Nr. 440+ 39. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Europa und der Orient.
In Europa werden wieder einmal die üblichen Grenet nachrichten aus Kleinasien verbreitet. Die Türfen werfen den Griechen vor, bei ihrem Rückzug die islamitische Beröfferung ausgeplündert und ermordet zu haben, die Griechen werfen den Türfen por, bei ihrem Siegesmarsch die felben Delikte an Christen verübt zu haben. Zu Tausenden eilen die flüchtenden Einwohner den Küstenstrichen zu. Man schäßt ihre Zahl zwischen hundert und fünfhundert. tausend. Sie übervölfern die Sammellager, von Hunger, Durst und Seuchen bedroht, niemand weiß, wieviel ihrer auf der Flucht umgekommen sind. Die flammende Dornenkrone all der bedeutendsten Hafenstädte des Orients in Asche gelegt hat. Auch hier dieses widerfinnige Doppelspiel: die Türken vermuten als Brandstifter armenische Verschwörer, die Griechen sprechen von einem türkischen Racheaft und Christenmezeleien. Indes verkommen die vom Unheil Betroffenen.
Aber
Hier helfend einzugreifen, wäre das, was frühere Zeiten Europa , zerrissen von einem vierjährigen blutigen Krieg, fcheint das Gefühl für die Vorgänge verloren zu haben, die fich im Orient abspielen. Die Mächte, die im Namen einer höheren Kultur nach Kleinafien gekommen sind, Mächte, die den Schutz des Christentums auf ihre Fahnen geschrieben haben, stehen sich voller Eifersucht im Orient gegenüber, und ihre Hauptforge ist die, wer von ihnen den maßgebenden Ein I uz in einem Lande haben soll, das um seine nationale Eristenz ringt. Gewiß, die Nachrichten über das furchtbare Elend dieses Landes dringen auch in ihre Presse. Aber ihr 3wed ist es weniger, zur Hilfe aufzurufen, als ein möglichst gerüttelt Maß von Schuld auf die in Kleinasien ringenden Parteien zu werfen, die doch nur den höheren Willen diefer Großmächte vollziehen.
Sonntag, 17. September 1922
daß es mit den politischen Händeln nicht das geringste zu tun Bisa mit dem schiefen Turm, Spezia mit der blauen Brust des haben wolle. Amerita hat auf der Konferenz von Washington Meeres, es ist immer das gleiche Erlebnis. Carara stieg auf int bewiesen, daß man auch ohne Waffen und Waffen- Abendgold, im Goldstaub der Sonne mit den Schneewänden des Befchrei eine Politit treiben kann, die den Notwendigkeiten lang burch fabelhaftes Land mit Strömen, Weingärten und fanften weißen Marmors. Einmal wanderte ich an der Bahnstrecke ent einer Großstaatenwirtschaft entgegenkommt. Es ist seither das Bergen, bis ein Berg die Bahn verschluckte. Im Tunnel überfiel heißeste Senrühen der europäischen Staatsmänner, diefe mich die Angst, feuchte mich an, im feinen doppelten Gehört stampste Grundfäße auch nach Europa zu verpflanzen. Vielleicht stünde ein Zug, angstgeschüttelt flog ich durch das schwarze Loch, schrie laut, es um Kleinasien und die wirtschaftspolitischen Interessen als mich das Licht wie ein Spiegel blendete. Das Stampfen des Europas in Kleinasien besser, wenn man auch hier dem ame- Buges war verrollt, er war nur donnernd durch meine Angst ge rikanischen Verfahren einen größeren Blag einräumte. Info- gangen. fern tönnten die Vereinigten Staaten mit ihrem Beispiel nützen, auch wenn sie aktiv in die Politit nicht eingreifen. Allerdings, wenn Friede im Orient herrschen soll, dann muß auch das neu erwachende Bolk der Osmanen das Schwert nicht minder schwer ist als die der Türken. Der unheimliche ohne der Armenier zu gebenten, deren Leibensgeschichte wist zwischen den Armeniern und Türfen ist lang und schwer. Der Haß und Unfriede vieler Jahrzehnte liegt zwischen ihnen aufgehäuft. Beide leben auf einem Raum nebeneinander, der nicht zu eng ist für beide Bölter. Das Osmanische Reich fteht vor einem neuen Abschnitt seiner Geschichte. Wie es diesen Grundsatz in feinem gelegeneren Augenblick auch feinem Freiheit und Recht für sich in Anspruch nimmt, tann es Nachbarn anbieten. Wichtiger noch als Friede und Freiheit nach außen sind Friede und Freiheit im Innern des Landes. Die alte Türkei ist nicht zum fleinften Teil an dem Miß geschid ihrer inneren Berwaltung zugrunde gegangen. Die neue Türkei wird auf die Dauer nicht emporblühen tönnen, wenn sie die Fehler der Bäter nicht gutzu machen versteht. An seinem Großmut ist noch kein Volk zugrunde gegangen.
