2. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Ur. 15.Freitag, den 18. Januar 1895.IS. Jahrg.deS parlamentarischen Komitees der englischenTrades Unions.Aus London schreibt unser Korrespondent:Gespannt darf man sein, roie man sich zu den Ab-Underungen der Geschäftsordnung für dieallgemeinen Trade Unions-Kongresse stellenwird, die das parlamentarische Gewerkschaftskomilee letzthin aus-gearbeitet und auch gleich als bindend schon für den nächstenKongreß proklamirt hat.Tiefe„neue Geschäftsordnung" hat in der sozialistischen undgewerlschastlichen Bewegung nicht geringe Ausregung hervor-gerufen, und von verschiedenen Seiten sind bereits lebhafteProteste gegen den mit ihr verüblen„Staatsstreich" ergangen.Ta die Frage, um die es sich dabei handelt, von größerer Bc-deutung ist und noch sehr viel Konlroversen im Gefolge habenwird, wird es zwecfmäßig sein, etwas näher daraus einzugehen.Bon dem letzten Trade Unions- Kongreß waren dem neuenparlamentarischen Komitee eine Reihe von Anträgen auf Ab-änderung der Geschästsordnung, die auf dem Korgreß selbst nichtmehr verhandelt werden konnten, am letzten Tage zur„Er-wägung" überwiesen worden. Auf grnnd dieses Auftrags nunhat das Komitee eine Reihe von Abänderungen ausgearbeitet,nach deren wichtigsten oder bestrtttensten in Zukunft: 1. nurderjenige Telegirter auf den Gewerkschaftskongressen sein kann,der entweder in der Branche der Union, für die er gewählt ist,zur Zeit wirklich als Lohnarberter thätig, oderbezahlter ständiger Beamter seiner Union ist;2. lokale Gewerkschaftsverbände(Trades Councils) als solcheüberhaupt keine Vertreter zu entsenden haben; und 3. die A b-stimmungen ans den Kongressen nicht nach Köpfen, sondernnach tair senden vertretener Mitglieder ge-schehen sollen.Für jede dieser Abänderungen lassen sich Gründe geltendmachen, die auf den ersten Blick volle Berechtigung habe». Wasz. B. den ersten Punkt anbetrifft, so bat die jetzt gellende Be-stimmung, daß der Delegirte in dem Gewerbe, das er vertritt,Arbeiter sein oder gewesen sein muß, zu den absurdestenUngerechtigkeiten Gelegenheit geboten. Leuten, die aus anderenGesellschastsklasien zur Arbeiterbewegung übergetreten sind, undsich ihr vollständig hingegeben, ihre Schiffe vollständig hinter sichverbrannt haben, ist der Zulaß zu den Gewerkschaftskongressenbeharrlich verweigert worden; dagegen haben Leute Zulaß gesunden und eine gewisse Rolle spielen dürfen, nur weil sie, ob-wohl sonst ganz verbürgerlicht, vor undenklichen Jahren einmalArdeiter gewesen waren und von irgend einer kleinen Union, dieein Scheindasein führte, ein Mandat vorzeigen konnten. Tiezweite Bestimmung ist geeignet, indirekicu und Doppel-Vertretungen, und die dritte der Majorisirung der wirklich aktivenGewerkschaften mittels der Delegirten rein nomineller Vereinchenein Ende zu machen.Soweit wäre also nur fraglich, ob das parlamentarischeKomitee mit seiner Auffassung im Recht ist, daß ihm vomKongreß von Rorwich die endgillige Bestimmung über dieStatutenänderung überwiesen worden ist. Aus dem offiziellenProtokoll des Kongresses ist darüber nichts mit Sicherheitzu ersehen, dasselbe überbietet, was ziemlich viel sogen will,alle seine Vorgänger an Unübersichtlichkeit und Ungenauig-keit. Wenn aber auch selbst der Wortlaut des betreffendenBescklusies diese Auffaffung rechtfertigen würde, so ist doch sehrunwahrscheinlich, daß die Mehrheit des Kongresses bewußteine solche Vollmacht aus der Hand gegeben hat. Die Beschlüssedes letzten Tages werden stets in solcher Hast gefaßt, daß ihrWerth auch sonst ein sehr geringer ist.Aber wie es sich auch mit dieser formellen Seite