Nr. 20 ♦ 40. Jahrgang
Beilage Ses vorwärts
Sonnabend. 13. Januar 1023
Oernotat und fein Zreunö. Zwei Gesichter hat dieser Bernotat: das eine weich, zuvor- kommend, liebenswürdig, das andere hart, gierig, durchtrieben. So gemeingefährlich er auch fein mag, rein menschlich dauert er einem fast. Man kann sich schon denken, daß vielleicht mehr als einmal, wenn er so nach anstrengendem Raubgang, mit reicher Beute be- laden, in sein trautes Heim am Kurfürstendamm zu Frau und Kind zurückkehrte, ihn eine Sehnsucht überfallen mußte, den Rat seines Freundes Kaminski zu befolgen und endlich mal dieses Doppelleben eines hypermodernen Diebes aufzugeben. Was war es denn, das ihn daran hinderte? Dekorateur von Beruf, Villaeigentümer an der Ostsee mit Spielklub, Ziegeleibesitzer, erfolgreicher Pferdespekulant, glücklicher Ehemann und Vater, ein Mann mit gesellschaftlichem Schliff, von einnehmendem Wesen, dem ein langsamer, jedoch steter Aufstieg in der Handels-, Schieber- und Halbwelt des Kurfürsten - damms gesichert schien,— was trieb ihn in fremde Wohnungen, zu fremden Kostbarkeiten? War es Gier, schnell reich zu werden, oder war es Sport — unüberwindbarer Reiz nach ungesundem Nerven- iitzel? Wohl beides. Wie einfach schien es doch, mit Dietrich und Schraubenzieher ausgerüstet, in fremde Zimmer einzudringen, um sich das Eigentum anderer zu eigen zu machen. Es waren fast visuelle Zwangsvorstellungen, die ihn immer wieder antrieben. Er fand keine Ruhe, bis er nicht wieder ging, er konnte nie genug haben, obgleich er mit den Gütern nichts mehr anzufangen wußte. Das Motiv ward zum Selbstzweck und hatte damit seinen Sinn verloren. Ist das nicht die Psychologie des„Raffke" des Jahrhunderts? Eins aber hatte er dem letzteren sogar voraus: er befaß Formgefühl. Von den errafften Gegenständen stellte er in seiner Wohnung nur das unter, was in den Stil derselben— zu den kostbarsten Por- zellanen, Bronzen, Teppichen, Oelgemälden, Möbeln— paßt«, alles ander« stieß er als„Ware" ab. Und seine durch Diebstahl, unter Beihilfe des Buchhändlers Böhme, erbeutete Bibliothek zeugte von einer nicht geringen Intelligenz. Seine Verteidigungslinie hat er sich w der Einsamkeit seiner Zelle zurechtgezimmert. Sie ist psychologisch tief begründet. Nicht er. sondern sein„Freund", ein geheimnisvoller Oberstleutnant „Grohmann", der ebensogut existiert haben konnte wie auch nicht und von dem er, trotz Frau und Kind, in sexueller Hörigkeit ge- standen haben will, soll ihm die Sachen ausgehalst haben. So schüttest er die Taten von sich ab, will von ihnen nichts wissen. Vielleicht nicht zu Unrecht. Es ist eben sein zwestes„Ich", das mit Dietrich und Schraubenzieher in fremde Wohnungen schlich. Hätte Bernotat der Wahrheit die Ehre gegeben und sein Seelen- leben, wie es wirklich ist, ohne Lug und Trug offenbart, so wären ihm vielleicht einigermaßen milde Richter erstanden. Neben ihm, als Gegenstück, sein Freund Kvminski. Erbstch durch seinen alkohol-irren Vater schwer belastet, psychopathisch im höchsten Grade, mißglückt in seinem Triebleben, ein Schlafwandler im Wachen und im Traum, zu kneten welch wie Wachs, ist er in seinem krankhaften