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ttr. SS��AH.Fahrgaög

2. Heilage öes Vorwärts

Sonntag, 2H. November 1922

Der weg zu den Gräbern.

Dieser eine Soniiiag ist den Toten frei, und die Lebenden wallen hinaus zu den Stätten des Friedens, die die stillen Schläfer bergen. Friedhöfe sind nicht selten Sehenswürdigkeiten einer Stadt, nicht nur weil und wenn sie, wie vornehmlich in Italien ,-sich durch die von Künstler- und Meisterhand geschaffenen Grabdenkmäler auszeichnen, sondern auch, und das kommt hauptsächlich bei Friedhöfen in Deutschland in Betracht, wenn sie durch ihre ganze Anlage und den Bestand alter Bäume parkähnlich anmuten. An solchen Friedhöfen, wie sie zum Beispiel alte Städte, wie Nürnberg , Augsburg , Rothen- bürg, Wetzlar , Königsberg u. a. m. aufweisen, hat Berlin Mangel. Der Irieöhof für olk. Aber eine Ausnahme muß hier genannt werden, das ist der berühmte interkonfessionelle Friedhof in Ariednchsseldc. wie man ihn früher nannte. In früheren Iahren, lange vor der Nevoultion und Republik , als unser ganzes öffentliches Leben, die religiösen Ver- Hältnisse und Ansichten nicht zum geringsten, durch allerlei schikanöse Fesseln verschnürt, als die Feuerbestattung in Preußen noch nicht ge- stattet war, konnten alle diejenigen, welche im Leben außerhalb der Religion gestanden hatten, nur in Fricdrichsfeldc die letzte Ruhe­stätte finden. Dieser Friedhof hatte damals für Berlin dieselbe Be- deutung wie der große Friedhof Mobtmartre in Paris , von dem man einen so wunderbaren Blick auf die Stadt hat, und wo seit jeher Christen, Juden und Heiden einträchtlich nebeneinander ruhten, ohne daß dadurch jemals Schaden angerichtet wurde! Unter den vielen Konfessionslosen aber, die in Friedrichsfelds beerdigt sind, ver- dient in erster Linie der große Führer unserer Partei Wilhelm Liebknecht genannt zu werden, und viele unserer Genossen werden sich noch des imposanten Leichengefolges erinnern, dos hinter dem -arg Liebknechts von seiner Charlottenburger Wohnung bis nach Friedrichsfelde einherfchritt und schier kein Ende nehmen wollte. Der Friedhof in Friedrichsfelde zeichnet sich durch hervorragend« gärtne- rifche Schönheit aus, und wenn man das Tor durchschritten hat und in der von uralten Bäumen flankierten Allee steht, glaubt man auf dem Weg zu einem Herrensitz und Schloß zu sein und nicht an der Stätte des Todes und der Verwesung. Zu den stillen Bewohnern dieses Friedhofes gehören von unseren Führern u. a. auch: Paul Singer. Zgnaz Auer. Emma Ihrer . Auch eine Reihe von Revolu- tionsopfern ruhen draußen, unter ihnen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Revolutionsopfern allein ist auch jene bekannte friedvolle Stätte im Friedrichshain geweiht, die die Kämpfer von und 1018 birgt und in jedem Jahr, und zwar jetzt nicht mehr im März allein, sondern auch am 31. Juli, 9. November und am Totensonntag das Ziel vieler Republikaner ist. Der Opfer des Weltkriegs aber, soweit sie in der Heimat zur Ruhe kamen, weist jeder einzelne Berliner Friedhof eine ganze Zahl auf, fast ausuahms- los in Ehrenstätten vereinigt. ?m Valöe von Stahnsdorf . Die Kirchhofsnot, unter d«r Berlin seit langen Jahren schon leidet immer wieder mußten für di« Lebenden und die täglich neu aus dem Reich Zuziehenden Wohnungen gebaut und Bauplätze gewonnen werden, so daß für die Toten kein Raum mehr blieb, zwang endlich die Behörden, einen großen Friedhof außerhalb Berlins anzulegen, der die Gewähr dafür bot, daß er in abiehbarer Zeit nicht völlig belegt sein wird. So entstand der Friedhof in Stahnsdorf , ein« sehr reizvolle Vereinigung von Wold und Park, die man ganz gewiß als eine Sehenswürdigkeit ansprechen darf. Da indessen früher schon den unbemittelten Hinterbliebenen eines Toten nicht zugemutet werden konnte, den Transport der Leiche bis hinaus nach Stahnsdorf zu bezahlen, schuf man in Holensce eine Leichensammclstelle mit Gleisanschluß an den Lahnhof Holensce. In dem kleinen, schlicht geschmückten Raum werden die Särge aufbe- wahrt und dann in einem Güterwagen transportiert, der sie, ange- hängt an den nächsten Güterzug» nach Stahnsdorf befördert. Diese Leichensammelstelle, oder richtiger gesagt ihr Bau, hat übrigens eine interessante Vorgeschichte, die bezeichnend genug dafür ist, was sich früher der brave Untertan bieten lasten mußte. Da die Leichen- fammelstelle nur an einem Ort gebaut werden tonnte, der Gleis- anschlug gewährleistete, war es nicht ganz leicht, einen geeigneten

