Ansichten aufrecht zu erhalten, die er in Wirk» lichkeit nicht hatte. Rens wußte dies alles, und er wun- derte sich darüber, dieselben Männer stets von neuem bereit der Stumm'schen Komik liegt in dem gravitätischen Ernst seines Gesichts, das, von keines Gedankens Bläffe angekränkelt, rein und zweifelsohne den unbeschränkten Glauben an daS kommerzienräthliche Ich und dessen Unfehlbarkeit widerspiegelt. Zwischen diesem Glauben und dessen klassischem Ausdruck einerseits und dem Können und Wollen des Gläubigen andererseits besteht ein klaffender Kontrast, der, wenn das Opfer sich dcflelben bewußt wäre, tragisches Mitleid er» wecken müßte; da es, im Vollgefühl seiner Größe, sich desselben aber nicht bewußt ist, mit unwiderstehlicher Komik wirkt. Wenn Cervantes noch lebte, hätte er hier das Urbild für einen neuen Don Quixote , der den Idealismus und die Romantik des alten durch zeitgemäßen Kasernen- Verstand und Kasernen-Utopismus ersetzt, und eine ebenso unerschöpfliche Quelle des heitersten Lachens für gegenwärtige und künftige Menschengeschlechter sein würde. Was Herr Stumm sagte, das ist gleichgiltig; wie er es sagte: darin lag der Effekt, wie bei allen großen Komikern. Cetsnim Censso— übrigens muß die Sozial- demokratie vernichtet werden! Er las die Hälfte der Hans Blum'schen Lügen vor, und würzte seine Theatervorstellung mit so wunderbaren Gesten, daß der Reichstag , namentlich die sozialdemokratische Ecke, nicht aus den Lachkrämpfen herauskam. Und dieser Mann— daS sei wiederholt!— ist eines der vollkommensten Produkte und eine der gefeiertsten Zierden der kapitalistischen Gesellschaft. Man betrachte sich ihn! Und von dem Produkt schließe man aus die Produzentin. Nach Stumm sprach Gröber im Namen des Zeu- trnnis. Er beantragte, die Vorlage einer Kommission von 28 Mitgliedern zu übergeben. Tie Rede erfüllte genau unsere Erwartungen. Ein Eiertanz zwischen Wenn und Aber. Prinzipiell ist das Zentrum nicht gegen eine„Ver- besserung" der politischen Strafgesetz-Paragraphen. Allein gegen die vorgeschlagenen Aenderungen erheben sich viele Bedenken u. s. w., u. s. w. Amüsant waren die Ausfälle auf den Liberalismus, der an sich ebenso staats- und religionsfeindlich sei, wie der Sozialismus. Es fehlte auch nicht an recht treffenden Bemerkungen, namentlich über das schlechte Beispiel von oben. Und nachdem Herr Gröber seinen Eiertanz zu Ende geführt, verneigte er sich höflich vor der Regierung:»das Zentrum ist sehr gerne bereit im Kampf gegen den Umsturz zu helfen, mit gebundenen Händen kann es das aber nicht! So deutlich hat das Zentrum sich niemals als Cchacherpartei gekennzeichnet.„Fort mit dem Jesuiten - gesctz, Ueberlieferung der Schule an die Kirche! Maß- regelung der liberalen Professoren, die den schlimmsten Atheismus lehren!"— Die Regierung weiß jetzt, was sie dem Zentrum zu zahlen hat. Sie konnte es auch schon vor- her wissen. Um 4 Uhr erhob sich das unglückliche Schreckenskind des Umsturzgesetzes, Staatssekretär Nieberding, und drehte den Krahn seiner Wasserleitung auf. Es plätscherte, plätscherte— und das Hans leerte sich— so weit es nicht schlief. Niemand hat gehört, was er sagte. Und wir auch nicht. Und als er den Krabn zugedreht hatte, da hielt es niemand mehr aus— und oie Sitzung wurde einstimmig ans morgen vertagt.