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e. 498 39.Jahrgang Ausgabe Nr. 245

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Sonnabend, den 21. Oktober 1922

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Mordkomplott gegen den Reichskanzler.

Die gestrige Reichstagsfihung nahm einen sehr bewegten Verlauf. Aus Anlaß dieser Situation, über deren Ernst sich aber fähig ist, politische Gedanken zu erfassen, der muß Nachdem der Zentrumsabgeordnete Marg den 5- Parteien- Antrag niemand täuschen wird, sei auch ein ruhiges Wort nach wissen, daß es ein Frevel ist, denen, die gegen reaktio­auf Verlängerung der Amtsdauer des Reichspräsi- lints gejagt. Die meisten Kommunisten wissen bereits, daß näre Mordverschwörung einen Kampf auf Tod und Leben denten begründet hatte, wobei er der Verdienste Eberts um das die letzte Sonntagsaktion eine ungeheure Torheit war: wenn führen, in den Rücken zu fallen. Der Reichskanzler hat gestern Reich rühmend gedachte, hielt der deutschnationale Parteiführer Hergt fie glauben, trozdem die Solidarität nach außen aufrecht- fein Wort:" Der Feind steht rechts!" wiederholt eine Rede gegen den Reichspräsidenten  , von dem er behauptete, er erhalten zu müssen, so ist das begreiflich. Unverzeihlich wäre und aufrechterhalten. Der Feind von rechts lebt aber von habe immer für seine Partei gesorgt" und er habe durch fein Spiel es aber, wenn den stereotypen Versuchen, die Aktion weiter der Behauptung, daß Staat und Gesellschaft von links her hinter den Kulissen die Bildung einer nationalen Einheitsfront zutreiben", nicht der entschiedenste Widerstand geleistet würde.| schweren Gewaltdrohungen ausgesetzt seien; wer ihm für diese verhindert. In einer temperamentvollen Gegenrede schütte der Bei den jugendlichen Mitläufern mag der ehrliche Glaube vor- Behauptung Beweismaterial liefert, der bekämpft ihn nicht, Reichstanzler Dr. Wirth den Reichspräsidenten gegen die persön- handen sein, fie fämpften damit gegen die Reaktion. Wer sondern er hilft ihm! lichen Angriffe. Seine durchaus würdigen Ausführungen wurden von den Deutschnationalen mit Zurufen wie Hehapostel" und Bolfsverheher" beantwortet.

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Das veranlaßte den Reichstagspräsidenten Cöbe zu einer Mah­nung, den Meinungslampf ohne persönliche Bekämpfung zu führen. Die Notwendigkeit, jede Ueberhihung der Leidenschaften zu ver­meiden, begründete Löbe mit einer Mitteilung, die im ganzen Hause

Der Münchener Justizmord vollendet!

ungeheures Aufsehen erregie. Es feien im Hause besondere Fechenbach 11 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust- Gargas 12 Jahre Zucht­Sicherheitsmaßnahmen notwendig geworden, da Beweise hans, 10 Jahre Ehrverlust- Lembke 10 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust.

dafür vorhanden seien, daß

ein Anschlag auf den Reichskanzler

geplant sei. Erregte Rufe wurden laut. Der Reichskanzler war fichtlich überrascht, da er zwar die Tatsachen, auf die sich Löbe ftühte, fannte, eine derartige Erklärung des Reichstagspräsidenten aber nicht erwartet hatte.

gen gehalten werde. Und nun soll die Veröffentlichung eines solchen Dokuments, die in der Absicht erfolgte, Deutschland   zu nügen, ein zuchthauswürdiges, Ehrverlust einbringendes Ver­brechen sein?

