1. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Ar. 36.Donnerstag, de« 31. Jannar 1893.13. Jahrg.Z?«rlk»»nenksl»eviihke.Deutscher Reichstag.26. Sitzung vom 30. Januar 1895, 1 Uhr.Am Tische des Bundesralhs: Reichskanzler Fürst H o h e n �lohe. Staatssekretär von Puttkamer.Ter erste Gegenstand der Tagesordnung, Bericht der Geschäfteordnungs Kommission über die Frage der Priorität derJnilialivanlräpe, wird abgesetzt, da neue Anträge dazu eingebrachtsind, die noch nicht gedruckt vorliegen.Das Haus wendet sich zur ersten Berathung des von denSozialdemokraten eingebrachten Gesetzentwurfs, wodurch derDiklalurpnragraph für Elsaß-Lothringen aufgehoben werden soll.Mit dieser Berathung wird diejenige der eisaß-lolhringischenAbgeordneten, denselben Gegenstand betreffend, verbunden.Antragsteller Abg. Bebel: In wenigen Monaten werdenes 24 Jahre, daß der Deutsche Reichstag fast einstimmig be-schloß, das dutch den deutsch- französischen Krieg eroberte Elsaß-Lothringen als einen Theil des Deutschen Reiches einzufügen.Als jene Eroberung sich vollzogen halte, ertönten in nahezu dergesammten deutschen Presse wahre Dithyramben auf diewiedergewonnenen Brüder, und es hatte den Anschein, daß es jetzt die vornehmste Aufgabe des DeutschenReiches bezw. der deutschen Volksvertretung sein werde,alles aufzubieten, um den„wiedergewonnenen Brüdern" die neueStaatsangehörigkeit so erträglich und angenehm wie möglich zumachen. Dem widersprach auch zunächst nicht die Thatsache, daßder Reichetag im Mai 1871 der Eingliederung von Elsaß-Loth-ringen zustimmte und dem Reichskanzler die vollständigsteVollmacht ertdeilte, in bezug auf die inneren VerhältnisseElsaß-Lothringens zu schallen und zu walte», wie er es ziveck-entsprechend hallen würde. Diese umfassende Diktaturwurde zunächst auf zwei Jahre festgestellt und das staatsrechtlicheVerhäliniß Elsaß-Lothringens ist bis zum heutigen Tage insoferndas alte, als nach wie vor der in Eisaß-Lolbringen residirendeStatthalter als höchster Reichsbeamter, als Regent der Reichs-lande, Vollmachten in einen, Unisange besitzt, wie sie kein andererdeutscher Staat, ja kein anderer Kulturstaat in ähnlichem MaßeHai. Es ist wichtig. Ihnen die freundlichen Aeußerungen insGedächtniß zu rujen, welche seinerzeit bei dem Emverleibungs-Gesetzentwurf von seilen des damaligen Reichskanzlersund der anderen Redner hier gefalle» sind. Damalssagte Fürst Bismarck, nachdem er daraus hingewiesen, daßdie Elsaß-Lothringer sich in ihre französische Zugehörigkeil leichthineingefunden hätten und daß im Elsaß eine gewisse Abneigunggegen Deutschland vorhanden war, es sei unsere Pflicht, dieseAbneigung mit Geduld zu überwinden, im allgemeinen hättenwir Deutsche die Gewohnheit, wohlwollender und menschlicher zuregieren, als die französischen Staatsmänner thälen, das sei einVorzug des deutschen Wesens, der im deutschen Herzen liege undder dem Elsässer bald erkennbar werden würde, �ivir seien auchin der Lage, den Bewohnern einen viel höheren Grad von kom-munaler und individueller Freiheit zu bewilligen, als diefranzösischen Einrichtungen und Traditionen dies je vermochte».Er sei überzeugt, daß es uns mit großer Geduld und mir Wohl-wollen gelingen werde, den Landsmann dort zu gewinnen, viel-leicht in kürzerer Zeit als man jetzt erwarte. Diese Ausführungendes damals maßgebenden Staatsmannes berechtigten zu den be-gründetsten Hoffnungen, daß es in vergleichsweise kurzer Zeitmöglich sein werbe, die Elsaß-Lothringer als vollberechtigtedeutsche Staatsbürger anzusehen. Das dies nicht der Fall istund daß heute die schlimm st en Ausnah niezu ständedort eristiren und fortdauern ist nicht die Schuld der dortigenBevölkerung, und ich bin gespannt vom Regierungstisch zu er-fahren, was