Hr. 595 ♦ ZH.�ahrgatig Kusgabe A Nr. 294
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Der polnische Staatspräsident ermordet.
W a r s ch a u, 1ö. Dezember.(BXB.) Der neue Staatspräsident Ztarutowicz ist beim Besuch einer Kunstausstellung ermordet worden. Warschau , lö. Dezember.(Polnische Telegraphen- Agentur.) heute mittag wurde bei der Eröffnungsfeier der Kunstausstellung im Palais der bildenden Künste auf den Präsidenten der Republik ein ZNordanschlog verübt. Der Täter hat schnell hintereinander drei Renolverschnsse gegen den Rücken des Präsidenten abgegeben, infolge deren der Präsident einige Zftinuten später verschied. Der Täter ist ein Kunstmaler namens hicwiadoniski, der festgenommen wurde. Räch der Verfassung übernimmt der Sejm - Marschall Rataj inzwischen das Amt des Präsidenten. Er wird sofort die Rationalversammlung einberufen, welche die Wahl des neuen Präsidenten zu vollziehen hat. Narutowlcz wurde am S. Dezember, nach vier ergebnislosen Wahgängen, als Nachfolger Pilsudskis mit 289 Stimmen der Linken und der Minderheiten gegen 227 der Nechten zum Staatspräsidenten gewählt. Seine Wahl rief Wutausbrüch« der übenlakionaliftifchen Reaktionäre hervor. General haller rief die Bevölkerung Warschaus zum heftigen Kampfe gegen Narutowicz auf und sprach vom Recht der Bevölkerung auf Waffengebrauch und zur Selbsthilfe. Es kam dann am Montag und Dienstag zu Strohendcmonstrationsn, die Narutowicz zur Abdankung zwingen sollten. Es fanden wiederholt Schießereien statt, fo anlaßlich der Eidesleistung vor dem Parlament, dessen linksstehende Mitglieder verhindert werden sollten ,' ln die Sitzung zu gelangen. Narutawihtz wurde am Tage der Eidesleistung von Studenten schwer belästigt. Der Feier der Eidesleistung war die Rechte ferngeblieben. Di« ?lniwort der Regierung war die Verabschiedung des Generals haller. was die Wut der Reaktion noch vermehrte. Die polnische Gesandtschaft in Berlin hat auf unsere Anfrage die Nachricht oon der Ermordung bestätigt und teilt weiter mit: Der Attentäter hat längere Zeit in Paris und Petersburg zuge» bracht und sich in letzter Zeit fast ausschließlich mit K u n st p ä d a- g o g i k beschäftigt. Er ist 1869 in Warschau geboren und hielt sich erst seit wenigen Jahren wieder in Warschau ständig aus. 1918 erlitt er auf der Straßenbahn einen Unfall, der eine schwer« Gehirnerschütterung und eine Nervenkrankheit her. beiführte.— An dem außerordentlichen Kabinettsrat hat auch Mar» schall P i l s u d s k i, der Vorgänger Narutowicz ', teilgenommen. » Warschau , 16. Dez.(Eca.) Im Senioren konvent beantragten die Rechtsparteien(!), den Sitz der Nationalversammlung in die Provinz zu verlegen. Der Antrag wurde mit der feindlichen Stimmung eines Teiles der Bevölkerung gegen Landtag und Senat begründet. Der englische Gesandte in Warschau Miller, der Augen- zeuge des Attentats war, erklärte dem Korrespondenten einer amen- kaniscben Zeitung, daß er wenige Minuten vor dem Attentat dem Präsidenten seine Glückwünsche anläßlich der Uebernahme seines hohen, aber schwierigen Amtes ausgesprochen habe, wobei er gleich- zeitig seinem Bedauern Ausdruck gab, daß er infolge seiner Erkran» kung sein« Glückwünsche nicht habe früher darbringen können. Der Staatspräsident habe ihm geantwortet, es wäre wohl angebrachter, idm zu dem übernommenen Amt das Beileid als die