Nr. 5$7 ❖ Zy.?ahrgattg
Seilage öes Vorwärts
Mittwoch. 1Z. Dezember 1�22
was heute öas Spielzeug kostet.
In unserer sor»sndurchwogten Zeit will die Weihnachts -' der cmgeftebten Locken bevorzugt man zurzeit die Pagenfrisur. stimmung nicht auskommen. Mancher muß diesmal den Weihnachts - sind CErfay. Sic'Puppen find allesamt In der Ütufmaihung sehr -um» m 7-°-�-'� SS SS«JWSÄJS bißchm Grun, diese paar �annenzwklge. kosten auch schon, s b. �ppe und ebenso die Selsenpuppe immer neue Formen an. Leßtcre
es sich um Edeltanne handelt. ü0 M. und. falls man gewöhnliche f(mn man für'250 � in jein£n Besitz bringen.' Die großen' Puppen Tannensorten wählt, 35 M. Und so wird's auch mit dem Spiel- � tragen alle keinen Preis. Warum sollen sie es auch! Deutschlands zeug«ine eigene Sache sein, das man sonst unter die grünen Aeste Hand» und Kopfarbeiter können st« ja doch nicht kaufen. Inzwischen der Tannen zu legen pflegte. Manchen Vater und manche Mutter hat sich ein ganz eigentumlicher Brauch herausgebildet. In Keller- werden alle'die Spielzeügherrlichkeiten trübe ansehen, wie einst! und Hochparterrefenstern, beim Milchmann und Gemüsehändler. blinkende Weihnachtskugeln. die ihren Glanz verloren haben, denn überall stehen Puppen zum Verkauf. Und in manchen Zusein- sie können ihren Lieblingen ja � nichts'auf� Die Schau- �«Ä' ewe für Z fcnsterauslagen sind merkwürdig auf Dekoration gestimmt, Preise �em Erstlingswäsche paßt, 10 000—15 000 M. Während man
sieht man fast gar nicht. Tavsenöe für Spielzeug. Es kostet z. B. ein Teddybär von der Größe einer geöffneten Hand ZOOO 2n. Man möchte einen solch harmlosen, drolligen Spiel- geführten jedem Kinde wünschen, doch für einen eiwas größeren, immerhin recht bescheidenen Teddybären muß man 10 000 M. aus
ein« abgenutzte puppenstnbe für 4000 M. anbietet. Die Puppe unter 100 M. ist klein und aus Porzellan, und der'Preis der billigsten ist LS M. Selbftgefertigtes Spielzeug. Eine große Freude und Genugtuung liegt aber in dem Be- wußtsein und der Erfahrung, daß die kindliche Phantasie dos kom
geben. Dann geht es zigtaufend auswärts. Aber nicht nur das pljzierteste Spielzeug ersetzt und den einfachsten Gegenstand ver- baltbare, auch das sehr wenig haltbare Spielzeug hat seine Preise, schönt. Viele Mütter werden heute zur Selbstansertigung von Z. B. die aufziehbaren mechanischen Sachen. So kostet ein kleines Spielzeug schreiten müssen. Zeugtiere, Stöfs- und Zupfpuppen kann blechernes Auko, das, wenn das beschenkte Kind Glück hat. Weih- man machen, wenn man die nötigen Schnitte, Material und Schneider- nachtsabend oder gerade die Feiertage über in ungestörtem Be- talent hat. Doch kann man auch mit ganz einfachen Sachen ein trieb gehalten werden kann, 1200— 1300 PL In derselben Preis- Kinderherz erfreuen. So kann, wer Zcichentalent hat— und das läge bewegen sich die slügelschlagenden Maikäfer, die Reckturner,' wird erfreulicherweise nicht durch die wirtschaftliche Lage beein- sowie die Einzellokomotive, die kein« starke Feder hat. Doch werden flnßt—, bei Verwendung einer alten Pappschachtel vielerlei her- auch 1400— 1500 M. für diese Sachen gefordert. Den gleichen stellen. Ein ganzer Zoologischer Garten oder ein Zirkus geht her-
