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Nr. 24.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30Mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post- Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochens tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berling

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, 33eut6- Straße 2.

Dienstag, den 29. Januar 1895.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Warum Cafimir Perier abdankte. übernommen, dafür zu sorgen, daß sie auch gehalten würden. nehmen laffe; daß, wenn Martin über ſehr hochgeſtellte Perſonen

Bedingungen gestellt, und Cafimir's Mutter hatte es Martin's, des Direktors der Südbahn- Gesellschaft, zu Protokoll Paris , 25. Januar 1895. Er sollte an der Wiederherstellung des Einflusses der Geist- Enthüllungen machte, der Protokollführer aufgehört habe,

Die Ereignisse überstürzen sich am Ende dieses Jahr­hunderts mit solch reißender Schnelligkeit, daß die Abdankung Cafimir's, die erst vor zwölf Tagen erfolgte, schon eine alte Geschichte ist. Und doch müssen wir auf sie zurückkommen, denn die Ursachen, welche Herrn Casimir Perier zwangen, vom Präsidentenstuhl herabzusteigen, haben für uns Sozialisten das denkbar höchste Interesse.

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zu schreiben; und daß, als Martin sich deshalb beklagte, Doppfer ihm geantwortet habe, die fraglichen Personen hätten mit dem Prozesse nichts zu thun. Casimir entrüftete sich über diese eigenthümliche Rücksichtsnahme. Seine Minister erklärten ihm jedoch, die Sache ginge ihn nichts an. Was den Ausschlag gab und Casimir bestimmte, alles fahren zu lassen, war das Benehmen des Ministeriums Dupuy in der Angelegenheit Raynal.

lichkeit arbeiten und den Weg für die Rückkehr des König­thums bahnen. In seiner ersten Botschaft mußte er er flären, daß er die Präsidentschaft nicht auf ewig haben wolle und daß er eine Wiederwahl nicht annehmen würde. Und sein erster Regierungsakt war, dem Erzbischof von Lyon sein Gehalt zurückzugeben, das ihm durch richterliches Urtheil wegen frecher Widersetzlichkeit gegen den Kultus­Man hat eine Ehescheidungsgeschichte in Umlauf ge- minister foufiszirt worden war. bracht, und die Skandalchronik schmückt sie mit allerhand In Beschlag genommen von den Ultrareaktionären, deren Die im Jahre 1883 unterzeichneten Verträge( con­Anekdoten aus, die den Casimir Perier als einen Schürzen- Gefangener er thatsächlich war, unablässig bedrängt und zer- ventions) mit den Eisenbahn- Gesellschaften, welche das jäger hinstellen als einen Bruder Lüderlich, viel zu bläut von den Sozialisten, wurde Cafimir verrathen von seinen Budget mit 135 bis 140 Millionen jährlich belasten, und, leichtsinnig und ungenirt für einen Präsidenten der eigenen Ministern und von der Parlaments majorität, auf wenn sie bis zu Ende in Kraft bleiben, dem Staat mehr als Republik , der doch den ehrbaren Schein wahren muß und die er sich stüßte. Dupuy, sein Konkurrent bei der Prä- 3 Milliarden- 3000 millionen- toften werden, sind sich nicht über alles hinwegsehen kann wie ein gut christlicher fidentenwahl, war emfig bemüht, ihn um sein Ansehen zu bringen. so skandalös, daß sie Stoff zu einem noch viel größeren König von Gottes Gnaden. Die Sozialisten lieben es nicht, Dupuy war es, der ihn zum persönlichen Eintreten bei der Standal, als dem Panama Skandal enthalten; man sagt, im Schmuge herumzumühlen, wie die Herren Bourgeois Wahl von Nogent- sur- Seine drängte, wo an seiner Statt ein daß die Gesellschaften im Parlament, an die Presse und im Wir lassen deshalb alle diese Anekdötchen links liegen trot Abgeordneter in die Kammer zu schicken war. Dupuy ließ ihn Ministerium 30 Millionen vertheilt haben, um die nöthigen des Kernes von Wahrheit, der in ihnen steckt. Und die sich kompromittiren und blieb selber im Hintergrund, während Stimmen zu erhalten. Herren Bourgeois verstehen es ja auch, sich mit derartigen es seine Pflicht gewesen wäre, den Präsidenten zu decken, Es war bekannt, daß Jaurès fie angreifen würde, Schweinereien abzufinden; und in der Familie Perier wäre der aus der Wahlkampagne geschlagen und kompromittirt wenn die Zinsengarantien, welche die Verträge festsetzen, in auch alles hübsch glatt geordnet worden, wie es in der durch die Niederlage seines Kandidaten hervorging. der Kammer zur Sprache fämen; es war weiter bekannt, Familie Grevy geschehen ist, wo die Tochter, verehelichte Es war fortwährender Krieg in dem Rathe der Minister; daß Jaurès die Berathung des Budgets des Ministeriums Wilson , viel von sich reden gemacht hatte. Cafimir hat jeder Minister untersagte es Cafimir, sich in die Leitung des Aeußeren benutzen würde, um eine Rede über die im Figaro" die verschiedenen Gerüchte für falsch erklären der Angelegenheiten seines Departements einzumischen. Internationalität der sozialistischen Partei zu halten. Er und anfündigen lassen, daß er mit seiner Frau die bei Wenn er geltend zu machen versuchte, daß er doch Präsident sollte von der Kammer verlangen, daß sie den Eisenbahn­läufig vor Wuth plagt, daß sie nicht mehr Frau Präsidentin" der Republik sei, dann antwortete man ihm:" Sie über- Gesellschaften die Bezahlung der garantirten Zinsen verweigern ift auf dem zärtlichsten Fuße steht, daß sie zusammen- schreiten die Grenzen zwischen Ihren und unseren Befug- und die Verträge für nichtig erklären solle, weil diese durch leben wie zwei Turteltauben und nächstens eine zweite niffen, Sie gehen über ihre verfassungsmäßigen Vollmachten Betrug und Bestechung zu stande gekommen seien. Um Hochzeitsreise in den Süden machen wollen.