die ungeheure Mehrheit der elsaß-lothringischenBevölkerung gethan oder nicht gethan hat, um diesen Ausnahme-zustand zu rechtfertigen. In derselben Sitzung, von der ichvorhin sprach, erinnerte Herr v. Kardorff an die vielen Drang-sale, welche die deutschen Protestanten von Elsaß-Lothringenunter französischer Herrschaft zu erdulden gehabt haben und erwies darauf hin, daß das auch für dies wirthschnftlicheGedeihen des Landes, das zu neuer nationaler Krajt erwachte, insich befestigte Deutsche Reich eine größere Bürgschaft biete alsFrankreich mit seinen fortwährend wechselnden Regierungsformen.Weitere bemerkenswerthe Aeußerungen liegen aus jener kurzenDebatte nicht vor. Aber in dem Bericht der Kommission,welcher der Entwurf überwiesen, war in prägnantesterWeise zum Ausdruck gebracht worden, daß auch sieentschlossen war, alles aufzubieten, um den Elsaß-Lothringern die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich so angenehmwie möglich zu machen. Wenn trotzdem die ungeheuere Mehr-heil der Elsaß-Lothringer diese Gefühle, die hier von Ihnen er-wartet wurden, nicht theilt, wie ich offen bekenne, so wird esspäter meine Ausgabe sein, zu untersuchen, warum. Bei derzweiten Lesung des Entwurfs sprach sich Herr v. Treitschke be-sonders wohlwollend für die Elsaß- Lothringer aus, erforderte für sie die Selbstverwaltung im deutschenSinne. Aber jene Versprechungen und Voraus-setzungen sind nichterfüllt worden. Die Diktaturbesteht nach wie vor in Elsaß-Lothringen.(Redner zitirt die ein-schlagenden Bestimmungen der noch jetzt für die Reichslandebestehenden Gesetzgebung, durch welche über das gesammte sozialeDasein Elsaß-Lothringens die Diktatur verhängt wird.) AlleMaßregeln kann der Statthalter danach treffen, die er nach seinerindividuellen Meinung für geeignet hält, um die nach seinerMeinung für die öffentliche Sicherheit vorhandene Gefahrfernzuhalten. Das ganze Land ist jetzt beinahe 24 Jahre diesemdauernden Belagerun gs zu stände ausgesetzt. Mankann wohl sagen, der letzte Polizist in Elab-Lothringen hat dorteine weit größere Gewalt über die Existenz des einzelnenBürgers, als im übrigen Deutschland ein höherer Re-gierungsbeamter. Ein solcher Zustand ist natürlich höchstunbehaglich und drückend für die Bevölkerung, daniemand weiß, in welchem Augenblicke er sich etwadas Wohlwollen der betreffenden Behörden, in deren gutachl-liches Ermessen er seine ganze soziale und wirthschaftlicheExistenz gegeben hat, verscherzt hat, und da die Mittel zu seinerSchädigung geradezu ohne Grenzen sind, so muß das selbst-verständlich aus den gesammten Geist der Bevölkerung im höchstenMaße deprimireud einwirken.Niemand wagt etwas zu äußern aus Furcht, sich dabei zuschade»; so komme» denn die allerberechtigsten Beschwerdenüber das Verhalten der Beamten garnkcht zur Kennlniß deshöheren Beamten, geschweige denn des Statthalters. Thalsächlich>vird Elsaß-Lothringen in vollem Umfange als ein erobertesLand behandelt(Zustimmung bei den Sozialdemokraten), die Be-völkerung als eine feindliche angesehen, gegen welche die außer-ordentlichsten Verwallungsmaßregeln nothwendig sind. Wie könnteman denn sonst diesen Znstand ausrecht erhalten?Elsaß-Lothringen ist seit 1871 ein deutsches Land, aber mehrals neun Zehntel seiner Gesetze sind heutenoch französischen Ursprungs.