Abendausgabe
Nr. 67 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 34
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
Dreis 40 Mark
Freitag
9. Februar 1923
Berlag und Anzeigenabteilung. Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße& Fernsprecher: Dönhoff 2506-250%
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Die„ friedliche" Aktion.
Mit Reitpeitsche und Bajonett.
Echo de Paris" berichtet über eine Konferenz zwischen hinein verfolgte. Vor dem Bahnhof waren drei maPoincaré, Le Trocquer, Kriegsminister Maginot fchinengewehre aufgestellt, die auf die flüchtende Menge geund General Foch, die gestern abend stattfand und das richtet wurden. Irgend ein Widerstand des so plötzlich überfallenen Berfehrsproblem im Ruhrgebiet zum Gegen- Publifums und der Beamten iff in teiner Weise erfolgt. In 8 bis stand hatte. Obwohl über den Inhalt der Konferenz offizielle 10 Minuten waren sämtliche Reisende weit in die Stadt hinein verMitteilungen nicht ausgegeben wurden, will das Blatt wissen, schwunden. Das Gepäd der Reisenden ist zum größten Teil im daß man in den Kreisen der französischen Regierung einen 3uge geblieben, ebenso das auf dem Bahnhof ein- und umzuGeneralstreit der Eisenbahner im Ruhrgebiet bes labende Gepäd. Wieviel Personen verlegt worden sind, ist nicht zu grüßen würde, da man dann die Lebensmitteltrans übersehen. Der niedergeschlagene Zugführer ist porte anderen 3weden dienstbar machen fönnte. inzwischen bereits gestorben. Das ist nicht unwahrscheinlich und stimmt durchaus mit der
Sozialdemokratie und Abwehrkampf.
Tätigkeit der französischen Spizel im Ruhrgebiet über- Aus Oberhausen wird mitgeteilt, daß die französischen ein, die bekanntlich die Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten und Truppen am Blod Grafenbusch häufig blindlings gleich ganze anderen Dummheiten aufzureizen versuchen. Auch das un- Salven in den dortigen Bald hineinfeuern. Durch diese glaublich brutale Auftreten der Besagungs- planlose Schießerei wird das Betreten des Waldes verhindert und truppen fann nur den 3wed haben, die Bevölkerung zu der Aufenthalt von Waldarbeitern und Aufsichtsbeamten unmöglich Unbesonnenheiten zu verleiten. gemacht. Der Stellwerksposten an der Strede Oberhausen- Wedel Roheiten wie die Räumung eines Theaters mit der Reit- bei Oberhausen beschießt deutsche Polizisten, die bei peitsche, bewaffnete lleberfälle auf die Reisenden, das Dhr- ihren vorgeschriebenen Patrouillenwegen in Schußweite des Postens feigen von Schußpolizisten und das ewige Drohen mit dem gelangen. Schießprügel gehörten bisher nicht zu den Mitteln ,! Postdirektor Schön und Telegraphenassistent Boltmann, mit denen eine Kulturnation Krieg zu führen pflegte. Es galt beide aus Raffingen, sind heute abend um 6 Uhr von den Franvielmehr als Völkerrecht, daß man gegen eine Bevölkerung, 30fen verhaftet und abgeführt worden. soweit sie der bewaffneten Macht nicht bewaffnete Gegenmehr entgegenseßte, überhaupt feinen Krieg führt. Der„ friedlichen" Aktion des Herrn Poincaré blieb es vorbehalten, mit diesen Bräuchen, die jeder Kulturnation selbstverständlich waren, zu brechen. Deutschland hat die brutale Gewalt Poincarés bisher mit Gewaltlosigkeit befämpft. Die stets steigende Un ruhe, mit der man in Paris die friedliche Abwehraktion Deutschlands verfolgt, zeigt, daß wir mit dem Erfolg dieser Methoden zufrieden sein fönnen. Frankreich wartet auf Gewalttätigkeiten von deutscher Seite. Es fucht durch Graufamkeiten und Provokationen solche hervorzurufen. Dadurch fet fich Frankreich zu gleicher Zeit immer mehr ins Unrecht. Das aber muß das Ziel unserer Abwehrattion fein. Wenn es uns gelingt, daß die französische Kriegsmaschine am passiven Widerstand der Arbeiter, Angestellten und Be am'en sich selbst totläuft, ohne ihr Ziel zu erreichen, dann fben wir einen Krieg gewonnen, ohne auch nur einen Schuß abgegeben zu haben.