München  , 20. Oftober.( Mtb.) Jm Münchener Landesverrats-| Archive des Auswärtigen Amts weit geöffnet. Mit Stolz wurde prozeß wurde heute nachmittag das Urteil verkündet, wozu umständ- immer wieder erklärt, daß in Deutschland   nichts verbor­liche Vorsichtsmaßregeln getroffen waren. Das Urteil gegen Fechen­bach wegen eines vollbrachten und eines versuchten Verbrechens des Landesverrats: Gesamistrafe 11 Jahre Zuchthaus unter Unrechnung von 2 Monaten Untersuchungshaft, gegen Gargas wegen fortgefehten Das Haus zwang sich dann wieder froß der allgemeinen Er- verfuchten Landesverrals 12 Jahre Zuchthaus unter Anrechnung regung zur Sachlichkeit, und Genoffe Hermann Müller   rechnete von 2 Monaten Untersuchungshaft, gegen Lembte wegen fortgefehten in einer furzen, treffenden Rede mit der wüsten Demagogie des versuchten Landesverrats 10 Jahre Zuchthaus unter Anrechnung von deutschnationalen Redners ab. Auch der Führer der Volkspartei, einem Monat Untersuchungshaft. Sämtlichen Angeklagten werden Herr Stresemann, fah sich genötigt, gegen die frühere die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 10 Jahren abge­ Schwesterpartei" eine scharfe Kampfstellung einzunehmen. 3m fprochen. weiteren Verlauf der Debatte tam Herr Hergt noch einmal zum Aus der Urteilsbegründung, deren Berlesung über vier Stunden Wort, um für seine Partei und Fraffion feierlich jede Gemeinschaft in Anspruch nahm, ist hervorzuheben, daß das Gericht bezüglich des mit den Urhebern früherer oder neuneplanter Attentate abzulehnen. Erzberger- Memorandums zu der Auffassung kam, daß hier keine Nun sprach der Reichskanzler Dr. Wirth zum zweitenmal, im geheime Nachricht vorliege, dagegen sei in dem Ritter- Telegramm Berlauf seiner Rede fagte er: eine geheime Urkunde zu erblicken, bei deren Veröffentlichung sich Zu den Ausführungen des Herrn Präsidenten, die meine der Angeklagte Fechenbach bewußt war, daß sie schweren Schaden Person betreffen, ist von hier aus feinerlei Veranlaffung erfolgt, für die Intereffen des Reiches auslösen mußte. Bezüglich, des aber felen Sie sich über den Ernst der Situation durchaus Rotterdamer Bureaus stellte das Gericht fest, daß es sich hierbei flar. Die Nachrichten, die wir haben und das ganz um ein ist auch bereits von einem der Verschwörer ein­geftanden worden zeigen, daß wir mit neuen politischen Morden in Deutschland   rechnen müssen.

Aus dieser Erklärung des Reichskanzlers geht hervor, daß sich einer der Verschworenen in Haft befindet und bereits ein Ge­ständnis abgelegt hat. Der Soz. Parlamentsdienst" erfährt dazu

weiter:

Durch Zufall ist die Polizeibehörde nicht nur auf die Spur eines ein elnen komplotts, fendern mehrerer Attentats an­fchläge gegen den Reichstanzler gekommen. Eine jugendliche Perfon, über deren Herkunft aus erklärlichen Gründen nichts gejagt werden kann, war von Kreisen, die

den Attentätern auf Rathenau nahestehen, zu hohem Solde gedungen worden, den Reichs­fanzler zu ermorden. Gewissensbisse haben den jungen Menschen veranlaßt, von der Ausführung des Planes Abstand zu nehmen und über die Vorbereitungen der Polizei Mitteilungen zu machen. Er wurde daraufhin in Haft genommen und machte Aus­künfte, die stichhaltig sind und die Polizei auf neue Fährten tenkten.

politisches Informations- und Spionagebureau handle, hinter dem eine fremde Regierung ftebe.