Anlehnungsbedürfnis am stilgerechten, be- stimmten und suggestiven Bernotat hängen gebsteben und fand in ihm sein Verhängnis. Unselbständig und unfähig, trotz intensivsten Verlangens und schüchterner Bersuch«, von ihm loszukommen, durch den tragischen Tod seines Bruders, den er selbst verschuldet zu haben glaubt«, an Bernotat als gefürchteten Zeugen dieses Todes endgültig gekettet, hündisch demselben ergeben, bringt er ihm die größten materiellen Opfer, folgt ihm zwei Jahre hindurch auf den ersten Wink, trotz aller Gewisiensbisie, durch dick und dünn. War er wirklich Bernotats Freund, so mußte er logischerweise in besten Doppelleben eingeweiht werden und konnte, so wie er min einmal geartet war, nicht anders als an dessen Treiben tellnehmen. Hier liegt des Rätsels Lösung: Wie war er sich selbst so untreu, daß er Bernotats treuester Diener wurde? Er steht aber neben ihm am Anfang der stümperhaft anmutenden Einbrüche in Wohnungen und beschließt mft ihm den ersten Abschnitt der gemeinsamen ge- meingefährlichen Laufbahn bei den meisterhaft durchgeführten Be- suchen in den Wiesbadener Hotels. Und wie er bei seiner ihm aufgezwungenen Tättgkeit zwischen Lieb« zu seinem Freund und Pflicht gegen sich selbst hin- und herschwonkt. so pendest er in der Gerichtsverhandlung zwischen Angst für und vor seinem Freund und Angst vor der Lüge. Bald reißt er ihn heraus, bald belastet er ihn schwer und unwiderleglich.
Ein„rührendes" Paar, dessen Gefährlichkeit durch hingebende! Freundschaft erhöht wird. Ueber die„Schuld" des einen werden] die Richter zu urteilen haben, über die„Verantwortlichkeit" des an-' deren die psychiatrischen Sachverständigen.
Die Erhöhung der Eisenbahntarife. Gleich, eilig mit der bereits bekannlgeacbenen Erböbung der Personen- und Gepäcktarife abl. Februar um Iva Proz. wird die Entfernung für die Berechnung der Mindest- fahrp reise sowobl für die Einzel- als auch für die Zeitkarten von 11 Kilon, eier auf 9 Kilometer herabgesetzt. Die Er- höhung um 199 Proz. erstreckt sich auch auf die Schnellzugs, uschläge, die Militärfahrprcise und die sonstigen Gebührensätze. Än Schnell- zugSzu schlügen werden also erhoben für die Zone 1(1 bis 75 Kilometer), die Zone 2(76 bis 1S9 Kilometer) und die Zone 3 (über 1ö9 Kilometer) in der 3. Klasse 299, 499 und 699 M.; in der 2. Klasse 499. 899 und 1299 M. und in der 1. Klasse 899, 1699 und 2499 M. Die Gepäckfracht beträgt vom 1. Februar ab 2 M. für je 19 Kilogramm und einen Kilometer. Die Mindest- fracht wird ebenfalls verdoppelt, also auf 299 M. festgesetzt.
Das markenfreie Brot 7vtt Mark. Der Zweckverband der Bäckermeister Groß-Berlins erhöht von Montag, den 1ö. Januar die Preise für markenfreies Gebäck folgendermaßen: Ein Brot von 489 M. auf 799 M.(daS Markenbrot kostet vom gleichen Tage an S79 M. gegen 319 M. biS- her). Schrippen von 23 auf 27 M., Hörnchen und Kaiserbrötchen von 26 auf 39 M.. ein Pfund Einback von 899 M. aus 489 M., gerösteter Zwieback von 459 auf 729 M. Das Abbacken wird auf 89 und 199 M. erhöht. Tüten und Einschlagpapier werden zu Tagespreisen berechnet und das Publikum wird zum Zwecke der Ersparnis ersucht, Einschlagmaterial selbst mitzubringen.