Grotu- lation auszusprechen. Die Leiche des Präsidenten wurde mit der polnischen Flagge bedeckt und mit einer Ehreneskord« ins Belveder« übergeführt. Sikvrski mit üer Regierungsbilöung beauftragt. Warschau , 16. Dezember. Der stzllvertretendL Staatspräsident hat die Kabinettsbildung dem General Sikorski , dem bisherigen Sencralstovsches. übertragen. General Sikorski hat den Aus- trag ,ur Kabinettsbildung angenommen und beabsichtigt, das porteseuille des Innenministers zu übernehmen. Narutowicz hatte den Arbeitsminister Darowski mit der Kabinettsbildung betraut. * Das politische Drama, das sich in den lesiten Tagen an- läßlich der Wahl des Staatspräsidenten durch die National- Versammlung abspielte und die Parteileidenschaften aufs höchste aufpeitschte, hat einen tragischen Ausgang genommen. Präsident Narutowiez wurde von einem angeblich irrsinnigen Kunstmaler erschossen. Mit diesem politischen Mord hat der polnische Faseismus eine verhängnisvolle Bahn betreten, die das kaum wieder auferstandene Polen den Gefahren eines Bur- gcrkrieges aussetzt. Vergebens werden die nationaldemokra- tischen Kreise die Blutschuld von sich abwälzen wollen. Der- gebens werden sie darauf hinweisen, daß sie die von ihnen entfachte aufständische Bewegung durch beruhigende Aufrufe an die Bevölkerung selbst beizulegen versucht haben. .Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los!" Mag der Attentäter auch tatsächlich vathologisch belastet sein, die öffent- liche Meinung Polens wird die moralisch» Schuld an dem
Verbrechen dem Hetzkaplan, dem Hetzgeneral und dem Hetz- Politiker, dem Trifolium Lutoslawski , Haller und K o r f a n t y zuschreiben. Vergeltungsakte schlimmster Art sind zu befürchten, wenn es den Sozialdemokraten nicht ge- lingt, die berests durch die Angriffe auf D a s z y n s k i und L i m a n o w f k y aufs höchste gmizten Arbeitermasfen zur vorbildlichen Einhaltung- des legalen Weges zu bewegen. Man erinnert sich an die Vorgänge, die zu dieser furcht- baren Entladung des Parteihasfes geführt haben. Die Na- tionaldemokratie, die durch eine Koalition mit ver- wandten Elementen im Sejm zur Macht zu gelangen hoffte, war unterlegen. Eine aus den Sozialdemokraten, den Bauern und den nationalen Minderheiten zusammengesetzte demokra- tische Majorität hatte den liberalen Demokraten Narutowicz zum Nachfolger Pilsudskis gewähst. Nun glaubten die nationaldemokratijchen Extremisten, die Eides- leistung des Präsidenten verhindern und ihn zum Rücktritt bewegen zu können, indem sie Straßentumulte organisierten, die Abgeordneten blutig schlugen, ihnen den Weg zum Sejm - gebäude sperrten. Kaum einen Tag lang hatte der„Hallerismus", der „weiße Bolschewismus", wie die fortschrittliche Warschauer Presse diese antistaatliche Bewegung nannte, sich ungehindert entfalten können. Mit einer Energie, die unter den gegebenen Umständen von großem Mut zeugte, stellte das Kabinett Nowak, zweifellos bereits vom Präsidenten Narutowicz inspiriert, die Ordnung wieder her. Der Innenminister mußte demissionieren, General H a l l e r— zurzeit Abgeordneter— auf feine Stellung in der Armee verzichten. Unverzüglich wurde ein.Gesetz erlassen, das den Kampf gegen die stapts- rechtliche Ordnung mit den härtesten Strafen bedroht. Und dafür, daß er nicht nur gegen den Witten der Nationaldemo- traten die Präsidentschaftswürde angenommen hatte, sondern auch die Störer der Ordnung zu maßregeln wagte, mußte Narutowicz büßen. Polen wird diesen Verlust nicht leicht tragen. Nach dem freiwilligen Rücktritt Pilsudskis galt Narutowicz der