Preis muß man auch für einen großen Spieleimer ausgeben, der durch etwas vorgetäuschte Malerei in Buntdruck geschmückt ist. Kein Wunder, denn für den ftücheneimer werden jetzt im Einkauf 3000 M. verlangt. Für Kindertrompeteu, die Nachbarn sind über derartige Geschenke meistens nicht erfreut, muß man ein paar huuderl Mark verausgaben, und das kleinste Horn, es hat vielleicht einen heilen Ton in der Kehl « und will durch sein Getute anspruchs- voll an dos Alphorn oder die Dorffeuerwehr erinnern, kostet 98 M. Auch sind Gesellschaftsspiele merklich im Preise gestiegen. Man muß jetzt mindestens 200 M. anlegen, um ein auf eine Pappe aufgezeichnetes Spiel zu bekommen. Ein mageres Alalbuch kostet 90—120 PL. hat es ein paar Blatt mehr Inhalt, stellt es sich so- gleich wesentlich höher im Preis«. Für den kleinen Kindermalkaslen berechnete Tuschsarben kosten das Stück 12 M. Schaukelpferöe. Auch ist es um die Pferde schlimm bestellt. Dieser sich ewig gleichbleibende Talerschimmel mit der wattenen Alähne, dem um dm Leib geklebten Papiergurt und den unmöglichen Kringeln auf Hinterhand und Schulter, wird für 285 M. vertauft. Vor dem Weltkrieg bekam man ihn für 20 Ps. Damals bekam man aber auch ein Pfund allerbesten Reis für 20 Pf. Und heutzutage? Na,' die Rechnung wird wohl so ungefähr stimmen. Wir dürfen dem Iwaom Talerschimmel nicht gram sein und müssen unbedingt noch Erbarmen haben mit den kleinen Kinderhänden, die ihn auf» zäumen, denn er ist doch Heimarbeit. Für einen niedrigen Pferde- skast, den ein Poppmachö-Pferdchen mit seiner Anwesenheit be- glückt, muß man 350 M. zahlen. Sind aber zwei Pferde unter- gestellt, beläuft er sich auf mindestens 750 M. Die Schaukelpferde find ein Kapitel für sich. In Anbetracht der Kinderwünsche freilich ein trauriges. Ein Neines Schaukelpferd sür 17 000 PL ist für billig anzusprechen. Es ist unkünstlerisch gearbeitet und hat einen schlechten Fellersatz. Ein etwas größeres Pferd, das zugleich ein Fahrbrett hat, kostet 36 000 M. Dabei ähnelt sein« Haut ganz bestimmt nicht einem Fell, sondern höchstens einem verblichenen Schirmbezug. Gewiß ist es kein Blender, hat nichts in sich und nichts auf sich. Für das Geld bekam man früher einen lebenden Hengst. Puppen. Desgleichen muß man ziemlich kaufkräftig fein, wenn man eine Puppe fein eigen nennen will. Ein« Gummipuppe für kleine Kinder, der liebste Spielgenoff« im Waschfaß oder der Badewanne, kostet 350 M. Für Zelluloidpuppen ganggebiger Größe zahlt man <595— 976 M. Die angekleideten Puppen haben auch die oberen Sprossen der Preisleiter schnell erklommen, so bezahlt man jetzt für die frühere öO-Pfennig-Puppe 2500 M. Ist sie einen Kopf größer, muß man bereits 4000 M. anlegen. Jedoch spannen sich über ihre Kugelgelenke ein schlechtes Gazekleid, ein fadenscheiniger Unterrock, ebensolche Hos« und Pappschuhe. Die Haare, an Stelle
aus. Man zeichnet einfach die Tiere scharf im Profil, auf, schneidet sie aus, betuscht sie doppelseitig und versieht sie mit einem unter- geklebten Pappfußbrettchen. Ebenso kann man aus Pappe ZNöbel siir eine Puppenstube herstellen, die wiederum selbst aus Pappe besteht. Mit Leichtigkeit durch ein paar geschickte Schnitte in den Pappkarton ist das erreicht, bekommt diese Puppenstube sogar Fenster, die zu öffnen sind. Von innen werden diese mit Mull, Zellstoff genügt auch, verputzt. Rafft man«inen bunten Lappen, so gibt es Künstlcrgardinen Eine Pnppenwiege ist aus einer ollen Kiste und zwei Kleiderbügeln herzustellen, während beklebte Streich- holz- und Zlgarettenschachteln die schönsten Kästen sür Kaufmanns- ladencinrichtungen abgeben. Natürlich gehören zu all diesen Not- behelfen Geduld und Geschick. Aber Rot und Liebe machen er- finderisch, das ist immerhin ein Trost in schwerer Zell .