Sprunghaftes Steigen des Nilchpreifes. Ei« Liter Milch in der nächsten Woche iM4 Mark. Trotz aller Versuche, den Milchpreis niedriger zu gestalten oder ihn wenigstens nicht weiter steigen zu lassen, wird, wie bereits kurz mitgeteilt, die nächst« Woche eine erneute und ganz bedeutende Steigerung des Milchpreises von 216 auf 244 M. bringen. Da diesmal durch die Annahme des sozialdemokratischen An- trag» in der Crnährungsdeputation die Umsatzsteuerrisikospanne, die jetzt IS M. betragen würde, weggefallen ist, so fällt die diesmalige Steigerung fast ausschließlich zu Lasten des Erzeugerpreises. Er betrug in der laufenden Woche 143 M. und ist auf 175,59 M., also um über 3 9 M., gestiegen. Auch die anderen Posten der städtischen Kalkulatton sind gestiegen, wenn auch bei weitem nicht in demselben Verhältnis wie der Erzeugerpreis. Die Ernähr ungs- deputatton wird ernstlich zu prüfen haben, ob nicht auch hier Ab- str ich« möglich sind. Inzwischen läßt die Reichsregierung durch MTB. mitteilen, daß sie mit Rücksicht auf die außerordentlich« Nottage, die durch die ungeheuerliche Milchverteuerung für die Kinderernährung der minderbemittelten Schichten eingetreten fei, dem Reichstag «in« Borlage über die Bewilligung von drei Milliarden Mark zur V« r b ill i g u ng f ü r Milch für kleine Kin- der«inreichen werde. In der Begründung heißt es u. a.: Es sei nicht beabsichtigt,„eine allgemein« Milchverbilligung durchzuführen, wogegen die bekannten volkswirtschaftlichen Gründe und die Rücksichwahme auf die Reichsfinanzen entscheidend sprechen würden. Es handle sich vielmehr nur um die Linde- rung des ganz außerordentlichen Notstandes, der in vielen Bezirken enger Bevölkerungsanhäufung dadurch ent- standen ist, daß nennenswerte Teile der Bevölkerung angesichts der allgemeinen Verarmung die Mittel zur Bezahlung der Milch einfach nicht mehr aufbringen können. Hier muß eingegriffen werden, wenn nicht unser Bevölkerungsnachwuchs auf da» schwerste geschädigt werden soll. Die vom Reich bereitzustellenden Mittel werden der Höhe nach zur Behebung der Not sicher nicht ausreichen, vielmehr werden starke Ergänzungen durch Mittel der Länder und örtliche Aufwendungen oder prcisausgleichend« Maßnahmen kommen müssen, wie ja derartige HUf« durch Länder und durch örtliche Stellen zum Teil bereits wirkungsvoll gewährt ist. Ferner wird dafür gesorgt werden müssen, daß die Reichsmsttel auf die Fäll« ernstester Not zusammengefaßt und nicht durch Vsr- wendung auch m minder schwierigen Verhältnissen zersplittert werden. Außer dieser Maßnahme der Reichsregierung wird es Zweifel-
los von großem Wert sein, wenn die Landwirtschast ihre so oft �betonte nationale Opferwilligkeit durch das bereits an- gekündigte besondere M t l ch o p f e r auch für Berlin bekunden wird. In der städtischen Ernährungsdeputatton wurde durch Stadtrat Richter mitgeteilt, daß diesbezügliche Verhandlungen geführt werden sollen. Auf das Ergebnis sind wir gespannt. Darüber sollten sich alle im klaren sein, daß rasche und radikale Abhilfe angesichts der trostlosen Verhältnisse in Berlin notwendig ist.