Heimkehr.
Bon May Barthel.
Bir standen am Arno und redeten das Blaue vom Himmel herunter. Die Blumen blühten, die Sonne schien, das alte Bagabundenblut begann zu braufen. Wir haßten die steinerne Stadt und schwärmten ins Freie.
betamen von schönen Damen Konfetti ins Gesicht geworfen, waren Der Karneval war mit großem Getöse verrauscht. Auch wir verwirrt, die Welt stand auf dem Kopf, schöne Frauen, die mit Bettlern scherzten! Erst später tamen wir fluchend dahinter, daß sie unsere Lumpen für Masten gehalten hatten.
Man hat sich in Europa allzu sehr daran gewöhnt, an die Politit nicht ethische Maßstäbe anzulegen, um diese Methoben noch als etwas Auffälliges zu betrachten. Aber vielleicht ist es Deutschland , dem der Krieg den Imperialis: mus aus dem Herzen geriffen hat, gestattet, die Verhältnisse mit anderen, menschlicheren Gefühlen zu verfolgen. Wir fennen das Flüchtlingselend aus eigenster bitte rer Erfahrung. Aus Elsaß- Lothringen , dem Saargebiet, Mit leerem Magen wird auch Florenz und der erzürnte David aus Westpreußen , Bosen und Oberschlesien tamen die Lands- Michelangelos langweilig, die Uffizien interessieren dich nicht mehr leute, ihrer Heimat und ihrer Habe beraubt, zu uns zurück. und da wanderst weiter deine Straße. Was du verschmähst, nimmst Aus dem östlichen Gebiet allein waren es mehr als fünf- bu dennoch mit, die weißen Marmorgötter, die fabelhaften Gemälde, hunderttausend Köpfe. Dazu tam der Hauptstrom jener die strenge Architektur der mittelalterlichen Stabt, es spiegelt sich Ruffen, die der Bolschemismus aus dem Lande trieb. Auch und baut sich auf in deiner Seele. Bir gingen auseinander, der jenem endlosen Zug der vor dem Hungergespenst Umber eine nach Bologna , der andere nach Rom , ich aber wanderte den Arno entlang über Bisa heimwärts. irrenden, dem der Bölfe und im vorigen Jahre nicht helfen zu können glaubte, stehen wir nicht fern. Es ist deshalb verständlich, menn wir zu den Ereignissen in Kleinasien eine andere Einstellung haben, als sie denen eigen ist, die nun einmal in die politische Verwirrung mit hineingezogen worden find. Bir tönnen nicht anflagen. Beder Griechen noch Türfen, die sich in ihrer Berbitterung ineinander fest. gebiffen haben. Solange die Osmanen in den Christen die Räuber ihrer Freiheit und ihrer nationalen Eristenz erbliden müssen, fann man von ihnen nicht Lämmerlanginut verlangen. Zumal das christliche Europa ihnen die Waffen gegen die Christen liefert. Eine Anklage zu erheben ist nicht möglich, so= lange die Großmächte Europas in Kleinasien den Machtkampf fortsegen, der Europa vor die letzten Tore des Elends geführt hat. Will man den Osmanen Frieden und Sanftmut predigen, fo muß man zunächst einmal Frieden im eigenen Hause schließen.
Es scheint, daß sich die Regierungen Englands und Frank reichs dahin geeinigt haben, eine Orientkonferenz zusammenzurufen, auf der neben den Großmächten auch die Völker fitzen , um deren Haut es geht. Das ist zu begrüßen. Aber es scheint auch, daß an der Friedenstafel Bölter figen werden, von denen man nicht wußte, daß sich der Konflikt auf sie bezog: Rumänien und Jugoslawien . Oder aber, wenn das Baltanproblem als solches von neuem zur Beratung gelangen foll, weshalb fehlt dann Bulgarien an der Tafel der Balkanvölker, dem, wenn einem Bolt, die Freiheit auf dem Balkan zu danken ist? Wünscht man einen ehrlichen und dauerhaften Frieden im Orient oder ist auch die bevorstehende Konferenz nur eine Etappe in dem Machtkampf zwischen England und Frankreich ?