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Es ist also nicht der Familien- Krakehl, was Cafimir dazu gebracht hat, von seinem Posten zu flüchten-es sind die Angriffe der Sozialisten, die ihm am Tage seiner Wahl den Krieg erklärt und ihm keinen Tag der Ruhe geschenkt haben.

hinaus."

Die Minister verurtheilten Cafimir zur vollständigsten Dhn­macht,-seine Mutter und die Ultras trieben ihn zum Handeln. Wenige Tage vor seiner Abdankung gab es im Ministerrath eine Szene aus Anlaß der Südbahn - Skandale. Die Bande des Reinach , die fast ausschließlich aus Opportunisten be­Die Kapitalisten hatten ihn zum Präsidenten gewählt, steht, ist in diese saubere Geschichte verwickelt. Die reaktio­als die gelungenfte Verkörperung des Kapitals, das mit nären Ultras, die wieder die Tugendhaften spielen, wie zur Verbrechen befleckt ist und von Arbeiterblut trieft. Er Beit des Original- Panama, verlangen, daß alles aufgedeckt sollte der Herkules sein, der den Sozialismus erdrückt. werde und daß alle Schuldigen, Journalisten, Minister, De­putirte und Senatoren, die Checke( Geldanweisungen) empfangen haben, erbarmungslos an den Pranger gestellt werden sollen. Dupuy dagegen möchte sie retten, denn sie gehören zu seiner Majorität.

In meinen früheren Briefen habe ich einige Episoden dieses Kampfes erzählt, und von Tag zu Tag haben Sie die ohne Unterbrechung einander folgenden Angriffe der Sozialisten und die wuchtigen Schläge, die sie ihm versett, aufzählen können. Aber hinter den Regierungskoulissen spielte sich ein anderer Kampf ab, den das Publikum nur dunkel ahnen konnte.