12. Dezember Ich habe beute meine Betten bezogen und die übrige Wäsche wieder heil gemacht. Den ganzen Tag über botie ich damit zu tun. Bei manchen Stücken sitzt ein Flicken neben dem anderen. Die Bettbezüge waren so hin, daß ich au4 zwei Stücken einen machen mußte, so daß einer der Jungen jetzl keinen Bettbezug bat. ES mutz einer gekan't werden, aber wann dnö sein wird, weiß ich selber nicht, wir müssen eben warten, bis bessere Zeiten kommen. Ich habe beute wieder fast 1000 M. ausgegeben und davon folgendes besorgt: »/» Liter Milch....... 142,50 M. 1 Brot......... 286,—, Pfd. Knochen.>/< Pfd. Fleisch ISS.
Weihnachtsausstellungen. Im Gewerkschaftshnus. Einen ganz großen, einen mittleren und einen kleineren Raum hat die Berliner Gewerkschaftskommisston in diesem Jahre ihrer Weihnachtsausstellung im Gewcrkschaftshaus eingeräumt, die am vergangenen Sonnabend eröffnet wurde. Durch einen hohen hellen Raum, in dem von Tischen und Wänden Reproduktionen von wohlbekannten Bildern unserer Großen und Größten wirken, ge- langt man in den kleineren, der mit Spielzeug mannigfacher Art an- gefüllt ist, und gleich darauf in den Hauptraum, in dem man sich, kaum eingetreten, festgewurzelt fühll. Denn man weiß nicht, wohin man zuerst seinen Fuß wenden soll. In der Ferne nämlich, das heißt in der Stirnseite des Raumes, locken auf langen und hohen Regalen rielgestallige lustig-bunt« Gebilde als Kaffeekannen, Tee- kannen, Milchtöpfe, Tassen, Teller, Schalen und Schälchen und Vasen, und alles, was Frau und Hausfrau ist oder werden will, stürzt sich durch die im Vordergrund aufgebaute Bücherschlucht, ohne den darin aufgestapelten Schätzen mehr als einen stuchtigen Blick zu schenken, auf den fröhlichen Hausrat, nimmt mit klopfendem Herzen so ei» Täpfchen in die Hand, liest den Preis ab, liest nochmals den Preis und kauft und kauft... In der Tat, wer was haben will, muß sich eilen, denn nach drei Tagen weisen die dicht gefüllten Regale schon wette Lücken auf. Erst wenn man seinen Kauf- und Schcnleifer hier defriedigt hat, gelangt man zu einer ruhigen Würdigung des übrigen. Die Jugendbücher, Iugendfchutz- und Derlagsbücher und Bauküsten, Bildermappen mit Bildern, jchwarz oder farbig, nach Werken von Ludwig Richter , Schwind, Spitzweg , Rembrandt , Dürer, Holbein, Feuerbach, und die schönen Drucke der Reichsdruckerei sind ! für Weihnachtsgeschenke wohl zu beachten. Zweierlei aber soll man bedenken, wenn man hingeht. Zum ersten: Man soll sobald, am besten gleich hingehen, denn es wird tüchtig getaust, und zum zweiten: i Man oergesie unter keinen Umständen, sein Verbandsbuch mitzunehmen, sonst kommt man nicht hinein. Dann aber ist der Ein- tritt frei. Im Jugendhelm. An der Stätte, wo sich sonst unsere Arbeitermädels und Burschen zu fröhlicher oder ernster Betätigung zusammenfinden, im Jugend- � heim, Lindenstr. 