Bochum , 9. Februar.( Eigener Drahtbericht.) Die Vereinigte Sozialdemokratische Partei Bochums und Umgegend hielt gestern abend im Rathaussaale eine äußerst start besuchte Mitgliederverfammlung ab, in der Genoffe Stampfer Berlin über die Stellungnahme der Sozialdemokratie zur Besehung des Ruhrgebiets sprach. Nach einer fochlichen Aussprache gelangte folgende Entschließung einstimmig zur Annahme:
Die Front im Kohlenkriege.
Bon Albert Faltenberg.
Die aus dem alt und neubefeßten Gebiet stammenden Berichte über die politische Lage laffen immer wieder erfennen, daß der Glaube an den endlichen Erfolg der deutschen Abwehrattion fich allein auf die Aufrechterhaltung der Arbeitnehmerfront zu stügen vermag. Diese Grundauffassung, der heute auch von sonst nicht gerade arbeitnehmerfreundlicher Seite zugestimmt wird, verdient festge= halten zu werden auch für eine Zeit, in der einmal eine neue politische Konjunktur andere Meinungen in Geltung setzen möchte.
Was die Geschlossenheit der Arbeitnehmerschaft- Arbeiter, Angestellte und Beamte- bisher an Schwierigkeiten zu überwinden vermochte, läßt sich taum von draußen erkennen. Die unendlich zahlreichen Leidensstationen, durch die eine Bepölferung angesichts starrender Bajonette hindurch muß, hinterlassen naturgemäß bei den unmittelbar Betroffenen ties fere Wirkungen als bei dem an der Peripherie der Ereignisse lebenden Zuschauer. Noch dazu, wenn die Leidenden erkennen müssen, daß ihnen Theater vorgemacht wird, um fie über die wahren Gründe der Gewalttaten hinwegzutäuschen. Wer bemüht ist, sich an Ort und Stelle ein möglichst flares Bild von den Wirkungen des ersten Aufzuges des Dramas an Ruhr und Rhein zu verschaffen, wird er fennen, daß die Verachtung der Bevölkerung gegenüber den fremden Machthabern größer ist als die ihnen gegenüber auffeimende Erbitterung. Wenn man täglich erleben muß, daß die mit großem Trara erlassenen Befehle und Verordnungen Luft bleiben für diejenigen, denen sie zugedacht waren wenn man in die Lage versetzt wird, den morgens Ausgewiesenen abends an der Stätte feiner bisherigen Wirksamkeit zu begrüßen, wenn man trog Gegenbefehls die Abendvorstellung im Theater zur gewohnten Stunde besuchen und noch dazu die Besagungsbehörde ohne Gefahr, gehängt au werden, von dieser Korrektur des Besatzungsbefehls in Kennt Die am 8. Februar im Rathaussaale tagende Bersammlung nis feßen fann, dann verlieren alle Maßnahmen ihr der Mitglieder der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei erhebt Rückgrat und werden empfunden als die Zuckungen einer ster gegen die widerrechtliche Befehung des Ruhrgebiets den schärften benden Gewaltepoche. Brotest. Sie gelobt, am gewaltlosen Abwehrkampf gegen Und dennoch wäre es grundverkehrt, wollte man über die unrechtmäßige militärische Gewalt unbeugfam festhalten dem von den Pariser Regisseuren entfachten Theaterdonner zu wollen, mit dem Ziel der Sicherung der Einheit der das ernstzunehmende Grollen einer aus ihren Angeln gerate deutschen Republit gegen imperialistische Absichten und bis zum 3u nen Welt überhören. Der zweite Aft des französischen Weltstandekommen einer rechtmäßigen und wirtschaftlich vernünfti- theaters hat begonnen. Die Abschnürung des Ruhrgebiets ist gen Berständigung über die Reparationen. Die Versamm vollendet. Mögen hier und dort durch die glänzend bewielung fordert hierfür die Unterstügung der Regierung und die Soli fene Berfehrsstrategie unserer Eisenbahner fünftig noch einige Paris , 9. Februar. ( WTB.) Heute vormittag begibt sich der darität des internationalen Broletariats." Dußend Wagen mit Ruhrkohle das unbefegte Deutschland er Minister für öffentliche Arbeiten Le Trocquer nach Brüssel , um mit der belgischen Regierung zu verhandeln. Nach dem„ Matin" reichen, im ganzen wird niemand mehr mit wesentlichen Bahnhof Gelsenkirchen vor der Besehung. Kohlenzufuhren aus dem neubesetzten Gebiet rechnen dürfen. werden sich an diesen Berhandlungen auch die hauptsächlichen Sach. Wanne, 8. Februar.( TU.) Der Bahnhof Gelfen- Diesen Tatbestand werden an erster Stelle die Arbeitnehmer verständigen der französischen Eisenbahn beteiligen, um den endgültirchen foll im Laufe des heutigen Tages befeht werden. jeden Grades in den deutschen Großstädten tigen Plan der Verwaltung der rheinischen Eisen. Damit ist der gesamte Berkehr zwischen Effen und Herne eingestellt. Berlin in empfindlichster Weise zu spüren belommen als das bahnen zu bestimmen. Der Eisenbahnverkehr auf dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof ruht vollkommen. Wegen der Stillegung des Bahnhofes Wanne und in Erwartung der Befehung des Bahnhofs Gelsenkirchen warden von 11 Uhr an teine Züge mehr abgelaffen und weitergeleitet.
