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Nr. 13.

Erfcheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Bfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage, Neue Welt" 10 Pfa. Post- Abonnement: 3,30Mt. proQuartal. Unter Kreuzs band: Deutschland u. Desterreichs Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post Bettungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pig. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition it an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonns und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin Berliner

Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die preußische Throurede.

Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Landtages!

In gewohnter Weise habe ich Sie zur verfassungsmäßigen Mitarbeit berufen und entbiete Ihnen bei Wiederaufnahme Ihrer Thätigkeit meinen königlichen Gruß.

Mittwoch, den 16. Januar 1895.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Ihrer Beschlußfaffung werden ferner mehrere Gefeßentwürfe| ganz leisen Wiederhall. Und dies ist bei der geschäfts­unterbreitet werden, welche die Durchführung der im abgelaufenen mäßigen, trockenen Aufzählung der Vorlagen, bei dem Der preußische Landtag wurde heute vom Könige mit Jahr von den Synoden der evangelischen Kirchengemeinschaften Mangel jeder, weitere Kreise berührenden Anregung, bei folgender Thronrede eröffnet: beschlossenen Kirchengesete zum Gegenstand haben. Dabei wird es sich besonders auch um die Sorge für die dem Fehlen jedes zündenden Gedankens auch selbst­Hinterbliebenen der evangelischen Geist verständlich. Der preußische Landtag leidet schwer unter der Folge lichen der neuen Provinzen handeln. Wegen Erweiterung des Staatseisenbahn- des Dreiklassen- Wahlsystems, dieser selbst von reaktionären Netzes durch Herstellung, neuer Gisenbahnlinien Politikern auf's schärffte verurtheilten Scheinvertretung des Der Haushaltsplan für das Jahr 1895/96, wird Ihnen auch in diesem Jahre ein Gesetzentwurf augehen, in Voltes, nämlich unter der allgemeinen Interesselosigkeit. welcher infolge des Abschlusses der Steuerreform und der Neu- welchem zugleich Mittel zur Betheiligung des Staates An dieser wird durch die Thronrede gar nichts geändert. ordnung der Eisenbahn- Verwaltung, wie des Kassenwesens im an Kleinbahn- Unternehmungen vorgesehen werden Bereiche der Verwaltung der direkten Steuern wesentliche Um- sollen. gestaltungen erfahren hat, wird Ihnen unverweilt zugehen. Zu Mit der Neuordnung der Behörden der staatlichen Eisen­meinem Bedauern schließt er wiederum mit einem erheblichen bahnverwaltung werden vom Beginn des nächsten Etatsjahres Fehlbetrage ab. ab umfangreiche Reformen des Kassen- und Rechnungswesens in Kraft treten, welche dazu beitragen werden, die Wirthschaftlich­feit der Verwaltung zu erhöhen.

Trotz der fortdauernden vorsichtigen und sparsamen Be­messung der Ausgaben und der günstigeren Entwickelung der eigenen Einnahmen Preußens ist es wesentlich wegen der zu ungunsten der Einzelstaaten gänzlich veränderten Finanzlage des Reichs noch nicht gelungen, das Gleichgewicht des preußischen Staatshaushalts wiederherzustellen. Diesen seit mehreren Jahren bestehenden beklagenswerthen Zustand endlich zu beseitigen, muß

unser ernstes Bestreben sein.

Die Verbündeten Regierungen haben in der Erwartung, da­durch zu einem beffer geregelten finanziellen Zustande zu gelangen, auf die bisherigen Mehrüberweisungen seitens des Reichs an die Einzelstaaten verzichtet. Sie werden ihre Vorlagen an

Der Entwurf eines Gefeßes, betreffend die Verpfändung der Privateisenbahnen und der Kleinbahnen, wird wiederholt den Gegenstand Ihrer Berathung bilden.