3. ist am Sonntag eine besuchenswert« Ausstellung � von guten Büchern, Bildern, Wanderausrüstungs- gegen st änden, Mufitinstrumenten usw. eröffnet war- den. Gerade Bücher haben eine warme Pslegestätte bei der Arbeiter- jugend gefunden, und fo ist es verständlich, daß die Ausstellung in erster Linie von Büchern bestr'tten wird. Alles ist vertreten. Märchen- bücher für die Kleinen und Großen, worunter das„Äinbcrland" nicht fehlen darf, und schließlich Schaffsteins Blaue und Grüne Band- chcn. Sämtliche Klassiker sind da, und wer das Glück hatte, konnte' für einen verhältnismäßig billigen Preis Goethes„Faust" erstehen. Die.Internationale Bibliothek", sowie die bekannte„Vorwärts- Bibliothek" haben ebenfalls hier ihren Platz erhalten. An Wände r- ausrü st ungsgegen stünden ist kein Mangel, Stutzen, Wanderhemden, wollene Schals und Kocher liegen preiswert zum Berkauf aus. Für die„zupfenden" Mädels und Burschen harren Lauten und Mondolinen der Käufer. Die Ausstellung ist dos Werk der sozialistischen Arbeiterjugend und der vollen Unter- stützung der arbeitenden Kreis« würdig. Alle Slrbeitereltern sollten. bevor sie ihre Weihnachtseinkäufe machen, ihre Schritte zum Jugend- heim in der Lindenstraße lenken. Die Ausstellung ist täglich von 5 bis 8 Uhr und Sonntag, den 17. Dezember, von 10 bis 4 Uhr geöffnet. Eine Ausstellung von guten Büchern, vor allen Dingen Jugend- schriflen. ist im Arbeiter-Jugendbeim Neukö lln, Mün - »ener Straße 62. eröffnet. Die Ausstellung ist jeden Abend von 6 bis 8 Uhr geöffnet.
weiße Bohnen
160.-
Suvvengrün....... 10,— 1 Pfd. Mu-Z........ 200.-
973,60 m. Zum Mittagessen gab es heute B r ü b b o h n e n, ick verbrauchte dazu die ringekaufien Bohnen, die Knocken, das Fleisch und daS Suppengrün, Das Essen dürfte sich einschließlich der Feuerung auf etwa 400 M. gestellt haben. Ich habe jetzt noch ganze 2418,60 Mark und warte nun alle Tage sehnsüchtig auf die Nachzahlung, die mein Mann bekommen soll. Man bat stch noch immer nicht an das Gefühl gewöhnr, daß man mit seinem Gelbe gerade noch zwei, höchstens drei Tage auskommen kann. An Einteilen auf den ganzen Monat ist schon gar nicht zu denken.
Verbilligtes Brot für Nentenempfänger. Die der Stadt Berlin iür außerordentliche Notstandsmaßnahmen zuaunsten der Nentenempfänger der Invaliden- und Angestellten- Versicherung zur Verfügung stehenden Mittel sollen zur VcrauS- gabung von verbilligtem Brot verioandt werden. Die Ausgabe des Brotes beginnt nicht vor Anfang Januar 1923. Be« zugSberechiigt sind: 1. ohne besonderen Antrag: die in der Sozial« rentnerfuriorge laufend unterstützten Perionen; 2. auk besonderen Antrag: die nicht laufend nnterstützten Nentcnenivfönger der In» validen« und Angestelllenversicherung im Falle besonderer Bedürs» tigkeit. Anträge der zu 2 bezeichneten Rentenempsänger werden spätestens bis zum 23. Dezember in den GeichäitSstellen der Sozialrentnerfürsorge desjenigen Verwaltungsbezirks entgegen- genommen, in dem der antragsbereStigte Rentenempfänger wohnt.