(Hört, hört i links.)Diese Gesetze bestanden auch in Frankreich, aber während beidem beständig wechselnden Regierungssystem in Frankreich die«ine Regierung auf eine ganze Reihe von Vollmachten freiwilligverzichtete, oder sie einschlafen ließ, und die andere Regierung sie für„olhwendig erachtete, um ihre Existenz aufrecht zu erhalten, be-stehen jetzt diese Gesetze in Elsaß-Lothringen in voller Kraft.Es handelt sich um Gesetze, Dekrete und Verordnungen, die zumtheil ein ganzes Jahrhundert zurückreichen und in der Periodedes sogenannten Schreckens unter dem Konvent für nothwendigerachtet wurden, während andere ebenso drakonische Bestimmungenaus der Zeit Napoleons I. und III. und Louis Philippsherrühren. Frankreich hat sich seit 1871 bis heute alsRepublik erhalten können; sie hat also eine Lebensdauer,wie sie in gleicher Weise keine Staatsform in Frankreich frühererreicht hat. Während dieser ganzen Zeit ist eine Menge ältererGesetze und Verordnungen in Frankreich beseitigt worden; Elsaß-Lothringen wird immer noch auf grund jener beseitigten Gesetzeweiter regiert. Diese Gesetze werden von unser» deutschenBeamten in einer Weise angewendet und ausgelegt undihre Uebertretung bestraft, wie man es selbst in denschlimmsten Zeiten in Frankreich kaum ärger gekannt hat.(Zu-stimmung links.) Das muß ein Gefühl der Rechtlosig-keit, der Vernachlässigung, d e r U n t e r d r ü ck u n gin den weitesten Kreisen Elsaß-Lothringenshervorrufen.Mit der Schaffung des Landesausschusses ist einegewisse Erleichterung gewährt worden, aber es ist eine'Art von Parlament, welches man spottweise Rentner-Parlament genannt hat, weil in ihm nur die BemitteltenSitz und Stimme haben. Ich selber habe mich persönlich imletzten Sommer auf einer Reise nach Basel aus der Unlerhaltungeines Freiburger Professors und eines Freiburger Gcschästs-mannes, die mich beide nicht kannten, überzeugen können, wieunheilbringend die Diktatur sich im Elsaß geltend macht.1885 beantragte der Abg. Cablä die Beseitigung des Diktatur-Paragraphen. Zu einer zweiten Lesung des Antrages kames nicht, und es steht dahin, welches Schicksal der Antrageventuell gehabt haben würde. Jetzt ist es aber die allerhöchsteZeit, daß die 1371 in Aussicht gestellte Gleichberechtigung derElsaß-Lothringer mit den Altdeutschen endlich zur That undWahrheit wird. Heute fehlt es in Elsaß-Lothringen an den er-forderlichen Organen, um die Beschwerden der Bevölkerung freiund offen zum Ausdruck zu bringen. Jedes Blatt fragt sichnaturgemäß in erster Linie, ob es nicht in der Ausdrucksweiseoder in der Beschwerbe überhaupt so weit gehe, daß eventuell dieUnterdrückung des Blattes aus grund des Diklalurparagrapbeneintreten könnte. Es ist nicht einmal nothwendig,daß eine einzige bestimmte Handlung einen solchen Gewaltaktrechtfertigt oder provozirt, sondern es heißt da unter Umständenauch: Ja. das Blatt ist unterdrückt worden, wir haben esspeziell schon lange aus dem Korn und endlich ist das Maß zumUeberlausen voll geivorden; der oder jener Punkt hat endlichden letzten Tropfen in das Blaß gegossen, wo die Geduld dannreißt. Es ist auch nicht zu übersehen, daß jene Unter-drückung eines solchen Blattes zugleich eine geschäftliche Schädi-gung der Redakteure, Expedienten und Schriftsetzer zur Folge hat.Dieses über dem Haupte der betreffenden immerfort schwebendeDamoklesschwert übt einen lähmende» Einfluß aus die Presse aus,so daß die Rcgierungsorgane gar nicht in der Lage sind, diewirkliche Stimmung der Bevölkerung zu beurtheilen. Die Preß-freiheit in Elsaß-Lothringen ist eine Phrase. 1831 am 15. Sep-tember, einen Monat vor der Reichstagswahl, wurde die„Preffe von Elsaß-Lothringen". am 4. Mai, einen Monat vor denBezirkstags-Wahlen das„Elsässische Volksblatt" unterdrückt.Herr Anloine hatte 1833 die Absicht, eine Zeitung„Metz" heraus-zugeben. Durch Ukas vom 5. August 1883 wurde bereits imvoraus das Erscheinen dieses Blattes verboten. DieBehörde sagte sich, zunächst mag ja das Blatt keineBedenken für die öffentliche Sicherheit erwecken, weiles noch nicht existirt, aber später wird es anders, wenn es er-scheint. Am 22. November 1884 wurde das Blatt„Union