Nr.511/ 512+ 39.Jahrg. Ausgabe A nr. 252
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Telegramm- Abreffe: ,, Sozialdemokrat Berlin".
Sonntags- Ausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
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Sonntag, den 29. Oftober 1922
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Angefagte Revolutionen finden nicht statt". Dieses über die Preffe. Der Telephonverkehr ist infolge der Belegung einer steptische Wort braucht nicht immer zu stimmen, und es scheint, Anzahl von Boft- und Telegraphengebäuden durch die Fafciften und daß nach der Parade in Neapel und der Drohrede Mussolinis infolge der scharfen Inanspruchnahme der Leitungen durch die Mili die Tatendurftigen von Pisa , Cremona und Florenz , tärbehörden auch im Innern des Landes für das Publikum ein fich mit dem Rücktritt der Regierung Facta nicht zufrieden gestellt. Dagegen ist der Eisenbahnverkehr auf allen Strecken gegeben und losgeputscht haben. Diese Städte und Perugia , noch regelmäßig. Nur auf der Strecke nach Rom find infolge wo ihr Haupttommando ist, find in ihrer Gewalt und die der Einlegung( unter Todesdrohung natürlich! Red.) von Son Berbindung Nord- und Süditaliens soll unterbrochen sein. derzügen für die Fascisten Stodungen eingetreten. Die Regierung hatte den Belagerungszustand über Mussolini hielt vor der Redaktion des Popolo d'Italia" eine Anganz Italien verhängt, um den Militärbehörden alle Ge- sprache und erklärte, daß der Sieg jeht um jeden Preis errungen malt übertragen zu fönnen. Davon ist bereits in vielen werden müje. Die Militärbehörden gingen mit Panzerauto Städten, auch in Mailand , Gebrauch gemacht- aber bald mobilen gegen die Menge vor, um sie zu zerstreuen. Man bedarauf ist der Belagerungszustand wieder aufgehoben worden, fürchtet blutige Zusammenftöße. Der Straßenbahnverkehr wurde da die Lage sich gebessert habe. Der Ministerrat richtet von den Militärbehörden eingeschränkt. Domplatz und Galerie Bitan das Bolt eine Rundgebung, in der er erklärt, daß die Nach- torio Emanuele sind von Maschinengewehrabteilungen abgesperrt. richten von hochyverräterischen Umtrieben in einigen ProRom, 28. Oftober.( Eca.) Heute früh hat der König die Bepinzen Italiens der Wahrheit entsprächen. Diese Auf- sprechungen mit den politischen Persönlichkeiten begonnen. Die Stände hätten den 3med, die Arbeit der staatlichen Organe zu Deffentlichkeit erwartet mit Unruhe und Ungedlud die Resultate der hindern. Die Regierung werde ihre Pflicht erfüllen, mit Zusammenfunft Giolittis mit dem König. In der Umgebung allen Mitteln und um jeden Preis die öffentliche Ord des Königlichen Balastes hatte sich heute eine große Menschenmenge nung zum Schuße der Bürger und der verfassungs- angesammelt. Das Gerücht dauert an, obwohl es bereits dementiert mäßigen öffentlichen Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Es wurde, daß Mussolini vom Rönig empfangen werden wird. bleibt nun abzuwarten, welchen Erfolg der Aufruf der Fascisten Offenbar will der König zunächst Giolitti die Kabinettsbildung an die Armee, fich ihnen anzufchließen, haben wird. Die anvertrauen. Die äußerst rechts stehenden Mitglieder der FascistenAufhebung des Belagerungszustandes spricht doch gegen partei erklären jedoch, daß ein Zusammengehen mit Giolitti aus. die Wahrheit der Berichte über den Anmarsch auf Rom. geschlossen fel. Es ist allerdings zweifelhaft, ob diese Kreise start genug sind, um sich durchzusetzen.
An beachtenswerten Situationsmeldungen seien die folgenden wiedergegeben:
Mailand , 28. Oktober. ( EP.) Der„ Corriere della Sera proteftiert gegen die von den Fascisten angefündigte 3enfur
Bern, 28. Oftober.( WIB.) Die telephonischen Verbindungen zwischen der Schweiz und Italien find felt heute nachmittag unterbrochen.