Ein Rentnerhcim. Für die nicht mehr Erwerbsfähigen, die gegenüber der unauf- hallsam fortschreitenden Teuerung auf ein unzulängliches Renten- einkommen angewiesen find und sich der drückenden Not von Tag zu Tag weniger erwehren können, ist im Verwaltungsbezirk »Prenzlauer Berg " in Räumen des Hauses Greifs- walder Straße 226 ein Heim eingerichtet worden. Am Donnerstag wurde es mit einer kleinen Feier eröffnet, an der Vertreter des Bezirksamtes, der Rentnerfürsorge des Bezirls, des Bundes der Kleinrentnervereine und andere in der Sozial- Hilfe mitarbeitende Personen teilnahmen. Bezirksbürger- meister P a u i John schilderte in warmherziger Rede die Notlage der Rentner, die unter Geldentwertung und Teuerung, den harten Folgen des Krieges, jetzt bitter leiden. Das Heim, das für diese hilfsbedürftigen allen Leute eine Zufluchlstäile sein und ihnen Obdach gewähren will, gibt Einzelstuben gegen mäßige Miete ab und hält für alle auch Gemein- schaftsräume zum Tagesaufentbalt bereit. Die Bewohner des Heims, Männer uud Frauen, müssen ihre Stuben mit eigenen Möbeln ausstatten, können aber die gemeinsame Küche benutzen. um sich Essen zu bereiten oder das aus der Volksspeisung ent- nommene Essen zu wärmen. Für Besuche ist das Heim von morgens 19 Uhr bis abends 8 Uhr geöffnet. Die vom Bezirks- amt möblierten und beheizten Gemeinschaftsräume können auch von nicht im Heim wohnenden Rentnern unentgeltlich besucht werden. Für die Besucher der Gemeinschaftsräume soll versucht werden, Essen aus der Bolksspeisung bei hinreichender Beteiligung gemeinsam zwbeziehen, so daß sie eS hier verzehren könnten und die warmen Räume deS Heims mittags nicht zu verlassen brauchten. Der kNorö in öer Sapreuther Straße. 20 900 Mark Belohnung. Zu dem Mord in der Bayreuther Straße wird mitgeteilt, daß die Kriminalpolizei auf die Ermittelung des Täters oder der Täter eine Belohnung von 29999 M. ausgesetzt hat. Daran nehmen besonders auch die teil, die Auskunft über den letzten Auf- enthalt und den Verkehr des ermordeten Rowack geben. Der Cr- mordete, der Ingenieur und Kaufmann Robert I. Rowack, ver- trat die Rowack Jmporttng Company Jng., die in New Park ihre Bureaus hat. Bei einem Aufenthalt in Bertin hat er verschiedent- lich große Geschäfte mit vielen Leuten abgeschlossen. In der Woh- nung wurden noch mehrere Zeugen vernommen. Die a m e r i t a- nisch« Bo schaft wurde von dem Verbrechen benachrichtigt, weil der Ermordete amerikanischer Staatsbürger war, und eiit- sandte Beamte nach der Wohnung, die sich von dem Befund an Ort und Stelle überzeugten und den Nachlaß des Ermordeten sicher- stellten. Die Leiche wurde dann zur Obduktion nach dem Schcrn- Hause gebracht. Die Nachforschungen der Kriminalpolizei richten sich besonder» auch auf den Aufenthalt und den Umgang Nowacks während der letzten Tage und der letzten Abende. Die Ermttttun- lungen in den Lokalen, in denen er zu verkehren pflegte, lieferten bisher noch keinen Anhalt zur Aufklärung. Wer Angaben darüber machen kann, wo Rowack besonders am Mittwoch und Donnerstag und namentlich am Donnerstagabend gewesen ist, wird unter Hin- weis auf die hohe Belohnung ersucht, sich umgehend bei den Krimi- naltommiffaren Dr. R i e m a n n und D r ä g e r im Zimmer 88 des Polizeipräsidiums zu melden.