vonElsaß-Lothringen", ein katholisches Blatt, verboten, endlichwurde auch das„Echo", ein gänzlich unpolitisches Witz-blatr, verboten. Selbst die nationalliberale„SlraßbnrgerPost" konstalirte, daß keines der erwähnten Blätterproiestlcrisch im landesüblichen Sinne gewesen sei. Nicht alleindie ausländischen'Zeitungen können, wie auch anderwärts ver-boten werden, sondern es kann auch jedem altdeutschen Blatt,dessen Haltung bedenklich erscheint, der Eintritt nach Elsaß-Lothringen untersagt werden. Es können auch Altdeutsche, wennsie durch ihre Thätigkeit Bedenken erwecke», ausgewiesen undüber die Grenzen geschoben werden. Es geschah im Jahre>834,als ich mich aus einer Geschäitsreise in Offenburg in Badenaufhielt und zwei nieiner Parteigenossen aus dem Elsaß michbesuchten. Wir machten einen gemeinsamen Ausflug; davon er-hielt ein Spitzel Kennlniß, und es genügte diese Thalsache dann,um diese beiden deutschen Staatsangehörige» aus Elsaß-Lothringen auszuweisen.(Hört, hört! bei den Sozialdemokrale».)Es wurde auch die„Elsaß-Lolbringische Volkszcitung" verbotenwegen eines Artikels über den Kaiser Wilhelm I., ohne daß diegeringste Möglichkeit bestand, diesen Artikel vor dem Strafrichterzur Verantwortung zuziehen. Die Herausgabe einerneuen Zeitung wurde dann meinen Partei-genossen ohne jede Begründung verboten.Als mein« Parteifreunde den Versuch machten, eine neue Zeitungins Leben zu rufen, wurde auch sie verboten. Auch heute nochgilt dort das Dekret über die Presse vom 17. Februar 1352, wo-nach jedes Tageblatt LlltXX) M., jedes Wochenblatt 10 000 M.Kaution zu stellen hat.Die Zeilungsdruckpresse darf nichts anderes als die Zeitungdrucken, also kein Wahl-Flugblatt, kein Zirkular u. f. w., wozueine besondere Genehmigung erforderlich ist. Die Konzessionzur Errichtung einer Druckerei für die zuletzt ge-nannten Zwecke muß vom Ministerium eingeholt werden, undsie wird nicht eher ertheilt, als bis der betreffende Herausgeberoder Trucker vor Gericht einen Eid abgelegt hat, vermuthlichdahin, daß er nichts gegen die bestehende Ordnung druckt. Undwer nicht vollständig verfassungstreu ist. bekommt die Ge-nehmigung nicht. Auch ein Befähigungsattest als Buchdruckervon vier seiner Kollegen muß er beibringen.(Heiterkeit.) DieseSicherheitsmaßregeln übertreffen alles, was man in einemKulturstaat für möglich halten sollte. Auf das ge-ringst« Versehen stehen furchtbar hohe Geldstrafen, biszu 1600 Mark, und schwere Gefängnißstrafen. Weiter be-steht die schöne Bestimmung, daß ein Blatt, wenn esin einem Prozeßbericht mehr als die bloße Thatsacheder Vernrtheilung und mehr als den Thalbestand berichtet, sofortbestraft werden kann. Für ein Blatt, das an bestimmten Orlennicht gut angeschrieben ist, ist es einfach unmöglich, Leute zusinden, welche das Blatt zu kolportiren das Recht haben, weildie Kolportage auch wieder von der persönlichen G e-nehmigung der Behörden abhängt und sie dem be-treffenden entzogen werden kann, wenn er nicht die nöthigeGarantie für sein Wohlverhalten bietet.Auch in bezug aus die B e r e i n e besteht eine Gesetzgebung,die antidiluvianisch genannt werden kann; in das Belieben derPolizeibehörden kann die Gründung eines Vereins und die Ab-Haltung einer Versammlung gelegt werden.Ich erinnere an die Entrüstung, die über die Auflösung desEidellavereuies und das Verhallen des Herrn Feichler imommer 1393 herrschte. Damals stand in Aussimt, daß dieSacke gerichtlich klargestellt werden würde, es ist auch Klageerhoben worden, aber in dem Augenblick der Entscheidungkamen die Parteien überein, die Klage zurückzunehmen. Wirhaben also heute keinen Einblick in jene Verhältnisse,die damals allgemeine Entrüstung erregten; trotzdem ist derPolizeipräsident Feichler mit Pension verabschiedet worden oderzur Disposition gestellt, wie Herr v. Köller mir eben zuruft.Dieser Herr soll sogar Aussicht haben, rehabilitirt zu werden undaus den Bezirkspräsidentschafts-Stuhl in Metz zu gelangen(Zurufbei den Sozialdemokraten), von dem Verein habe ich aber nichtgehört, daß er das Recht erhalten hätte, wieder ins Leben zu treten.