Das Bureau habe an den Angeklagten Gargas eine ganze Reihe ausgesprochener Spionageaufträge erteilt. Die Berichte Fechenbachs und Lembles für das Bureau Gargas' waren zum Teil geeignet, den Interessen des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates zu schaden. Das Rotterdamer Bureau habe ganz Deutschland   mit einem Netz von Spizeln überzogen, um die innere und äußere politische Lage des Reiches ständig auf das genaueste zu überwachen. Da die Angeklagten fich bewußt waren, daß ihre Nachrichten Schaden für das Reich im Gefolge haben mußten und da sie die weiter gegebenen Nachrichten für wahr hielten, müssen die Schuldfragen auf versuchten Landesverrat bejaht werden. Bei Fechenbach wurde als Triebfeder feines Handelns der Haß gegen alle Nichtsozialisten

angenommen.

Ueber den sogenannten Garg as Rompler stellt die Urteilsbegründung objektiv der Wahrheit entgegen­gesezte Behauptungen auf. Wahrheit ist, daß das Rotter­damer Bureau in Berbindung mit einer auswärtigen Regie­rung war, die den die Reichseinheit bedrohenden Treibereien in Bayern   stets ablehnend gegenüberstand. Die Berbindung zwischen diesem Bureau und Fechenbach bestand, wohlverstan­den, nur in Friedenszeit. Wir wissen nicht, ob Fechen­bach Kenntnis hatte von dem Verhältnis diefes Bureaus zu jener auswärtigen Regierung. Aber wir stellen die Behaup­tung auf: Wenn Fechenbach dieses Verhältnis tannte, dann lag für ihn der Gedanke nahe, gerade im Interesse des Reichs seine Beziehungen zu dem Bureau zu pflegen. Aber ganz abgesehen von dieser Frage, die nur von Bolitikern, nicht von Richtern entschieden werden fann mit welchem Bureau oder welcher Redaktion des Auslandes fann ein deut­ scher   Journalist überhaupt in Berbindung treten, ohne, nach bayerischer Praris, Gefahr zu laufen, daß Beziehungen jener ausländischen Pressestelle zu einer ausländischen Regierung festgestellt werden und er selber infolgedessen ins Zuchthaus

tommt?

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Nicht Fechenbach, das Münchener Boltsgericht" hat durch sein grauenhaftes, aller Vernunft und Gerechtigkeit hohnspre­chendes Urteil die deutschen   Reichsinteressen aufs schwerste ge­schädigt. Die Schädigung ist so groß, daß unseres Erachtens dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags die Pflicht erwächst, sich unverzüglich mit der Frage zu be­schäftigen, was zum Schutz der Reichsinteressen gegen eine tobsüchtig gewordene Justiz getan werden kann.

Doch welches Mittel immer gewählt werden mag, den Fleck auf der deutschen   Ehre, den dieses Urteil dar­ftellt, abzuwaschen, auf keinen Fall fann es Ruhe geben, so­lange Fechenbach im Zuchthaus fizzt. Kein gerecht denkender Mensch wird den Gedanken ertragen, daß fo etwas in Deutsch­ land   möglich gewesen ist. Bon heute ab hat Deutschland   seine Dreyfus Affäre!

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Bayerischer Kurs.

Das Urteil gegen Fechenbach und seine Mitangeklagten ist ein Verbrechen. Daß die Richter des Münchener Bolts gerichts", dessen Namen dadurch in Deutschland   auf ewig ge­schändet ist, selber die Ueberzeugung haben mögen, Organe einer unparteilichen Gerechtigkeit gewefen zu sein, ändert an dieser Tatsache gar nichts. Auch die Richter, die auf Grund Der Rathenau  - Prozeß hat nahezu mit Gewißheit erkennen eines forgfältig nach allen Regeln des damaligen Strafprozesses laffen, daß die Kern und Fischer sowie die Verurteilten geführten Beweisverfahrens Heren wegen ihrer Buhlschaft mit München  , 20. Oft.( Mtb.) Aus Anlaß des Todestages Königs dieses Brozesses nur die Werkzeuge einer Organisation waren, tem Teufel verbrennen lieken, waren brave Hausväter und Ludwig III.   wurde im Dom ein feierliches Requiem zelebriert. An deren Wurzel aufzudecken den Behörden noch nicht gelungen gewissenhafte Juristen. Hinter den Greueln, die sie in gutem dem Trauergottesdienst beteiligte fich u. a. Stronprinz Rupprecht mit ift. Gab es noch einen 3weifel daran, daß die Fäden der Glauben verübten, steht die neueste Münchener   Justiztat nicht den Mitgliedern des Hauses Wittelsbach, die Königin Wilhelmine Verschwörung von geheimnisvollen Händen gelenkt wurden, weit zurüd, mag auch fie in dem Glauben, einer guten Sache der Niederlande   mit dem Prinzgemahl, ministerpräsident so wurde er durch den abenteuerlichen Versuch, den etwas zu nügen, begangen worden sein. Graf Lerchenfeld und mehrere Minister sowie zahl­