Wegen eines gefährlichen Fabrikbrandes wurde am Freitag abend die Schönebevger Feuerwehr nach Friedenau alarmiert, wo in der Apparate» und Mofchinenfabvik von Hans Windhoff A.-G., B« n n i g f e n st r. 29/22, angeblich aus Fahrlässigkeit ein Feuer aus- gekommen war, das bei der Ankunft der ersten Löfchzüge schon eine groß« Ausdehnung erlangt hatte. Es gelang, eine weitere Aus- dehnung der Flammen, die besonders an Immobilien und Einrichtungs- fegenständen reiche Nahrung gefunden hatten, zu oerhüten. Per- o n e n sind nicht zu Schaden gekommen. Das Feuer ist nach Feierabend ausgekommen. Der Betrieb der gut befchäfttgten Fabrik wird weiter geführt.
tNachtruck verboten. Der Rallk-Berlos. Derllru)
Drei Soldaken. 9s von Zohn dos Passos. Gegen Fufellis Ohren schlug ein« seltsame Aufregung. Diese Worte klangen sehr geschäftsmäßig. Plötzlich wunderte er sich, wie das sein werde, im Feuer stehen. Erinnerungen an Kinobilder flitzten durch sein Bewußt ein. „Was bin ich froh, aus diesem Höllenloch fortzukommen!" sagte er zu feinem Nebenmann. „Das nächste ist vielleicht noch mehr Höllenloch als das hier, Junge," sagte der Sergeant und ging mit wichtigen Schritten auf und ab. Alle lachten.- „Das ist ein feiner Sergeant, unsrer," sagte der Neben- mann zu Fuselli.„Der hat Grütze im Kops." „Rührt Euch!" rief der Sergeant.„Wenn jemand von Euch einen Schritt aus den Baracken heraus tut, werd«� ich ihn in die Küche stecken, bis er im Schlaf Kartoffeln schälen kann." Die Kompagnie lachte wieder. Fuselli bemerkt«, daß der große Mann, dessen Name zuerst aufgerufen worden war, nicht mitlachte, sondern verächtlich ausspie.. ..Ueberall gibt's faule Eier," dachte Fuselli. Langsam überdeckt« graue Dämmerung den Himmel. Fufellis Beine waren müde vom langen Stehen. Draußen vor den Baracken standen, so weit er die Straß« hinaufsehen konnte, Männer in aufmarschierten Linien. Die Sanne stieg auf. heiß, ein wolkenloser Tag. Einige wenige Spatzen zwitschertsn über d-m Zinndach der Baracken. „Wir marschieren heute immer noch nickst ab." „Warum denn?" fragte jemand wütend. „Truppen werden immer nachts abtransportiert. Da kommt der Sergeant." Alle reckten ihre Hälse in der angedeuteten Richtung. Der Sergeant kam mit einem mysteriZsen Lächeln auf den Lippen angetrottet. ..Mantel ausziehen und Küchengeröte herbei!" Die Küchengeröte klapperten und glitzerten in den gleiivnden Strahlen der Sonne. Sie marschierten zur Küche
und wieder zurück, stellten sich in Reih und Glied und be- gönnen wieder zu warten. Bald wurden sie alle müde und mürrisch. Fuselli hätte gern gewußt, wo seine alten Freunde aus der anderen Kompagnie waren. Es waren auch an- ständig« Kerls da, Chris und jener gebildete Mann, Andrews. Dumm, daß sie nicht hatten mitkommen können. Die Sonne stieg höher, die Leute schlichen sich einer nach dem anderen in die Baracken und legten sich auf ihre Schlaf- stellen nieder. „Um was wollt Ihr wetten, wir kommen aus diesem Lager nicht vor Ende der Woche raus," sagt« jemand. Nachmittags marschierten sie wieder auf zum Essen, aßen irgendetwas voll Unlust und hastig. Fuselli verließ den Speiseraum und klopfte mit zwei schmutzigen Fingernägeln irgendeinen Marsch auf seinem Geschirr. Da sprach ihn der Korporal leise an:„Vergiß nicht, dem Geschirr zu säubern, Mann. Die Inspektion kommt." Der Korporal war ein schmächtiger, gelbsichtiger Mann mit falttger Haut, obschon noch jung, und einem Mund, der aussah, wie ein Flitzbogen, der sich öffnete und schloß wie die Popiermäuler, die Kinder machen. „Zu Befehl, Korporal." antwortete Fuselli erfreut. Er wollte einen guten Eindruck niachen.