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I. Fechenbach und das Nitter- Telegramm. Die Redaktion des„ Borwärts" hat mich als den Sachverständigen im Landesverratsprozeß Fe chenbach und Genossen gebeten, an dieser Stelle zu dem Gerichtsurteil Stellung zu nehmen. Ich glaube mich diesem Ruf schon deswegen nicht entziehen zu können, weil ich es für die selbstverständliche Pflicht eines objektiven Historikers halte, zur objektiven Wahrheitsfindung beizutragen, wo und wann ihm immer die Möglichkeit geboten wird. In diesem Falle empfinde ich solche Pflicht um so gebieterischer, weil das Münchener Boltsgericht in seiner Urteilsbegründung auf mein Sachverständigengutachten ein Gewicht gelegt hat, das mich foft als mitverantwortlich an dem gefällten Sprud erscheinen lassen könnte. Sagt doch das Gericht nach der bisher ausführlichsten Wiedergabe der Urteilsbegründung durch die Münchener Neuesten Nachrichten" ausdrücklich:
Die Meinung des Gerichts stimmt in allen wesentlichen Punkten mit derjenigen des Sach. perständigen Thimme überein; lediglich hinsichtlich der Psyche des Angeklagten Fechenbach und seiner Beweggründe für die ihm zur Laft gelegten Handlungen stimmt das Gericht dem subjektiven Werturteil des Sachverständigen nicht in allen Buntten zu. Die Berufung des Gerichts auf meine überragende Autorität" als Historifer läßt mir feine Wahl; ich muß mich mit dem Gericht über das Urteil auseinandersehen, so gern ich sonst zurückhaltung geübt hätte. Das Bedenten, daß megen der Ausschließung der Deffentlichkeit nur ein Auszug der Urteilsbegründung bekannt geworden sei, tann für mich nicht gelten, da ich der ganzen Verhandlung beigewohnt habe und das ganze Beweismaterial, auf dem das Urteil aufgebaut ist, genau tenne. Vormeg muß ich mit aller Entschiedenheit feststellen, daß die Konstatierung einer durchgängigen Uebereinstimmung zwischen dem Volksgericht und mir, auch abgesehen von der Psyche des Zur Reise der Reparationskommission. hinausgeht, erft Desterreich zu verfaarländern, und dann Angeklagten Fechenbach, feineswegs auf Richtigkeit beDeutschland zu verösterreichern, würde ihrem entschiedensten ruht. Ich kann im Gegenteil mur sagen, daß in sehr Die Reparationsfommission trifft morgen in Berlin ein. Widerstand begegnen. wesentlichen und für die Urteilsfindung maßgebenden Bunkten Der deutschen Reichsregierung erwächst in den Berhandlungen Indes ist nicht anzunehmen, daß die Reparationstom- meine Auffassung, wie ich sie aus genauer Verfolgung der mit ihr eine außerordentlich schwere Aufgabe. Erschwert wird miffion mit einem solchen Programm nach Berlin tommt. Brozeßverhandlungen und eigenem Studium der fie noch durch den Umstand, daß sich die politischen Zustände in Alle einfichtigen Politiker des Auslands müssen begreifen, daß Akten gewonnen habe, der Beurteilung des Gerichts allen beteiligten Ländern in Gärung befinden. In Frantes ein verhängnisvolles Beginnen wäre, durch ein System der geradezu entgegengesetzt war und ist. reich machen sich Anzeichen eines Umschwungs bemerkbar, Bevormundung in Deutschland den Willen zur Selbst- Das trifft vor allem auch für die Frage der AushändiEngland entscheidet in den Novembermahlen über seine hilfe zu töten, der allein helfen kann. Im übrigen tann auch gung des sogenannten Ritter- Telegramms durch tünftige Außenpolitik, die Verhältnisse Italiens find gänz- das Ergebnis der Berliner Verhandlungen nichts anderes sein Fechenbach an den Schweizer Journalisten Bayot zu, in der fich verworren. Ob diese allgemeine linficherheit einen Vorteil als ein Schritt, der alle weiter in die Wirrnis hinein oder das Gericht einen vollendeten, mit 10 Jahren Zuchthaus