Die Monarchisten und die Katholiken, welche die Wahl Cafimir's zum Präsidenten entschieden hatten, waren nicht so dumm gewesen, dies bedingungslos zu thun. Sie hatten

Feuilleton.

diesen beiden Reden zu entgehen, ließ das Ministerium durch seine Mehrheit Jaurès aus der Kammer ausschließen; es rechnete darauf, während der 15 Sigungen, die der sozialistische Abgeordnete nicht in der Kammer sein konnte, in aller Geschwindigkeit die Zinsengarantien und das Budget des Ministeriums des Aeußeren durchdrücken zu können. Das Ministerium hatte sich aber getäuscht. Barthou , der Minister der öffentlichen Arbeiten, wurde zum Verräther an Dupuy, indem er seine Entlassung einreichte. Millerand nahm diese Entlassung zum Vorwand, um die Frage der Verträge zur Berathung zu bringen und verlangte, daß Raynal , der jene Verträge hatte bewilligen lassen, in An­klagezustand versetzt werde. Das Ministerium bestand aus neuen Leuten, die in diesem Ränkespiel noch keine Erfahrung hatten, und als es sich von einem seiner eigenen Mitglieder vers rathen und von den Sozialisten angegriffen sah, opferte es Raynal und ließ ihn in Anklagestand versetzen, um sich

Um seiner Mutter und den Ultras gefällig zu sein, forderte Cafimir ein großes Reinemachen"( nettoyage) in Presse und Parlament. Aber man scheerte sich nicht um seinen Willen. Eines Tages erfuhr er, daß Doppfer, der mit zu retten. dem Prozeß betraute Untersuchungsrichter, einer Anweisung Indem man aber Raynal in Anklagezustand versetzte, des Siegelbewahrers folgend, nicht alle Aussagen Felix schlug man Cafimir mitten ins Gesicht. Raynal war sein wenn überhaupt noch ein Beweis nöthig war, ihr seine danken und der Duft des Weißdorns über ihn breiteten, verschwiegene, dauernde Liebe zu betheuern? Frau Messant einwiegen ließ. Er erwachte aus diesem traumhaften Bu versicherte außerdem ihre kleine Freundin Annette ihres stande nur, um Henri endlose Briefe zu schreiben, die wieder [ Nachdruck verboten.] liebevollen Andenkens; sie erhielt dafür einen langen Ruß. endlose Antworten erheischten. Von diesem Augenblick an genas René rasch unter der Nach und nach jedoch übermannte ihn die Ungeduld, Einwirkung der Liebe und des Frühlings. Er konnte sich das Fieber, die zaudernde Zukunft zu beflügeln, das lang bereits ins Freie wagen, Sparzierfahrten machen, in dem entbehrte Glück der Liebe voll zu genießen; wenigstens wollte Roman von Georges Renard. Autorisirte Uebersehung jungen Grün draußen Sonnenschein und Lebenslust ein- er den Faden der süßen Plaudereien von Herz zu Herz von Marie Runert, athmen. Freilich zogen hin und wieder noch Wolkenschatten mit Annette wieder aufnehmen. Er zürnte sich selbst, weil er über den Azur seiner Träume. Wollte Annette ihn wirklich noch immer so schwach war und bei jeder Anstrengung, die er versuchte, durch stechende Schmerzen daran erinnert ward, genommen, fonnte René nicht ernstlich an der Treue seiner daß er seine Wunde nicht außer acht lassen durfte. Eine Geliebten zweifeln. Wo ist der Mann, der, wenn er liebt Pause in der Korrespondenz, welche eine Ewigkeit von fünf und wiedergeliebt wird, nicht fühlt, wie der warme Wieder- Tagen dauerte, erregte seine reizbaren Nerven so sehr, daß schein der Liebe bis zu ihm dringt? er einen ernsten Rückfall hatte. Er verlor Appetit und Ernster war der zweifellos, in Güte kaum überwindliche Schlaf, hatte Schwindelanfälle und Delirien und beunruhigte Widerstand der Frau Roveran. Doch gleichviel! Eine Frau Messant so sehr, daß sie sich entschloß, Henri Roveray Wittwe war der der mütterlichen Autorität weniger zu benachrichtigen.

Int Am Exil.

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Frau Meffant, die jetzt eintrat, erschrat, sie glaubte, noch glücklich machen? Freilich, obgleich nicht von sich ein er habe wieder mehr Schmerzen. Nimm! lies, sagte René. Kaum hatte sie den Brief durchflogen, als sie auch so­fort alles begriff.