Platz für sie z» finden. Endlich entschied man sich für Glienicke und begann bereits mit dem Bau. Aber man hotte nicht mit dem Grundherrn von G�enicke, dem Prinzen Friedrich Leopold , gerechnet. Der erhob ganz energischen Widerspruch gegen den Bau, der nach seiner Ansicht die ganze Gegend..verschandelte", verhinderte unbekümmert um alle entgegenstehenden Rechts den Weiterbau, und man war gezwungen, abermals auf die Suche zu gehen nach einem geeigneten Platz für die Leichensammelstelle. Schließlich entschied man sich für die Paulsborner Straße in Halensee , unweit vom Güter- bahnhof Halcnsee. Dann gibt es in Groß-Bcrlin noch einen Friedhof, auf dem die große, umgebende Natur zu längerem Verweilen und stillen Gedanken einlädt, das ist der Friedhof der Selbstmörder in Schildhorn, der ja Ausflüglern nach dem Grunewald bekannt ist. Alle, die im Grunewald freiwillig ihrem Leben ein Ziel gesetzt haben, und deren sterbliche Reste von keinem reklamiert wurden, fanden in Schildhorn den letzten Schlaf. Hier siebt man nicht Namen an Grabmonumcnten, nicht Erz und Marmor, sondern nur Holztäfelchen mit Nummern, und das alles redet eine tief er- greifende und erschütternde Sprache. kahle Grabhöge! in �lt-Serlin. Am Anfang dieser Ausführungen war von künstlerisch hervor- ragenden Grabdenkmälern die Rede, die in Italien zu finden sind. Berlin und seine Friedhöfe können natürlich auch nicht mit italie- nischen Aegräbnisplätzen verglichen werden. Im Gegenteil! Im Jahre 1798 schrieb ein Schilderer Berlins über die Friedhöfe:Wo ich hier hinsehe, nur kahle Hügel von Sand, deren Inwohner in den Staub zurückkehren, in welchen sie eingehüllt in der Königsstadt umherwandelten. Nirgends finde ich eine Grabstätte, wo ich ver- weilen und aufrichtig wünschen möchte, beqraben zu werdeir, nirgends einen Platz, wo die Sonne nicht durch die Sandhaufen, wie durch glühende Oefen, die Gebeine zu Asche brennt. Mutwillige Knaben stehlen von den Gräbern die hölzernen Kreuze und spielen leichten Sinnes Ball damit." Später haben sich dann diese Verhältniste sehr zum Destern geändert. Die ehemalige königliche Elsengießerei in Verlin erfreute sich eines guten Rufes, und ihre Arbeiten waren sehr bekannt und gesckiätzt. Aus der Eisengießerei sind denn auch mehrere eiserne Grabdenkmäler hervorgegangen, die auf Berliner Friedhöfen stehen und besondere Erwähnung verdienen. Genannt seien hier nur das Grabmal. Osten-Sacken nach einem Entwurf von Schinkel, auf dem Friedhof an der Bergmannstraße, und das Eisen- kreuz am Grab des berühmten Astronomen Encke. nach dem der Encks-Platz seinen Namen hat, auf dem Friedhof der Ierusalemer und Neuen Kirche am Blücherplatz.» * Berlin besitzt dann noch eine Geschmacklosigkeit ganz großen Formats, die es zum zweitenmal in Deutschland nicht gibt. Das ist der Pferdcfnedhof des verflossenen Wilhelm im binteren Teil des Schloßparts von Monbijou, der diesen Pietisten in seiner ganzen widerwärtigen Gloriole zeigt. Hier sind seinerzeit, und ge- wiß mit der adligen Fröminlichkeit und Feierlichkeit Morschallstab in der Hand und so die edlen S.M.-Rösser beerdigt. Die teuren Toten haben richtiggehende Monumente erhalten, auf denen ver- zeichnet steht, was sie waren und werteten. Dieser Teil des Schloß- parks war früher für das Publikum gesperrt, jedenfalls damit die Ruhe der toten Pferde nicht gestört werde. Heute darf man auch dies«geweihten" Stätten betreten, und seder. der sich so recht sinn- fällig davon überzeugen, will, wclcher Roheiten gegen das Gefühl der einstige Kaiser von Deutschland sähig war, sollte nicht verab- säumen, sie gelegentlich zu besuchen.