zu oder einen Nachteil für die Vertretung des deutschen Stand- ein Stück ins Freie hinausführt. Die Welt weiß heute, daß ahndenden Landesverrat sieht. Während das Gericht anpunkts bedeutet, läßt sich nicht ohne weiteres ermeffen, es es mur eine Lösung gibt: die Herabfegung aller Kriegs nimmt, daß das Nitter- Telegramm eine unter allen Umständen hängt aber jedenfalls zum guten Teil auch davon ab, wie dieser schulden auf ein erträgliches Maß und eine gleichmäßig loyale geheim zu haltende Urkunde gewesen sei, habe ich ausdrücklich deutsche Standpunkt gewählt wird. 3weifellos ist es ein arges Behandlung aller gutwilligen Schuldner. Jede Bereitschaft darauf verwiesen, daß nach der auch vom Gericht nicht ernlich Mißgeschic, daß der allgemein herrschende Zustand der Un- auf der anderen Seite, diesen Weg zu beschreiten, muß in bestrittenen Angabe Fechenbachs Kurt Eisner selbst das ficherheit in diesem Augenblick auch Deutschland be- Deutschland das weiteste Entgegenkommen finden. Ritter- Telegramm in feinen Reden wiederholt erwähnt und fallen hat. tommentiert habe, woraus Fechenbach sehr wohl den Schluß ziehen konnte, und bei dem von Eisner festgelegten Prinzip Lloyd George als Bürgerblockgründer. ber rüdhaltlosen Deffnung des bayerischen London , 28. Oftober.( EE.) Lloyd George antwortete in Archips in bezug auf den Ursprung des Weltkrieges(„ Ob Glasgow auf Bonar Lams Rede vom Donnerstag: Bonar Law die Wahrheit nützt oder schadet, die Wahrheit muß gesprochen habe in nur wenig befriedigender Beife die Ursachen des Regie werden") vielleicht ziehen mußte, daß diese Urkunde nicht mehr rungswechsels aufgeklärt. Es sei bedauerlich, daß vielfach der Partei- als geheim betrachtet zu werden brauche. geist über das nationale Intereffe gestellt werde. Mit allem Nach faffung des Gerichts auf die Frage des Verteidigers, ob nach Weiter habe ich, wieder im ftriften Gegensatz zu der AufDie Sozialdemokratie hatte gewünscht, daß die Regierung brud wandte er sich gegen das Wahlprogramm der Labour meiner Ueberzeugung Fechenbach sich der objektiv unzweifelin die Lage versetzt werde, der Reparationsfommission ein Barty: Kapitalsteuer, Sozialisierung der Bergwerke und Eisenhaft zutreffenden Schädlichkeit der Veröffent flares, fest umriffenes Programm zur Festigung der deutschen bahnen ließen sich in England nur unter schweren Erschütterungen lichung des Telegramms bewußt gewesen sei, mit einem Wirtschaft und zur Stabilisierung der Mart vorzu des Wirtschaftslebens durchführen. Am Schluß forderte Lloyd George runden„ Ne in" geantwortet. Ich habe in diesem Zusammenfcgen. Je flarer die eigenen Vorschläge sind, desto besser ist die Anwesenden auf, mit aller Macht dahin zu wirken, daß eine hang, was anscheinend vom Gericht nicht verstanden worden man vor der Gefahr geschüßt, fremde Ratschläge wider Willen Allianz aller bürgerlichen Parteien gegen die Ar- ist, darauf hingewiesen, daß Eisner fowohl mie fein geistiges befolgen zu müssen. Bei allen Berhandlungen ist derjenige im beiterpartet zustande fomme. Geschöpf Fechenbach mehr innen- als außenpolitisch eingestellt Borteil, der von vornherein genau weiß, wohin er will. Es Asquiths Programmrede. gewesen seien, so daß Fechenbach leicht die außenpolitische wäre ein Unglück, wenn die deutsche Regierung infolge der Unsicherheit unserer inneren Verhältnisse dieses Vorteils ver den liberalen Wahlfeldzug mit seiner Rebe in Peterborough, Erklärung Fechenbachs, daß er die Beröffentlichung nicht London , 28. Offober.