— Für Religion, Sitte und Ordnung kämpft heute in einem drei Spalten langen Artikel die„Kreuz-Zeitnng", das Organ der„Edelsten", indem sie den zehnfachen Umstürzler, Doppelbigamisten, Meineidsvirtuosen und internationalen Pananiisten C r i s p i in alle Himmel erhebt und seine „Verleumder" in den Pfuhl der Hölle verweist. Wir danken der„Kreuz-Zeitung ", die ja immer eine gewisse zynische Ehrlichkeit hatte, daß sie so offen sagt, welcher Art die„Religion, Sitte und Ordnung" ist, für welche sie mit ihren Spießgesellen sich ins Zeug legt.— Pnttkamer's Geist spukt in der„Kreuz-Zeitung ". „Die Sozialdemokraten — so schreibt sie heute Abend— mögen formal mit den Anarchisten nichts gemein haben. Aber Bomben und Dolche sind vom Standpunkt der Gesanmitwirkung bei weitem nicht so bedenkliche Widersacher des Bestehenden, als die schleichende Unter- wühlung, welche die Beschäftigung unserer„zielbewußten" Sozialdemokraten ausmacht. Gut gebrüllt, Putty!— zu finden, wie Sophisten mit allen Ideen Jongleurkunststücke zu machen. Was willst Du? sagte Cayrolaz. Uns Journalisten passirt dasselbe wie den Advokaten. Dadurch, daß diese alles vertheidigcn, dadurch, daß sie ständig nach Argumenten suchen, um die Unschuld ihrer schurkischsten Klienten zu de- weisen, können sie schließlich nicht mehr genau auseinander- halten, was wahr und was falsch ist. Wir, die wir nach einem bestimmten Rezept schreiben, die wir die Gedanken eines Direktors oder eines leitenden Komitees zum Ausdruck zu bringen haben, wir sind doch überhaupt nicht mehr sicher, ob wir noch eine eigene Meinung haben. Wir werden von der Berufskrankheit, dem Skeptizismus, er- griffen. Wir wissen nicht mehr, ob wir so sprechen oder ob unsere Rolle es uns vorschreibt. So werden wir, ohne daß wir daran denken, Kondottieri (Landsknechte) der Feder. Wer uns bezahlt, ist unser Herr. Alles was man von uns verlangen kann, ist, der Fahne des Regiments, vielmehr der Zeitung treu zu bleiben. Und die Ueberzeugungen? Was macht man mit ihnen? rief Ren« empört. Man behält sie für sich, wenn man das Unglück hat, solche zu haben. Hast Du Dich jemals gefragt, was die Uebcrzeugung des Einzelnen werth ist, was in einer der großen Zeitungen, wo die Artikel nicht gezeichnet werden, aus seiner Persönlichkeit wird? Weißt Du, was der Journalist denn ist? Nichts weiter, als das namenlose und unverantwortliche Werkzeug eines Willens, der dem oder den Besitzern gehört. In Wirklichkeil— ich sage es Dir, mein armer Freund— haben wir die Freiheit, zu sagen, was wir denken, so lange wir denken wie der Herr des Hauses. Wir nennen ihn aber nicht umsonst den Patron.*) Wir sind seine Arbeiter, seine„Hände". Eine Zeitung wird gerade so ausgebeutet, gekausl und verkauft, wie eine Fabrik, und man muß ganz gelinde Seiten aufziehen, wenn nian nicht hinausfliegen will. Meine Schuld ist es nicht, wenn die Presse dank unserem schönen Gesellschaftssystem die ») Patron ist der französische Ausdruck für Unternehmer, Herr de? Geschäfts. Ter nationaNiberale Abgeordnete Paaschs hat sich in einer Versammlung in Magdeburg über die Umsturz- vorläge folgendermaßen geäußert: „Was die nächsten Aufgaben des Reichstages anlange, so würde man sich zunächst mit der U m st u r z v o r l a g e zu be- schäftigen haben. Mit dieser Vorlage, die in ihrer Wirkung vielfach überschätzt und überdies auch im Reichs- tage eingeschränkt werden würde, würde nicht viel erreicht werden. Wenn die Regierung sich endlich zu einem Vorgehen