Majorität der polnischen Demokraten als die berufenste Pc. sönlichkeit für die Präsidentschaftswürde. Auch das Ausland für das Narutowicz keine unbekannte Persönlichkeit war teilte diese Anschauung. Schon durch sein vieljähriges Wirkei als Lehrer an der Züricher'Polytechnik hatte dieser hervor ragende Techniker sich Anerkennung in der inter - nationalen Welt erworben. Sein Ansehen stieg, als c zum Präsidenten der interterritorialen Rhemregulierungs kommission gewählt wurde. Als Vertreter Polens auf dc Konferenz von Genua und als Außenminister trat Narutowic mit den internationalen politischen Kreisen in Fühlung un bekundete schätzenswerte Qualitäten. Sein langer Aufentha! in der Schweiz hatte ihn zum echten Demokraten gemach Seine Weltanschauung war freisinnig und fortschrittlici Zweifellos hätte er in der Stellung des Staatspräsidenten ei Gegengewicht gegen die dunklen Mächte gebildet, die Pole auf die Bahn eines nationalistisch-kierikalen Imperialismus z drängen bemüht sind. Wenn man etwa in diesem Lager durch die Beseitigun Narutowicz' den Weg für die eigenen Aspirationen freizu machen glaubte, so gab man sich doch wohl einer große:' Täuschung hin. Die demokratische Bewegung, die bereits ii der Nationalversammlung den Sieg davongetragen hat, wir durch diesen Meuchelmord eine moralische Stärkung erfahren Der Nachfolger Narutowicz ' kann. nur ein Politiker de gleichen Richtung sein...' Davon zeugt schon der Umstand, daß der Stellvertret. des ermordeten Präsidenten, Sejinmarschall Rataj, den Eh des Generalstabes, G e n e r a l S i k o r s k i, mit der Bildun des neuen Kabinetts betraut hat. Der aus den polnischen Lc gümen hervorgegangene Sikorski ist ein naher Freund Pü sudskis und gleich ihm fortschrittlich und födere listisch gesinnt. Es ist gut für alle, wenn aus dem gegewärtigen Kampfe die Demokratie siegreich hervorgeht. De: die Gegner der Demokratie in Polen sind auch die Gegn ihres eigenen Vaterlandes und seiner friedlichen Entwicklui!.
Die Ententepresse verzeichnet die Gerüchte, daß Harding eine internationale Konferenz in Washington einberufen wolle. Die Hälfte oder zwei Drittel der von den Bankiers geplanten Anleihe von IVz Milliarden solle zur Zeichnung in Amerika aufgelegt, der Rest auf die anderen Nationen verteilt werden. Als Sicherheit für diesen Kredit werde die amerikanische Regierung eine Hypothek auf alle deutschen Einnahmequellen einschließlich der Ein- und Ausfuhrabgaben vorschlagen. Mit arideren Worten, die alliierten Regierungen sollen auf einen Teil ihrer Pfänder aus dem Friedens- vertrag verzichten, um den Forderungen der internatio- nalen Bankiers gerecht zu werden. Reuter meldet aus Washington : Von offizieller Seite ist wenig darüber zu erfahren, was die angeblichen Regie- rungspläne wegen der europäischen Angelegenheiten bestätigt. Indessen wurde gestern im Weißen Hause endgültig an- erkannt, daß Amerika seinen Einfluß als Glaubiger Europos nicht ungenutzt lassen dürfe. Das Staats- departement hat mitgeteilt, daß über die Frage einer Anleihe an Deutschland in offizieller Weise nicht verhandelt wurde. Indessen wird der Besuch des