Schmaßlichtigen Günther fogar noch im Untersuchungs- An die Stelle des religiösen Aberglaubens von einst ist reiche Landtagsabgeodrnete, Staatsräte, höhere Offiziere und gefängnis durch Gift ftumm zu machen, beseitigt. Die neuesten berte der politische Fanatismus getreten. Die Fahnenabordnungen der Regimentsvereinigungen, außerbem zahl­Nachrichten zeigen, daß sich die Aktivität der Berschwörer nicht Münchener   Richter fahen in Fechenbach   einen politischen reiche Angehörige der Reichswehr  . mehr auf Objekte so niedrigen Grades beschränkt, fondern daß Gegner, dem sie jede Schändlichkeit zutrauten. Barum nicht Augsburg  , 19. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Entgegen den schon wieder ein Hauptschlag geplant war. anch Landesnerrat aus eigennützigen Motinen? Bir müffen Bestimmungen der bayerischen Verfassung und des bayerischen Man möchte münschen, da die Behörden in einer ges tiefe aus richterlichem Munde gegen Fechenbach erhobene Be- Gemeinde- Verfaffungsgefeßes hatte die bayerische Regierung auf wissen l'ebervorsicht die besser ist als Nachlässigkeit, diesmal schuldigung auf Grund hefferen Wiffens als eine objektive der Tagung des Bayerischen Städtebundes am verflossenen nur Gespenster gesehen hätten. Denn welche Leiden nicht Berleumdung zurückweisen, mögen auch die Richter fub- Sonntag in Rothenburg ob der Tauber   einer Anzahl von Ersten etwa nur einzelnen Personen, sondern dem ganzen Bolte be- ieftin der Meinung gewesen sein, die lautere Wahrheit zu Bürgermeistern den Titel Oberbürgermeister verliehen. norstehen, wenn die politische Mordfeuche weiter graffiert, hat fprechen. Die anwesenden 43 fozialdemokratischen Vertreter ließen gegen die Entwicklung der Dinge feit Rathenaus Ermordung deutlich Was zunächst das Telegramm des Gesandten beim Bati- diefe verfassungswidrigen Titelverleihungen eine scharfe Protest­genua bewiefen Der Gedanke, daß es sich um die Selbits fan, Ritter, betrifft, durch dessen Veröffentlichung Fechenbach erklärung verlesen, in der sie der Befürchtung Ausdrud geben, daß bezichtigung eines Geisteskranten handle, liegt nahe, er muß Landesverrat begangen haben soll, so ist dazu zu bemerken, durch diese Titelverleihungen dem Strebertum der Bürgermeister aber leider zurückgewiesen werden, da sich die lleberzeugung daß die damalige barerische Regierung die Veröffentlichung Tür und Tor geöffnet werde. Der sozialdemokratische Erste Bürger­der Behörden vom Vorhandensein eines neuen Mordfom- aller diplomatischen Denkschriften freigegeben hatte. Die meister der Stadt München   hatte den ihm angebotenen Oberbürger plotts feineswegs auf ein einziges Geständnis gründet. Reichsregierung ist dann ihrem Beispiel gefolgt und hat die meistertitel abgelehnt.