ZSj
Die Welk ohne Sünde. Der Roman einer Minute von vicki Baum.
Den Namenlos konnte er nicht finden. Dieses letzte Ende des tiefsten Stollens lag so unheimlich'verstummt in seiner Tiefe. Anselmus kauerte sich hin und lauschte, es war nichts i?a, als ein stetes, stetes Tropfenfallen. Langsam verhüllte sich alles. Dann, unmeßbar später losch die Lampe aus. Anselmus blieb in der Finsternis kauern und starrte in sie, bis Hell- grün kam. Da sah er den Bruder Namenlos mit Egidius über eine Waldlichtung gehen. Egidius ging mit gesenktem Kopf, aber der Namenlos sprach und sprach zu ihm. Kann der Stumme sprechen? fragte Anselmus. Still, sagte Egidius; er beichtet... Dann starrte Anselmus wieder ins Schwarze und wartete auf das, was näherkam.
In der Dunkelheit war mit einem Mal ein Licht zu sehen, eine weiße, runde Kugel, die Schein aus sich'warf. Sie kam von weitem, wanderte vielleicht heran: doch als Anselmus hinstarrte, blieb sie reglos, wuchs, weihleuchtend im Dunkel. Seltsame Strahlen huschten den Gang her, zuckten an den Wänden, schwanden: das runde Leuchten blieb, verwandelte sich zum menschlichen Gesicht. Anselmus streckte weit den ; Kopf vor, und ahnend erkannte er Börries kahlen Schädel mit den gewaltig eckigen Zügen. Doch war er nicht befremdet. Wie abgetrennt vom Körper, wie eine Lampe, hing er im Dunkel, mit geschlossenen Augen, den Mund voll Schmerzen. schlafend oder tot. Ein seltsames Surren war um die Er- scheinung, ein Knistern. Sprühen. Zucken von Lichtern, Irres, Jneinand'ergeballtos, Kreisen von weißglühenden Funken. In Anselmus Hand, die de!? Hebel fester umklammerte, trommelte der Puls, sein Herzschlag hatte' eine zischende llnrast emp- fangen. Ich habe Fieber, dachte er nach, dann schloß er die j Augen vor dem nahenden Licht. Ein turzev» Traum von Klar- heit und Nüchternheit schloß ihn ein. Nachdem Börries, der Ingenieur, eine Woche lang un- fichtbar geblieben war, sprengten sie die Türe seines Labo- ratoriums und fanden ihn am Boden liegend zwischen den Scherben der zerbrochenen Keinrplatten und Reagenzgläser,
die sein Fall vom Tisch gefegt hatte. Er war nicht tot, wie ein erstes entsetztes Geschrei es durch die Fabrik trug, aber er lag in so tiefer Bewußtlosigkeit, das Leonhard sich stundenlang bemühen mußte, ihn aufzuwecken. Schweißgebadet von allen Anstrengungen saß der kleine hilfreiche Gnom da, als Börries endlich die Augen öffnete und feine Laboratoriumswände an- staunte.„Ich habe geträumt," sagte er verwundert. „Was denn geträumt?" „Merkwürdige Dinge— so wie man früher im Hunger- fieber geträumt hat. Da!— jetzt ist es weg— alles- ver- geffen," sagte er und schaute die Wände an, die ihm schwach entgegenwankten. Leonhard brummte Verschiedenes und holte aus der Fabriksküche Brei. Mit seinen behaarten Wurzel» Händen fütterte er den Ingenieur, der artig schmatzte, wie ein Kind. Als er vier Teller voll gegessen hatte, war er satt und legte sich wieder hin. Jeden Tag Staatsbrei, sagte er nachher. Es wächst mir beim Hals heraus, und allen Mitbürgern auch. Nein, Leonhard, jetzt wollen wir andere Dinge pflanzen. Gute Dinge zum Beispiel. Ananas zum Beispiel, Feigen, Melonen und Bananen. „Ist recht," sagte Leonhard, beschwichtigend und schaute das Fieberthermometer an: aber Börries fieberte nicht. „Man kann in den Koblenberg schicken: Anselm soll her- kommen, sagte Börries.