entschlossen habe, so hätte er gewünscht, daß sie scharf und schneidig vorgegangen und nicht auf halbem Wege stehen geblieben wäre. Gegenüber den offen und unverhüllt hervortretenden Bestrebungen der Sozialdemokratie, die mitzynischer Unverfrorenheit selbst im Reichstage die Empfindungen und Gefühle des deutschen Volkes mit Füßen treten, erscheint es hohe Zeit, daß die Regierung und die bürgerlichen Parteien sich der heiligen Pflicht erinnern, unsere heutige Kultur und den weiteren fried- lichen Ausbau unserer Staatsordnung mit fester Hand zu schützen und gegen die Feinde von Thron und Altar. Staat, Familie und jeglichen Eigenthums energisch zu vertheidigen. Möchte die Regierung sich die alte Lehre der Geschichte vergegenwärtigen, daß Revolutionen nur dann gefährlich und erfolgreich waren, wenn sich die mit der Regierungsgewalt betrauten Staatsorgane als schwach erwiesen haben. In dem Zweifel an der Festigkeit und Entschlossenheit der Regierung liegt die größte Gefahr. Dieser Zweifel, der die Geineingefährlichkeit der Sozial- demokratie in milderem Lichte habe erscheinen lassen, habe dieser viele Anhänger zugeführt, und es gehe nicht an, daß der Gesetzgeber die Hände in der Hosentasche bebälr. wenn er dem immer weiter um sich greifenden Gift wehren will. Er messe darum zur Zeit weniger den einzelnen gesetzgeberischen Bestimmungen größeren Werth bei, als dem moralischen Eindruck, den ein entschlossenes Vorgeben der Regierung und eine einmüthige Unterstützung des Reichstages und seiner Ordnungsparteien hervorzurufen geeignet erscheint. Der Staat müsse seine eigene Existenz schützen und eine friedliche Weiterentwickelung sichern." Herr Paasche ist seit den letzten Wahlen, bei denen er in einem Wahlkreise gegen, in dem anderen aber für den Bund der Landwirthe kandidirte, als ein würdiger Ver- fechter der heutigen Ordnung bekannt. Herr Paasche, der neben seiner Thätigkeit als Professor der National- ökonomie auch durch Börsenspekulationen bekannt wurde, hat alle Veranlassung, jedes Eigenthum zu vertheidigen.— Die Redefreiheit im Reichstage. Nach der Erklärung des Präsidenten v. L e v e tz o w beim„Fall Liebknecht", daß ihm nicht genügende Disziplinarmittel gegen die Abgeordneten zur Verfügung stünden, schreien alle Gesinnungstüchtigen im Lande nach einer Verstärkung der Strafgewalt des Reichstags- Prä- sidenlen. Man wies auf die Disziplinargewalt hin, der die englischen Abgeordneten unterliegen,— ohne aber der weitgehenden Rechte und Freiheiten des englischen Parlaments zu gedenken. Jetzt wird auch die Geschäftsordnung der fran- zösischen Deputirtenkammer als Beweis dafür herangezogen, daß die deutschen Abgeordneten unter eine strengere Zucht genommen werden müßten. Diese französische Geschäftsordnung kennt die folgenden Disziplinarstrafen: 1. Ordnungsruf, 2. Ordnungsruf mit Registrirung in dem Sitzungsprotokoll. 3. Verweis, 4. Ver- weis mit Exklusion(zeitweiliger Ausschließung von den Sitzungen). Mit den Disziplinarmitteln zu 2, 3 und 4 ist die Entziehung eines Tbeiles der Diäten verknüpft. Der protokollirte Ord- nnngsrns trifft denjenigen, der in derselben Sitzung zum zweiten Male zur Disziplinirung Veranlassung gegeben hat. Nach dem zweiten Ordnungsruf kann dem Exzedenten auf Vor- schlag des Präsidenten durch Abstimmung ohne Debatte das Wort entzogen werden. Die Straie des Verweises tritt ein, sobald ein