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Nr.475 39.Jahrgang Ausgabe B Nr. 231

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Sozialdemokrat Berlin ".

Abend- Ausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3

Fernsprecher: Dönbeff 292-295

und 2506-2507

Sonnabend, den 7. Oktober 1922

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., SW 63, Lindenstr. 3 Fernsprecher: Berlag, Hauptegpedition u. Inseraten­

Abteilung: Dönhoff 2506-2507

Giftanschlag im Rathenau - Prozeß.

Mehrere Angeklagte erkrankt.

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Der Prozeß vertagt.

Leipzig , 7. Oktober. ( WTB.) Im Rathenau - Prozeß wurde die heutige Sigung auf Montag vertagt, da die Angeklagten Günther und Warnecke, wie der Vorsitzende ausführte, durch irgend einen Unfall, der noch nicht aufgeklärt sei," ernstlich erkrankt und verhandlungsunfähig seien. Nach der Strafprozeßordnung müsse die Verhandlung in ununterbrochenem Zusammenhang und in Anwesenheit sämtlicher Angeklagten geführt werden. Also gebe es kein Mittel, die Verhandlung etwa in Abwesenheit von Günther und Warnecke fortzusetzen. Wie es heißt, haben Günther und Warnecke von vergifteten Pralinés gegessen, die ihnen gestern zugeschickt worden sind.

Das Gift in Pralinés.

Ueber den Eindruck, den das Giftattentat auf das Ge­richt und die sonstigen Beteiligten machte, erhalten wir aus Leipzig noch folgende Darstellung:

B. S. Leipzig , den 7. Oktober 1922. Die heutige Verhandlung des Rathenau - Mordprozesses begann mit einer Sensation. Der Beginn der Verhandlung verzögerte fich im Gegensatz zu den vorherigen Tagen ungebührlich lange. Der Borsizende, Senatspräsident Dr. Hagens, hatte die Mitglieder des Gerichtshofes zu einer Sigung vor Beginn der Verhandlung ver­sammelt, und auch der Oberreichsanwalt Ebermayer fonferierte eifrig mit den Verteidigern und dem Gefängnisarzt der Untersuchungsanstalt I in der Beethovenstraße, in der die Ange­flagten untergebracht sind. Sehr bald sicherte das Gerücht durch, daß die Weiterführung des Prozesses in Frage gestellt fei, da in der letzten Nacht

Senatspräsident Dr. Hagens von den Vorfällen in der Nacht mit-| zahlreich, daß sie endlich einmal ganz gestopft werden müssen. feilung. Oberreichsanwalt Ebermayer verfügte infolgedessen die so- Sonst steht der Republik trotz des Schutzgesetzes der schlimmste fortige Beschlagrahme der noch vorhandenen Reste Schaden bevor! des konfekts, die dem Gerichtschemiter zur Prüfung übergeben wurden. Das Resultat der Untersuchung liegt noch nicht vor. Wie wir von anderer Seite erfahren, besteht der Verdacht, daß die kon­

fettfüllung Typhusbazillen enthielt, da die Krankheitser­fcheinungen größtenteils Typhussymptome bilden. Eine genaue Untersuchung dürfte jedoch erst am Sonnabend abend möglich sein.

*

Gift in Bonbons.

Nach der Erkrankung der Angeklagten, die von den vergifteten Bonbens gegessen haben, ist die Hypothese aufgetaucht, daß die Bonbons mit Typhusbazillen infiziert worden seien. Auf unsere Anfrage, ob eine derartige Vergiftung möglich sei, teilt uns Genoffe Dr. med. Alfred Bener folgendes mit:

Bon einer Absendung eines Liebesgabenpakets an die Ange- Eine absichtliche Vergiftung durch lebende Bezillen ist an sich flagten ist der Firma Sarotti , wie wir foeben erfahren, möglich. Es ist auch möglich, Nahrungsmittel mit derartigen Krank­nichts bekannt. Die Direktion hat sofort alle denkbaren Schritte heitserregern zu durchfezen, falls sie in faltem Zustande her­in die Wege geleitet, die zur Klarstellung der ganzen Angelegenheit gestellt werden, während bei einem bestimmten Wärmegrad die zweddienlich sein tönnen. Eine Umfrage bei sämtlichen Fi- Krankheitserreger absterben würden. Ferner kann der Täter auch lialen, ob und wann eine Bestellung aufgegeben wurde, daß ein die zu vergiftenden Nahrungsmittel nach der Herstellung äußer. Päckchen Konfekt an den Angeklagten Günther zur Absendung ge lich mit Krankheitserregern bestreichen. Hierzu würde sich z. B. 5 Angeklagte an Vergiftungserscheinungen erkrankt langen follte, verlief ergebnislos. Die Direktion hat angeord- das Burstgift( Botulinus) eignen, das bekanntlich auf einen leben­net, daß in den Ladengeschäften der Firma Sarotti alle Verkäufe- den Bazillus zurückzuführen ist. Man kann statt der Bazillen selber feien. Wie erinnerlich, hatte schon die gestrige Nachmittagsfißung rinnen in dieser Angelegenheit nochmals eingehend vernommen auch die giftigen Ausscheidungen von Krankheitserregern benutzen. zweimal unterbrochen werden müssen, weil der Angeklagte Günther werden sollen. Die Untersuchung des dem Angeklagten Günther sich außerstande fühlte, der Berhandlung folgen zu können. Heute übersandten Ronfetts steht noch aus. morgen meldeten sich auch Ernst Werner Techow , Warnede, Stein­bed, Plaas und Tillessen frant. Die genannten Angeklagten sahen in der Tat bleich aus und hielten sich nur mit Mühe auf Zureden der Verteidiger aufrecht. Gegen 10 Uhr erschien dann der Gerichts­hof im Saal und Senatspräsident Dr. Hagens verkündete:

Nach den Mitteilungen, die mir gemacht worden sind, ist es den beiden Angeklagten Barnecke und Günther infolge eines Un­falles nicht möglich, der Verhandlung zu folgen. In der Tat ist nach Auskunft des Gefängnisarztes Warnede so schwer er franft, daß er verhandlungsunfähig ist. Aber auch Günther ist nach der Bekundung des Arztes sehr leidend. Da nach der Strafprozeßordnung es unmöglich ist, ohne die beiden Angeklagten weiterzuverhandeln, und da eine Abtrennung ihrer Sache von der Hauptanklage nicht möglich ist, so vertage ich die Verhandlung bis Montag früh 9 Uhr. Nach Ansicht des Arztes ist es fast sicher, daß die beiden Angeklagten bis dahin

wiederhergestellt sind."

Hierauf wurde die Berhandlung geschlossen.

Einzelheiten:

Verräter gehen um die Ecke!"

-

Wahrscheinlich sind derartige Vergiftungsmethoden jedoch nicht, weil die organische Chemie Gifte genug fennt, die weder mit dem Geruch noch mit dem Geichmad wahrzunehmen sind und vor den Bazillen den Vorteil für den Täter haben, daß sie haltbar sind und ihre giftige Wirkung daher auch bei späterem Genuß der Nah­rungsmittel eintritt. Zu diesen Giften gehören z. B. die Cyansalze, so das häufig zu Giftzweden verwendete Cyankali. Welches Gift im vorliegenden Falle verwendet worden ist, kann natürlich nur die genaue Untersuchung des giftigen Konfefts und der Vergifeten ergeben.

Die eigentlichen Angeklagten. Deutschvölkische Mordpolitit.