(Redner zitirt eine Reihe von Fälle», in welchen die Genehmigungvon Vereinen untersagt oder erschwert wurde.)In Mühlhausen wurde mir zwar gestattet, öffentlich wohlüber die allgemeine wirthschaftliche Lage, aber nicht über diepolitische zu sprechen; ein Zustand, wie unter dem selig ent-schlafen«» Sozialistengesetz. Die Schließang oder Konzessions-eniziehung von Wirlhschasten unterliegt in Elsaß-Lothringennicht der richterlichen Entscheidung, sondern dem Gutdünken derBeamten. Ost muß die Schließung von Lokalen wieder zurück-genommen werden, wie Redner an mehreren rechtprägnanten Beispielen zeigt, weil daS Verbot unterganz falschen Voranssetznngen ergangen war. Nach einerAnordnung des Polizeipräsidenten von Straßburg sollenin bestimmten Wirlhschasten keine politischen Bestrebungengetrieben werden. Das ist zwar offiziös widerrufen, aber mancheWirthe haben ihren Gästen den Rath gegeben, politische Gesprächezu unierlassen. Für den harmlosen Ruf„Vivo 1a ITranco" istauf ein Jahr Gefängniß erkannt.Und was hat der Statthalter alles für Vollmachten? Erernennt die Bürgermeister, die Geistlichen der Augsburger Kon»fession, einen ganzen Theil der katholischen Geistlichen; die Lehrer-schafl ist gänzlich von den höheren Beamten abhängig, Berwal-lungsgerichte für Beschwerden gegen Behörden existiren nicht.Ein solcher Zustand ist eines Kullurstaates unwürdig. Wenn dasmaßgebend ist, was heute für die Aufrechterhaltung der Diktaturangeführt ist. dann wird der Belagerungszustand nie aufgehobenwerden. Eine so behandeltejBevölkerung kann sich mit der Veränderungihrer Verhältnisse nicht aussöhnen. Als 1359 und 1860 Savoyenund Nizza von Frankreich annektirt wurden, ist es selbst einemNapoleon III. nicht eingefallen, das Land unter Ausnahme-zustände zu stellen; als die Lombardei und Venedig unier öfter»reichischer Fremdherrschaft standen, ist Jahre lang Tag für Tagin der lräsligsten Weise gegen die österreichische Regierunggewettert und gedonnert worden, die„Kölnische Zeitung" und die„Gartenlaube" sandten Extra-Berichterstatter nach den geknechteten,unterjochten Provinzen." die Material sammeln sollten, wennuntergeordnete Polizei-Organe sich etwas gegen die Bevölkerungzu schulden kommen ließen, um diese Organe als ungeheuergewaltthätig der deutschen Leserschaft darzustellen. Eine ähn-licke Taktik ist in bezug auf Schleswig-Holstein gegen dasSchandregiment der Dänen beobachtet worden. Würden heuteetwa schweizerische oder französische Journalisten nach Elsaß-Lothringen kommen, um Material zusammenzutragen über dieUnzufriedenheit der Bevölkerung, sie würden ebenso viel Materialfinden, wie jene deutschen Berichterstatter(Zuruse). Herr v. köllerund Herr v.Bötticher bestreiten mir das gleichzeitig. Natürlich müssensie das bestreiten und den heutigen Zustand zu rechtfertigen versuchen;sie werden auch vielleicht die Mehrheit des Reichstages überzeugen,daß sie Recht hätten. Kommt das so, dann beweist es nur, wietief der öffentliche Geist in Teutschland schon gesunken ist(Zu-stimmung links). Wenn in bezug auf Gesammt- Deutschlanddie Diktatur als das einzige Mittel, Deutschland zu retten.vorgeschlagen, wenn dem Kaiser und dem Bundesrathdie Diktatur auf unabsehbare Zeit übertragen werden soll, wennzahlreiche Prsßorgane verschiedener Parteien solchen Plänen zu-stimmen, dann dürften allerdings viele nicht begreifen können,daß wir verlangen, es