( WTB.) Asquith eröffnete gestern Schädlichkeit der Veröffentlichung habe übersehen können. Die lustig würde. In der ausländischen Bresse ist viel von der Absicht der in der er erklärte, die liberale polifif sei nur in den Händen auf- als fchädlich erachtet habe, weil in dem Telegramm von Reparationsfommission die Rede, im Einvernehmen mit der richtiger Liberalen ficher. Das Wort zusammenwirtend" fei er- der deutschen Regierung gar nicht die Rede jei und diese also deutschen Regierung, ohne Diftat, zu einem System der funden, um an die Stelle der altmodischen Koalition zu treten. Cehten nicht habe kompromittiert werden können, erscheint mir durchFinanzkontrolle zu gelangen. Nun ist Finanzkontrolle Endes werde es jedoch auf dasselbe hinauslaufen. Die ganze aus plausibel. Ich begreife daher nicht, woher das ein überaus dehnbarer Begriff. Daß ein fäumiger Schuldner Welt fei der Ansicht, daß der Friedensvertrag von Bergenötigt ist, feinen Gläubigern Einblid in seine Geschäfts- failles, Lloyd Georges Freiheitsurkunde", abgeändert wergebarung zu geben und mit ihnen zu beraten, wie feine den müffe. Der Vertrag von Sèvres jei tot. Die Polifit der Bahlungsfähigkeit wiederhergestellt werden könnte, das ist ein liberalen Partei sei Frieden und Sparsamteit. Die Libe. bitteres, aber selbstverständliches Muß, dem sich auch Deutsch- talen hätten seit dem Waffenstillstand darauf bestanden, daß dem land nicht entziehen kann. Auf der anderen Seite aber steht Wölferbunde eine wirkliche und beherrschende Autorität gewährt das Recht Deutschlands , feine inneren Angelegenheiten selbst werde. Die Frage der Reparationen und der Schulden fei die zu ordnen, und dieses demokratische Grundrecht kann nicht auf- Wurzel der wirtschaftlichen Uebel der Welf, und die gegeben merden, ohne die Grundlagen des bisherigen Bölfer- Liberalen fräten für ihre Regelung ein. rechts und sogar den Bertrag von Bersailles felbst anzugreifen.
Durch die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft der Mitte" ift eine Umschichtung der politischen Kraftverhältnisse eingetreten, die noch nicht abgeschlossen ist, und dieser Umfchichtungsprozeß muß auf die Stabilität und die Entschlußfähigkeit der deutschen Regierung feine Rückwirkungen haben, bie gerade im Augenblid, in dem die Reparationsfommiffion in Berlin eintrifft, gefährlich sind.
Die deutsche Sozialdemokratie verfolgt mit den Gefühlen voll- Bertrauensvofum für Svehla. Im tschechischen Abgeordnetenhaus tommener Solidarität den verzweifelten Kampf, den ihre wurde die politische Debatte mit einem Vertrauensvotum für die Partei- und Volksgenoffen in Desterreich um jenes Grund. neue Regierung beendet. Darauf wurde die Auslieferung des der Spionage angeflagten Abgeordneten Boeran beschlossen, nachdem recht führen, und sie ist sich dessen bewußt, daß fie in gleicher Beeran felbft unn Aufhebung seiner Immunität gebeten hatte, um Lage genau so handeln müßte. Ein Brogramm, das darauf die Beschuldigungen miberlegen zu können.
Gericht die juristische oder au ch nur die Psychologische Gewißheit nimmt, Fechenbach Lei sich bei der Aushändigung des RitterTelegramms bewußt gewesen, daß die Ber= öffentlichung geeignet sei, dem Vaterlande schmeren Schaden zuzufügen.
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Nach wie vor fann ich nur, immer in scharfem Gegensatz zu dem Münchener Boltsgericht, baran festhalten, daß sich Fechenbach auch in dem Moment der llebergabe des RitterTelegramms an Payot, und gerade in diesem Moment, als politischer Teftamentsvollstrecker Eisners gefühlt hat. das Gericht aus der Stellungnahme Fechenbachs zu der im April 1919, unmittelbar vor der Aushändigung des RitterTelegramms begründeten bayerischen Räterepublit schließen kann, daß er in diesem Moment im schärfsten Widerspruch zu Eisner gestanden habe und fich folglich nicht als