Nr. 371 ckZY.�ahrgaag Ausgabe g Nr. 7 7� Bezugspreis: Für den Monat August 90,— SU, voraus zahlbar. Unter Kreuzband ftir Deutschland , Danztg, Saar- und Memelzebiet. sowie Oesterrei» und Luzemdurg 138,— SDt, für da» übrige Au»land 172.— M PosldefteHnngen nehmen an Belgien , Danimarl, Eng. lanb, Esthiand, Finnland . Franlrrich. Holland. Lettland . Luiembura, Oester- reich, Schweden . Schweiz . Tschecho- Slowakei und Ungar«. Der.Vorwärts� mit der Sonntag». beilag«.Volt und Feil*, der Unterhaltungsbeilage„Heinnvett* und der Beilage.Siedlung und Kiewgarten' erscheint wochentäglich zweimal. Sonn- tag» und Montag» eintnal. Telegramm-Wreffe: «Sozlaldemotra» Oer Nu-
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Dienstag, den 8. August 1988
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poincares Londoner Rede. Ein Moratorium gegen„produktive" Pfänder.
Die Londoner Reparationskonferenz beschäftigt sich Haupt- sächlich mit der Frage des Moratoriums. Die Reparations» kommiffion, die die letzte Entscheidung darüber zu fällen hat, ob und in welchem Ausmaß Deutschland ein Zahlungsaufschub gewährt werden soll, hat ihren Beschluß bis nach der Londoner Konferenz zurückgestellt. Damit ist der tatsächliche Entscheid in der Reparationsfroge in die chand der interalliierten Staats» männer gelegt worden. Der Vertreter Englands in der Reparationskommifsion, John Bradbury, schlug in der letzten Sitzung der Kommission vor, für den Rest des Jahres 1922 Deutschland von den Reparationszahlungen in bar zu suspendieren und den alliierten Regierungen zu gleicher Zeit zu empfehlen, dieses Verfahren auch auf die sich aus dem Aus- gleichsverfahren ergebenden Zahlungen auszudehnen. Ueber die Zahlungsmodalitäten für die Jahre 192Z und 1924 müßte dann in Kürze die Entscheidung gefällt werden. Die Vertreter Italiens und Belgiens schloffen sich dem an. der Ver- treter Frankreichs blieb mit seinem Einspruch allein. Es ist nicht bekannt, ob Bradburys Vorschlag, wie es nach seiner Aufnahme in der Reparationskommission natürlich gewesen wäre, die Grundlage für die Londoner Besprechungen bildet. Bekannt ist lediglich, daß die Konferenz mit längeren Aus- führungen Poincar6e eröffnet wurde, die in einem neuen Vorschlag Frankreichs gipfelten. Der Plan selbst soll vorläufig geheim geHallen werden. Er unterliegt der Begutachtung eines S a ch v e r st ä n d i g e n st a b e s, der für den Behuf gebildet wurde. Mit der Frage der deutschen Reparationen beschäftigt sich also augenblicklich das Garantiekomitee, die Reparations- kommifsion, der Oberste Rat und der von ihm eingesetzte Sach- verständigenausschuß. Dieses Verfahren erinnert sehr an die Methoden, mit der gewisse mißliebige Fragen im politischen Leben behandelt zu werden pflegen. Ob es dem Ernst und der Dringlichkeit der Materie angemessen ist, mag dahingestellt bleiben._ Wenn man einer halbamtlichen franzosischen Meldung Glauben schenken darf, geht Poincarös Plan darauf hinaus. für die Gewährung eines Moratoriums von Deutschland pro- duktivePfänderzu verlangen. Damit wäre also gesagt, daß Frankreich gegen das Moratorium an und für sich keine Einwände mehr erhebt. Es fragt sich nur, wie lange der Zahlungsaufschub befristet sein soll. Denn es liegt auf der chand, daß mit einer kurzen Galgenfrist nicht viel anzufangen ist. Selbstverständlich ist es, daß Deutschland für eine Stun- dung gewisse Garantien geben muß. In dieser Hinsicht hat »uns das Garantiekomitee nicht im unklaren gelassen, und die deutsche Regierung hat ebensowenig gezögert, diesbezügliche Rechte der Alliierten anzuerkennen. Neuartig