Ueber die Vorfälle in Wanne, die wir bereits im Morgenblatt meldeten, berichtet WTB. ausführlich:
Wanne, 9. Februar. Der D- 3ug Eifen- Hamburg ift in Wanne von den Franzosen überfallen worden. Das Zugpersonal gibt darüber folgenden Bericht:
Der D- Zug 97 Effen- Hamburg mußte am 8. Februar gegen 8 Uhr 30 Minuten vormittags an der Einfahrt, da sie gefchloffen war, halten. Nach etwa 10 Minuten wurde die Einfahrt durch Befehl A freigegeben; der Zug wurde aber abgelenkt und lief auf Bahnsteig 4 anstatt 3 ein, 2ls wir ausstiegen, tamen etwa 30 bis 40 Franzosen, ausgerüstet
mit Gewehren, Brechstangen und Vorhämmern, vom Bahnsteig 3 zur Maschine und forderten Lokomotivführer und Heizer zum Verlassen der Maschine auf. Franzosen bestiegen die Maschine. Alsdann wurden die Beamten und alle Reifenden aufgefordert, den Zug und den Bahnsteig zu verlassen. Auch die übriIn Bahnsteige wurden gewal fam geräumt. 3u gleider Zeit lief auf Bahnsteig 3 ein Personenzug von der entgegengefehlen Richtung( von Langendreer ) ein; aud) dessen Reisende mußten fofort den Zug verlassen. Infolge des gleichzeitigen Ausweisens der Reifenden aus dem D- Jug und dem Personenzug
roat.
ftaute sich die Menge, besonders, da niemand im Augenblid erkennen fonnte, was los Der Zugführer wollte in Pflichtfreue die Türen des Zuges noch schnell fájließen, es tam aber ein franzöfifcher Offizier und zog ihn mit den Worten Schnell weg!" vom 3uge fort. Im gleichen Augenblick schlug ein französischer Soldat den 64jährigen deutschen Zugführer
mit dem Gewehrkolben auf den Kopf,
Der Bertaufsbontott gegen die Franzosen ist im ge meinben, burchgeführt. famten Handelskammerbezirk Bochum , auch in den kleinsten Ge
-
Doran in
Signal für den Fortgang der Ruhrattion. Aber auch als die dringendste Aufforderung zur Borbereitung auf neue eigene Leidenswege. Jeder auf der Berliner Stadt und Ringbahn ausfallende Zug wird nicht nur zum Appell an die Massen, durchzuhalten, sondern auch zur Anfündigung, daß nun ganz Deutschland in den Kohlenkrieg hineingezogen worden ist. Künftig werden Dollar und Ruhraktion der deutschen WirtDer Oberbürgermeister von Trier veröffentlicht eine Beschaft das Grab zu schaufeln suchen, und die Arbeitnehmeranimachung, die den Verkauf und die foſtenloſe 21 bgabe von schaft, in deren Hände des deutschen Bolles Schicksal gelegt alkoholhaltigen Getränten an Militärpersonen ist, übernimmt von dieser Stunde an alle Verantwortung da verbietet. Bei Zuwiderhandlungen gegen diese Berordnung für, daß sich nicht das Grab über dem deutschen Wirtschaftsfoll unter Umständen auch die Bestimmung der Reichsgewerbeord- leben schließt. nung Anwendung finden, wonach die Schantfonzession entzogen
werden kann.
Die Situation der Kriegshungerjahre beginnt Auf
Die Ausweisung der Vorsitzenden der demokratischen Frauen- erstehung zu feiern. Damals hieß es u. a. in der halbgruppe Spener, Fräulein Käthe Thoma, der ersten Frau, die Gebiet ausgewiesen worden ist, wird von den Franzosen damit be. außer den Frauen der ausgewiesenen Beamten, aus dem besetzten gründet, daß ihr allgemeines Berhalten der Sicherheit der Be abungstruppen geschabet unt die öffentliche Ordnung bedroht habe.