Selbit

Diese Vergiftungsaffäre wirkt wie eine ungeheure Sensation. Jedermann wirft die Frage auf, woher die vergifteten Pralinés gekommen sein können. Wer hat ein Interesse daran, dem Angeklagten Günther Gift in die Belle zu senden? Und warum gerade dem Günther, der doch von den deutschnationalen Verteidigern als ein pathologi­scher Renommist hingestellt wird? Allerdings hat Günther in feiner fomödiantenhaften Art mehr ausgeplaudert, als den Drahtziehern lieb sein konnte. Vielleicht hätte er noch mehr ge­prochen, wenn er in schärferes Kreuzperhör genommen worden Rathenau- Prozeß, daß hinter den 13 auf der Anklagebant Wir sagten schon in unserem ersten Bericht über den wäre. Und da Berräter bei uns um die Ecke" gehen, wie der Mörder Kern dem Garagenbefizer Schütt er- Angeklagte ständen. Diese Angeklagten sind die mili­Sigenden stärkere und eigentliche, aber unsichtbare flärte, und da die Feme gegen Verräter eine der gefährlichsten tärischen Organisatoren der deutsch völlischen Waffen der Organisation C ist wie schon im Erz- Geheimbünde und die reichen Förderer der berger- Mordprozeß festgestellt wurde so find Vermutungen deutschvölkischen Mordpropaganda. nach dieser Richtung durchaus naheliegend. die Aussagen der Hauptangeklagten weisen auf die eigent­Weber die Erkrankung der Angeklagten, Indessen wollen wir nicht voreilig Behauptungen auf- lichen Drahtzieher der deutschvölkischen Bewegung: auf die die zu lebhaften kommentaren Anlaß gab, erfahren wir folgende linés zur Untersuchung überwiesen sind, wird prüfen, ob und anderen Helfershelfer des Hochverräters Kapp hin. Diese stellen. Der Gerichtschemiker, dem die übrig gebliebenen Pra- Umsturzagenten der Ehrhardt- Division und auf die Am Donnerstag hatte der Angeklagte Günther im Reichsgericht die den Herren Mordverschworen en ins Untersuchungs- nationaler, großagrarischer und schwerindustrieller Kreise ge­welche Art von Gift der füßen Speise beigemengt worden ist, Agenten sind aber aus den geschwollenen Geldbeuteln deutsch­ein patet mit Schokolade erhalten. Als Abfender war die gefängnis geliefert wurde. Es wird aber auch notwendig speist worden, aus diesen Geldbeute! n, die nebenher die riesi Firma Sarotti in Berlin angegeben. Der postalische Auf- fein, zu prüfen, wieso und warum es möglich war, daß diese gen Kosten für die deutschvölkische Mordpropaganda auf­gabestempel ließ erkennen, daß das Pädchen in Moabit auf gegeben worden ist. Dem patet war ein Brief beigefügt, der können. Sie haben zwar als Untersuchungsgefangene das Hochflut der deutschvölkischen Flugschriften, von Werf" und Art von Angeklagten Näschereien in die Zelle bekommen brachten. Wer zählt die Millionen zusammen, mit denen die die Schokolade als eine Liebesgabenfendung erscheinen Recht auf Selbstbeköstigung; aber früher wurde doch dieses Merkblättern" bezahlt werden mußte? Daß diese Litera­lieh. Es handelte fich bei der Sendung, wie wir weiter hören, um Recht dahin beschränkt, daß die Speisen aus einer bestimmten, tur" aber direkt zu einer Mord- und Totschlagspropaganda gefülltes Konfekt. In der Freitagverhandlung Günther von der mit der Gefängnisverwaltung im Vertragsverhältnis stehenden ausartete, das weist das soeben im Verlag der Buchhandlung Liebesgabenfendung und bot in der Mittagspause, während derer jämtliche Angeklagte in einem besonderen Zimmer unter- Wirtschaft bezogen werden mußten. Die deutschnationalen Vorwärts erschienene Schriftchen: Arisches Kaiser­gebracht sind, den anderen in Haft befindlichen Angeklagten an. Fast Mordverschworenen genießen also in der Republik Bergünsti- reich oder Judenrepublik von Carlo Mierendorff alle aßen davon. Am Freitag nachmittag fühlte sich Günther, gungen, über die sie wirklich herzlich froh sein können und die an den Breßerzeugnissen deutschvölkischer Sudelfabrikanten da er am meisten gegeffen hatte, bereits start unwohl, so daß end- alten Regime faum gewährt worden sind. Gerade dieser Serie etwa sozialdemokratischen Untersuchungsgefangenen unter dem nach. lich um 3 Uhr die Berhandlung abgebrochen werden mußte. Macht ganze Arbeit mit den Juden," schreibt von Angehörigen einer zu allem entschlossenen Geheimorgani- da der deutsche Volksrat", Dr. Heinrich Budor, Leipzig fation gegenüber wäre doppelte Vorsicht am Blake ge-( Hand- und Werfzettel Nr. 3. ,, Deutscher Volksrat" wesen. Statt ihrer findet man eine faum verständliche Nach- Bestien reizt man nicht, man tötet sie". erkrankten auch die anderen Angeklagten. Besonders heftig zeigten ficht, die geeignet ist, unangenehme Ueberraschung in allen fich Vergiftungserscheinungen bei Warnede, der Magen- und Kreisen auszulösen. Herzkrämpfe befam, aber auch bei Ernst Werner Techow , Man muß erwarten, daß die Untersuchung dieses neuen Steinbed, Plaas und Tillefsen stellte fich heftiges Erbrechen und Verbrechens, das die Sühne für das alte hinauszuschieben Diarrhoe ein. Der Direktor der Gefangenenanstalt I, v. Tech- bestimmt ist, mit aller gebotenen Gründlichkeit und aller Be­wih, ließ sofort durch den Gefängnisarzt fämtliche Angeklagte unter- fchleunigung geführt wird Ihr Ergebnis könnte gerade für fuchen und Beruhigungs- und Gegenmittel verabreichen. Die Weiterführung des schwebenden Prozesses vorausge­Trohdem gelang es nicht, die auffälligen Krankheitserscheinungen setzt, daß nicht durch Todesfälle die Unterbrechung erzwungen bis zum Morgen zu bekämpfen. Bereits am Sonnabend morgen wird neues Licht bringen Die Kanäle der mit Hand machte Direktor v. Techwiz dem Oberreichsanwalt Ebermayer und granaten, Blausäure und Gift arbeitenden Dunkelkreise sind so

In der Nacht zum Sonnabend

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In einem Flugblatt der Deutschen Vereinigung für Wahr­heit, Voltsaufklärung und Volksgesundung( E. B.), Leipzig , E. Behrs Verlag, heißt es: Auf zur Tötung, auf zum offenen Kampf gegen die Blutsauger". Das auf einer Post­tarte verbreitete Gedicht: Wie es tommt", fündet ,, allen Judasbrüdern" den nahen roten Tag" an, an dem sie wie tolle Hunde" niedergeschlagen werden sollen.

Auf die deutschvölkische Tonart waren schon die Kund­gebungen des Kapitäns Ehrhardt gestimmt, in denen dieser kurz vor dem Zusammenbruch des Kapp- Putsches ( Rede an seine