ist es hingegen, wenn Poincarö nun plötzlich mit produktiven Pfändern kommt. Was in dieser Richtung von Ausbeutung der staatlichen Bergwerke und Wälder, Beteiligung an großen Industrie- Unternehmungen oher gar, wie es der.Matin" wissen will, von Zollschranken zwischen Deutschland und den besetzten Gebieten einschließlich des Ruhrreviers erzählt wird, ist denn doch einigermaßen sinnwidrig. Das hieße etwa soviel als:„Ja, gewiß, ein Moratorium sollt ihr haben, aber bezahlen müßt .ihr trotzdem." Es wird also abzuwarten sein, inwiefern hier das Gerücht seinem großen Meister Poincarö voraufgeeilt ist, wie ja überhaupt die geheimnisvollen Drohungen des französi- schen Minister* in letzter Zeit mehr Dekorationsstücke seiner Taktik, als Kundgebungen eines unbeugsamen Willens waren. Es sei nur daran erinnert, wie zögernd dem ungeheuerlichen Dokument Poincarös in der Frage der Ausgleichs- z a h l u n g e n. das Deutschland , die Alliierten und die ge- samt« gesittete Welt gleichermaßen vor den Kopf stoßen mußte. die Tat folgt. Das ist an und für sich zu begrüßen, wenn es auch gänzlich unverständlich bleiben muß, wie es das Ver- antwortungsgefühl eines Staatsmannes zulasien kann, mit derartigen Dingen Fangball zu spielen. In seiner ausgedehnten Londoner Rede hat Poincar� sehr ausführlich von Frankreichs Finanzelend und Deutschlands selbstverschuldeter Lage ge- sprachen. Vielleicht forscht man in Frankreich einmal darüber nach, wieviel von der dortigen finanziellen Misere auf eigenes Konto zu buchen ist. Im übrigen darf Deutschland als Ant- mort auf die nicht ungewohnten Angriffe von französischer Seite auf die sehr eingehenden Berichte des Garantiekomitees hinweisen. C o n b o n, 7. August. (Reuter.) Die heutige Konserenz dauerte sechs Stunden. Polncar«. und Lloyd George hielten lange Reden. P o i n c o r 6 legte einen endgültigen Rlan vor. von dem er wünscht, daß er g e h e l m gehalten werde. Dieser Plan wird
einem Ausschuß der Finanzminister unterbreitet werden, der morgen vormittag zusammentreten und dann der allgemeinen Konferenz De- richt erstatten wird. poincarös Erklärung. Pari», 7. August. (2BI58.) Der Sonderberichterstatter der.Agence Havos" in London schreibt: Der erste Tag der Konferenz war fast vollkommen durch eine Erklärung ausgefüllt, die Minister- Präsident Poineart im Laufe der Vormittags- und der Nach» mittagsfitzung auf Verlangen Lloyd George » über die durch das deutsche Moratoriumsverlangen geschaffene Lage abgegeben hat. Der französische Ministerpräsident erinnerte zunächst an di« ver- schiedenen Verfehlungen Deutschlands im Laufe der drei Jahre gegenüber dem Friedensvertrage von Versailles , namenllich an die Nichtauslieferung der Kriegsbeschuldigten, an die Entwaffnung, die nur unvollkommen sei, und stützte fich in dieser Beziehung auf die Auskünfte, die er von dem Vorsitzenden der interalliierten Militärkontrollkommisston in Berlin , General Rollet, erholten habe. Ueb ergehend zur Reparalioasfmge erinnerte Poincars daran, dr-tz di- Alliierten die Schuld Deutsch - lande, die Kriegskosten und jede Indemnität ausgeschlossen und die Reparationen, di« da» Deutsche Reich schulde, auf ein Minimum beschränkt hätten. Sie sollten nur enthalten die Militärpen- s i o n e n, sowie die Schäden, die den Zivilpersonen und deren Eigentum zugefügt wurden. Bis jetzt hätten die Familien der er- schössen«» französischen Staatsbürger im Norden und Osten Frank- reiche noch keine Kompensationen vom Deutschen Reiche erhalten. Was deren Höh« anbetreffe, so sei die Reparationsschuld im April 1SZ1 sehr mäßig mit lZ2 