Sozialistischer Protest.
Paris , 9. Februar. ( WIB.) Die sozialistische Partei hat geffern abend eine Kundgebung für den Frieden veranstaltet und einen Proteft gegen die Ruhrbefehung erlassen.
Dollar 31 000.
amtlichen, von Friedrich Naumann verfaßten Kriegsnahrungs. Durch Hungerpolitik fleinzumachen. Gegenüber den Todesrede: Wir gönnen den Engländern die Freude nicht, uns opfern unserer sterbenden Soldaten find alle anderen Opfer gering. Der Kriegstod ist vergeblich, wenn zulegt um des Brotes willen nachgegeben werden muß." Wenn wir an die Stelle der Engländer Franzosen und Belgier setzen und den Worten unserer sterbenden Soldaten" einen anderen Inhalt verleihen, fönnten wir die angeführten Säße in unsere Tage übernehmen. Ohne vaterländisches Feuer im Gegensah zu nationalistischem Feuerwert wird es auch heute nicht gehen. Eine andere Frage aber ist es, ob die aus dieser Boltsstimmung geschmiedete Waffe deutscher Berteidigung scharf erhal ten werden tann, wenn außerhalb der Arbeitnehmerschaft zwar auch in freigebigster Beife Gelder gespendet werden, im übrigen aber immer noch mit den für richtig gehaltenen steuer und wirtschatsspolitischen Methoden Riemen aus der Haut derselben Arbeitnehmerschichten zu schneiden versucht wird, die im Augenblick bei Regierung und Unternehmertum
Die Anfündigung schärferer Maßnahmen gegen die Devisen spekulation und die Einschränkung der Krebite ruft ein st ärteres Angebot an ausländischen Zahlungsmitteln hervor. Der Dollar ging heute im Berlaufe der ersten Börsenstunden unge fo daß er taumelte; ein Schaffner wollte ihn auffangen; da fette fähr auf 31 000 zurüd. Dementsprechend stellte sich auch am ein anderer Soldat dem Schaffner das Bajonett auf die Effettenmartte eine merfliche Abschwächung ein. Allerdings in hohem Ansehen stehen. Brust mit dem Rufe: Schnell meg!" Die Masse der Frauen und zeigt das Publikum wenig Neigung, seine Effekten zu veräußern, Zwei Gefichtspunkte find u. E. für die Entscheidung dieser Kinder fchrie laut auf. Nun 30g der Offizier den Re- da nach Mitteilungen von zuständiger Stelle in den nächsten Wochen Frage ausschlaggebend. Die durch den Einbruch ins Ruhr volver, hielt ihn auf die Menge gerichtet und forderte fie auf, mit einer folossalen Vermehrung des Notenumlaufs der Reichsbant gebiet gefchaffene Arbeitnehmerfront besteht aus Menschen, schnell zu gehen. Die Stauung vor und auf der Treppe wurde zu rechnen sein wird. Die Börse nimmt an, daß diese erneute In- die schon einmal, und nicht nur furze Zeit, die Wirkungen der fo start, daß Kinder, Frauen und Männer auf der Treppe überein- flationswelle auch der jetzt herrschenden Knappheit an Zahlungs. Hungerblockade gründlichst ausgekostet haben, während andere anderfielen und ein Menschentnäuel bildeten. In diesen mitteln ein rasches Ende bereiten werde. Infolgedessen halten sich Bevölkerungsschichten immer noch die Möglichkeit fanden, ein die Kursrüdgänge in bescheidenen Grenzen. Besonders groß war erträgliches Dasein zu führen. Erfahrungen folch einschneidenflachen die Franzosen rüdfichtslos mit ihren Bajonetten das Angebot in Valutamerten. Eine ganze Reihe inländischer In der Art löschen nicht aus wie ein Licht im Abendwind. Die binein, worauf großes Klagegeihrel und Hilferufe ertönien. duftriepapiere bleibt nach wie vor für ausländische Rech. Erinnerung an diese Jahre lebt auf, wenn sie wiederum an Fluchtartig juchte jeber fein Leben zu retten, von den Franzosen nung gesucht. Hierher gehören vor allem fast sämtliche Textil die Tore pochen und immer noch Menschen vorhanden sind, bis auf den Bahnhofsvorplah getrieben. Dort war eine ka- aftien, verschiebene Papiere der Maschinenbau und Waggonbau- die sich nicht scheuen, an der Not ihrer darbenben Bolts valleriepatrouille, die die Menge bis weit in die Stadt industrie und Unternehmungen der Metallbearbeitung. genoffen vorbeizuleben.
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