der Frageverhält, sie erhält ihre Wichtigkeit erst durch den wirklichenZ w e ck der obigen Abänderungen.Nirgends>st es weniger angezeigt, wie hier in England,solche Dinge nach dem zu beurtheilen, als was sie sich, abstraktgenommen, darstellen. Nicht um abstrakte Prinzipien handeltes sich hier, sondern um ganz konkrete Jnteressenfragendes Augenblicks. Die Liste der Abstimmung im parla-mentarische» Komitee über den betr. Beschluß ist in dieser Hin-ficht sehr charakteristisch. Es standen sich die Annehmenden undAblehnenden in gleicher Stärke gegenüber: sechs gegen sechs, undnur die Stimme des Vorsitzenden gab für die ersteren den Aus-schlag. F ü r den Antrag stimmten: B u r n s(Maschinen-bauer ic.), C o w e y(Bergarbeiter). H a r f o r d(Eisenbahn-Angestellter), Holmes(Weber), Jnskip(Schuhmacher),M a w d s l e y(Spinner) Gegen: Broadhnrst(Steinhauer),Jack(Former), Sheldon(Irische Sektionen). Thorne(Gasarbeiler), T i l l e t(Docker) und Wilson(Matrosen).Man sieht, auf der einen Seite nur Vertreter alter und großerOrganisationen„gelernter" Arbeiter, auf der anderen Vertretertbeils kleinerer Organisationen, theils von Organisationen der„Ungelernten". Ferner: aus der einen Seite nur Leute, die außer-halb der erklärt sozialistischen Organisationen stehen, auf deranderen zwei Mitglieder dieser Organisationen(Thorne undTillet) und Leute wie B r o a d h u r st und Wilson, die eineMittelstellung einnehmen. Und schließlich, wer von bekannterenPersönlichkeiten der Arbeiterbewegung würde nach dem neuenStatut aus den Trades Unions-Kongreffen ausgeschlossen werden?Ganz sicher Keir Hardie, Tom Mann und andere Mitglieder derJnvependenl Labour Party, desgleichen H. Broadhurst und,nach seiner eigenen Behauptung, auch B u r n s selbst, der wesent»lich an dem Zustandekommen des Beschlusses mitgewirkt hat.Tom Mann war in Norwich Kandidat der Jndependcnt LabourParty und anderer Sozialisten für das Amt des parla-m entarischen Sekretärs. Broadhurst ist ein möglicherKompromißkandidat, für den die Jndependent Labour Party austaktischen Gründen stimmen würde, wenn sie keine Aussicht hat,einen strammen Partcimann durchzubringen. Der jetzige Sekretär,Sam Woods, ist nur mit schwacher Majorität gewählt wordenund keine so starke Persönlichkeit, einer solchen Koalition gegen-über die Majorität mit Sicherheit zusammenzuhalten, wenn diebisherigen Zulaßbedingungen und Abstimmungsregeln bei-behalten werden. Gelten aber die neuen Bedingungen, so istseine Wahl oder die irgend eines anderen, den großen Organi-sationen genehmen Kandidaten unbedingt sicher.Es ist daher nicht ganz ungerechtfertigt, wenn gesagt wird,die Aenderung ziele in erster Reihe gegen die Jndependcnt LabourParty und deren Freunde, und sehr begreiflich, daß man sichvon dieser Seite anfs eifrigste gegen sie ins Zeug legt. Stelltes sich heraus, daß das Parl. Komitee— resp. dessen Mehrheit—in der That seine Vollmacht überschritten hat, so ist der Oppositionder Sieg fast gewiß und der„Staatsstreich" endet mit demGegenthcildessen, was er bezweckte. Bedauerlich wäre dann nur, wenn dasKind mit dem Bade ausgeschüttet, und die ganze Statutenänderungverworfen würde. Denn das jetzige Statut ist in der That vcr-besserungsbedürjtig. �Eine ganz fehlersreie Form der Vertretung und Abstimmungsoll freilich noch gefunden werden. Wird z. B. nach den ver-tretenen Massen abgestimmt, so beherrschen eine Handvoll großerOrganisationen oder vielmehr deren jeweilig maßgebendeElemente den Kongreß und das hat seine sehr großen Bedenken.Da wäre die Zuweisung wichtiger Anträge an die Urabstimmungebenfalls vorzuziehen. Ebenso ist es sehr