Milliarde» Goldmark berechnet worden, auf die man übrigens 12 Milliarden, von denen 29 Milliarden, die am 1. Mai 1922 fällig gewesen seien, angerechnet habe. Frankreich habe erwartet, daß damit feine Opfer ein Ende erreicht Hätten. Es habe sogar daran gedacht, daß eine Regelung der interalliierten Schulden dank der Liquidation der Schatzbonds, die der Zahlungsplan von London vorgesehen habe. eintreten könne. Es wäre einer derartigen Gesamtoperation günstig gesinnt, vorausgesetzt, daß ein Prioritätsrecht für die ver- wüsteten Gebiete geschaffen werde. Aber die süngsten Ereignisse (der Riinistcrpräsident hat später ausgeführt, daß es sich um die Rote Balfours Handel«) verhindere im Augenblick die Durchführung diese- Planes. Poincarö erklärte weiter, Deutschland Hab« die Geldzahlungen nicht regelmäßig geleistet. Trotzdem ihm eine bedeutende Herab- Minderung für die Zahlungen des Jahres 1922 bewilligt worden fei, verlange es jetzt noch ein vollkommenes Moratorium für die Jahre 1923 und 1924. Andererseits aber habe die Frage der lnteralliierlen Schulden einen neuen Charakter angenommen, an dem Frankreich picht schuld sei. Man habe Frank- reich an sein Schulden von den verschiedensten Seiten erinnert. In Amerika gebe augenblicklich Parmentier der Regierung Auf- tläkung, die sie für notwendig halte. England seinerseits habe die Absichten in der Rote Balfours kundgegeben. Das Ergebnis fei, daß Frankreich , das die Reparationstosten für 10 verwüstete Departement» zu seinen Lastm trag«, nicht von heute auf morgen veranlaßt werden könne, einen Teil seiner äußeren Schuld in Ihrer Gesamtheit zu bezahlen, während es ihm un- möglich fei, feine Forderungen bei Deutschland einzuziehen. Unser Land, so fuhr Poincare fort, das schon für Deutschland 90 Milliarden Goldmark vorgeschossen hat, davon die Hälfte auf Reparationskonto, muß also da» Defizit in seinem Budget vergrößern. Dos ist ungerecht. Nach den Worten Lloyd Georges darf man Deutschland nicht zur Verzweiflung treiben. Aber auch Frankreich nicht! Wenn wir die Ausführung des Friedensvertrages verlangen, so sind wir weder imperia- l i st i s ch noch militaristisch. Wir wollen auch Deutschland nicht zerstückeln, wir wollen nur dem Ruin entgehen. Wir sind bereit, an dem Wiederausbau Europas mitzuarbeiten, der aber unmöglich gemocht wird, wenn Frankreich zusammenbrich» und wenn es nicht seine Reparationskosten zurückerhält, wie die Ko n f e- renz der Sachverständigen im Jahre 1920 in Brüssel sie festgestellt hat. Aber es sei unmöglich, in Frankreich die Aus- gaben zu vermindern und die Steuern zu erhöhen. In dieser Rich- hing sei die Bemerkung Sir Robert Hörne», die er jüngst gemacht habe, nicht ganz begründet. Frankreich habe tatsächlich 10 ver- w ü st c t e Gebiete, die nicht einmal normale Steuern bezahlten. Die Zahl seiner Toten und Verwundeten sei viel größer als
die Englands. Seine soziale Gliederung sei sehr verschieden von der England», und ferner sei«in Vergleich der beiden Budget, praktisch schwierig. Frankreich habe seit drei Jahren sich stark mit Steuern de- lastet. Es sei am Ende feiner Kraft. E» erhalte sich nur durch den Kredit, der ihm uuerläßtich sei, um den Wiederausbau der verwüstete» Gebiete während der Dauer eines Moratorium« fortsetze» zu können, das mau Deutschland bewilligen werde. Man wende wohl ein, daß sich Deutschland wegen der Entwertung der Mark und wegen der Unmöglichkeit, in der es sich befindet, ausländische Devisen für seine Barzahlungen zu kaufen, in einer prekären Lage befinde. Dieser Fehler liege an Deutschland selb st. Zur Unterstützung seiner