In Rom hatte ich auf der Ruppel der Peterskirche geftanden, in Neapel am Krater des Besuos. Als wir nach Neapel rein fuhren, schneckte ich zusammen. Diese Landschaft, dieses Stadtbild hatte ich fchon einmal erlebt. Ich entfann mich, die Landschaft und die Stadt stand mit holdseligem Gesicht in meinen Träumen, verflärte den Arbeitstag und stieg, ein feiner, blauer Hauch, aus dem Blute des Sehnsüchtigen, nahm Gestalt an und verweilte über der Wanderschaft und brach jezt hernieber und wurde wirklich. durch die Borstadt hin zum Besuv. Dörfer famen mit weißen In den nächsten Tagen wanderten wir in der Morgenfrühe marmorgöttern, die lieblich oder streng lächelten, fanfte Hügel wölbten sich, darüber die Kuppe des Besuvs wie ein Haupt, das in Bolluft erglüht und verdorrt".
Wir stiegen an, über die Via Lava, die Straße aus Lava, die über ein erstarrtes Schlackenfeld führte. Aus dem toten Strom wuchs ein ausgebranntes Haus hoch, zerfnicht, unwichtig, Menschen Blumen, Gräfern, Bäumen, Bein, Räfern, mert, es ist alles eitel. Dann tam wieder lebendige Erde mit hörte das Leben auf, der Berg drohte unerbittlich und falt. Bon Mit einem Schlag seinen Flanten wälzte erstarrte Lava, rann Asche, rollte Geröll. Dann lagen wir am Kraterrand, atemlos, herzklopfend, veräschert, vor uns die riesige Wunde im Berg, den Krater. Der Sturm fegte den Abgrund rein, man sah den Krater im Krater. Dämpfe brodelten, weiß, violett, phosphorn. Die starren Lava ströme floffen unbeweglich in die Liefe. Dumpfe Erstarrung, Symphonie des heranbrechenden Unheils.
wälzen sich im Gras auf blühenden Wiesen, filbernes Jauchzen Roch zwitschern die Vögel, die Bienen summen, nadte finder erregten Blöckchen in der Ferne, Tanz und Gelächter aber das zwischen trachen schon die dumpfen Baufenschläge des heranbrechen. ben tödlichen Unheils..
Madonna,
Neapel aber lachte und lärmte, Schiffe fuhren aus, Händler schrien, Musikanten fidelten und flöteten, füße, fleine Dirnchen ver. tauften sich um ein Kupferstück, und über ihrem Bettchen hing die Während sich so die europäischen Mächte auf eine neue silbernster Nächte vor Florenz Lange Wochen in Rom und Wanderschaft am Meer, Erlebnisse Ronferenz vorbereiten, nimmt 2 merita, das auch in Ruß in einem violetten, perlmutterfarbenen Abenddunst und fuchte und nun wanderte ich am Arno land neben den Arbeitergewerkschaften die wirksamste Hilfe Quartier. Der erste Bauer verweigerte die Scheuer, aber ein Ar gebracht hat, die praktische Hilfe für die Flücht beiter tröstete mich:" Die Welt ist groß, Boverello," und führte mich linge in Kleinafien in die Hand. Und betont dabei, in eine Scheune, in der ich die Nacht verbrachte.
Mantel Flauschstoff wie Abb.
3750.
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Donn famen hohe schwarze Berge, in denen fein Baum, fein Haus stand die Hungerberge, wie die Landstreicher in Italien fie erfte Dorf heißt Sestri de Levante und hing wie ein Räubernest nennen, Hinter ihnen beginnt das Paradies, die Riviera. Das über dem Meer. Man denkt an Briganten und findet arme Fischer. schimmernd vor dein Angesicht. Dort ohen traf ich einen deutschen lettert am Felsen entlang und legt das blaue, südliche Meer Studenten und fam mit ihm ins Gespräch, das damit endete, das er einen Brief schrieb an Freunde in Nervi und mich ihnen empfahl Diesen Brief nahm in Nervi ein junger Mann in Empfang, mit spiken fingern, las mißtrauisch und sagte:„ Es ist gut, Sie können diese Nacht hier bleiben“ und übergab mich dem Zimmers mädchen.
müssen sie bereit sein, wenn der Herr ruft, fie müssen lächeln, wenw Die Zimmermädchen in der ganzen Welt sind sich gleich. Immer er fie in den Hintern fneift, fie müffen fich von den lüfternen Männerblicken ausfleiden laisen, sie dürfen höchstens Nicht doch oder Huch nein, wenn das Ihre Frau Gemahlin hört, fagen, die armen geduldigen Dienerinnen der Pensionen und der Hotels.