Die Token des Weltkrieges. Wie bereits gemeldet, findet heute um 11 Uhr auf dem Militärfriedhof Hafenhcid« eine von der Arbeitsgemeinschaft Reichsoereinigung ehemaliger Kriegsgefangener veranstaltete Gedächtnisfeier, gewidmet den Toten des Kriegs, statt, bei der Genosse Erwin Barsanti die Totengedächttris- rede und Ernst Friedrich ein von Berta Lafk zu diesem Tage ver- faßtes Gedicht zum Vortrag bringen wird. Dieser Vormlttagsfeier folgt unter Teilnahme des Reichspräsidenten eine Abendfeier im Reichstage, wo Paul Löbe die Totengedächtnisrede hält.

Tauben. Tauben sind imRofeuthaler Garten"(Rofentholcr Str. 12) auf einer Ausstellung zu sehen. Ein Beweis dafür, daß der kleine Mann, der sich jetzt so manchen Genuß versagen muß, an seiner Tierliebe unentwegt festhält. Von den in Berlin ansässigen Tauben, die meisten wohnen auf irgendeinen Haus- boden, vereinzelt steht zwar auch einmal«in Taubenschlag auf dem Laubengelände, sind wahre Prachtexemplare ver- treten. Manche Zucht ist inzw.scheu schon böse reduziert worden, aber der Züchter hält, was er nur eben Halten kann. Auf diese Weise wird er zum Betteuer volkswirtschaftlicher Werte. Die Preise für Tauben sind sehr schwankend und unterschiedlich. Für lange Tauben z. B. werden 5000, 10 000 M. und noch mehr verlangt. Es hält jetzt schwer, die Tiere durchzufüttern. Ein Zentner Futter kostet heute 15 000 M.. dabei frißt eine kleine Taube 00 80 Gramm täglich und die große Taube V* Pfund den Tag. Berliner sind in allen Sorten vertteten, so blaulluntc, rot- und gelbstteifige, kurze blaue, perl- und isabellafahle, eulige, weiß- und schwingigschwänzige. Die Weißschwänze haben einen sehr üppigen Federkranz an den Füßen, sie beanspruchen daher einen stets sauberen Boden. Die Perücken- tauben sind mit einem großen Kopfsederkranz geschmückt, der sie so einhüllt, daß sie den Besucher kaum ansehen können. Schön machen sich immer die koketten Pfauentauben und die pommerschen Kröpfer, die mit zu den Fleischtauben gehören. Sie verstehen es, sich ganz gewaltig, richtig schieberhaft, zeitgemäß, aufzublasen. Die söge. nanntenMövchen", kenntlich an ihrem kurzen Schnabel und dem reizenden Federjabot, werden auch seltener. Ebenso die schwer zu ziehenden Schwarzschecken und die sich im großen �zäusermeer recht heimisch fühlenden Silberschecken. Sie sind als Berttetcr aussterben- der Rassen anzusprechen. Aber da? ist eine Wissenschaft für sich. vie Schmucksachen einer«.Tänzerin Berliner Lebe- und Halbwelt vor Gericht. Der aufsehenerregende Selbstmord des in Spielerkreisen be« kcmnt gewesenen Rechtsanwalts Dr. Stefan Rosenfeld spielte in einer Verhandlung eine Rolle, welche gestern das Schöffengericht Berlin- Mitte beschäftigte. Angeklagt wegen Hehlerei war die Pfandleiherin Ida Friedländer. Die Anklage machte der bisher Unbescholtenen zum Vorwurf, sie habe von dem verstorbenen R.