Ve> hauptung führte Poincare alle übertriebenen Ausgaben an, die das Deutsche Reiche mache, um seine Handelsmarine zu ver- stärken, feine Eisenbahn- und Schiffsweg« zu verbessern usw. Außer- dem habe sich Deutschland nicht ernstlich mit Steuern betastet. Es habe absichtlich seinen Notenumlauf vergrößert. Wenn Frankreich auch in der gleichen Weise gehandelt hätte, würde e« ebenfalls herabgesunken sein. E» sei also unerträglich, daß Frank- reich die Folgen einer Lage über sich ergehen lasse, für deren Ab- änderung Deutschland nlcht nur nichts getan habe, sondern im Gegenteil. Poincare forderte, daß im Falle die Reparationskommission Deutschland ein Moratorium bewillige, so kurz es auch sein möge, die Alliierten als Gegenleistung produktive Pfänder verlangen sollten(innere Kontrolle, Ausbeulung der staatlichen Dergwerke, der Dominialwälder, Beieiligung an den großen Zndustriegesellschaften usw.). Der Ministerpräsident erklärte zum Schluß, was seine Grundsätze anbetresie. sei er unnachgiebig. Es wurde beschlossen, die Erklärung PoincnrSs einer Sach- ver st ändigenkom Mission zu unterbreiten, die morgen vor- mittag unter dem Vorsitz des englischen Schatzkanzlers Hörne um Uli Uhr zusammentreten soll. In diesem Ausschuß wird Frankreich durch Finanzminister de Lasteyrie vertreten. Der Ausschuß soll erklären, ob der Ertrag der ins Auge gefaßten Pfänder ergiebig fei, und auch die Kosten der Verwaltung im Vergleich zu den erwarteten Einnahmen feststellen. Llopö Georges Antwort. Auf die Rede Poincarös, welche die ganze DormUtagssitzung des Obersten Rates ausfüllte, antwortete am Nachmittag Lloyd George , der nach dem„Petit Puristen" schon am Vormittag ziem- lich lebhafte Bemerkungen gemacht haben soll. Lloyd George er- innert« daran, daß Großbritannien ebenso wie Frank- reich gelitten habe. Die Bankers Trust Company in New Park habe soeben eine Aufstellung veröfsentlicht, wonach Frankreich während des Krieges 37'4 Milliarden Dollar, Italien 1414 Milliarden Dollar und das Britische Reich 49>4 Milliarden Dollar ausgegeben habe. Wenn Frankreich 80 Milliarden Franks für Deutschlands Rechnung ausgegeben habe, so habe Großbri- tannien, abgesehen von den Steuern, die es sich während des Krieges auferlegte, 50 Milliarden ausgegeben. England habe zwei Millionen Arbeitslose gehabt, e» besitze jetzt noch 1 400 000. Die Bevölkerung der verwüsteten Gebiete mache im ganzen vielleicht nur zwei Millionen Menschen aus, während die Arbeitslosen Englands mit ihren Familien ungefähr 5 Millionen ausmachen. Poincare bestehe fest aus dem Versailler Friedensvertrag: wem verdanle man es aber, wenn Deutsch- laiid jetzt in weitem Umfange entwaffnet sei? Es fei außerstand«, einen Krieg zu fähren, es wisse noch au« Erfahrung, wieviel Zeit es beanspruch«, sich dazu zu rüsten. Deutschland habe kaum g«> nug Soldaten, um die Ordnung im Innern des Landes aufrechtzuerhalten. Was di« Reparationen anlangte, so habe es trotz seiner drei Revolutionen und trotz der Schwäche seiner Re- gictungcn schon 10 Milliarden Goldmark gezahlt. Der Garantieausschuß habe über die deutschen Steuern günstig berichtet. Der Niedergang der Wechsel- kurs« sei ein sicheres Thermometer, um den deutschen Ruin zu erkennen. Sodann schlug Lloyd George die Einsetzung de« Sach- verständigenausschusse« vor. Roch Lloyd George sprach Schanzer in etwa gleicher Wesse wie Lloyd George , indem er, wie der„Petit Parisien" berichtet, die ungünstige Finanzlage Italiens schilderte. Er erklärte, man müsse in Betracht ziehen, daß allzu streng«e Maß. nahmen in Deutschland Unruhen zur Folge haben könnten.