Die Thronrede enthält nicht das Programm einer neuen Regierung, kein Wort in derselben deutet darauf hin, daß das Reich und Preußen von einem anderen Staatsmanne regiert wird, daß die wichtigen Ministerien für das Innere und das Auswärtige, für die Justiz und die Landwirthschaft neuen Männern anvertraut sind, daß weitere Veränderungen bevorstehen, daß die neuen Männer andere Grundsäge vertreten, anderes planen, als ihre Vor­gänger. Ja, nicht einmal mit einem Worte ist der Thatsache dieser großen Personenveränderungen Erwähnung gethan. Wozu braucht dies auch das Volk zu wissen. Läßt sich die geringe Bedeutung des preußischen Parlaments in schärferer Weise kennzeichnen? Wir bezweifeln es. Wir sehen in diesem Stillschweigen einen neuen Beleg für den Grundsatz der ungeschriebenen Verfassung, deren Um und Auf der von des Kaisers Hand in das goldene Buch der Stadt München eingetragene Saz ist.

Die schweren Sturmfluthen der letzten Wochen haben auch an den preußischen Inseln und Küften der Nordsee be­dauerliche Verheerungen angerichtet. Wegen Feststellung des Umfanges dieser Schäden und Einleitung der zu ihrer Bes seitigung geeigneten Maßnahmen ist das Erforderliche ver­anlaßt. Bur weiteren Förderung des gewerblichen Fort den Reichstag auf eine mäßige Vermehrung der eigenen Ein- bildungs- und Fachschulen wesens ist eine Ver­nahmen des Reichs und die Herstellung gesetzlicher Bürgschaften stärkung der etatsmäßigen Mittel vorgesehen. für die finanzielle Selbständigkeit des Reichs und seiner Glieder Zu meinem lebhaften Bedauern ist die Lage der Land­beschränken. Wenn es gelingt, auf dieser Grundlage eine wirthschaft fortdauernd ungünstig. Den hieraus Einigung herbeizuführen, so ist zu hoffen, daß die dringlichste erwachsenen schweren Uebelständen nach Möglich( Das höchste Gesetz ist der Wille des Königs!) Forderung, die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen feit zu begegnen, ist meine unablässige landesväterliche Wenn wir den geschäftsmäßigen Inhalt der Thronrebe ben Einnahmen und Ausgaben des Landes, erfüllt werden wird. Sorge und die dringendfte Aufgabe meiner Reprüfen, so dürfen wir dieselbe nicht als das Programm der Das letzte Rechnungsjahr hat einen Fehlbetrag von mehr gierung. als 31 000 000 M. Für das laufende Etatsjahr wird der Fehl- Zum Zweck der Erhaltung der neu gefchaffenen Renten- neuen Regierung ansehen.

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Suprema lex, regis voluntas!

betrag jedoch zum theil infolge vorübergehender Verhältnisse und Ansiedelungsgüter wird Ihnen voraussichtlich noch Und was wird in der Thronrede gesagt? Nichts von wahrscheinlich nicht unerheblich hinter dem Anschlage und in dieser Tagung der Entwurf eines Gesezes, beder Nothwendigkeit einer neuen Bergwerts- Gesezgebung, demjenigen des Vorjahres zurückbleiben. treffend das Anerbenrecht bei Renten und nichts von der Dringlichkeit, die Lage der Lehrer und der Der zu Ihrer Beschlußfassung gelangende Gesezentwurf, be- Ansiedlungsgütern, zugehen. Beamten zu einer menschenwürdigen zu gestalten, dafür treffend die Stempelsteuern, soll die auf dem Gebiete der Geehrte Herren! Es gilt heute mehr als je in einträchtiger aber desto mehr von der Nothwendigkeit neuer diretten Steuern nunmehr abgeschlossene grundlegende Reform Arbeit die Wohlfahrt des Ganzen zu fördern, und es ist die Steuern, die sich in einer Reform der Stempel. auf die indirekten Landessteuern ausdehnen und auch bei den ernste Pflicht aller Wohlgesinnten, Iegteren die Vertheilung der Staatslasten nach der Leistungs- en wachsenden Angriffen auf die Staatssteuer- Gesetzgebung verbirgt. fähigkeit in höherem Grade als bisher durchführen. ordnung, sich einmüthig zur Abwehr zusammen zu schließen.