solle endlich in Elsaß-Lothringen das aufhören,was gewisse Leute gerade jetzt in Deutschland einführen wollen.Wir haben aus der großen Zahl unserer Anträge geradediesen Antrag als den ersten zur Verhandlung gestellt, und nichtetwa um sozialdemokratische Agitation zu treiben; wir könnenmit den Fortschritten unserer Partei in Elsaß-Lothringen äußerstzufrieden sein. Unser Anwachsen ist dort geradezu kolossal, dashaben Sie nicht verhindern können, ebensowenig wie Sie mit§ lirer Umsturzvorlage die Gesellschaft zu retten vermögen. Gebenie doch endlich einmal diese ewige Selbsttäuschung auf.Bei der Einbringung dieses Antrages haben wir uns gesagt:Ehe wir eine Erweiterung der Rechte der übrigen deutschenStaatsbürger verlangen, wollen wir dafür sorgen, daß die Elsaß-Lothringer wenigstens die Reckte bekommen, die wir bereitshaben. Ihr Beifall oder ihr Mißfallen kann uns nicht abhalten,diesen Antrag zu stellen oder ihn gegebenenfalls zu wiederholen.Die„wiedergewonnenen Brüder" sollen sich auch als deutscheBrüder fühle», und das können sie nur, wenn Sie sie zu voll-berechtigten Deutschen machen, wenn Sie mit einem Worte dieDiktatur aufheben.(Beifall bei den Sozialdemokraten.)Reichskanzler Fürst Hohenlohe: Der Reichstag wird wohlnicht annehme», daß ich die 9 Jahre meiner Amtsführung einTyrann der Reichslande gewesen wäre. Der Staatssekretär wirdauf die Einzelheiten antworten. Ich beschränke mich aus einig«allgemeine Bemerkungen. Das Gesetz von 1871 wurde unmittelbarnach der Einverleibung von Elsaß-Lothringen in Deutschland.also zu einer Zeit gegeben, wo noch in manchen Kreisen einegewisse Mißstimmung über die Abtrennung des Landes vonFrankreich vorhanden war. Man befürchtete damals Aus-schreitungen in einer gewissen Richtung und man konnte damalsmit einiger Berechtigung sagen, daß die Maßregel gegendie Bewohner von Elsaß- Lothringen gerichtet war. Heutekann man das nicht mehr sagen. Der sogenannte Diktatur«Paragraph hat heute nur noch«ine theoretische Bedeutung.(Widerspruch und Lachen bei den Sozialdemokraten.) Er istwährend meiner Amtszeit überhaupt nur zweimal angewendetworden: die Bevölkerung hat sich daran gewöhnt, den jetzigenZu st and als einen dauernden anzusehen.Viele sind auch von Herzen gute Deutsche, und im allgemeinenist die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen ein arbeitsames, treues.Gesetz und Religion ehrendes Volk. Trotzdem halte ich tSnicht f ü r rathsam, den sog. Diktatur-Para-graphen jetzt aufzuheben. Die Regierung von Elsaß-Lothringen bedarf einer gewissen Sicherheit, nicht gegenüber derBevölkerung, sondern gegenüber auswärtigen Agitatio-n e n.(Zustimmung.) Ich hebe hervor, daß die sranzösiche Re-gierung zu allen Zeilen in der korrektesten und loyalsten Weiseverfahren ist. Das hindert aber nicht, daß in Frankreich selbst zahl-reiche Menschen sich von dem Gedanken nicht trennen können, daßElsaß-Lothringen wieder mit Frankreich vereinigt werden müsse.Wenn Sie annehmen, daß diese französischen Agitationen auch nachElsaß-Lothringen übertragen werden können, so müssen Sie zu-geben, daß auch der Fall eintreten kann, daß die Bewohner vonElsaß-Lothringen durch Agitationen von außen zu unbesonnenenSchritten verführt werden können. Gegen diese Verführungenerrichtet das Gesetz von 1871 eine Art"Warnungstafel. Wennes manchen Unbesonnenen vor dem Landesverralh behütete, sowürde es sich schon dadurch aNein bezahlt machen. Ich wünscheauch von ganzem Herzen, daß Elsaß-Lothringen mit dem übrigenDeutschland gleichgestellt würde. Diese Gleichnellung kann abererst dann erfolgen, wenn wir vor fremden Einwirkungen sichergestellt sind. Bis dahin müssen wir das Gesetz behalten und ichrathe Ihnen deshalb den Antrag abzulehnen.(Beifall.)