zweifelhaft, ob dieBestimmung, die Delegirten müßten zur Zeit ihrer Wahl in dervon ihnen vertretenen Branche arbeiten, irgend welchen Werthhat. Ist eine Organisation berechtigt, sich vertreten zu lassen,so kann man ihr wohl die Freiheit lassen, zu wählen, wen siewill. Im allgemeinen bringt es die Natur der Sache mrt sich,daß die Weberorganisation nicht einen Schloffer und die derSchuhmacher nicht einen Schreiner mit ihrer Vertretung beauf-tragen werden, aber wenn sie es thun, so werden sie auch ihreGründe dafür haben, und es ist reine Zünftlerei, es ihnen zuverbieten.Aber eS sprechen in diesen Dingen so viel persönlicheRivalitäten, Antipathien und Gruppeninteressen mit, daß solcheErwägungen ganz in den Hintergrund gedrängt werden. Hübenund drüben wird die Opportunität das entscheidende Wort sprechen.Ist doch auch der Gegensatz gegen die Jndependenl Labour Party beisehr vielen ihrer Gegner nur eine Frage p er sön lich er Natur oderbloßer Taktik, resp. Opportunität, aber keineswegs ihrerprinzipiellen Stellung zum Sozialismus. Und ebenso vielfach imumgekehrten Falle. Daher die sonst widersinnigen Positionenvon Burns einerseits und Broadhurst andererseits. So wenigehrenvoll sie für die Genannten, so sind sie doch nicht die einzigenwidersinnigen Erscheinungen in dieser Affäre. Und das ist dienicht sehr erquickliche Moral davon.—Gevickks-Zeikung.Gewerbegericht.Interessant in mehrfacher Beziehung istfolgender Fall, den die Kammer VI erledigte. Der BierfahrerK. verlangte von der Aktiengesellschaft„Schultheiß-Brauerei"eine Lohnenlschädigung. Ter Vertreter der Brauerei überreichtedem Gerichtshof eine Arbeitsordnung, deren Z 9 seiner Meinungnach die plötzliche Entlassung des Klägers rechtfertigt, weil diesersich weigerte, einige Strafwachen zu halten. Der Paragraphbestimmt, daß derjenige sofort entlassen werden könne, der seinenVorgesetzten verböbnt oder sich weigert, eine ihm vom Vorgesetztenübertragene Arbeit auszuführen. Ter Kläger behauptete, derKellermeister Tyllmann habe ihn durch Grobheilen und Schimpf-reden gereizt, sonst hätte er vielleicht noch die Strafwachen geleistet,die übrigens ungerechter Weife über ihn verhängt seien. Keller-meister Tyllmann sagte aus. der Kläger sei an dem Tage desMonats, an dem er„äu zour" zu halten, d. h. das Licht aus-zudrehen, die Wasserleitung abzustellen und die Thören zu schließenhalte, sehr nachlässig in der Erfüllung dieser Pflicht gewesen.Aus diesen Gründen habe er, Zeuge, dem Kläger die Strafe zu-diktirt, die derselbe sich dann wiederholt geweigert habe aus-zuführen. Dabei habe Kläger ihn als weniger wie sich selbstbezeichnet.-- Ter Kläger wurde unter folgender Begründungabgewiesen: Daß er dem Zeugen Tyllmann erklärt habe, erwolle die Strafdujouren nicht machen, hätte der Kläger selbst zu-gegeben. Dahingestellt bleiben könne, ob derKläger zu einer Strafe Anlaß gegeben habe,oder ob der Zeuge befugt gewesen sei, dieseStrafen zu erlheilen. Sie seien eben nicht nur eineStrafe, sondern auch eine übertragene Arbeit ge-wesen. Da nun mit dürren Worten im Z 9 der Arbeitsordnung stehe, daß jeder sofort entlasten werden könne, der eineihm von seinem Vorgesetzten übertragene Arbeit verweigere,wäre auch die Entlassung des Klägers b e-r e ch t i g t.Die Weigerung, ihren Arbeitern den wohlverdienten Lohnnicht zu zahlen, hatte für den„Bauunternehmer" Jaaow undden„Bauherrn" Schöneich ein unangenehmes Nachspiel. DieHerren gedachten mir dem Maurermeister Ellroth ein„Geschäft"zu machen, die Sache ging aber für dieselben schief, wie derBerliner sagen würde, und sie blieben, weil ohne Geld, ihrenArbeiter» den Verdienst