deutschen Botschafters im Staatsdepartement als bedeutmigsvoll angesehen. Im Staatsdepartement in Washington wurde, wie Reuter weiter mitteilt, von zuständiger Stelle erklärt, daß die Frage der Anleihe für Deutschland dem Departement n i ch t in irgendeiner offiziellen und formellen Weise vorgelegt worden sei. Botschafter W i e d f e l d t reist« bald nach seinem Besuch im Staatsdepartement nach New Park ab. New Aork, 16. Dezember. (WTB.) Die Blätter bringen aus Washington ausführliche Berichte, nach denen das Kabinett in seiner gestrigen zweistündigen Sitzung sich hauptsächlich mit der Frage der deutschen Anleihe beschäftigt habe. „New Bork World" schreibt, daß nach der Sitzung eine hohe amtliche Persönlichkeit erklärt habe, der Erfolg einer Anleihe hinge davon ab,"welcher Gebrauch mit ihr gemacht würde. Andere maßgebende Kreise seien der Ansicht, daß eine Anleihe von 2 Milliarden Dollar in Amerika flüssig gemacht iverden könne, wenn die Erfüllung aller deutschen Verpflichtungen von ihr abhing e. „New N o r k Time s" berichtet aus Washington , daß nach Ansicht unterrichteter Kreise die Hauptschwierigteit darin besteh«, wie die europäische Loge wiederhergestellt werden könne. Eine Anleihe
könne Deutschland erhalten, wenn die Summe seiner Repara tiönszahlungen seiner Zahlungsfähigkeit entspräche. E werde gesagt, daß Amerika in dieser Richtung bereits E r t u n d gungen in Deutschland eingezogen habe. „A s s o c i t« d Preß" berichtet aus Washington , daß vo nichtamtlicher Seite der Vorschlag gemacht worden sei, das eine Kommission, die aüch amerikanische Sachvcrstän d i g e einschließe, in Deutschland Ermittlungen über die deutsch Zahlungsfähigkeit anstellen solle. Diese müßten vo, England und Frankreich als maßgebend betrachtet werden. Es er scheint sicher, daß das Staatsdepartement ernstlich Betrachtunger darüber angestellt habe, ob eine Teilnahme Amerikas an der Ron ferenz für winschaftliche und finanzielle Fragen in Brüssel möglic fei. Ein Wilglled des Bankhauses Morgan erklärte, er wisse oc einer Anleihe nichts. Die Verhandlungen üer Regierung. Konferenz mit de« Parteiführern. Die Verhandlungen der Reichsregierung mit maßgebcn den Bankiers und einzelnen Industriellen, unter den«: sich Herr Stinnes nicht befand, hatten bisher nur vor bereitenden Charakter. Neues hat sich im Laufe des Sonn abend nicht ereignet, so daß die Regierung auch nicht in de) Lage war, in der Parteiführerbesprechung, dö am Sonnabend nachmittag 3 Uhr stattfand, Mitteilungen zi machen, die über das bisher aus der Presse Bekannte hinaus gehen. Die Einberufung des auswärtigen Ausschusses wurdc deshalb vorläufig nicht in Aussicht genommen: jedoch behielten sich die Parteiführer vor, je nach.Zweckmäßigkeit eine Einberufung zu beantragen. Bei den kommenden Verhandlungen über das Repara- tionsvroblem hänat natürlich viel von dem deutschen Garantie- angebot für ein Moratorium ab. Die Rcichsregierung wil bekanntlich Garantien anbieten, und sie ist ferner bereit, auc! einen Plan auszuarbeiten, der die endgültige Lösung der Re parativnsfrage vorsieht. Die Industrie hat also jetzt Gelegen heit, die von ihr seihst vielgerühmte„Opferbereitschaft" Z' zeigen. Newpork: Dollar S5D0. Roch dem Rewyorker Schlußkurs vom gestrigen Som abend standen dort 100 Mark auf 0.189; das entspricht einet Dollarkurs oon 5900 Matt