Du liebst sie noch immer? fragte sie. René bejahte durch ein Zeichen.

Nun, mein Kind, dann möge sie Deine Frau werden! Ich werde sie für Dich lieb haben, wenn sie Dich liebt. Sie wird Dich auch lieben, Mutter.

unterworfen, als ein junges Mädchen, und René gefiel sich Zwei Tage später, zwar außer Gefahr, aber noch voll in dem Gedanken, daß Annette, nun freigeworden, nach ständig erschöpft, dachte René an den Tod, der ihn wie ein Und René füßte die alte Frau zärtlich, um ihr dafür eigenem Gutdünken über ihre Person verfügen würde. Es Nachtvogel mit seinen mächtigen Schwingen gestreift hatte, zu danken, daß sie die früher so sehr gefürchtete Rivalin störte ihn also keine ernstere Sorge, wenn nicht der Gedanke und er fühlte seinen eisigen Hauch bis in das Mart, bis in bei sich aufnehmen wollte. Ach, sie dachte längst nicht mehr an die schwierige Lage gewesen wäre, aus der er sich heraus- die Seele hinein. Er lag vor dem Fenster auf einer an die Abneigung und die Eifersucht früherer Tage, die arme arbeiten mußte, wenn er seiner Geliebten ein behagliches, ele- Chaiselongue ausgestreckt und fragte sich, ob das Glück, Frau Messant. Sie war entschlossen, ihren Sohn, den sie gantes Nest bereiten wollte. Aber das Unglück konnte sich doch das er ersehnte, entschwinden würde, ohne daß seine um ein Haar ganz verloren hätte, mit der zu theilen, die nicht immer an seine Fersen heften. Es fehlte ihm nicht an Hand es erreichen konnte, wie die weißen Wolken ihr helfen würde, ihn zu retten und glücklich zu machen. Muth und festem Willen, und sobald er nur seine Kräfte und die Schwalben dort, deren rastlosem, schnellem Schon wirkte die Hoffnung wie das träftigste Stärkungs wieder erlangt hatte, wollte er schon sein Leben mit der, Fluge er am Himmel folgte. Das Geschick, das immer mittel auf ihn. Er fand mit einem Male Lebenskraft und die seiner Energie vertraute, einzurichten wissen. ironisch ist, würde es seinen Wünschen nach Glück ant­Muth wieder. Er wollte der jungen Wittwe nicht schreiben, Die Briefe, die Ende April und in der ersten Hälfte worten: 3u spät! wie es seinem Streben nach Gerechtigkeit da er nicht im stande war, ihr Beileidsbezeugungen zu des Mai aus Vevey kamen, bewiesen René, daß er ein geantwort hatte: 3u früh? schicken, und da er außerdem ihre zartfühlende Seele Recht hatte, zu hoffent. Wenn Annette auch nur in wenigen nicht durch Uebereilung verlegen wollte. Aber, aus Furcht, Beilen Frau Messant geantwortet hatte, so hatte doch daß sein Schweigen falsch ausgelegt werden konnte, schrieb Henri, wenn er seinen Freund bat, schnell ganz gesund zu er an Henri, was er seiner Schwester nicht zu sagen wagte. werden, durch seine indiskreten Freudenausbrüche und durch ge­Er überließ ihm die Wahl des Augenblicks, in dem er es heimnißvolle Andeutungen so viel verrathen, daß René, der für geeignet hielt, zu seinen Gunsten zu sprechen und über- Stunden lang in den abgelegensten Winkeln des Bois sandte ihm den Abschiedsbrief, den er am Vorabend des de Boulogne auf dem Rasen ausgestreckt lag, sich in der Duells geschrieben hatte. Wäre das nicht der beste Beweis, seligen Mattigkeit, welche der Himmel, seine rosigen Ge­

In schwermüthige Träumereien versunken, war René erstaunt, als seine Mutter plöglich aus dem Nebenzimmer zu ihm hereintrat und bewegt und lächelnd zu ihm sagte: Bist Du start genug, um eine große Freude zu er tragen? Er erblaßte, und als er Schritte in dem andern Zimmer hörte, sagte er mit zitternder Stimme: Annette ist da?