-Zl. Dr. Rosenfeld Schmuck- fachen im Werte von mehreren Millionen Mark, die dieser seiner Geliebten, einer unter dem Namen Hertha de L'Or be- kannten Halbweltdame, mittels Einbruchs entwendet hatte, unter Kenntnis dieser Tatsachen in Pfand genommen. Da die Angeklagt« aus das ollerentschiedenste jede Schuld bestritt, war von R.-A. Dr. E. H. Treitel«in umfangreicher Entlostungsbewcis angetreten wor­den. Von dem Verteidiger wurde u. a. geltend gemacht, daß es sich hier lediglich um einen Racheakt der Verwandten der Angeklag- ten handele, welche eine von dieser beabsichtigte Heirat hintertreiben wollen. Die Belastungszeugin Hertha de L'Or, welche sich auch Nadja Medzynska nennt, heißt standesamtlich genau Elvira Guftke. Jin Alter von 13 Iahren, als sie noch zur Schule ging, wurde sie bereits Mutter.. Später bildete sie sich angeblich zur Tänzerin aus. Sie lernt« den Prinzen von Turn und Taxis kennen und knüpfte Beziehungen zu dem inzwischen verstorbenen be- rühmten Tenor Enrico Caruso an. Dann wurde sie mit dem bekannten französische« Filmschauspieler Linder befreundet, mit dem sie sich längere Zeit in Monte Carlo aufhielt. Ihr Name svielte weiter noch in dem Prozeß gegen den Grafen Wolfs-Met- ternich eine Rolle. Vor Gericht erklärte diese Zeugin, daß die Sttaftaten des R.-A. Dr. Rosenfeld unstreitig seien, da dieser sie selb st zugegeben habe. Cr habe, während sie ein Sana- torium aufsuchen mußte, eine Arnheim -Kassette von ihr zur Auf- bewahrung erhalten und dies« dann erbrochen, und die Schmuck­sachen, welche einen Wert von mehreren MiRionen hatten, bei der jetzigen Angeklagten Friedlöndcr versetzt. Diese habe Rosenfcld als Spieler gekannt und wissen müssen, daß er niemals über derartige Werte verfügen könne. Di« Angeklagte behauptete demgegenüber, daß das ganz« Sttafverfahren gegen sie lediglich durch eine Verwandte namens Eisenberg in Fluß gebracht worden sei. Die Zeugin Eisenberg, welche nach Erklärung des Vorsitzenden vermutlich als Vertrauenspcrfon der Polizei anzusehen sei, ver-

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Die Welt ohne Sünde. Der Roman einer Rlinuke von Dicki Baum.