—„Die Leute werden auch bald zu mir: Zu Befehl, Korporal, sagen." dachte er. Ein Gedanke trieb durch sein Hirn. Der Korporal sah nicht sehr kräftig aus. Der würde drüben wohl nicht lange am Leben bleiben. Und er malte sich schon ans, daß Mabe schreiben werde:„Korporal Dan Fuselli, O. A. R. D. 5." Am Spätnachmittag erschien der Leutnant plötzlich, des Gesicht rot vor Aufregung, den Rock steifer als je. „Se'geant, lassen Sie die Leute aufmalschieren!" sagt« er atemlos. Die ganze Lagerstraße hinunter standen die Kompagnien in Marschordnung? Eine nach der anderen marschierten sie ab, in Reihen zu vieren, und mochten dann Halt mit ihrem Gepäck. Bernsteingelb wurde das Licht des versinkenden Tages. Marschsignale tönten. Fuselli war plötzlich sehr akttv geworden. Die Signal- töne und die Kapelle, die die Nationalhymne spiette, senkten sich in sein Bewußtsein und wuchsen zu einem Traum: wie es wohl werden würde dort drüben. Männer mit Pickel- Hauben, die aussahen wie Feuerwehrleute, waren beim
Schießen. Sie sahen aus, wie der Klu-Klux-Klan im Kino, sprangen van ihren Pferden ab, hatten fremde, ausländische Gebärden, steckten Häuser in Brand und spießten Säuglinge auf ihre langen Schwerter. Das waren die Hunnen. Dann Flaggen, die hart im Winde flatterten und Töne von Militär- kapellen. Alles verlor sich in einer Szene aus einem Kino, in der Regimenter in Khatiuniform schnell, schnell durch die Szene marschierten. In der Erirmerung cm das Geschrei, das immer solche Szenen begleitete, ertrank das Bild.— Die Gewehre hätten doch Lärm machen müssen— fügte er in Nachgedanken hinzu. „Aa— ch— tung!, Vorrwärrts... marsch!" Die lange, lange Straße des Lagers war voll marschieren- der Füße. Abmarsch. Als sie durch das Tor kamen, lief sein Blick an Chris vorbei, der dort stand, mit seinem Arm um Andrews Schultern. Beide winkten sie. Fuselli lächelte und warf die Brust heraus. Die waren noch Rekruten. Er ging über See. Das Gewicht seines Gepäcks zog ihn an den Schultern und machte feine Füße schwer, als ob er mit Blei beladen fei. Der Schweiß rann seinen kurzgeschorenen Kopf Hinurtier und strömte in seine Augen und an seiner Nase entlang. Durch die marschierenden Schritte hindurch hörte er wirr„Hoch'- Rufe von den Bürgersteigen her. Bor ihnt wurden die Köpfe und das Gepäck immer kleiner, die Straße hinauf. Ueber ihnen flatterten Fahnen aus den Fenstern langsam hin und her im Dämmerlicht. Doch das Gewicht des Gepäcks drückte mit unausweichlicher Kraft seinen Kopf herab, wie sie weiter- marschierten unter den Bogenlampen, nie im Dänimerlicht blinkten. Stiefelsohlen und Beine, von Gamaschen umwickelt, und der Gurt des Mannes vor ihm: dos war alles, was er sehen konnte. Das Gepäck schien ihm so schwer als ob es ihn in den Erdboden durch den Asphalt hinein drücken werde, und um ihn herum war das dumpfe Rasseln der Ausrüstungen und das Stampfen marschierender Füße. Alles an ihm war naß vor Schweiß. Ganz vage fühlte er den dampfenden Schweiß, der aus den Reihen angestrengter Körper um ihn herum auf- stieg. Bald aber vergaß er alles außer dem Gepäck, das ihn an den Schultern zog. das seine Schenkel, Knöchel und Fuße niederlasteie, und nußer dem monotonen Rhythmus seiner Füße, die aus das Pflaster schlugen und der anderen Füße vor ibm , hinter ihm, neben ihm. (Fortsetzung folgt.'