mehrerer Arbeitslage schuldig. Die Ar-beiter bemühte» sich, zum Theil auf direkte VeranlassungSchöneich's. nach ihrem Gelde, ohne es zu erhalten. Ihre Ge-duld ging schließlich zu Ende, so daß sie ihre Bemühungen beimGewerbegericht fortsetzten. Die Kläger, einmal süns Maurer,dann zwei Sleinträger, dann wieder ein Maurer, beanspruchtennunmehr aber nicht nur ihren Verdienst, sondern auch eine Eni-schädigung für die Zeit, welche sie bei ihren vergeblichen Be-mühungen versäumt hatten. Bei den einen waren dies sechs,bei den anderen sieben Tage. Die Kammer III unter AssessorLohmeyer sprach den Leuten auch gemäß ihrem Antrage dieEntschädigung außer dem unstrittigen rückständigen Lohn zu.Der Vorsitzende betonte in der Begründung des Urtbeils ans-drücklich, daß es nicht daraus ankomme, ob den Klägern seitensder Beklagten oder eines derselben versprochen sei, sie erhieltenauch die Tage ihrer Bemühungen nach ihrem Verdienst bezahlt.Zur Rechtfertigung des Entschädigungsanspruches gen ü g•.> e s.daß die Kläger so und so vielTage lang nachihrem Lohn unter tvegs gewesen und dadurchverhindert worden seien, andere Arbeit zubekommen.--- Anderer Meinung wie die Kammer IIIscheint die Kammer VII zu sein. Zwei Arbeiter, die für denHändler Tohrmann im Auftrage des Fuhrherrn Möhricke Brettergestapelt hatten, sahen sich»ach dreitägiger Thütigkeit vor dieAlternative gestellt, den beiden wegen ihres Lohnes nach-zulaufen. Drei Tage versäumten sie sich so, dannklagten sie beim Gewerbegericht, wo sie ebenfalls außerauf ihren Verdienst auf eine Entschädigung für die dreiTage Anspruch erhoben. Während der Beklagte Möhricke zurZahlung des Lohnes verurcheilt wurde, wies das Gericht unterAssessor Blankenstein die Kläger mit der letzteren Forderung ab.Grund: Die Kläger hätten den Herren Möhricke und Dohrmannnicht wegen des Lohnes nachlaufen brauchen, sondern hättengleich beim Gewerbegericht klagen können.Vom ReichS-Versicherungöamt. Wann ein Leisten-bruch als Unfall, derzumRentenbezuge e v e n tberechtigt, und wann derselbe nicht als solcheranzusehen ist. Die Frage betrachtet daS Reichs- Ver-sicherungsamt mit derjenigen für entschieden. ob derVruch direkt auf eine Betriebsverrichtung als seiner Ursachezurückzuführen ist, oder ob in dieser Verrichtung nurdie Gelegenheitsveranlassung dafür lag, daß einesckon vorhanden gewesene Veranlagung zum Bruch zun,vollendeten Bruch wurde. Der Arbeiter Schütze war zuFalle gekommen, als er einen zwei Zentner schweren Sack aufseinen Schultern forttragen wollte. Er verspürte gleich darausheftige Seitenstiche, weshalb er sich ärztlich untersuchen ließ.Ter Arzt stellte einen doppelten Leistenbruch fest. Wenige Tagespäter arbeitete Sch. unter Benutzung eines Bruchbandes weiter.Von der Verussgenoffenschast und vom Schiedsgericht mit einemRentenanspruch zurückgewiesen, wurde demselben auch vom Reichs-Vcrsicherungsamt in letzter Instanz das Anrecht auf eine Unfall-rente nicht zuerkannt. Es wurde gerade darauf der größteWerth gelegt, daß der Kläger nach jenem unglücklichen Fall, dener dem Gerichtshof näher schilderte, einen doppelten Leisten-bruch hatte. Hieraus schloß nian nämlich, daß nicht ein Be-triebsunfall, eine plötzliche Gesundheitsschädigung infolge derThätigkeit im Betriebe vorliege, sondern daß beim Kläger schoneine weitergehende Veranlagung zum Leistenbruch vorhanden ge-wesen sein müsse, so daß dessen Fall nur den Austritt drZBruches veranlaßt«, ihn aber nicht verursachte.Ganz vernünftige Ansichten über die Stellung und dieAufgabe eines Zeitungsredakteurs offenbaren sich ineinem Reichsgerichts-Erkenntniß, das im„Reichs-Anzeiger" ver-öffentlicht wird.Der verantwortliche Redakteur einer Zeitung kann, nacheinem Urtheil des Reichsgerichts, III. Strafsenats, vom 2S. Jum1394, für untergelaufene, den Sinn entstellende Druckfehler nichtstrafrechtlich(§ 21 des Preßgesetzes) verantwortlich gemachtwerden, beispielsweise hinsichtlich einer durch den Druckfehlerverursachten Beleidigung, wenn ihn in der Auswahl des Kor-rektors und des sonstigen technischen Hilfsversonals keine Schuldtrifft.