Sic gruben die Schienen wieder aus und die gesprengten Eisenbahnwagen. Börnes improvisierte eine Zugverbindung zum Bergwerk, Dampf wölkte hin und wider, mit schwarzer Ladung, schwarzen Menschen kroch ein schwarzer Kohlenzug nach dem andern durch die verschneite Ebene hin. Ein ruhi- ger Zugführer lenkte durch den Äcker, den er vor einem Jahr aus neugeborener Erde emporgepflügt hatte. In Bernwards Hotel schrie«in Grammophon. Nachts stieß etwas an Anselmus Stirne, daß er erwachte, im Dunkeln erschrak und nicht wußte wovor. Er hatte einen ungeheuren Schrei gehört: schon einmal hatte er diesen Schrei gehört und vergessen, wann und wo. Seine Hände zitterten, während er saß und ins Finstere lauschte. Dann kam der Schrei wieder und war nun. wo Anselmu's wachte, nur klein und nichtssagend. Die geflickte Lokomotive der Kohlenbahn stampfte am schlafenden Dorf vorbei und ließ Dampf aus- strömen. Trotzdem blieb Schrecken und Ungewisses um An- selmus Stirne._ Er löste sich von Lindes Seite, verließ den Herdeduft ihres Bettes und betrat die Nacht, die vor der Hütte lagerte. Er ging, leicht wie auf Wolken und dennoch beschwert, zögerte, klopfte an Egidius Fenster und wartete. Traumhaft geschah es, daß Egidius sich zu ihm gesellte, mit Händsdruck, warm in der Kälte, ohne Fraae und ohne Wort. Die gefrorene Erde gab ihren Schritt im Einklang wieder. Sie schwiegen lange. Am Stadtrand hob sich erhellt init riesigen Fenstern, die wie Weißglut aussahen, die Fabrik auf. Ansclmus lächelte schwach, da er an Börries dachte. Wärme aus der Luft, Kraft aus dem Atom, Strahlen, unter denen Wälder aufwachsen dachte er müde. Er ist mich nur ein Träumer, sagte er leise. Egidius strich ihm einmal über die Wangen, es war eine Ge- bürde wunderbarer Zärtlichkeit, da sie von einem Mann kam. Später sagte Anselmus:.Kennst du di- Stadt bei Nacht?" Schweigen. Und wieder später:Ich habe Angst. Als Väre etwas geschehen." Es i st etwas geschehen, dachte Egidius. von dunklen Ge- sichten bedrängt. Aber er sagte nur:Die in der Stadt sind die Aermsten. Sie haben den Ruf überhört. Ihnen ist nicht zu helfen." Ueber den Treppen lastete ungeheuer die Kirche. Die Nacht war ohne Schein und Stern, Nebel hüllte alles riesig

ein. Hinter der Kirche stand ihr Schatten auf Nebelwände geworfen,«ine Faust, mit einem Finger zum Himmel auf- zeigend. Schritt hallte von Grabfließen wieder. Anselmus entzündete ein Licht, da lag das Hauptschiff da, zum Sitzungs- saal entgöttert. Gotische Säulen froren, strebten hoch und verloren sich. Knistern rann hin.Horch," flüsterte Ansel- mus. Aber die Kirche antwortete Schweigen. Aus den Seitenschiffen waren die Altäre gerissen, in den Nischen lagen tote Dinge gestapelt. Anselmus stieg traumverloren die ge- wundene Treppe zur Kanzel hinauf. Unter seinen Händen fühlte er unendlich deutlich das alte Schnitzwerk des Geländers. Hier hatte er oft gesprochen. In der Wölbung hingen noch seine eisernen, glühenden, niederreißenden, aufbauenden Sätze.' Er stand stumm, und horchte Gewesenem nach. Er kniete auch nieder. Egidius holte ihn aus seiner versunkenen Berlorenheit und führte-ihn aus dem Dom. Pfiff schnitt über den Platz hinter der Kirche. Dann kam Stille wie ein tiefes Wasser. Das Tor der Magazine war offen, noch dunkler als die Dunkelheit atmete es Kälte aus sich und Korngeruch. Egidius bückte sich und hob einen Mann auf, der tot war.Der Posten," sagte Anselmus und wunderte sich so wenig wie in einem Traum. Cr sah Egidius nicht mehr, der zurückblieb. irgendwo, helfend, stützend, blutige Wunden waschend. Er ging durch Leere. Die Magazine waren leer. Es gab wieder Diebe in der Welt, die allen gleich gehörte. Leer das Magazin mit Korn. Leer das Magazin mit Kartoffeln. Die Saat gestohlen. Das Salz gestohlen, das erkaufte' blutige Salz. Die Kohlen gestohlen, die furchtbaren Köhlen , an denen jeder Schrei des Landes hing. Leere. Anselmus legte sich auf den kalten Steinboden mit weiten gekreuzigten Armen und ein großes Dröhnen geschah um ihn her. In allem Zusammensturz war es ihm mit einemmal, als fühle er Lindes Hand auf seiner Schulter und ihre Stimme hinter seinem Haupt. Einen Blitz lang war es ihm, daß er wußte, dies alles sei nur Bild in der Dunkelheit, alles nur Gedankenqual. Nur eine fiebernde, lau, schende Sekunde in einem Gang tief unter der Erde. Schwärze. Er erwachte in Heidedust. Linde. Geliebter Atem in der Nacht. Und doch Qual. Und doch große Angst. Und schlimme Träume. Fressende Gedanken.