Ein nach gleichen Grundsäßen ausgearbeiteter Gefehentwurf bezweckt eine Neuordnung des gerichtlichen Kosten­wesens, unter dem Gesichtspunkte einer einheitlichen Ge­staltung für alle Landestheile und der Ermäßigung der Kosten für Gegenstände geringeren Werthes, namentlich in Grundbuch­und Vormundschaftssachen. Gleichzeitig wird Ihnen der Entwurf einer Gebührenordnung für Notare zugehen, in welchem auch die Notariatsgebühren für die ganze Monarchie gleichmäßig geregelt sind.

Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.] 52

Im Exil. Roman von Georges Renard . Autorisirte Uebersehung von Marie Runert.

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Ein dritter Versuch brachte ihm die Ehre, bei einem großen Sou Blatte zu erscheinen, einer Zeitung, die sich be­sonders in Wahlzeiten- fortschrittlich nannte. Dieses Mal dauerte es wenigstens nicht lange. René hatte sein Werk mit einigen Worten analysirt, doch ließ man ihn kaum zu Ende sprechen. Zuviel Psychologie darin! Bu viel Literatur!

gegenüber

Ich vertraue auf die bereitwillige Unterstützung und die patriotische Hingebung der preußischen Landesvertretung und bitte Gott , daß er die bevorstehende Tagung dem Lande zu reichem Segen gedeihen lasse.

Nur ganz vereinzelt ertönte ein Beifallsruf bei Ver: lesung der Thronrede, und auch in der Presse fand dieser Beifall selbst bei den regierungsfrömmften Blättern nur kommen, kein Hehl mehr. Im vertrauten Kreise sprach er mit ruhiger Gemüthlichkeit darüber. Eines Abends sagte René seufzend zu ihm:

Du hast Glück, Du!

Nein, antwortete er. Aber ich weiß mich den Umstän­den anzupassen. Du bist zu eigensinnig. Du willst Du selbst bleiben, Du hältst an Deinen Ideen fest. Du bist der reine Wilde. Jch, ich weiß, daß man mit den Wölfen heulen muß, um ihnen zu gefallen, und ich heule stärker als sie, das ist mein ganzes Geheimniß.

Während er sprach, drehte er eine kleine Broschüre mit gelbem Umschlag in der Hand herum.

Was ist das? fragte René.

"

Das? Sieh' es Dir an. Die Jugend.... Revue für Literatur und Kunst." Ein schöner Titel, nicht wahr? Lesen Sie den Roman wenigstens, bat er schüchtern. Das Organ eines kleines Kreises von kräftigen, großen Nüßt nichts. Das Ganze ist nichts für unsere Zeitung. Männern, die alle, ich natürlich zuerst, ihr Denkmal haben Wir brauchen Abenteuer, geheimnißvolle Verbrechen, geniale werden. Aber halt! Jetzt erst denke ich daran. Willst Du Detektives, welche die Spur unauffindbarer Mörder ver- mit machen? Es kann Dir nüßlich sein. Durch unsere achtjährige, folgen; wenn nicht, dann wehe unserer Abonnentenlifte! gezwungene Abwesenheit sind wir hinter den Männern Der Direktor, ein alter Mann, der früher einmal großen unserer Generation etwas zurückgeblieben. Wir können sie Literarischen Ehrgeiz besessen hatte, schloß mit der Erklärung, nicht mehr einholen. Nun wohlan: Dann wollen wir die die keine Erwiderung zuließ. Kameraden der Jüngeren, die Patriarchen der Jugend sein. Wenn George Sand oder Balzac mir hente einen Du kannst Dir nicht vorstellen, wie bequem diese Aktien­Roman brächten, so würde ich ihn nicht nehmen, nein, gesellschaften auf gegenseitige Bewunderung sind, wenn man mein Herr, ich würde ihn nicht nehmen. sie nur einigermaßen zu benutzen weiß.

ich

René riß das Kreuzband ab, das die Revue umschloß. Bist Du Abonnent, sagte er, oder Mitarbeiter? Beides. D, die verstehen sich auf das Geschäft! Als ihnen das erste Mal etwas zuschickte, haben sie mir postwendend eine Abonnementsquittung übersandt. Und Du hast sie angenommen? Bottausend! Natürlich sie müssen mich irgendwie entschädigen. Ich gebe, damit Du giebst. Das ist die Seele des Geschäfts.