— Der Redakteur H. veröffentlichte in der vonihm geleiteten Zeitung einen von ihm verfaßten Artikel,in welchem ein an sich wahrer Vorgang berichtetwurde. Durch Versehen des Setzers, Verlauschung derZahlen 3 und 9, erhielt der Artikel in der Form, wie er zumAbdruck gelangte, eine entstellende Beziehung auf dritte Personen,welche sich hierdurch übler Nachrede<Z 166 Str.-G.-B.) ausgesetztsahen und Bestrafung wegen Beleidigung beantragten. DasStrafverfahren ergab, daß das in die Druckerei gelangte Manu»skript des Redakteurs den beleidigenden Satz nicht enthalten hatte,und der Staatsanwalt erhob gegen den Redakteur Anklage wegenfahrlässiger Veröffentlichung eines strafbaren Artikels aus§ 21des Preßgeletzes. Die Strafkammer sprach den Redakteur frei.Die Revision des Staatsanwalts stellte 1. den Rechtssatz auf,ß 21 des Preßgesetzes etablire eine Rechtsvermuthnng zu Ungunstender dort aufgeführten Personen, die nur durch von den letzterenzu führenden Gegenbeweis entkräftet werden könne; 2. unter-stellte sie thatsächlich, daß der Zeitungsredakteur für den ge-sammten Prozeß der druckmäßigen Herstellung des Preßerzeugnissesdergestalt verantwortlich sei, daß jede Versäumniß in persöu-l cher Beaufsichtigung dieses Prozesses ihm zur Fahrlässigkeit zu»zurechnen sei. Die Revision wurde vom Reichsgericht verworfen,indem es begründend ausführte:„... Thalsächliche Prä-sumtionen zu Ungunsten eines Zeitungsredakteurs werden immer-hin eine so erhebliche Rolle spielen, daß in den meisten Fällender Anschuldigungsbeweis gegen einen aus Z 21 des Preßgesetzesangeklagten Redakteur sich aus die objektive Strafbarkeit desInhalts und die subjektive Redakleurstellung wird beschränkenkönnen. Von einer eigentliche» formalen Vertheilung derBeweislast und von einer prozessualen Ucberbürdung des Eni-schuldigungsbeweises auf die im§ 21 des Preßgesetzes aufgeführten Personen kann aber bei Anwendung dieser Straf-form nicht die Rede sein.... Der Staatsanwalt übersieht, daßes sich um einen Druckfehler der einfachsten und gewöhnlichstenArt handelt, den der Korrektor nicht aus dem Drucks selbst,sondern nur durch Vergleichung des Manuskripts erkennen konnte,deffen Beschaffenheit daher keinerlei Rückschlüsse auf etwaigeUntauglichkeit des Korrektors gestattete. Wollt« der Instanz-richter daher eine derartige Untauglichkeit nicht verkehrlcrweisepräsumiren, so war es vollkommen korrekt ausgedrückt, wenndas Urtheil in obiger Wendung den Angeklagten nicht ohneweiteres für das vorliegende, äußerlich höchst unerhebliche Ver-sehen deS Korrektors verantwortlich machen wollte.— Vollendshaltlos ist die fernere Aufstellung der Revision, welchees dem Zeitungs- Redakteur zur Pflicht macht, entwederselbst die Korrektur seiner Zeitung zu besorgen oder doch dieseKorrektur persönlich zu kontrollircn. Man versteht nicht, wes-halb die Staatsanwaltschaft den Kreis dieser verantwortlichenObliegenheiten nicht noch über den Korrektor hinaus auf Setzer,wettour en pages:c. ausdehnt. Derartige Aufstellungen sindder Widerlegung kaum bedürftig. Im Wesen derRedaktionsthätigkcit liegt nur die Sanimlung, Sichtung, Zu-sammenstellung des zu veröffentlichenden Stoffes. Daß