Börries legte ein Gitter um die Magazine, das elektrisch geladen war, An einem bösen, wolteuschwangeren Morgen

hingen Tote mit zerbrannten Händen in das Gitter ge- klammert. An einem Abend geschah ein Schachteinswrz im Kohlen- .werk und tötete vierhundert Menschen. Dann kamen keine Freiwilligen mehr. Sonne über der Welt. Ist es wahr. Isabell? Kommst du über die Wiese zu mir gegangen?" Ja. Ich komme über die Wiesen zu dir. Wie gefällt dir mein Kranz, Anselm?" Schön bist du mit deinem Kranz" Ich habe dir Blumen gepflückt, unterwegs. Sie duften so herrlich nach Iunihitze und Mittag, siehst du sie an, Anselm?" Nein. Ich kann nichts sehen. Ich sehe nur dich. Du bist schön. Ich sehe am Morgxn einen jungen weißen Birten - stamm, der sich biegt, das bist du. Isabell. Ich sehe abends eine Wolke am Himmel, sie hat Brüste und Arme. Isabell, sage ich, Isabell" «Sehnst du dich nach mir?" Ja. Ich liege in den Nächten wach und sehne mich nach dir" Ich bin durch die Mohnfelder gegangen, herrlich war es. Es schneit Blütenblätter dorten, sie wiegen sich und wcrsen ihre Röckchen ab, rot und weiß, und sieben mit ihrer kleinen grünen Nacktheit da. Ich babe die unreifen Früchte gepflückt, es hängt noch ein Tropfen Milch an jeder. Gift ist das. weißt du es? Du sollst es abends trinken und von mir träumen. Lieber. Wirst du es tun?" Nein. Die Träume von dir verbrennen mich." Willst du nicht verbrennen? Zeig deine Augen du willst verbrennen. Da hast du meinen Mund" Grillen singen Mittag. Die Senfe liegt hingeworfen zwischen hochstengligem Gras, Heuduft weht her-und süßer Klee. In jeder Blüte läuten Bienen. In jedem Kelch neigen sich verliebte Staubgefäße zu aufgereckten Stempeln. Zwei Libellen gaukeln vom Bachrand, gepaart für alle Stunden des Tages. Ein Schmetterling taumelt durch die Luft und stirbt ermattet und berauscht von Liebe. Ein kleines Ge- rinnsel zieht wiesenwärts, da tönt der dunkle und knarrende Laut, mit dem Frösche chre Liebsten anspringen. Im tieferen Wasser des Baches streifen Fische aneinander hin, reiben wollüstig und leise die silbernen Flanken, Laich bettet sich zwischen Seerosenstengel, die sich umschlingen wie Glieder. Im Sommerbcktt aus Heu und Blumen liegt Anselm mit ge- bretteten Armen und Isabell kniet über ihm. (Fortsetzung folgt.;