„Sie sollen die Pumpen einstellen. Wir wollen das verfluchte Werk versaufen lassen." „Schön, schön," sagte hierauf Leonhard. „Wir brauchen keine Kohlen mehr." „Gewiß nicht. Wozu brauchen wir Kohlen," begütigte Leonhard, sein Bart zitterte vor Vergnügen. Börries legte sich bequemer hin und dann stagte er:„ScheiM die Sonne?" „La." „Wir brauchen keine Sonne," sagte Börries noch und dann schlief er plötzlich ein, noch bevor der Arzt auch da zu- gestimmt halte. Ebenso plötzlich erwachte er eine halbe Stunde später, stand auf und behauptete, er sei wieder ganz in Ord- nung. Sieh einmal deine Hände an, sagte Leonhard, der stumm und ohne Regung neben dem Schlafenden geblieben war,„er- kläre freundlichst, was du damit gemacht hast." Börries rechte Hand war verbrannt auf eine seltsame Weise, schwarz und vertrocknet hing sie im Gelenk: es sah aus wie die Wunde eines Menschen, den der Blitz erschlagen hat. Der linke Arm trug einen Schnitt der vom Ellenbogen
bis zur Handwurzel lief, einen sonderbaren Schnitt mit dick aufgelaufenen, wuchernden Wundrändern. Börries besah diese Dinge aufmerksam und murmelte: Darum also habe ich Schmerzen. Möchtest du mir erklären, woher diese Wun- den kommen? Ich habe mit dem Verbinden warten müssen, bis ich weiß, was es ist. Ich traue meinen Diagnosen hier nicht. Hat dich der Blitz getroffen?" „Blitz!" sagte Börries und begann zu lachen.„Nun meinetwegen: Blitz. Ein bißchen Elektrizität. Ein Experiment, das gut ausgefallen ist." „Und hier, links? Du hast ohnedies nur mehr drei Finger on der linken Hand. Was ist das � für ein merkwürdiger Schnitt?" „Ich habe noch immer mehr Finger als du, Bruder," sagte Börries und wurde nachdenklich.„Wo der Schnitt her- kommt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich von dem Glaszeug, das ich heruntergeschmissen habe. Er sieht nicht hübsch aus, nicht wahr?" „Nein. Gar nicht hübsch." „Es— es— dürfte etwas— von deinem neuen Bazillus hineingekommen fein. Ich hatte dir so eine hübsche Plantage gezüchtet." „Da haben wir die Schweinerei," sagte Leonhard leise. Er versuchte zu lächeln aber er war ernst geworden. Er bückte sich über die Scherben am Boden und dann hielt er lange und stumm die zerbrochene Platte vor seine Brille. „Was kann er denn, dein neuer Bazillus?" sagte Börries und blies ein wenig Kühlung in feine Schnittwunde. «Das ist es eben. Ich weiß es noch nicht. Ich habe ihn gefunden und weiß seine Wirkung noch nicht. So geht es uns eben. Man nennt es Wissenschast— du kennst es ja auch." „Wie haben sich denn die Meerschweinchen benommen, denen du deine Spezialität eingeimpft hast? Ich könnte mich danach richten, weißt du—" „Ach was. Laß die Tiere! sagte Leonhard unruhig und konnte die Augen nicht von der Keimplatte losbekommen. Un- heimlich waren die Verfallssymptome, die sich bei den ge- impften Tieren gezeigt hatten. Das Herz zitterte dem Arzt, als er den Kopf hob und seinem Freund in die Augen sab, die ganz große, immerwährend flatternde Pupillen hatten.„Mein guter Junge"— sagte er leise und hob ihm die behaarten Hände entgegen. Fortsetzung folgt.)