der Redakteurfür die druckmäßige Herstellung des Preßerzeugnisses sich dertechnischen Hilfskräste bedienen kann und muß, ist selbstverständ-lich. Zu diesen Hilfskräste» gehört der Regel nach auch der denrohen Satz nachprüfende 5iorrektor. Trifft den Redakteur in derAuswahl dieses Personals keine Schuld und steht im übrigenlediglich ein Versehen des letztereu in Frage, wie es trotz derAnwendung äußerster Sorgsalt abseilen der tüchtigsten Setzer undKorrektoren unvermeidlich mitunterläuft, so ist nicht abzusehen,wie hier den Redakteur noch die Verantwortlichkeit für einfahrlässig von ihm verschuldetes Preßvergehen treffenkönnte."DaS Schicksal elneS mit IKOZ M. beschwerten Geld-briefes beschäftigte gestern die 3. Strafkammer hiesigen Land-gerichts I. Der wegen Unterschlagung angeklagte Haus-diener Albert Ostrowski war in dem Eiscngeschäft vonBenver u. Co. in der Wallstraße angestellt. Er erhielt einesTages von einem Buchhalter des Geschäfts den Austrag, einenmit der oben angegebenen Summe beschwerten und mit dem Ee-schäftssiegel geschlossenen Geldbrief nach der Post zu besorgen.Der Austraggeber verließ bald daraus das Geschäftslokal, derAngeklagte aber blieb noch ein Weilchen dort zurück und es istfestgestellt worden, daß er den Geldbrief erst nach ca. 2 Stundenin der nur zehn Minuten entfernten Postanstalt abgcgen hat.Der Brief ist nun von unbekannter Hand beraubt worden, dennals er von dem Adressaten geöffnet wurde, fand letzterer nureinige Briefmarken, sonst aber nur etwas Papier vor, währendder Buchhalter einen Tausendmarkschein, sechs Hundertmarkscheineund einige Briefmarken hineingelegt und den Brief durch einenLehrling hatte versiegeln lassen. Der Angeklagte wird nun durchverschiedene Ilmstände stark verdächtigt, den Brief beraubt zu haben.Es ist festgestellt worden, daß der Brief schon in demZustande, in welchem er am Bestimmungsorte eintraf, hier ein-geliefert sein muß, denn er war nicht nur völlig unversehrt.sondern das Gewicht stimmte auch genau. Freilich ist von derPostverwaltung festgestellt worden, daß ein Geldbries mit demhier in Frage stehenden Inhalt mehr wiegen müßte. Dazu kommt,daß der Angeklagte erst nach so langer Zeit auf dem Postamterschienen ist und es dem Postbeamten gleich ausfiel, daß dieSiegel auf dem Briefe auffällig groß waren. Es wird nun an-genommen, daß der Angeklagte nach der Entfernung des Buch»Halters den Brief durch Loslösung der Siegel geöffnet, beraubtund neue Siegel auf die alten Siegel hinaufgedrückt habe.—Der Angeklagte bestritt entschieden jede Schuld und behauptete,daß er mit dem Lehrling zusammen an jenem Tage das Geschäfts-lokal verlassen und den Brief in demselben Zustande abgegebenhabe, wie er ihn empfangen. Er suchte das längere Fernbleibenvon der Postanstalt dadurch zu erklären, daß er auf der Straßelängere Zeit mit einem Dienstmann geplaudert und außerdemauf der Post selbst längere Zeit habe warten müssen, da dortgerade Bcamtenwechsel stattgefunden habe. Die Beweisaufnahmewar der Natur der Sache nach eine äußerst schwierige, da es sichausschließlich um Indizien Haudelle.Kriminalkommisiar Zillmann, welcher mit den Erwitte-lungen in der Sache betraut gewesen ist, hat im August vorigenJahres in der Wohnung des Angeklagten eine Nachsuchung vor-genommen, welche kein Ergebniß hatte. Auf Veranlassung desStaatsanwalts Kauzow hat Herr Zillmann darauf am gestrigenTage noch eine Haussuchung vorgenommen. Er habe jetzt einPortemonnaie mit 150 Mark in Gold gefunden sowie quittkrteRechnungen u. s. w. zum Betrage von gegen 300 Mark. DieseAnschaffungen, sowie eine Zahlung von 70 Mark, die er seinem