Abgeordneter trotz verschärften Ordnungsrufes inner- halb eines Monats abermals gegen die Ordnung sich vergeht. Wenn die Ausschließung eines Mitgliedes verfügt wurde und der Exkludirle gleichwohl im Hause erscheint, so hebt der Präsident die Sitzung auf, läßt den Bestraften verhaften und drei Tage im Arrest verbleiben. Immerhin haben die französischen Deputirten doch wenigstens Diäten, die ihnen event. als Strafe abgezogen werden können. Die Abgeordneten des deutschen Reichstages sind nicht in dieser angenehmen Lage; sie bekommen keine Diäten: folglich können ihnen auch keine strafweise abgezogen werden.— Vielleicht ver- aulassen daher die reaktionslüsternen Herren, die jetzt nach ver- schärfter Strafgewalt im Reichstag rufen, daß erst die Rechte. Freiheiten und Diäten der englischen und sranzöflschen Parlamente nach Deutschland übertragen werden. Dann wird sich ja weiter über die Sache reden lassen. Eine große Berniehrung der Kriegsflotte und Erweiterung der Marine steht uns in Deurschland bevor, wenn es nach den Plänen geht, welche der K a i s e r am Dienstag Abend seinen parlamentarischen Gästen im Neuen Palais dargelegt hat. Der Kaiser, der in Admiralsuniform war, ergriff das Wort zu einem anderthalb- bis zwei- Sklavin des Geldsacks ist. Mir wäre es gewiß lieber, wenn die Sache anders wäre. Aber was ist da zu thnn? Man muß sich fügen oder verzichten. Ich kann nicht verzichten, folglich unterwers ich mich und räche mich, indem ich mich über das andwerk, das meine Feder ausübt, lustig mache. Willst u mir glauben? Schätze Dich glücklich, daß der Patron, der mit seinen Börsengeschäften genug zu thun hat, uns in der Politik die Zügel schießen läßt. Liefere tüchtig Manuskript, schreibe so viel Zeilen, wie Du kannst, mach Dir ein hübsches Monatsgehalt und pfeife ans das übrige. Das ist der Weisheit und meiner Rede letzter Schluß. Amen! Trotz dieser Rathschläge hielt Renö doch hartnäckig seine Ansichten hoch. Da seine Funktionen bei der Zeitung nur darin bestanden, die Scheere mit einiger Intelligenz zu handhaben und die aus anderen Zeitungen entnommenen Ausschnitte geschickt zusammen zu stellen, hatte er keine persönliche Meinung zu äußern und folglich auch keinen Kamps zu bestehen. Aber er konnte sich nicht an die zur Schau getragene Gleichniäßigkeit gewöhnen, mit der seine Kameraden das Für und Wider vertheidigten, verspotteten, in Grund und Boden rissen und ihre eigenen Artikel ins Lächerliche zogen. In der ersten Zeit geschah es, daß er sich leidenschaftlich an der Diskussion betheiligte, sich forlreiszen ließ und seiner Entrüstung Ausdruck gab, bis ein Gelächter oder irgend ein Possenstreich ihn plötzlich aü die verzauberten Paladine erinnerte, die mit Lanzen gegen den Nebel kämpften. Man zog ihn auf und gab ihm Spitznamen, wie der Milde, der Phantast, der Gerechte. Man hatte sogar versucht, ihn lächerlich zu machen, und sich das Wort gegeben, ihn„in die Wolle" zu bringen, aber bei gewissen Blicken und gewissen Antworten merkten die Spötter, daß es sie doch vielleicht gereuen könnte. Man ließ ihn schließlich in Ruhe und schr»» ihn ein wenig bei seite. Das allgemeine Gefühl war jedock) eine sonderbare Mischung von Abneigung, Verwunderung und Besorgniß über diesen kindlichen Geist, der sich unter diese„starken Geister" ver- irrt hatte. (Fortsetzung folgt.)
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