Nothgedrungen wird eingestanden, daß die preußische Staatsrechnung weit besser abschließt, als dies die terte Thronrede und die Vorlagen des preußischen Finanzministers erwarten ließen, aber dies sei lediglich auf zufällige Ursachen zurückzuführen und dann wird Schwarz in Schwarz die traurige Lage der preußischen Finanzen gemalt. Diese Klage richtet sich nicht an den preußischen Landtag, sondern an den Reichstag , der wegen des angeblich so traurigen Bustandes der Landesfinanzen die Reichs- Finanz= einzige, der Mittel befitt, folglich hat er das Recht ständiger Reklame auf dem Titelblatte. Darunter siehst Du zwei Direktions- und zwei Redaktionssekretäre. Ich sage Dir, das Geschäft ist großartig eingerichtet. Das reine Anschlagsäulen- System. Das Publikum behält so schließlich die Namen, die es unaufhörlich vor Augen hat, im Ge­dächtniß.

Aber die andern?

Warte ein wenig. Das Jdeal- Du begreifft- ist dahin zu gelangen, daß der Say:" Die beste Chokolade ist die Chokolade welche wir fabriziren," in den ver= schiedensten Formen immer wiederkehrt. Das bringt zweierlei mit sich: Berherrlichung derer, die zum Hause gehören, Vernichtung der andern. Schlage das Heft auf und Du wirst sehen, wie die Variationen über dieses Doppelthema ausgeführt werden.

Nummer.

Cayrolaz durchflog mit René die Inhaltsangabe der ... Die Poesie des Wortes. Versuch einer unabhängigen Kritit von Jean Argyropoulos . Ich wette, daß der nach allen Regeln der Kunst alles in Grund und Boden kritisirt. Doch höre lieber: der Autor fragt sich, ob Vater Hugo ein Dichter ist und schließt mit der schönen Phrase: Er würde mir noch lieber sein, wenn er keine Verse gemacht hätte. Gerade wie wenn der liebe Gott einer Wanze einen Verweis giebt.

Was hat Viktor Hugo ihm nur gethan?

Nichts. Er lebt nur zu lange, er verdunkelt unsere Zeit, und man ruft ihm zu: Geh uns aus der Sonne! Play den Jungen, zum Teufel! Lies den Artikel weiter, und Du wirst finden, daß die französische Poesie erst mit Almeria beginnt, der selbstredend einer der Unsrigen ist. Von ihm Worte, Worte, nichts als Worte! Mit ihm die köstlichste Musit, die Wunderblume des Traumes, der filberne Nebel des Symbolismus, was weiß ich noch! So improvifirt man einen großen Dichter!

Durch diese wiederholten Mißerfolge wurde René bitter gestimmt, niedergeschlagen. In dem kleinen Haushalte wuchs der Mangel, und die stille Besorgniß seiner Mutter wirkte auf ihn zurück und wurde von Tag zu Tag stärker. Er zweifelte an sich selbst. Er sah, wie Cayrolaz Glück hatte, für alle möglichen Blätter schrieb und schon einen gewissen Ruf besaß. Man war ihm auch eines Tages begegnet, als er eine Frau am Arme führte, die herrliche Diamanten in den Ohren trug. Seine Zeit war so tostbar geworden, daß er nur noch im Wagen durch Paris fuhr. Sollte er etwa Cayrolaz beneiden oder Halt! ein Artikel über Dich! rief René. nachahmen? D wenn doch unter den Mitteln, die Sieh, fieh! Aeh, das ist nett! Ein Virtuose auf dem dieser Tausendkünstler anwandte, eines gewesen wäre, Ach geh' mit Deiner Einfalt! Sieh Dir zunächst einmal Gebiete des Zeitgemäßen! Gin moderner Nachtfalter, der dessen René sich als ehrlicher Mann hätte bedienen können! den Umschlag an. Da steht in großen Lettern: Direktor: über die wogenden Gipfel der Ereignisse dahinflattert: Cayrolaz machte aus seinen Mitteln, vorwärts zu Gabriel Desaubiers. Ehre dem Ehre gebühret. Er ist der Ein Chronist, schnell und bisfig wie eine Wespe. Unter­

Bezahlen sic?

Den Drucker manchmal, die Mitarbeiter niemals. Und dann?