Das Mädchen war schön und führte mich in das Zimmer. Eir blütenweißes Bett, der Teppich blühte bunt, die Fenfter blitter Das Mädchen richtete das Bett und blieb wartend stehen. Ich war im Garten wiegten sich Palmen. Auch das Meer konnte man hören. in der rauhen Gemeinschaft der Landstreicher monatelang auf gewachsen, der Duft des Mädchens verwirrte mich, ihre verschleierten Augen machten mich unruhig, ich wußte nicht aus und ein. Da rümpfte sie ihr Näschen und gab, fich rächend, weil ich ihre sprach lofen Münsche nicht verstand, dem Bettler ein Gelbstüd, fnidfie und verschwand.
Da rief die Glocke zu Tisch. Ich wurde abseits der blumena geschmückten Tafel an ein fleines Tischlein gesetzt, wo ich verbiéstert. bie Suppe aß und den Braten zerteilte, aber heiterer wurde, als Gespräch anfingen. In dem Brief stand wohl, daß ich Verse schrieb noch zwei Gäste an diesem Tisch Blah nahmen und ein freundliches
ich hatte dem Studenten einige gezeigt, also bat man mich doch einiges aus den Werken vorzutragen. Wie nach einem Leiers fostenvortrag murde dann Geld gesammelt, gegen fünf Lire, die mich aber nicht froh machten. Am nächsten Tage war ich wieder in Genua . Ich wohnte im deutschen Seemannsheim.
Nächtliches Gespräch der Seeleute im mondhellen Schlaffaald Die Weber von Hongtong find die besten auf der ganzen Welt, geduldige Tiere, von denen bu alles verlangen fannst. Hüte dich aber vor den Beibern auf Madagaskar , die sind alle verseucht. Die andere Stimme antwortete:" Ich weiß, ich weiß, die schwarzen Frauen find die Schlimmsten, die fressen dich auf." von der Britsche erhob: Wir lagen vor Bombay und gingen los. Die Stimme eines jungen Matrosen, der sich beim Erzählen Da fanden mir eine meiße Frau, verludert und verbredt, die sich den Kulis hingab. Als sie uns fah, schrie fie laut und schrill auf Sie hatte feit Jahren feinen weißen Mann gesehen. Wie sie schriel Wenn du eine Ratte verfolgst und sie findet teinen Ausweg. mehr fchrifft sie auf So schrie diese Frau, als sie uns sah."
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Ein Flüftergespräch rieselte neben mir:" Bir lagen vor Gibnen befoff sich selber jeden Tag am Land. Der Fraß war auch zum meißt du. Der Kapitän war ein Schuft, er gab feinen Urlaub Kogen, meißt du. Was macht da der Junge? Der Junge schwamm ans Land, meißt du, der Junge lief zu den Weibern , weißt du. In den nächsten Tagen fam ich ins Lazarett. Mann Gottes, hat der Kapitän geflucht."
Der Mann, der antwortete: In Kairo ist es mir ähnlich ergangen. Die schweinischste Stadt der Welt ist Kairo . Ich sage dir, ba gibt es. So gingen die Gespräche ins Endlose auf und ab, jede Nacht, jede Nacht.
Die Männer, die aus den Stürmen und Gefahren an das feste Land gekommen waren, aus der harten Brüderschaft und klöfterlichen Abgeschloffenheit der Meere, verstummben erst, wenn jede Stadt wie eine Frau unter ihnen lag und feuchte..
In den nächsten Tagen fuhr ich nach Norden. An der Grenze hielt der Zug. Ich bin, bis ich weiter fuhr, die ganze Nacht durch die verdunkelte Kleinstadt gegangen. Es war talt, aber ich glühte innerlich wie von gelbem Wein, der das Luftgefühl steigert, aber nicht trunken macht.
Aus der Partei.
Genosse Kurt Heinig ist vom Deutschen Wertmeister verband( Af- Bund) aufgefordert worden, deffen neugegründete voltswirtschaftliche Abteilung in Berlin zu übernehmen. Dem Genossen Heinig war diese wichtige organisatorische aus dem Berbande der Redaktion wurde aber erst im Auguft zugeAufgabe schon vor längerer Zeit angetragen worden, seinem Austritt stimmt. Er scheidet Anfang des nächsten Jahresviertels aus der Rebattion des Borwärts" aus, der er seit längerer Zeit als politischer Redakteur und technischer Leiter angehörte.
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